Kleinstaaterei in der europäischen Abfallwirtschaft beenden

EUROPATICKER Umweltruf: Verbände und Politiker werten die heutige Abstimmung des Europäischen Parlaments als ein starkes Zeichen für Umweltschutz und Binnenmarkt in der europäischen Abfallpolitik. Mit großer Mehrheit wurde ein Änderungsantrag angenommen, der die Kleinstaaterei in der europäischen Abfallwirtschaft beendet und einen nach Umweltkriterien funktionierenden europäischen Markt schafft.

Nach dem Willen der Abgeordneten werden in Zukunft nicht mehr nationale Grenzen, sondern die Umweltverträglichkeit über Art und Ort der Abfallbehandlung innerhalb der Gemeinschaft entscheiden. Der BDE begrüßt das Votum als richtungweisend für die europäische Abfallpolitik. Die Abgeordneten des Parlaments haben bekräftigt, dass Umweltschutz und Binnenmarkt Hand in Hand gehen. Die Öffnung der Märkte im Abfallbereich war immer ein Motor für die Entwicklung hoher und europaweit einheitlicher Umweltstandards. Daneben garantiert nur der Binnenmarkt die Schaffung tragfähiger Sekundärrohstoffmärkte und eine wirtschaftlich vernünftige Abfallbewirtschaftung in der Europäischen Union.

Gleichzeitig hat das Parlament solche Vorschläge abgelehnt, die gefordert hatten, den Binnenmarkt für bestimmte oder gar alle Verwertungsabfälle aufzuheben. Dienen sollte eine solche Regelung dem Schutz nationaler Marktstrukturen. Dies entspricht einer der Kernforderungen Deutschlands im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie. Die Bundesregierung möchte die Revision nutzen, um die öffentlichen Abfallentsorgungsstrukturen zu stärken. Der BDE hat das Anliegen der Bundesregierung immer äußerst kritisch bewertet. Neuregelungen, deren einzige Motivation darin besteht, die Daseinsvorsorge und damit die nationalen Entsorgungsstrukturen zu stützen und zu stärken, dienen nicht dem Umweltschutz. Marktregelungen sind in einer Umweltschutzrichtlinie nicht nur deplaziert, sondern ökologisch wie ökonomisch kontraproduktiv. Das Parlament hat sich heute als Hüter der europäischen Umweltpolitik wie des europäischen Binnenmarktes bewiesen.

Nach Ansicht des BDE ebenfalls sehr zu begrüßen ist das Votum der Abgeordneten zur Abgrenzung der Verwertung von der Beseitigung. So hat das Parlament klargestellt, dass Vorbehandlungsmaßnahmen Teil der Verwertung sind. Das Plenum korrigiert damit das Votum des Umweltausschusses, der nur noch finale Behandlungsverfahren als Verwertung anerkennen wollte. Vorbehandlungsverfahren wie die Sortierung von Abfällen wären damit vom Verwertungsbegriff ausgeschlossen gewesen. Die Sortierung und Aufbereitung von Abfällen ist aber ein wichtiger und oft entscheidender Schritt des Verwertungsverfahrens, ohne den eine sinnvolle Nutzung der Abfälle nicht möglich ist. Erfreulich ist, dass auch die Verbrennung von Abfällen mit Energierückgewinnung grundsätzlich als Verwertung anerkannt werden kann. Das Parlament definiert die „energetische Verwertung“ als Einsatz brennbarer Abfälle als Brennstoff zur Energieerzeugung im Wege der direkten Verbrennung“. Unbeantwortet lässt das Parlament zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch noch die Frage, wann eine Verbrennungsanlage so effizient arbeitet, dass sie als Verwertungsanlage anerkannt werden kann. Die Abgeordneten konnten sich auf keine Energieeffizienzformel einigen, so dass es hier den weiteren Verhandlungen überlassen ist, eine Konkretisierung zu finden. Die fehlende Einigung im Parlament erstaunt, hatten doch die drei großen Fraktionen – Konservative, Sozialisten und Liberale – Änderungsvorschläge eingebracht, die sich inhaltlich sehr ähnelten.

Nachdrücklich begrüßt der BDE das Votum des Parlaments zur Schaffung eines eigenen Kapitels zu Bioabfällen in der Richtlinie. Nachdem es die Kommission über Jahre versäumt hatte, die vom Parlament und vielen Mitgliedstaaten geforderte Bioabfallrichtlinie vorzulegen, hat das Parlament nun detaillierte Regelungen zur Sammlung und Behandlung biologischer Abfälle in die Richtlinie aufgenommen. Der BDE hat sich immer sehr intensiv für die Schaffung europäischer Regeln für Bioabfälle eingesetzt. Durch die Getrenntsammlung von Bioabfällen und hohe Qualitätsstandards wird die Verwertung von Bioabfällen gestärkt. Gleichzeitig trägt dies zum Bodenschutz bei. Hochqualitativer Kompost dient dazu, die ausgelaugten europäischen Böden nachhaltig zu verbessern.

Bedauerlich ist, dass sich im Parlament keine Mehrheit für die Vermeidung einer Doppelregelung Abfallrecht / Chemikalienrecht und damit für die Stützung marktfähiger Sekundärrohstoffmärkte fand. Änderungsanträge, die eine Ausnahme der nach der Abfallrahmenrichtlinie zu definierenden Sekundärrohstoffe vom Chemikalienrecht gefordert hatten, wurden mit denkbar knapper Mehrheit abgelehnt. Mit Sorge sieht der BDE die damit weiterhin offene Frage des Verhältnisses von Abfallrecht und Chemikalienrecht. Mit Erlangung des Produktstatus würden Sekundärstoffe in den Anwendungsbereich von REACH fallen. Aufgrund der zusätzlichen Kostenbelastung wäre die Wettbewerbsfähigkeit der Kreislaufwirtschaft auf lange Sicht nicht erreichbar. Eine Doppelregelung wäre jedoch vermeidbar. Denn Artikel 11 verfolgt den gleichen Schutzzweck wie die REACH Verordnung: hohe Umwelt- und Qualitätsstandards als Voraussetzung für das Inverkehrbringen der Produkte zum Schutz von Mensch und Umwelt.

Kritisch sieht der BDE die Entscheidung des Parlaments zu der Frage, wann ein Produktionsrückstand Abfall und wann ein außerhalb des Abfallrechts zu behandelndes so genanntes Nebenprodukt ist. Die Abgeordneten sprachen sich hier für eine allgemeine Definition für Nebenprodukte aus. Eine allgemeine Definition birgt eine große Gefahr des Missbrauchs zu Lasten der Umwelt. Insbesondere das Kriterium „wenn für den Produktionsrückstand ein Markt besteht“ schafft ein hohes Risiko durch die Möglichkeit einer weiten Deregulierung. Unabdingbar ist es daher, dass allein die Kommission ermächtigt ist, eine europaweit einheitliche Abgrenzung im Einzelfall vorzunehmen.

Enttäuschend ist das Abstimmungsergebnis zur Zukunft der Deponierung. Änderungsanträge, die eine Reduzierung der Menge der verwertbaren Abfälle, die heute noch deponiert werden, auf das notwendige Minimum zum Ziel hatten, fanden keine Mehrheit. Die Entscheidung des Parlaments ist aus Umweltgesichtspunkten wenig verständlich. Ein europaweites Deponieverbot ist nicht nur ein wesentlicher Schritt zu einer nachhaltigen Nutzung der Ressourcen, sondern leistet auch einen großen Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasen und damit zum Klimaschutz. Die Umsetzung dieser Forderung wäre der entscheidende Impulsgeber für die Recycling- und Kreislaufwirtschaft. In der gleichzeitig verabschiedeten Recyclingstrategie stimmte das Parlament bemerkenswerter Weise für ein gestuftes Deponieverbot.

Die Abfallrahmenrichtlinie ist das Kernstück der europäischen Politik. Sie definiert die Grundprinzipien und Kernbegriffe des Abfallrechts und bestimmt damit auch wesentlich das deutsche Abfall-recht. Um bestehende Auslegungsschwierigkeiten zu beseitigen und die Richtlinie an die Bedürfnisse einer modernen Abfallpolitik anzupassen, hat die Kommission am 21. Dezember 2005 einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie vorgelegt. Mit der heutigen Abstimmung ist die 1. Lesung im Europäischen Parlament abgeschlossen. Der Rat strebt eine politische Einigung für die Sitzung des Umweltrates am 28. Juni 2007 an.

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13.02.2007:

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