Mor Gabriel – Bald ein Museum oder kann deutsche Wortgewandtheit das syrisch-orthodoxe Kloster vor der Enteignung retten?

Von Marianne Brückl
2010-11-02

München/Midyat - Am morgigen Mittwoch, den 03.11.2010, soll der Stiftungsvorsitzende Kuryakos Ergün in Midyat wieder vor Gericht erscheinen. Er ist angeklagt, widerrechtlich eine Schutzmauer um das Kloster erbaut zu haben. Der türkische Staat behauptet, die Mauer stehe auf staatseigenem Waldgrund. Johannes Singhammer, Unions-Fraktions-Vize, der im Anfang Juni 2010 im Kloster übernachtete, stand zu diesem Thema in einem Interview der Fachjournalistin für Menschenrechte Marianne Brückl Rede und Antwort.

Unions-Fraktions-Vize Johannes Singhammer, der sich bereits Anfang Juni 2010 anlässlich seines Besuches in der Türkei gegenüber dem Münchner Merkur dazu geäußert hatte, dass es der Türkei nicht darum gehe, christliches Kulturgut zu erhalten, sondern allenfalls diese Stätten als Museen zu pflegen und zu restaurieren, stand vergangene Woche der Fachjournalistin für Menschenrechte Marianne Brückl anlässlich des Strafprozesses gegen den Stiftungsvorsitzenden Ergün für ein Interview zur Verfügung.

MB: Herr Singhammer, Sie waren Anfang Juni im syrisch-orthodoxen Kloster Mor Gabriel in der Südost-Türkei. Was hat sich Ihrer Meinung nach bis heute an der Situation der christlichen Assyrer dort geändert?

JS: Wir haben mit unserer Reise damals nicht nur ein deutliches Signal der Unterstützung gesetzt, sondern auch durch die Berichterstattung Öffentlichkeit hergestellt. Das ist wichtig, weil damit den Politikern in der Türkei klar wurde, dass alles, was vor Ort in Mor Gabriel geschieht, beobachtet wird und nicht im Verborgenen abläuft. Wir haben verdeutlicht, dass Mor Gabriel symbolhaften Charakter für uns hat. Unser Besuch hat aber auch in Deutschland insgesamt das Thema nachhaltig auf die politische Tagesordnung gesetzt: Wir hatten eine Bundestagsdebatte und der Bundespräsident hat das Thema in der Türkei unmissverständlich angesprochen. Das Thema ist damit keine politische Eintagsfliege, sondern ein wichtiges Thema in den deutsch-türkischen Beziehungen.

MB: Was für ein Ergebnis erwarten Sie im Hinblick auf die Aufhebung des Urteils von Ankara im anstehenden Strafprozessprozess am 03. November in Midyat gegen den Stiftungsvorsitzenden von Mor Gabriel, Kuryakos Ergün?

JS: Ich erwarte vor allem eine in jeder Hinsicht faire und rechtsstaatlich einwandfreie gerichtliche Verhandlung, die den europäischen Standards entspricht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jetzt noch eine Schein-Verhandlung möglich sein wird.

MB: Werden Abgeordnete Ihrer Fraktion beim Prozesstermin anwesend sein?

JS: Soweit ich weiß, wird kein Kollege anwesend sein können. Wir werden jedoch den Prozessverlauf sehr genau verfolgen.

MB: Was wird Ihre Fraktion im Falle einer Negativentscheidung unternehmen?

JS: Ich bitte um Verständnis, dass ich dies vorab nicht kommentieren kann. Aber wir werden nicht hinnehmen, dass erkennbar den Grundlagen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zuwiderlaufende Urteile gesprochen werden.

MB: Sie haben damals geäußert, dass der türkische Staat kirchliche Bauwerke allenfalls als Museen erhalten wird. Glauben Sie, dass Mor Gabriel davon betroffen sein wird?

JS: Ich werde mich dafür einsetzen, dass in Mor Gabriel kirchliches Leben in vollem Umfang stattfindet. Glaube muss offen und frei gelebt werden können und darf nicht nur als kultureller Bestandteil und Beiwerk eines Museums zur Touristenattraktion sein. Mor Gabriel war und ist für mich ein Kloster, ein geistiges Zentrum der Christenheit.

MB: Wie stark sehen Sie ein Interesse der europäischen Staaten, weiterhin dem Kloster zur Seite zu stehen. Gibt es Anhaltspunkte einer thematischen Übersättigung und weniger Präsenz bei den Verhandlungen?

JS: Nein, das sehe ich nicht. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass das Thema Christen in der Türkei durch die verschiedenen Berichte erst an Bedeutung - auch international - gewonnen hat. Es steht jetzt ganz oben auf der Tagesordnung in Deutschland und auch in anderen EU-Ländern. Die Frage, wie die Türkei mit dem Christentum verfährt, ist auch ein Lackmus-Test für die Glaubwürdigkeit der Türkei im Umgang mit religiösen Minderheiten und rechtstaatlichem Handeln.

MB: Was müsste Deutschland politisch gesehen besser machen, um eine endgültige Enteignung zu verhindern? Sehen Sie überhaupt Chancen, mehr einzugreifen?

JS: Deutschland hat mehrfach klargemacht, dass wir eine Enteignung als falsch betrachten. Viele Politiker – so auch ich selbst zusammen mit Unions-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder- sind vor Ort gereist, um unsere enge Verbundenheit mit dem Kloster zu demonstrieren. Es wurde öffentlicher Druck in den deutschen und internationalen Medien aufgebaut und klar gesagt, dass man nicht weggesehen wird. Der Bundespräsident hat das Thema Religionsfreiheit und freie Religionsausübung für die Christen in der Türkei in seiner Rede vor dem türkischen Parlament eingefordert. Ich hoffe, dass die politisch Verantwortlichen in der Türkei dies nicht nur gehört, sondern auch verstanden haben und bei ihrem Handeln bedenken werden.

MB: Wie sehen sie die immer stärker auftretenden Forderungen nach Moscheen und mehr Toleranz für Muslime in Deutschland in Bezug auf das Verhalten der Türkei im Fall Mor Gabriel und die allgemeine Entwicklung gegen die Christen in den Nah- und Mittelostländern?

JS: Ich fordere diejenigen türkischen Muslime auf, die Moscheen bei uns bauen wollen, sich mit der gleichen Hartnäckigkeit für den Erhalt der christlichen Gotteshäuser in ihrer Heimat einzusetzen: Unter anderem für die Renovierung und ständige Nutzbarkeit der Apostel-Paulus-Geburtskirche im anatolischen Tarsus, aber auch für den Erhalt des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel. In wieweit der Islam zu Deutschland gehört, entscheidet sich auch an der Klarheit, mit der muslimische Repräsentanten für Christen in islamisch geprägten Ländern eintreten, denen dort die Religionsfreiheit nicht gewährt wird und die oftmals diskriminiert werden. Kurzum: Was für Muslime und den Bau von Moscheen in Deutschland gilt, muss auch für Christen und ihre Kirchen in der Türkei und anderen muslimischen Ländern möglich sein.

MB: In seiner Rede vor dem türkischen Parlament äußerte Herr Wulff: „Das Christentum gehört zur Türkei!“ Das Christentum existierte aber weit vor dem Islam und der Entstehung der Türkei, wie auch das Kloster Mor Gabriel beweist. Wie beurteilen Sie diesen Satz des Bundespräsidenten?

JS: Ich gehe davon aus, dass der Bundespräsident vor allem auf die aktuelle Lebenssituation in der Türkei Bezug genommen hat und keine religionsgeschichtliche Debatte eröffnen wollte. Klar ist, dass in den letzten Jahren ein echter Exodus der Christen aus der Türkei stattgefunden hat. Teils wegen offener und vor allem auch wegen versteckter Drangsalierungen und Einschränkungen wie zum Beispiel der Verhinderung der Ausbildung christlicher Priester in der Türkei. Dieser Exodus muss rasch gestoppt werden, denn sonst stellt sich die Frage des Christentums in der Türkei in wenigen Jahren gar nicht mehr. In diesem Sinne hat der Bundespräsident ein Ende dieser schlechten Entwicklung eingefordert.

MB: Ich bedanke mich, Herr Singhammer, dass Sie sich die Zeit für die Beantwortung meiner Fragen genommen haben.

Viele mögen es begrüßt haben, dass der neue Bundespräsident in der Türkei als Mittler zwischen Deutschland und der Türkei aufgetreten ist. Welchen Stellenwert seine Worte tatsächlich in der von Muslimen dominierten Gesellschaft der einstigen Heimat des Urchristentums haben, bleibt abzuwarten.

Wulff hatte bereits mit seiner Aussage, „Der Islam gehört zu Deutschland!“ für viel Wirbel gesorgt. Eine reziproke Aussage hinsichtlich des Christentums in der Türkei zu treffen, dürfte angesichts der historischen Tatsachen für die assyrischen Christen, deren Wurzeln seit Tausenden von Jahren in der urchristlichen Heimat Mesopotamien (Beth-Nahrin) zu finden sind, nicht den Kern der Sache treffen.

Man darf also gespannt sein, ob die Worte des Bundespräsidenten Wulff vor dem türkischen Parlament tatsächlich so viel Gewicht haben, die Enteignung eines der ältesten Klöster der Welt einem von Herrschafts- und Eroberungswillen geprägten Volk gegenüber zu verhindern.


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