Krümmel - riskante Technologie

11.07.2009

Atomkraftwerk Krümmel - riskante Technologie

Bei Gesprächen mit Politikern, Journalisten und auch Atomkraftgegnern in der letzten Woche musste ich feststellen, dass seit der Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Krümmel offenbar ein Generationswechsel stattgefunden hat. Vielen der jüngeren Menschen sind die speziellen Risiken des Atomkraftwerkes in Krümmel gar nicht mehr bekannt. Daher sollen sie hier als Hintergrundinformation noch einmal möglichst knapp aufgeführt werden.

Fast alle Atomkraftwerke in Deutschland haben einen Druckwasser-Reaktor. Der radioaktive Wasserkreislauf ist auf einen relativ kleinen Raum begrenzt. Für den Fall, dass es in diesem Kreislauf ein Leck geben sollte (was ein großer Unfall wäre), ist der Reaktor-Kreislauf in eine riesige Stahlkugel eingeschlossen („Sicherheitsbehälter" oder „Containment") mit ca. 50 m Durchmesser. Es handelt sich um eine passive Sicherheitstechnik, denn die Kugel muss einfach nur da sein. Diese Kugel wird dann noch einmal mit Beton umgeben und gibt einem Standard-Atomkraftwerk das typische Aussehen. Der Sicherheitsbehälter ist so groß, dass er bei einem schweren Unfall den ganzen entstehenden Wasserdampf aufnehmen soll, ohne zu platzen.

Das Atomkraftwerk Krümmel an der Elbe sieht nicht so aus, sondern eher wie ein Kohle- oder Gaskraftwerk. Man erkennt also schon äußerlich den Siedewasser-Reaktor der „Baulinie 69" (wurde 1969 von der Firma AEG konzipiert). Das heißt, der Dampf zum Betreiben der Turbinen wird direkt im Atomreaktor erzeugt, auf die Turbinen geleitet, kondensiert und zurück geführt. Dadurch ist viel mehr radioaktives Wasser unterwegs, und man könnte kein Containment bauen, das das alles umschlösse. Daher ist die Sicherheitstechnik bei einem Siedewasser-Reaktor darauf konzentriert, diesem Mangel entgegenzutreten. Das wesentlich zu kleine Containment ist die Hauptursache für die meisten Sicherheitsmängel in den Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel.

(Der Vorteil eines Siedewasser-Reaktors ist für den Betreiber seine leichte Steuerbarkeit. Nur durch Regelung der Umwälzpumpen kann man in wenigen Minuten den Reaktor von halber auf volle Leistungen fahren und umgekehrt. Wenn man eine gut geschulte und stressresistente Betriebsmannschaft hat, kann man mit solcher Anlage die „Netzkennlinie nachfahren", dass heißt, immer gerade so viel Strom erzeugen, wie nachgefragt wird, was im Laufe eines Tages sehr schwankt.)

Die „Baulinie 69" bereitet im Ernstfall folgende Probleme:

Kondensationskammer: Der Reaktor in Krümmel ist viel größer, die Sicherheitskugel (Containment) viel kleiner als bei einem Standardatomkraftwerk. Da letztere den entstehenden Dampf bei einem schweren Unfall auch ansatzweise nicht aufnehmen kann, ohne zu platzen, ist eine aktive Sicherheitstechnik nötig: Das Innere des Containments besteht zum großen Teil aus einem Wasserbehälter (wie ein ringförmiges Schwimmbecken um den Reaktor herum), in die der Dampf eingeleitet und dort kondensiert werden soll. Das muss unter allen Umständen funktionieren! Im Ernstfall muss also dafür gesorgt sein, dass ein Druckgefälle entsteht, das die Kondensation auch möglich macht. Wenn das nicht klappt, platzt das Containment unweigerlich.

Abblas-Ventile: Wenn im Wasser-Dampf-Kreislauf Überdruck entsteht, wie z.B. bei einer Schnellabschaltung, kann der Dampf nicht wie bei einem Standard-Atomkraftwerk einfach ins Freie abgeblasen werden, denn er ist ja radioaktiv. Auch der so entstandene Dampf wird über das Wasserbecken im Containment kondensiert, was im Innersten der Anlage erhebliche Schwingungen und andere Unruhe erzeugt. (Dadurch könnten auch Brennstäbe beschädigt werden, wie jetzt in Krümmel geschehen:)

Wärmeabfuhr im Notfall: Das Verdampfen von Wasser kostet sehr viel Wärme-Energie, aber umgekehrt wird beim Kondensieren auch sehr viel Wärme-Energie erzeugt. Das Wasserbecken im Containment wird also schnell heiß und muss aktiv mit Wärmetauscher-Ketten nach außen gekühlt werden, während passives Abblasen einfach nur die erwünschte Kühlung bringen würde.

Regelstab-Antrieb: Im einem Standard-Atomreaktor werden die Regelstäbe von oben in den Reaktor eingefahren. Bei einer Notabschaltung fallen sie durch ihr eigenes Gewicht passiv in den Reaktor und beenden die atomare Kettenreaktion. Im Krümmel entsteht oben im Reaktor der Dampf. Die Regelstäbe müssen also von unten in jedem Fall aktiv eingefahren werden, entweder durch elektrische Motoren und Gashydraulik.

Containment mit Deckel: Beim Wechsel der Brennelemente einmal im Jahr muss in Krümmel nicht nur der Reaktor geöffnet werden, sondern auch das Containment, da es viel zu klein ist, um diese Arbeiten möglich zu machen. In einem Standard-Reaktor befinden sich der große Portalkran und die Lademaschine innerhalb des Containments, in Krümmel außerhalb.

Abklingbecken: Nach dem Brennelement-Wechsel müssen die ausgebrauchten Brennstäbe heftig gekühlt werden, weil sie unabschaltbar weiter Energie erzeugen. Dazu kommen sie in ein Wasserbecken. In einem Standard-Atomkraftwerk befindet sich dieses „Abklingbecken" innerhalb des Containments. In Krümmel befindet es sich außerhalb, und zwar ganz oben in dem hohem Reaktorgebäude. Für eine Sicherung gegen Terrorangriffe ist das ungünstig, denn das Abklingbecken enthält in der Regel mehr Radioaktivität als der Reaktor selbst.

Radioaktives Maschinenhaus: Da der Dampf in Krümmel direkt im Reaktor erzeugt wird, ist nicht nur das Containment im Reaktorgebäude, sondern auch die ganze Maschinenhalle radioaktive Sicherheitszone mit allen Problemen, die sich daraus ergeben.

Wallmannventil: Für den Fall, dass doch einmal ein Unfall geschieht, der eigentlich nicht vorkommen darf (super-GaU), wurde in die Atomkraftwerke eine Vorrichtung eingebaut, die im Ernstfall radioaktive Gase in die Unwelt abgibt. Das ist immer noch besser, als wenn das Containment platzt. Diese Vorrichtung, genannt „Wallmann-Ventil", kann aber in Krümmel wegen der Enge im oberen Teil des Reaktor-Gebäudes (siehe oben) nicht eingebaut werden. Das Gerät wird aber vorgehalten und die Anschlüsse sind vorbereitet. Sollte also einmal ein Unfall geschehen, der nicht vollständig beherrschbar ist, sollen unerschrockene Techniker oben im Reaktorgebäude ganz schnell das Wallmann-Ventil installieren . . .

Zusammenfassung: Generell kann gesagt werden, dass viele Sicherheitsvorrichtungen in Krümmel (und dem baugleichen Brunsbüttel) aktiv funktionieren müssen, um eine Katastrophe zu verhindern, die in Standard-Kraftwerken passiv, also einfach nur durch Vorhandensein, ausgelegt sind. Das macht ein Risiko in Krümmel deutlich höher. Deshalb ist natürlich trotzdem nicht gesagt, dass nicht ein Standardreaktor den nächsten Unfall hat, denn das hängt nicht nur von der Technik und der Betreibermannschaft ab, sondern eben auch sehr stark vom Zufall.

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Hamburger Fachgruppe Energie – Klaus Gärtner, schlottermotz@t-online.de
(laienverständliche Darstellung energietechnischer Zusammenhänge)

12.07.2009: | |

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