Große Irak-Konferenz der Assyrer im Berliner DGB-Haus

Bericht von Marianne Brückl

(Foto: mb - im Anhang) Wolfgang Thierse, 3. v. rechts

Berlin - Zum ersten Mal fand am 29./30. Januar im DGB-Haus Berlin-Schöneberg eine große Irak-Konferenz der assyrischen Christen statt. Rund 120 Gäste, darunter der Bundestagsvize Wolfgang Thierse und weitere Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft, nahmen an der Veranstaltung unter dem Motto „Was müssten wir tun, was können wir tun?“ in Berlin teil. Veranstalter waren unter anderem der Rat des Chaldäisch-Syrisch-Assyrischen Volkes, Menschenrechts- und politische Organisationen. Moderiert wurde die Konferenz von Jürgen Hoppe, Journalist und Mitglied der mitveranstaltenden Initiativgruppe "Hilfe für Christen im Nordirak".

Rund 120 Gäste waren am vergangenen Wochenende (29./30.01.2011) ins DGB-Haus von Berlin gekommen, um über die Situation der Christen im Irak zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Neben Wolfgang Thierse (Bundestagsvizepräsident) nahmen auch Vertreter verschiedener Fraktionen Anteil an der Situation der Christen in den muslimischen Ländern. Aus dem Irak waren mehrere Politiker und Kirchenvertreter anwesend, um an der Konferenz teilzunehmen. Außer Thomas Prieto Peral vom ev.-luth. Kirchenrat in Bayern nahmen auch Bischof Hanna Aydin für die Syrisch-Orthodoxe Kirche und Pfarrer Daniel Shemshun, Vertreter des Bistums von Europa der Assyrischen Kirche des Ostens an der Tagung teil. Aus dem Irak waren neben dem Vertreter des Bischof der katholischen Kirche in Alkosh (Ninive-Ebene) unter anderem Repräsentanten des Irakischen Parlaments in Bagdad und der Patriotischen Union Kurdistans nach Deutschland gereist, um die Problematik der christlichen Minderheit im Land zu diskutieren und Solidarität zu zeigen. Auch Vertreter von assyrischen Organisationen in Deutschland wie der Zentralverband der Assyrischen Vereinigungen in Deutschland, Assyrisch Demokratische Organisation und Assyrian Universal Alliance Germany Chapter waren präsent.

„Was müssten wir tun, was können wir tun?“

Bereits zu Beginn der 2tägigen Konferenz machte der Moderator und Journalist Jürgen Hoppe (Initiativgruppe „Hilfe für Christen im Nordirak“) darauf aufmerksam, dass dieses Thema nicht ausschließlich in den Verantwortungsbereich der Bundesrepublik Deutschland und Europa falle, sondern auch in den der irakischen Regierung, gleich ob Muslime oder Christen. Ziel dieser Tagung seien am Ende politische und wirtschaftliche Antworten auf die Frage „Was müssten wir tun, was können wir tun?“

Ist Aufnahme von 25000 Flüchtlingen die Lösung?

Zahlreich prominente Redner, unter ihnen auch der Bundestagsvize Wolfgang Thierse, bemängelten den fehlenden bzw. ungenügenden Schutz für Minderheiten im Irak und die Notwendigkeit, mehr Christen in Deutschland aufzunehmen. In seiner Ansprache kritisierte der Bundestagsvizepräsident die Verfolgung der Christen im Irak, die wegen anhaltender Anschläge ins Ausland oder den kurdischen Norden des Landes fliehen, dort aber auch keine Sicherheit erfahren würden. Laut Thierse seien Armee und Polizei nicht in der Lage oder willens, die Minderheiten zu schützen und auch die Versicherung von Premier Nuri Al Maliki, die Sicherheit und Toleranz für religiöse Minderheiten im Irak zu erhöhen, könne weder den Exodus stoppen noch die Flüchtlinge davon überzeugen, die Chance auf eine Rückkehr in ihre Heimat wahrzunehmen. Er verurteilte aufs Schärfste den Missbrauch von Religionen, um Gewalt zu rechtfertigen. Der Bundesrepublik selbst müsse es darum gehen, wirkliche soziale und wirtschaftliche Hilfe für betroffene Flüchtlinge zu unterstützen und zu fördern bis hin zur Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland.
Berlins Innensenator Dr. Erhard Körting hatte in seiner Grußbotschaft, verlesen von Jürgen Hoppe, angeregt, statt ursprünglich 2500 die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge auf 25000 zu erhöhen. Dies habe er bereits bei der Innenministerkonferenz im Dezember 2010 dem Innenminister Thomas de Maizière vorgeschlagen, so Körting in seinem Schreiben. Er habe auf diesen Vorstoß aber auch negative Reaktionen erhalten. Kritisiert wurde insbesondere dass man durch eine solche Forderung die Identität des Iraks gefährde mit Auswirkungen auf den gesamten Nahen Osten.

Solidaritätsbekundungen von Botschaftern des Irak und der Arabischen Liga

Die anwesenden Botschafter des Irak in Deutschland, Dr. Hussein M. Fadhlalla Alkhateeb, wie auch der Arabischen Liga in Deutschland, Abdul Nabi Mussayab, bekundeten ebenfalls ihre Solidarität mit den Christen im Irak. Alkhateeb betonte dass die Mehrheit des irakischen Volkes, die unterschiedlichen Religionen unterstütze und respektiere, und Freiheit wie auch Menschenrechte achten würden. Er zeigte sich sehr zuversichtlich, dass sein Volk diese Anforderungen auch zu erfüllen in der Lage sei. Hoppe wies den Botschafter jedoch darauf hin, dass Gelder, die für die Menschen in der Ninive-Ebene bestimmt seien, dort nicht ankämen, weil diese vom Gouverneur, z.B. in Mosul zurückgehalten würden und es habe bisher auch noch keine Volksabstimmung stattgefunden, wie in der Verfassung gefordert. Eine Antwort darauf blieb der Botschafter aber schuldig.
Auch Mussayab gab sich in seiner Rede sehr solidarisch und lobte die kulturellen, politischen und sozialen Entwicklungen und Fortschritte im arabischen Sprachraum, die ohne die Existenz der Christen nicht stattgefunden hätten. Man dürfe die kriminellen Angriffe auf die christliche Minderheit nicht politisch schützen, da sie die Sicherheit des ganzen Landes gefährdeten.

Aufnahme von Flüchtlingen nationale Aufgabe

Als Repräsentant der Patriotischen Union Kurdistans verurteilte Amin Babasheikh alle Angriffe und Übergriffe gegen die christliche Bevölkerung des Irak und betonte, dass die kurdische Führung in der kurdischen Region an der Seite der Christen stehe und gegen alles protestiere, was gegen die Christen gerichtet sei. Es sei eine nationale Aufgabe des kurdischen Volkes, die Flüchtlinge aufzunehmen. Er erklärte, die irakische Regierung habe bisher kein Interesse an einer ernsthaften Untersuchung der verbrecherischen Aktionen gegen die Christen gezeigt. Er forderte, dass die Verbrecher der Gerechtigkeit zugeführt werden müssten, damit sie ihre Strafe bekämen. Alle Geschädigten müssten entschädigt werden. Ernsthaft und schnell müsse man dahingehend arbeiten, dass die Christen, die ihre Häuser, ihre Heimat verlassen haben, zurückkehren könnten.

Autonomieregion und Religionsfreiheit

Sowohl Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) und Christoph Strässer (SPD) diskutierten neben Kirchenrat Thomas Prieto Peral (EKD) und weiteren inländischen und irakischen Vertretern aus Kirche und Politik auf dem Podium über die Möglichkeiten eines Wiederaufbaus im Irak. Dass nur eine Autonomiezone letztlich zu einer gangbaren Lösung führen wird, zeigten die einstimmigen Forderungen sämtlicher Redner der Konferenz. Man müsse verstärkt Sicherheit fördern, eine Infrastruktur und Arbeitsplätze schaffen. Problem sei allerdings auch die Zurückhaltung von Geldern für die Ninive-Ebene durch den Gouverneur von Mosul, die den Bewohnern der Ebene nicht nur zustünden, sondern auch dringend benötigt würden. Thomas Prieto Peral berichtete, dass seine Synode zum dritten Mal infolge eine halbe Million Euro als Hilfe für den Irak bewilligt habe. Was dort am dringendsten benötigt werde seien neben Unterstützung für landwirtschaftliche Projekte oder Kirchenbauten, Mittel für Bildung. Zum Thema Religionsfreiheit und Schutz der Christen im Irak äußerte sich Volker Beck, dass in einer Ausgestaltung der konkreten Unterstützung vor Ort gezeigt werden solle, dass es tatsächlich um Religionsfreiheit aller geht und nicht nur um Christen. Es sei gefährlich, wenn man in bestimmten Ländern, wo Christen verfolgt werden, nur Solidaritätsprogramme von staatlicher Seite zur Unterstützung der Christen mache. Man müsse auch die Yeziden, Schabak und andere nichtchristliche Minderheiten unterstützen, wo die Verfolgungsgründe aber ähnlich gelagert seien.

Fruchtbare Arbeitsgruppen entwickeln Lösungen

Lösungsvorschläge für die Verbesserung der Situation der Christen im Irak wurden in zwei Arbeitsgruppen unter Leitung von Dr. Ulrich Pätzold (Strategisch politische Arbeitsgruppe) sowie Jürgen Hoppe (Gruppe für praktische Projekte), beide von der von der Initiativgruppe "Hilfe für Christen im Nordirak", durch die Veranstaltungsteilnehmer erarbeitet. Als Vorschlag der Vertreter des Zentralverbands der Assyrer (ZAVD) und der Assyrischen Demokratischen Organisation (ADO) wurde politisch u.a. eine internationale Kommission zur Untersuchung der wiederholten Verbrechen gegen das indigene Volk im Irak angeregt, wie auch der Aufbau einer eigenen Provinz für die Christen in der Ninive-Ebene angestrebt. Dies mit der Maßgabe einer zügigen Implementierung des Art. 35 des Verfassungsentwurfs der autonomen Region Kurdistans, um nach einem Volksentscheid den indigenen Christen Autonomie zu gewähren.

Im Bereich der „Projekte praktischer Art“ waren sich die Beteiligten einig, dass sich die Arbeit auf den Ausbau von Bildung, Infrastruktur und den Aufbau verschiedener Wirtschaftszweige konzentrieren müsse. So sollen z.B. Schulungen, Fortbildungen, Universitäten und Frauenarbeit gefördert und eine Verringerung von Arbeitslosigkeit durch Landwirtschaft, Viehzucht, Obstbau wie auch Errichtung von Produktionsbetrieben erreicht werden. Einheimische Produkte würden so vermarktet werden können. Die Bereiche Dienstleistung, Verwaltung, Organisation sollten im Aufbau besonders unterstützt werden.

Resolutionen müssen dringend umgesetzt werden

Am Ende der Irak-Konferenz forderten die teilnehmenden Organisationen schließlich in einer Resolution umfassende Maßnahmen für eine gleichberechtigte Existenz und Anerkennung der assyrischen Christen im Irak und die Umsetzung aller überfälligen Resolutionen des Europäischen Parlaments von 2006 bis 20. Januar 2011. Dies müsse so schnell wie möglich geschehen. Allem voran der längst notwendige Volksentscheid.

Es liegt nun an den politischen, kirchlichen und Menschenrechtsorganisationen sowie den europäischen Regierungen, in Kooperation mit der verantwortlichen Regierung im Irak eine Umsetzung der Resolutionen und Projekte durchzuführen und durchzusetzen. Dann wird es hoffentlich in der Zukunft zu einem friedlichen Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen im Land kommen und ein Beitrag zu einer politischen, religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Freiheit aller Menschen im Irak geleistet.

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04.02.2011: | |

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Freie Journalistin, Schriftstellerin