Hörbuch zum 175. Geburtstag von Mark Twain am 30. November 2010

„Mark twain!“ lautete der Ruf der Mississippi-Matrosen, „Achtung, zwei!“ Damit warnten sie ihren Kapitän vor unzähligen Sandbänken und sonstigen Seichtstellen, sobald das ausgeworfene Lot nur noch die kritische Wassertiefe von zwei Faden anzeigte, also von knapp vier Metern. Und der Kapitän informierte den Flusslotsen: „Mark twain!“ Als solcher arbeitete auch der 1835 geborene Samuel Langhorne Clemens, zuvor Druckerlehrling und Schriftsetzer, später Soldat und Deserteur im Sezessionskrieg, Goldgräber und Vagabund, der 1862 Zeitungsredakteur wurde und seine humoristischen Skizzen unter dem Namen Mark Twain erscheinen ließ.
Die Arbeit als Lotse auf dem Mississippi prägte den jungen Mann in verschiedenster Hinsicht: Sie führte ihn zu dem Pseudonym, unter dem er später weltweit literarischen Ruhm erwerben sollte, sie bildete den Hintergrund für seine Romane über Tom Sawyer und Huckleberry Finn, die bis heute Klassiker der Jugendliteratur sind, und sie weckte seine Reiselust, die sein Leben und sein Werk großenteils prägen sollte.
1867 nahm er als Mitglied einer geschlossenen Reisegesellschaft von amerikanischen Bildungsbürgern an einer mehrmonatigen Schiffspassage in die Mittelmeerländer teil, die mit umfangreichen Exkursionen u.a. durch Italien und Frankreich gekoppelt war und über die er in Reportagen für Zeitungen in San Francisco und New York berichtete. Daraus entstand das Werk „The Innocents abroad“ (1869), mit dem er zum höchstbezahlten Autor seiner Zeit wurde und das seinen Ruhm begründete. Der Titel „Die Arglosen im Ausland“ war dabei Programm, denn ebenso arglos wie naiv sah Twain nicht nur die Alte Welt, mit deren Sehenswürdigkeiten er gelegentlich in Bilderstürmermanier umging, sondern auch seine mitreisenden Landsleute, die er als „amerikanische Vandalen“ skizzierte, wobei er sich selber nicht ausnahm. Diese Form von Satire, die auf den Massentourismus vorauswies und deren Humor wir noch heute als äußerst realitätsnah wahrnehmen, findet sich auch in Twains zweitem großen Reisebericht wieder, „A Tramp abroad“ (1880, „Bummel durch Europa“), einem Fazit aus insgesamt mehr als elf Jahren, die Twain in Europa verbrachte.
Aus diesen Reportagesammlungen sowie weiteren Quellen hat Peter Bramböck das Hörbuch „Mit Mark Twain auf Reisen“ zusammengestellt (LangenMüller-Hörbuch, 1 CD, ca. 73 Min., 12,95 Euro, ISBN 978-3-7844-4220-4), für das er autorisierte Übersetzungen vom Ende des 19. Jahrhunderts benutzte, die er bearbeitete und denen er so eine moderne Fassung verlieh, wie sie bislang bei Twains Texten nicht vorlag. Gleich nach Erscheinen im Frühjahr 2010 wurde die Produktion vom MDR-Inforadio zum Hörbuch der Woche auserkoren, und WDR 5 rühmte: „Diese augenzwinkernde Sicht auf die Hochburgen europäischer Kultur ist ein Hörgenuss, den man zuhause genauso gut genießen kann wie unterwegs.“ Zu verdanken ist dies auch Hartmut Neugebauer, der den Texten kongenial seine Stimme verlieh und vor allem in den beiden Satiren über Fremdenführer in Paris bzw. Italien brillierte, deren ungehemmtem Mitteilungzwang wie kaum kaschiertem Kommerzdrang man bis heute ausgesetzt ist.
Einen Schwerpunkt des Hörbuchs bilden Reportagen aus Deutschland, wo Mark Twain sich für längere Zeit aufhielt und das er derart liebte, dass er sogar die deutsche Sprache erlernte, den „Struwwelpeter“ ins Amerikanische übersetzte und „O Tannenbaum“ zu seinem Lieblingslied erkor. Ironisch setzte sich Twain mit dem urdeutschen Phänomen der Wagner-Begeisterung auseinander wie mit der Beflissenheit eines deutschen Hotelportiers, und seine Berliner Eindrücke schildern nicht nur mit Witz die Perfektion einer Stadtverwaltung vor knapp 150 Jahren, sondern auch eine Feier, die 1891 zu Ehren der beiden Gelehrten Virchow und Helmholtz stattfand und zu der Twain geladen war: „An jedem der zahllosen Tische, die den ganzen Raum erfüllten, hatten 24 Personen Platz. Ich war hocherfreut, einen Sitz an der Mitteltafel zu erhalten, an welcher auch die beiden Helden des Abends saßen, obwohl ich durchaus nicht gelehrt genug bin, um eine derartige Ehre zu verdienen. Es bereitete mir ein seltsam angenehmes Gefühl, mich in solcher Gesellschaft zu befinden, mit dreiundzwanzig Männern zusammen zu sein, welche an einem Tage mehr vergessen, als ich je gewusst habe. In Verlegenheit geriet ich nicht; die Gelehrsamkeit steht dem Menschen selten im Gesicht geschrieben und ich konnte mit leichter Mühe Haltung und Gebärden der Herren so nachahmen, dass mich die Menge auch für einen Professor hielt.“

26.11.2010: | |

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