Ein Arbeitsleben mit Niedriglöhnen reicht nicht für die Rente: Wie Marktradikalismus Altersarmut schafft

1. Der demografische Faktor als Rentenkürzungs Argument

Die letzten zehn Jahren haben radikale Veränderungen in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland gebracht, was sich für den aufmerksamen Beobachter bereits am Strassenbild erkennen lässt. Die Menschen werden immer älter, die durchschnittliche Lebenserwartung steigt. Wegen der umgekehrten Bevölkerungspyramide sehen wir immer weniger junge, dafür mehr hochbetagte Menschen. Für den traditionellen Generationenvertrag unseres Rentensystems sind dies keine guten Nachrichten; er trägt immer weniger und verwandelt sich in ein ungerecht werdendes Geld Transfersystem von Jung nach Alt. Immer weniger Erwerbstätige müssen für immer mehr Ruheständler aufkommen, so dass die Sozialabgabenbelastungen in unzumutbare Höhen steigen.

Dagegen hatte die Politik ein Patentrezept gefunden: wir müssen einfach alle länger arbeiten und dafür etwas weniger Rente beziehen. Nur so könne das Rentensystem überhaupt noch gerettet werden. Der sogenannte demografische Faktor wurde in die Rentenformel eingebaut, der garantierte, dass die Renten in Zukunft nur noch sehr moderat ansteigen und die Sozialabgabenbelastungen, die ja auch gleichzeitig Lohnnebenkosten darstellen, nicht über Gebühr ansteigen lassen.

Um der Wirtschaft einen Wettbewerbsvorteil im globalen Konkurrenzkampf zu verschaffen, wurde der Arbeitgeberanteil für die Renten eingefroren – der Arbeitnehmer alleine trägt seitdem die Beitragserhöhungen. Das Renteneintrittsalter wurde zudem auf jetzt 67 Jahren erhöht, wobei es den vollen Rentensatz erst bei 40 vollen Versicherungsjahren gibt.

2. Gesetze jenseits von Realität und Menschlichkeit

Die wenigsten Menschen schaffen die vorgeschriebenen 40 Versicherungsjahre. Zum einen, weil es nicht genügend Jobs gibt und sich heute selten ungebrochene Erwerbsbiografien entwickeln können, zum anderen aber auch, weil in bestimmten Berusfeldern die Arbeitsbelastungen so schwer sind, dass kein Erwerbstätige darin bis zum Renteneintrittsaler gesund und arbeitsfähig bleibt. Strassenbauer, Maurer, Verkäufer, Pflegemitarbeiterinnen; sie alle scheiden häufig wesentlich vor dem 67igsten Lebensjahr aus dem Berufsleben und müssen extrem hohe und nicht zu rechtfertigende Rentenabschläge hinnehmen.

Nach Statistiken der Deutschen Rentenversicherung bezogen im vergangenen Jahr knapp 674 000 Versicherte erstmals eine Altersrente. 47,5 Prozent von ihnen oder fast 320 000 mussten Abschläge verkraften, weil sie nicht bis zum 65. Lebensjahr, der Regelaltersgrenze, gearbeitet haben. Fünf Jahre vorher waren es noch 41,2 Prozent gewesen, 2000 nur 14,5 Prozent. Bei Frührentnern fällt die Rente im Durchschnitt um monatlich 113 Euro geringer aus.

Mütter bekommen die Erziehungsjahre kaum angerechnet. Ausbildung und Studium werden ebenfalls nur unzureichend als Beitragsjahre gerechnet.

Die Agenda 2010 und die Hartz 4 Reformen haben zudem den Arbeitsmarkt radikal verändert. Lohn und Sozialdumping wurden gesetzlich gefördert. Da Hartz 4 Bezieher jeden, noch so schlecht bezahlten Job annehmen müssen, weil sie ansonsten selbst das Existenzminimum weg sanktioniert bekommen, können Arbeitgeber auf dieses Heer von Lohnsklabven zurückgreifen und sie mit nicht existenz sichernden Löhnen abspeisen – die Arge zahlt den Restbetrag zum Sozialminimum. Die Löhne werden also auf Kosten der Steuerzahler gedrückt. die Wirtschaft zieht aus diesem neuen Geschäftsmodell der Aufstocker – Abzockerei enormen Profit, auf Kosten der Allgemeinheit.

3. Traue keiner Statistik, außer du fälscht sie selbst

Hinzu kommt noch ein weiterer Umstand, der gerne vom Staat verschwiegen wird. 1 Euro Jobs führen auch im kommunalen und sozialen Gewerbebereich zum Lohndumping. Die Jobber werden nämlich nicht nur als zusätzliche Arbeitskräfte eingesetzt, wie es das Gesetz eigentlich vorsieht, sondern verrichten häufig die gleiche vollwertige Arbeit wie die fest angestellten und besser bezahlten Arbeitnehmer. So hat sich also ein enormer Niedriglohnsektor ausgebildet. Die Bundesregierung verkauft dies den Menschen als Erfolg und verweist auf die zurecht geschönten Arbeitsstatistiken: weniger als 3 Millionen Beschäftigungslose, das ist ja nur noch ein Katzensprung von der Vollbeschäftigung entfernt, sollte man meinen. Allerdings: Über 50 Jährige Arbeitslose, gehen nicht in die Statistik ein. Genausowenig wie die 1 Euro Jobber, die Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen und die Neugründer, die mit Hartz 4 Bezug und einer zusätzlichen mtl 180 Euro Pauschale den Weg ins freie Unternehmertum wagen.

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