Fall Mor Gabriel - Ankara hebt Urteil des Midyater Gerichts vom 22. Mai 2009 auf

Weitere Taktik oder Todesstoß?

Von Marianne Brückl

Der Oberste Gerichtshof in Ankara hat das am 22. Mai 2009 vom Midyater Gericht zu Gunsten des fast 1700 Jahre alten Klosters Mor Gabriel gefällte Gerichtsurteil bezüglich der Grundstücksgrenzen aufgehoben. Damals hatte man dem Kloster Recht gegeben gegen die klagenden Dörfer Yayvantepe, Candarli und Eglence, die Land fast bis zur Klostermauer beansprucht hatten. Zeitgleich mit dem Widerspruch des Klosters gegen das Negativurteil im sogenannten Waldverfahren am 24. Juni legten auch die Dorfvorsteher gegen das Urteil vom 22. Mai 2009 Widerspruch ein. Das für den 14.07.2010 angesetzte Strafverfahren wegen der angeblich auf Staatsforst errichteten Klostermauer gegen Kuryakos Ergün, Vorsitzender der Klosterstiftung Mor Gabriel, das einen Tag vorher kurzfristig abgesetzt wurde und in direktem Zusammenhang mit dem "Waldverfahren" steht, findet jetzt am 03. November 2010 seinen Fortgang. Weitere Taktik oder Todesstoß?

Midyat/Südosttürkei - Wie Kuryakos Ergün, Vorsitzender der Klosterstiftung Mor Gabriel heute mitteilte, hat der Oberste Gerichtshof in Ankara das Urteil des Midyater Gerichts vom 22. Mai 2009 im Verfahren um die Grundstücksgrenzen des 397 erbauten Klosters Mor Gabriel aufgehoben. Damals hatten die drei Dörfer Yayvantepe, Eglence und Candarli gegen das Kloster geklagt, um sich dessen Landbesitz anzueignen. Die Klage wurde abgewiesen.

Nachdem am 24. Juni 2009 nach mehrmaligen Prozessverschiebungen kurz nach den EU-Wahlen schließlich im sogenannten "Waldverfahren", gegen das Kloster entschieden wurde - der Baumbestand vor und innerhalb der Klostermauer sei angeblich Staatsforst -, legte der Rechtsanwalt von Mor Gabriel, Rudi Sümer, beim Obersten Gerichtshof in Ankara Widerspruch gegen das Urteil ein. Zeitgleich taten das aber auch die kurdischen Dorfvorsteher gegen das im Mai vom Midyater Gericht gefällte Urteil – und bekamen nun zweitinstanzlich Recht.

Im Prozess vom 22. Mai 2009 konnte sich die Türkei aufgrund der anstehenden EU-Wahlen nicht erlauben, ein negatives Urteil in der ganzen Serie von Prozessverschiebungen zu fällen, zu groß war das Augenmerk, das auf ein Wohlverhalten der EU-Beitrittskandidaten gelegt wurde. Nichts einfacher als das, man ließ ein Urteil zu Gunsten des Klosters zu. Doch schon kurz nach den EU-Wahlen, bei denen die Türkei wieder nicht zum Zuge kam, verlor das Kloster am 24 Juni 2009 einen sehr entscheidenden Prozess. Das Verfahren um den angeblichen Staatsforst wurde zu Ungunsten von Mor Gabriel entschieden.

Dass nun das Urteil des Midyater Gerichts vom 22. Mai 2009 von Ankara aufgehoben wurde, lässt nichts Gutes erahnen. Zumindest, was die Entscheidung hinsichtlich des Widerspruchs des Klosters gegen das Urteil vom 24. Juni 2009 betrifft.

Sollte nämlich Ankara hier eine Entscheidung treffen, die erneut gegen das Kloster ausfällt, dann wird es für die türkische Regierung keinen ersichtlichen Grund mehr geben, die Mauer nicht niederzureißen. Allein schon durch die Aufhebung des Urteils zu Gunsten der Kurden, können diese ihr Vieh jetzt bis fast an die Klostermauer weiden lassen. Fällt dieser Schutzwall, dann sind auch der Abgrasung der Klostergärten, die der Selbstversorgung dienen, Tür und Tor geöffnet. Ein geschickter Schachzug also? Das Strafverfahren gegen Kuryakos Ergün, das wieder einmal vertagt wurde, auf den 03. November 2010, hängt nun von genau diesem Urteil durch den Obersten Gerichtshof in Ankara ab. Es bleibt also abzuwarten, ob man das Verfahren noch weiter in die Länge zieht oder dem Kloster den Todesstoß versetzt.

Wie sehr das öffentliche Interesse am Fall Mor Gabriel aber bereits gelitten hat, zeigt die Tatsache, dass nur mehr sporadisch über das Kloster berichtet wird, wenn hin und wieder einmal ein deutsche Politiker dort übernachtet. Ansonsten ist wieder Stille eingekehrt. Geht die Rechnung der türkischen Regierung damit auf, ein allgemeines Desinteresse zu erwecken?

Es ist also mehr als notwendig, dass die Weltöffentlichkeit wieder verstärkt Interesse am Geschehen um das mithin älteste Kloster der Welt zeigt und sich dafür einsetzt, dass nicht mit einer muslimischen Übernahme von Mor Gabriel ein weiteres wertvolles Zeugnis des Urchristentums im Nahen Osten seinem Untergang geweiht ist. Wenn Europa die Türkei nicht bald zu einer Umkehr in ihrer Haltung gegenüber den Andersgläubigen zwingt, dann wird es in absehbarer Zeit vielleicht bald keine Christen mehr im Tur Abdin geben.

http://www.virtual-assyria.de/component/content/article/6-kloster-mor-ga...


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