Ein Blick hinter die Kulissen christlicher Sondergemeinschaften: Zeugen Jehovas und Neuapostolische Kirche (IV)

„´Spontanität und freie Rede sind wichtige Bestandteile der Predigt. ´Die Rede kann so vom Heiligen Geist inspiriert werden´, erklärt Gemeindevorsteher Reiner Dombrowski. Die Legitimation zum Predigen leitet sich dabei nicht von einer akademischen Ausbildung zum Theologen ab, sondern ´allein durch den Ruf Gottes´ und die Ernennung zum Amtsträger durch einen so genannten Apostel.“ Mit diesen Zeilen aus der Feder einer Redakteurin des „Kölner Stadtanzeigers“ wird das Selbstverständnis der Neuapostolischen Kirche gut dargestellt (Ausgabe vom 24. Oktober 2008).

Glaubt man von Kindesbeinen an, dass in dieser Glaubensgemeinschaft Gott zu einem spricht, kann das eine Zeitlang Sicherheit und Geborgenheit schenken. Gerät man jedoch in Widerspruch zu den Predigten, kommt es zu Gewissenskonflikten. Folgt man der eigenen Überzeugung, müssen viele erst einmal die Wahnvorstellung abschütteln, Gott werde einen dafür bestrafen.

In Beratungsgesprächen habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Mitglieder der Neuapostolischen Kirche (NAK) so gut wie nichts über die Geschichte ihrer Glaubensgemeinschaft wissen. Für sie gilt: Sie begnügen sich mit dem oben dargestellten Selbstverständnis, bis sie feststellen, dass etwas nicht stimmen kann. Eine Frage hat die nächste zur Folge und der Weg ist beschwerlich, zumal laut NAK-Lehre angeblich überall der Teufel nur darauf lauert, jemanden in die Irre zu führen.

So rigoros wie die Zeugen Jehovas ist die NAK zwar nicht mehr, Ex-Mitglieder werden nicht zu „Unpersonen“ erklärt, mit denen man keinen Kontakt mehr haben darf, aber die Zahl der Verständigungsbrücken sinkt fast schon zwangsläufig. Irgendwie ist es wie zu Zeiten der DDR. Führte man seinerzeit Diskussionen in Leipzig oder anderswo, begriff man schnell, dass bestimmte Begriffe ganz unterschiedlich interpretiert wurden. Das fing bei „Demokratie“ an und endete noch lange nicht bei „Freiheit“.

Kehrt jemand zu den christlichen Wurzeln zurück oder wendet er sich von dieser Weltreligion ab, muss er Wörtern als ehemaliges NAK-Mitglied oder als Ex-Zeuge Jehova eine neue Bedeutung geben - oder er verharrt in einem wankelmütigen Zustand, der krank machen kann.

Einig sind sich beide Glaubensgemeinschaften bis vor kurzem darin gewesen, dass die Menschheitsgeschichte 6000 Jahre dauert. Doch die sind um. Die Neuapostolische Kirche lässt deswegen diese jahrzehntelange Grundüberzeugung in Vergessenheit geraten, die Zeugen Jehovas klammern sich noch an das Jahr 1914, dessen Bedeutung immer wieder neu interpretiert wird. Man kann sich jedoch an fünf Fingern ausrechnen, wann sich 1914 zu den vielen Irrtümern dieser Glaubensgemeinschaft gesellt.

Was bleibt, ist (noch): Man gehört zur einzig wahren Kirche. Doch was ist Wahrheit? Kann sie zur Lüge werden? Wie die Behauptung des dritten Kirchenpräsidenten der NAK, er werde nicht sterben, weil Jesus zu seinen Lebzeiten wieder kommt? Nach seinem Tod im Jahre 1960 haben sich NAK-Mitglieder aus Verzweiflung umgebracht, andere suchten Hilfe bei der evangelischen Kirche. Erst einmal stehen bleiben und über das Geschehene nachdenken, verbot sich in der NAK fast schon von selbst, weil niemand in dieser Glaubensgemeinschaft weiß, wo Denkprozesse enden. Das verbot sich auch für die Zeugen Jehovas, als die Welt 1975 doch nicht unterging.

Man lief weiter und vergaß die Opfer.

Ein Beitrag für http://zeugenjehovas.blogspot.com und www.onlinezeitung24.de


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