Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Endlos-Warten wegen Russland?

Prolog: 3. November 2003, die Kripo beschlagnahmt bei einer Wohnungsdurchsuchung meine beiden Computer, CD´s und Disketten. Auf einer meiner Homepages soll sich ein kinderpornografisches Foto befinden. Gelöscht worden ist die Seite von den Ermittlungsbehörden nicht. Das angeblich kinderpornografische Foto entpuppt sich nach längerer Suche als daumennagelgroßer Fleck, auf dem nichts zu erkennen ist.
Jedes Jahr erkundige ich mich beim niedersächsischen Justizministerium und bei der Staatsanwaltschaft Hannover nach dem Stand der Dinge. Dennoch tut sich nichts. Nach drei Jahren endet die Geschichte endlich, das Hildesheimer Landgericht stellt fest: Das Verfahren hätte nie eingeleitet werden dürfen.

Wegen der Verfahrensdauer wende ich mich im April 2007 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Und so geht es weiter:

Dreijährige ist wütend auf SED-Chef

Zu unserer Familiengeschichte gehört eine Begebenheit, die sich so zugetragen hat: Monika, blond, hübsch und drei Jahre alt, hockt vor dem Fernsehapparat und wartet auf das Sandmännchen im DDR-Fernsehen. Doch Erich Honecker als Staatsratsvorsitzender findet kein Ende, redet und redet von den Erfolgen des real existierenden Sozialismus, bis Monika als pfiffiges Mädchen aus Hannover, das genau weiß, wo es die für sie guten Sendungen findet, wütend wird.

„Wenn du nicht gleich aufhörst zu quasseln, schick ich dir einen anonymen Brief“, zischt sie in Richtung Endlos-Redner.

Marianne Rosenberg ist es gewesen, die vor fast ebenso langer Zeit ihr Klagelied „Mr. Paul McCartney, weißt du wie ich leide“ anstimmte. Ob Putin weiß, wie sehr ich leide? Denn er ist daran schuld, dass ich mich wegen einer Eingabe vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in unendlicher Geduld üben muss. Behauptet jedenfalls Dr. Almut Wittling-Vogel als Verfahrensbevollmächtigte der Regierung der Bundesrepublik Deutschland in einem zweiseitigen Schreiben vom 18. Februar 2008 mit dem Aktenzeichen IV M - 4110 II - R 5 942/2005.

Dr. Almut Wittling-Vogel düst gelegentlich nach Straßburg, wenn die Bundesrepublik Deutschland verklagt worden ist, erfahre ich aus dem Internet, und wird dort auch schon einmal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit negativen Entscheidungen konfrontiert. Sie kennt sich also aus.

Verfahrensbevollmächtigte kann nicht helfen?

Ihr Schreiben beginnt sie mit einem Ausdruck des Bedauerns: „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass das Bundesministerium der Justiz in dieser Angelegenheit nicht in Ihrem Sinne tätig zu werden vermag. Denn das Bundesministerium der Justiz kann auf die Verfahrensweise des Gerichtshofes keinen Einfluss nehmen.“ Da sie eines ganz, ganz fernen Tages die Bundesrepublik Deutschland juristisch vertreten würde, wenn ich mit meiner Eingabe erfolgreich wäre, klingt dieses Bedauern ein wenig merkwürdig, denn eine potenzielle Vertreterin einer potenziellen Beklagten könnte durchaus einen außergerichtlichen Weg einschlagen und so nach einer gütlichen Einigung suchen.

Aber immerhin bestätigt sie mir, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit der Arbeit nicht mehr nachkommt: „In der Tat ist wegen der erheblich gestiegenen Zahl der Vertragsstaaten und wegen des großen Vertrauens, dass die Bürger in den Gerichtshof setzen, die Zahl der Individualbeschwerden im Laufe der Zeit stetig gestiegen. Damit verbunden sind steigende Rückstände, so dass deutlich wird, dass der Gerichtshof die auf ihn zukommende Beschwerdeflut nicht mehr bewältigen kann.“
Deshalb sei, schreibt Dr. Almut Wittling-Vogel weiter, eine Reform „unerlässlich“. Die sei auch schon in die Wege geleitet worden, im April 2006 habe die Bundesrepublik Deutschland ein entsprechendes Protokoll ratifiziert, das Ziel laute: „Der Gerichtshof soll entlastet und damit seine langfristige Funktionsfähigkeit gesichert werden.“ Doch dem müssten alle Mitgliedsstaaten zustimmen. Doch daran hapere es: „Für sein Inkrafttreten bedarf es noch der Ratifikation durch Russland, das diese als einziger Mitgliedsstaat des Europarates bislang nicht vorgenommen hat.“

Ihren Brief beendet Dr. Almut Wittling-Vogel mit ein paar tröstlichen Zeilen, in denen sie mir bestätigt, dass mir durchaus „eine gerechte Entschädigung“ zugesprochen werden könne. Also zische ich jetzt in Richtung Putin und in die Nachfolger-Richtung wie seinerzeit Monika in Richtung Honecker: „Wenn du nicht gleich unterschreibst, schicke ich dir einen anonymen Brief.“

Vorher erwarte ich hier noch eine Bestellung aus Moskau http://www.lulu.com/content/1503282


Über Heinz-Peter Tjaden