Werden Mor Gabriels Glocken bald für immer schweigen?
Pressetext verfasst von marianne brückl am Sa, 2011-03-05 16:24.Von Marianne Brückl
Am 26. Januar 2011 hat sie nun endgültig begonnen, die systematische Enteignung des im Jahr 397 erbauten syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel in Südost-Anatolien. Die Gerichte in Ankara haben jetzt nicht nur dem staatlichen Schatzamt der Kreisstadt Midyat erheblichen Klosterbesitz zugesprochen, sondern auch dem türkischen Forstamt. Werden die Glocken von Mor Gabriel also bald für immer schweigen?
Die Hoffnung der Christen im syrisch-orthodoxen Kloster Mor Gabriel im Tur Abdin in der Südost-Türke scheint zu schwinden. Erst am 26. Januar traf sie die Entscheidung des Kassationsgerichts in Ankara wie ein Peitschenhieb. 24 Hektar ihres Grundbesitzes fallen laut Urteil dem staatlichen Schatzamt der Kreisstadt Midyat zu, ungeachtet der Urkunden, die das Kloster als Eigentümer ausweisen. Dann am 20.02.2011 der nächste vernichtende Schlag durch das Höchste Gericht in Ankara: Weitere 27,6 ha Land innerhalb und außerhalb der Klostermauer wurden dem Fortsamt in Midyat zuerkannt. Ein Urteil, das weitere Folgen haben wird in einem unfairen, auf Vertstaatlichung christlichen Erbes und Entchristianisierung ausgerichteten Prozess.
Die Bewohner befürchten das Schlimmste, zumal noch weitere Prozesse folgen. So soll am 4. Mai 2011 Kuryakos Ergün, Vorsitzender der Klosterstiftung Mor Gabriel wieder einmal vor Gericht erscheinen. Er ist angeklagt, widerrechtlich auf staatlichem Waldgebiet die Schutzmauer um das Kloster erbaut zu haben. Durch das Urteil des Höchsten Gerichtshofes in Ankara im Waldverfahren zu Gunsten des Forstamtes ist die Zerstörung des Schutzwalls nur noch eine Frage der Zeit, und von einer Bestrafung Ergüns in dem unfairen Prozess auszugehen.
Trotz aller Proteste europäischer Politiker, Kirchenvertreter und Menschenrechtsorganisationen gegen den willkürlichen Prozess, bleibt der türkische Staat hart. Der Gerichtsentscheid vom 20. Februar, der den Staat zum Abriss der Mauer berechtigt, macht deutlich, dass es der Türkei nicht darum geht, Religionsfreiheit zu fördern, sondern vielmehr darum, die Christen aus dem Land zu vertreiben. Denn ohne den Schutzwall sind die sorgfältig angelegten Obst- und Gemüsegärten von Mor Gabriel der Zerstörung durch die Viehherden der umliegenden kurdischen Dörfer ausgeliefert, die der Selbstversorgung der Bewohner dienen, und eine Kapitulation des beinahe 1700 Jahre alten Klosters unausweichlich.
Damit wäre der Weg frei für eine türkische Übernahme eines der letzten Zeugnisse für die Existenz des Christentums weit vor dem Islam, der sich erst 622 n.Chr. als sogenannte "Religion" etablierte. Verlieren die Christen in Südost-Anatolien ihre religiöse Zufluchtsstätte, die bisher weltweit Gläubige und Touristen anzieht, ist absehbar, dass auch die letzten der ohnehin nur mehr ca. 2.500 - 3000 christlichen Assyrer (Assyrer-Syrer-Aramäer-Chaldäer) bald ihrer Heimat für immer den Rücken kehren.
Wie sehr sich Politik, Kirchen und Menschenrechtsorganisationen bisher auch um eine Einigung mit der Türkei zur Rettung des Klosters Mor Gabriel bemüht haben, der türkische Staat bleibt unerbittlich in seiner Haltung gegenüber den "Ungläubigen". Statt Hoffnung auf Gerechtigkeit und Religionsfreiheit im Land macht sich Resignation unter den letzten verbliebenen Christen breit, und sie fragen sich bereits, wann die Glocken von Mor Gabriel wohl für immer verstummen.
Umso befremdlicher ist es, dass der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan bei seinem Besuch in Deutschland am vergangenen Sonntag/Montag Bundeskanzlerin Merkel zu einem Kurswechsel und zu größerer deutscher Unterstützung auffordert, was die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei betrifft. Ebenso fühle er sich in dieser Hinsicht diskriminiert. Erdogan übte auch Kritik daran, dass es gegen internationales Recht verstoße, seinen Landsleuten in Deutschland die türkische Sprache und Kultur abzuerkennen.
Wenn Erdogan aber Religionsfreiheit und den Erhalt der türkischen Sprache und Kultur für sein Volk in Deutschland fordert, muss letztendlich auch erwartet werden, dass diese Voraussetzungen ebenso für die indigenen Christen in der Türkei vorherrschen. Eine Verhinderung der Enteignung des Klosters Mor Gabriel wäre der beste Weg, seine lauteren Absichten zu zeigen, ebenso den Christen die Freiheit zu geben, regulär aramäischen Sprachunterricht und christlichen Religionsunterricht an den türkischen Schulen zu erteilen und auch Priester auszubilden.
Wer die Einhaltung von Menschenrechten in Deutschland fordert, muss diese auch den anderen Kulturen in seinem Land zugestehen. Es bleibt also zu hoffen, dass Erdogan selbst diesen Kurswechsel in der Türkei vollzieht und durch Rückgabe des rechtmäßigen Grundeigentums des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel und Gleichberechtigung aller Menschen, sich als würdiger Staatsmann zeigt. Denn Schutz von Minderheitenrechten, bürgerlichen Freiheiten und Religionsfreiheit ist keine Einbahnstraße, sondern eine Verpflichtung für alle - auch für Erdogan! Seine Glaubwürdigkeit wird er letztlich dadurch beweisen können, wenn die Christen sich nicht mehr fragen müssen, "Werden die Glocken von Mor Gabriel bald für immer schweigen?"
Über marianne brückl
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Marianne
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Branche
Freie Journalistin, Schriftstellerin