Naturwissenschaftliche Grundbildung heute unabdingbar – Lehrerfortbildung auf der Leipziger Buchmesse

Leipzig/Stuttgart, 22. März 2012/CU. Demokratische Teilhabe an der Gesellschaft, zum Beispiel auch in Fragen der Technologiepolitik, setzt eine naturwissenschaftliche Grundbildung der Bürger voraus. Dies wurde bei einer Veranstaltung der Pädagogischen Forschungsstelle des Bundes der Freien Waldorfschulen (PäFo) zur Lehrerfortbildung auf der Leipziger Buchmesse deutlich.

„Wie soll man sich als Bürger beispielsweise für eine bestimmte Atompolitik entscheiden, wenn man von chemischen Prozessen nichts versteht“, betonte dazu Christian Boettger von der PäFo im Gespräch mit Buchautor und Waldorflehrer Dr. Ulrich Wunderlin. Wunderlin stellte auf der Buchmesse den ersten Band seines Lehrbuchs einer „Phänomenologischen Chemie“ vor. Er dokumentierte anschaulich am Beispiel des Feuers, seiner Voraussetzungen und Verbrennungsprodukte, wie im Chemieunterricht von der Alltagserfahrung ausgehend die Welt der chemischen Stoffe für die Schüler erschlossen werden kann. Nur wenn im Chemieunterricht ein Denken in Kreisläufen vermittelt werde, könne von den Schülern auch nachvollzogen werden, was chemische Stoffe in der Natur bewirken können.

Gehe man auch weiterhin von den trockenen Formeln aus und bringe den Chemieunterricht nicht mit der Alltagserfahrung in Verbindung, bleibe es dabei, dass Chemie eines der unbeliebtesten Fächer ist, betonte Wunderlin. Dies könne man sich im 21. Jahrhundert nicht mehr erlauben:„Wir müssen unbedingt dahin kommen, dem Fach den Wert zu verleihen, den es heute in der Welt braucht“. Christian Boettger wies darauf hin, dass der an den Phänomenen orientierte Naturwissen-schaftsunterricht von Anfang an Bestandteil der Waldorfpädagogik gewesen sei. Heute werde die Waldorfschule in der Öffentlichkeit eher mit künstlerischen Fächern in Verbindung gebracht. „Das ist aber nicht richtig. Die Studie der Professoren Barz und Randoll über Absolventen von Waldorfschulen kam zu dem Ergebnis, dass das zweitgrößte Berufsfeld der früheren Waldorfschüler im naturwissenschaftlichen Bereich liegt“.

Bei einer Sonderauswertung der Waldorfschulen im Rahmen der österreichischen PISA-Studie zum Thema Naturwissenschaften hatten die Waldorfschüler 2006 auch besonders gut abgeschnitten und hinsichtlich ihres Interesses über dem OECD- Durchschnitt gelegen. Dies wurde mit den als vorbildlich bezeichneten Methoden im Unterricht begründet, die von der Alltagserfahrung ausgehen.

Eine zweite Veranstaltung zur Waldorfpädagogik auf der Buchmesse mit Buchautor Dr. Thomas Maschke („Auf dem Weg zu einer Schule für alle“) widmete sich der Umsetzung des Inklusionsgedankens an den Schulen, wie er an einigen Waldorf-schulen schon verwirklicht wird. Hier hoben die Gesprächspartner vor allem die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Lehrern und Heilpädagogen hervor. Inklusion bedeute auch das Ende der Vorstellung vom Lehrer als dem „König im Klassen-raum“. Wer inklusiv unterrichte, müsse bereit sein, sich zu verändern, sich selbst zu hinterfragen und auch Ratschläge anzunehmen. Deutlich wurde auch, dass die Waldorfpädagogik gute Voraussetzungen bietet, inklusiv zu arbeiten, da sie ihren „Lehrplan an den Kindern entwickelt“ und Verschiedenheit von vornherein einkalkuliert.

Literaturhinweise:
• Wunderlin, Ulrich: „Lehrbuch der phänomenologischen Chemie, Band I, Chemieprojekte der 7.,8., und 9. Klasse“, Pädagogische Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen Stuttgart 2011

• Maschke, Thomas (Hrsg.): „... auf dem Weg zu einer Schule für alle – Integrative Praxis an Waldorfschulen“, Verlag Freies Geistesleben Stuttgart 2010

• Barz, Heiner /Randoll, Dirk u.a.: „Absolventen von Waldorfschulen. Eine empirische Studie zu Bildung und Lebensgestaltung“, VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden 2007

• Link zu PISA Österreich, Thema Naturwissenschaften, Sonderauswertung für Waldorfschulen: http://bit.ly/yGA3E3

Bund der Freien Waldorfschulen e.V.
Die derzeit 230 deutschen Waldorfschulen haben sich zum Bund der Freien Waldorfschulen e.V. mit Sitz in Stuttgart zusammengeschlossen, wo 1919 die erste Waldorfschule eröffnet wurde. Die föderative Vereinigung lässt die Autonomie der einzelnen Waldorfschule unangetastet, nimmt aber gemeinsame Aufgaben und Interessen wahr.