Abfallentsorgungsgesellschaften zwischen Moral und Kommerz

Tariftreue contra Lohndumping bei öffentlicher Auftragsvergabe

Zwischen Baum und Borke sitzen Verantwortliche der kommunalen Entsorgung, wenn es um die Vergabe der Aufträge geht. Auf der einen Seite soll durch die Auswahl der günstigsten Anbieter die Kosten stabil gehalten werden und bestenfalls sogar gesenkt werden. Auf der anderen Seite wird der Ruf nach Tariftreue immer lauter. Kein Politiker möchte gerne eine Gebührenerhöhung verkünden. Da wird dann schon mal ein Auge zugedrückt, wenn es um tarifliche Entlohnung geht. Tariftreuegesetze werden zum Papiertiger, hat das Branchenmagazin europaticker (www.europaticker) festgestellt. In einer ausführlichen Dokumentation widmet sich das Magazin der Tariftreue.

Kommunen und Landkreise können bei der Vergabe von Entsorgungsaufträgen soziale Anforderungen vorgeben. Damit kann Tariftreue für die Ausführung von Aufträgen vorgeschrieben werden. Dies hat jetzt ein Gutachten zur „Berücksichtigung von Entlohnungskriterien bei Vergabeentscheidungen“ ergeben, das die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) in Auftrag gegeben hat.

„Das Gutachten bestärkt unsere Position, wirkungsvoll gegen Lohndumping bei der Vergabe von Entsorgungsdienstleistungen vorzugehen“, betonte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Erhard Ott. Damit wäre die Argumentation einiger Arbeitgeber, geltendes Recht erlaube nicht die Vorgabe von Tariftreue und Arbeitsschutzkriterien, passé. Jetzt könne beispielsweise Lohndumping bei der Vergabe von Hausmüllentsorgung ein Riegel vorgeschoben werden.

Als "Schutz heimischer Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Lohndumping und unlauterer Konkurrenz" hat Brandenburgs Wirtschaftsminister Burkhard Dreher die jüngste Brandenburger Regelung zur Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge begrüßt.
Inhalt der Regelung ist es, daß bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Brandenburg ausschließlich Unternehmen berücksichtigt werden, die die am Ort der Leistung für ihre Tätigkeitszweige geltenden Tarifverträge einhalten. Sollte am Leistungsort im Einzelfall keine rechtliche Bindung an einen Tarif bestehen, so müssen mindestens die am Ort üblichen Löhne und Gehälter gezahlt werden. Liegt die sogenannte Tariftreueerklärung des Bewerberunternehmens im Zuge des Ausschreibungsverfahrens nicht rechtzeitig vor, kann das Unternehmen von der Wertung ausgeschlossen werden. Minister Dreher sagte dazu: "Die Maßgabe der Tariftreue im öffentlichen Auftragswesen ist ein Impuls für die heimische Wirtschaft. Von den öffentlichen Auftraggebern kann eine Wettbewerbsverzerrung, die auf der Ausnutzung des Sozialgefälles in Europa oder gar illegaler Beschäftigung beruht, nicht hingenommen werden. Das Land Brandenburg leistet damit einen wichtigen Beitrag zu mehr Fairneß und sozialer Gerechtigkeit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.“
Unternehmen, die Schwarzarbeiter beschäftigen oder Sozialversicherungsbeiträge, Steuern und Abgaben nicht ordnungsgemäß abführen oder die Tarife nicht wie vereinbart einhalten, können bis zu zwei Jahre lang von der Ausführung öffentlicher Aufträge in Brandenburg ausgeschlossen werden.
OLG Celle zum niedersächsischen Vergabegesetz (Tariftreue)

Das OLG Celle hat mit Beschluss vom 03. August 2006 (13 U 72/06) ein Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Auslegung des EG-Vertrages folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Stellt es eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach dem EG-Vertrag dar, wenn einem öffentlichen Auftraggeber durch ein Gesetz aufgegeben wird, Aufträge für nur an solche Unternehmer zu vergeben, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmern bei der Ausführung dieser Leistungen mindestens das am Ort der Ausführung tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu bezahlen?

Das niedersächsische Landesvergabegesetz verpflichtet öffentliche Auftraggeber, Aufträge nur an solche Auftragnehmer zu vergeben, die sich verpflichten, ihren Arbeitnehmern mindestens den am Ort der Bauleistung geltenden Mindesttariflohn zu zahlen. Als Sanktion ist eine Vertragsstrafe von 1 %, bei mehreren Verstößen von 10 % des Auftragswertes zu vereinbaren, die auch anfällt, wenn der Verstoß von Nachunternehmern begangen wird.

Das OLG Celle hat erkennen lassen, dass es die Tariftreuepflicht mit der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 EG-Vertrag nicht für vereinbar hält. Die Tariftreueverpflichtung könnte eine Behinderung des Marktzugangs für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten darstellen. Zwar kann eine Einschränkung der Grundfreiheiten ausnahmsweise gerechtfertigt sein. Hierfür ist aber Voraussetzung, dass sie auf zwingenden Gründen des Allgemeinwohls beruht. Die Tariftreuepflicht bezwecke eine Abschottung der deutschen Bauunternehmen vor der Konkurrenz aus anderen Mitgliedstaaten. Ein solcher Zweck insbesondere könne nicht als zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat sich in der Vergangenheit stets gegen die Einführung von vergabefremden Aspekten ausgesprochen. Insbesondere hat er darauf hingewiesen, dass die in unterschiedlichen Bundesländern eingeführten Landesvergabegesetze mit ihren „Tariftreueregelungen“ gegen die Anforderungen des Art. 49 EG-Vertrages verstoßen könnten. Daher ist es begrüßenswert, dass sich der EuGH im Zuge des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens mit der Frage beschäftigen wird, inwieweit nationale Tariftreueregelungen mit dem EG-Vertrag vereinbar sind.
BVerfG: Vergaberechtliche Tariftreueerklärung verfassungsgemäß

In einem am 03.11.2006 veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.07.2006 (1 BvL 4/00) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Verlangen nach Abgabe einer Tariftreueerklärung bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge verfassungsgemäß ist.

Der Entscheidung zugrunde lag eine gesetzliche Regelung im Berliner Vergabegesetz. Danach sollen die Berliner Vergabestellen Aufträge mit der Auflage vergeben, dass die Unternehmen ihre Auftragnehmer bei der Ausführung dieser Leistungen nach dem jeweils in Berlin geltenden Entgelttarifen entlohnen. Ähnliche Tariftreueregelungen gibt es auch in anderen Bundesländern Allerdings hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen gerade erst die dortige Tariftreueregelung aufgehoben.

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verstößt die Tariftreueregelung nicht gegen das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG, da die Verpflichtung zur Einhaltung von Tarifregeln nicht das Recht der beteiligten Unternehmen einschränke, der tarifvertragsschließenden Koalition fernzubleiben.

Nach dem Bundesverfassungsgericht verletzt die Tariftreueregelung auch nicht Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit). Die Einflussnahme auf die Verträge mit Auftragnehmern werde dadurch gemindert, dass die Verpflichtung zur Zahlung der Tariflöhne nicht unmittelbar aus einer gesetzlichen Anordnung folgt, sondern erst in Folge der eigenen Entscheidung, im Interesse der Erlangung eines öffentlichen Auftrags eine Verpflichtungserklärung abzugeben. Auch seien die Auswirkungen der Tariftreuepflicht auf den einzelnen Auftrag beschränkt.

Umgekehrt haben nach dem Bundesverfassungsgericht die rechtfertigenden Gründe, insbesondere das Ziel, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, erhebliches Gewicht. Sie dienen dem Schutz der Beschäftigung solcher Auftragnehmer, die bei tarifgebundenen Unternehmen arbeiten und damit auch der Erhaltung als wünschenswert angesehener sozialer Standards.

Unabhängig von der jetzigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat der DStGB Tariftreueregelungen, die die Kommunen als größte öffentliche Auftraggeber im Rahmen von Vergabeverfahren von den anbietenden Unternehmen qua gesetzlicher Vorgabe fordern müssen, stets kritisiert. Hintergrund ist, dass sowohl die Belastungen für die Kommunen als öffentliche Auftraggeber als auch für die Bieter bei der Abforderung und Prüfung von Tariftreueregelungen unverhältnismäßig sind. Dies betrifft insbesondere die erforderlichen Kalkulationsüberprüfungen und auch die Kontrollen, ob tatsächlich die Tariflöhne vor Ort eingehalten werden.

Der ausführliche Bericht ist im EUROPATICKER Umweltruf erschienen

07.12.2006:

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