Insider Tipp ( Libanon )

Wie „Inside“ darf ein „Tipp“ sein?
(Von Raymond Tarabay)

Auf unserem „alten Kontinent“, vor allem aber im hiesigen, deutschsprachigen Raum, pflegt und hegt man seit Jahrhunderten eine alte, durchaus vernünftige Tradition. Vor jedem Urlaub, vor jeder Reise, ganz egal wie weit oder wie nah diese sein mag, müssen bergeweise Reiseberichte, ganze Bücher und massenhaft Internetseiten über das jeweilige Ausflugsziel durchstöbert werden.
Man recherchiert akribisch, durchleuchtet Quellen, beäugt kritisch, stellt penibelste Fragen und diskutiert in Internetforen. Bis man die rationell gültigste, so zu sagen, die Mutter aller Antworten gefunden hat: Den Insider Tipp.
Reisetipps von Gleichgesinnten für Gleichgesinnte stellen heutzutage kaum verzichtbare Ratschläge in der Tourismusbranche dar. Dabei sollte man immer auf den zeitlich aktuellsten Tipp achten, denn dem kann man am ehesten Glauben schenken.
Und genau hier stellen wir im heutigen Deutschland diese alte Tradition in Frage: Hat irgendjemand im Dunstkreis der Bundesregierung und/oder des Bundestags, im Vorfeld des größten Marineeinsatzes eines deutschen Militärverbandes seit dem zweiten Weltkrieg, im und um den Libanon herum, auch nur versucht Insiderinformationen einzuholen? Und wenn ja, wer, wann, wo, bei wem? Mit welchem Ergebnis?
Zu 99% kann man behaupten, dass zu keiner Zeit ein ernsthafter Versuch unternommen wurde, die Meinung eines wirklichen Insiders zu konsultieren. Denn jeder auch nur drittklassige Insider hätte von so einer waghalsigen Mission abgeraten. Denn, diese entpuppt sich immer mehr als militärisch nicht erfüllbar und entwickelt sich sowohl wirtschaftlich, als auch moralisch – politisch, zu einem wahren Fiasko. Die Blauhelme stehen kurz vor einem militärischen Konflikt mit Israel, dessen Szenario sich kein europäischer Spitzenpolitiker so recht ausmalen will. Und wir Deutschen befinden uns mittendrin...

Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Deutsche Politik auf vermeintliche „Insider“ eingelassen hat, deren Versuchung sie nicht widerstehen konnten, ein bisschen mit spielen zu dürfen, auf der Klaviatur der Weltpolitik. Nur scheinen diese „Insider“ vielleicht ganz andere Ziele verfolgt zu haben, als bisher angenommen, etwa eine direkte Verwicklung Berlins in einen schier endlosen Krieg mit der kompletten arabischen Welt?
Fakt ist: Statt WinWin, (wie Frau Merkel versucht hat, uns diesen Einsatz schmackhaft zu machen), befinden wir Deutsche uns jetzt schon in einer ausweglosen LoseLose-Situation, die nur noch durch einen sofortigen Rückzug der gesamten Flotte halbwegs zu kitten scheint. Zum einen, reicht die Deutsche Befugnis nicht, um wirklich Kontrolle aus zu üben, zum anderen wird ein deutscher Militärverband einen Teufel tun, und auch nur eine Waffe auf die Israelische Armee richten.

Ich kann mich nicht erinnern, dass die Deutsche Außenpolitik im Nahen Osten je eine gute Figur abgegeben hat. Deshalb sollte sie sich in Zukunft nicht nur mit den verschiedenen Establishments der Region an einen Tisch setzen, sondern auch mit den Querdenkern, mit den Oppositionellen. Diesen Spagat hat Frau Merkel kürzlich in Russland ganz wunderbar hinbekommen, warum also nicht auch im Libanon? Vielleicht, weil Freunde, Bekannte und Schulterklopfer von Frau Merkel kein Interesse daran haben, sondern auf Teufel komm raus das libanesische Establishment an der Macht halten wollen, egal, ob es des Volkes Wille ist, oder nicht? Auch diese Vermutung liegt auf der Hand...

Aus Sicht der meisten Libanesen stellt sich die Situation wie folgt dar (Achtung, jetzt kommt ein Insider Tipp!!!): Es gibt eine Art Interessengemeinschaft, die sich seit dem Tod des libanesischen Premierminister Hariri gebildet hat: Die USA (mit Israel im Petto), Frankreich (Chirac war jahrelang Anwalt der Familie Hariri), Saudi – Arabien (seit Jahrzehnten Mäzen der Hariris) pflegen innige, herzliche Beziehungen zu ihren Verbündeten im Libanon und versuchen so den Einfluss Syriens und des Iran, auszumerzen, zumindest zu bekämpfen:

Schritt 1: Der Rausschmiss Syriens aus dem Libanon (Gott sei Dank, nach 30 Jahren, danke dafür!).

Schritt 2: Die komplette Entmachtung der Hisbollah (was bekanntermaßen debakulös in die Binsen ging).

Schritt 3: Die Übertragung der Macht an die Sunniten (Hariri, Sanioura & Co.).

Schritt 4: Einen vermeintlichen Frieden mit Israel, abgesichert von ca. 20.000 US – Soldaten, die hauptsächlich an der libanesisch-syrischen Grenze stationiert werden sollten.

Schritt 5: Krieg gegen Syrien von libanesischen Boden aus (natürlich mit israelischer Beteiligung aus der Luft).

Schritt 6: Krieg gegen den Iran, (Ausgang offen).

Was dem libanesischen Volk bei all diesen Schritten sauer aufstößt, ist die Tatsache, dass es sich hier nur kaum um libanesische Interessen handelt, sondern immer nur um die, der vermeintlich Verbündeten. Der will dies, der andere will das. Bevor heute im Libanon auch nur eine einzige innenpolitische Entscheidung getroffen werden kann, müssen vorher mindestens 10 ausländische Chefdiplomaten befragt werden. Eine groteske Situation, misst man sie mit hiesigen, demokratisch-mitteleuropäischen Maßstäben.
Legen wir den eben genannten Insider Tipp zu Grunde, will der Gros der Libanesen in erster Instanz nur eins: Lasst uns bitte allein, frei, souverän, demokratisch Entscheidungen treffen, lasst uns bitte eine Einheitsregierung bilden, und politisch das Beste für das frei wählende Volk herausholen, ohne dies mit fremden Botschaftern absprechen zu müssen.

Seit Jahrhunderten ist der Libanon besetzt, von Türken, Franzosen, Syrern, Israelis, und wer kommt als nächster? Bzw. ist eine neue Besatzung schon im Gange, ohne, dass es die Libanesen gemerkt haben? Im Handumdrehen stehen schon wieder 10.000 Soldaten aus allen Ländern dieser Welt auf libanesischen Boden, weitere 10.000 kreisen in libanesischen Hoheitsgewässern umher.
(Über den libanesischen Luftraum legen wir, in diesem Zusammenhang, lieber den Mantel des Schweigens). Das alles, um angeblich die Libanesen vor ihren eigenen Landsleuten zu beschützen, eine absurder Plan, wenn man denn weiß, dass die Blauhelme eigentlich da sind, um Israel und das libanesische Establishment zu beschützen. In der Tat brauchen die Hariris, Saniouras, Dschumblatts und Co. ganz dringend Schutz. Denn das libanesische Volk weiß sehr wohl, wer sie jahrelang belogen, betrogen, bestohlen und am langen Arm ausgehungert hat. Die Herrschaften, die heute den Niedergang Syriens herbeirufen, und doch noch vor einigen Monaten auf Damaskus’ Payroll saßen, gar mit den Syrern gemeinsame Sache machten, sich dabei Milliarden in die Taschen steckten, diese Herrschaften sollen den neuen Libanon aufbauen? Eine nahezu perverse Vorstellung, und vor allem ein Rückschritt ins Zeitalter der Korruption, des Misstrauens und der religiösen Spaltung.

Lesen Sie dazu bitte dazu folgende Insider - Information :
15.10.06// al-Watan, Qatar.
Nach al-Watan kritisierte Scheich Baha´ al-Hariri, der älteste Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri, seinen Bruder Saad al-Hariri mit großer Schärfe. Er bezichtigte Saad und Walid Jumblatt eine Verschwörung gegen Libanon durchzuführen, mit dem Ziel die Einheit und Souveränität Libanons zu untergraben, indem sie Israel und den USA erlauben einen Fuß ins Land zu setzen. Weiterhin kritisierte er Ministerpräsident Siniora, der unter seinem Vater, Rafiq al-Hariri, Milliarden Dollar von dessen Geld und seinen Firmen „geklaut“ hätte. Dazu hätte er Dokumente. Bei bestimmten finanziellen Transaktionen außerhalb und innerhalb Libanons hätte auch Innenminister Ahmad Fatfat ein Rolle gespielt. Scheich Baha´ bezichtigte Fatfat direkte Verbindung zu Tel Aviv zu haben.

Was der Libanon jetzt braucht ist eine große Einheitsbewegung, mit der Präambel: ausschließlich libanesische Ziele anzuvisieren und sie zu lösen. Es gibt eine Reihe von sozioökonomischen Problemen zu bewältigen. Die durch die Kriege der letzten 30 Jahre schwer angegriffene Umwelt, Wahlrechtsreformen, Kommunalpolitik sind die weiteren Bereiche, in denen akuter Handlungsbedarf herrscht. Der Libanon ist politisch – betrachtet auf dem Stand von 1975.
Denn seit dem haben keine ernst zunehmenden, souveränen, nicht manipulierte Wahlen stattgefunden.

Die einzige Bewegung, der im Allgemeinen zu getraut wird, viele Probleme des Libanons konzeptorisch anzupacken und zu bewältigen, ist die Partei des ehemaligen Oberbefehlshaber der libanesischen Armee und einstigen Premierminister Michel Aoun. 1990 annektiert Syrien, von den Amerikanern bevollmächtigt, im Handumdrehen den Libanon und zwingt, den für Freiheit und Souveränität kämpfenden, Aoun ins französische Exil, das er erst nach dem Tod Hariris im April 2005 verlies und nach Beirut zurückkehrte. Er ist DER Hoffnungsträger des libanesischen Volkes, und all derer die eine säkulare libanesische Gesellschafts- und Politikordnung herbeisehnen. Nur er und seine Partei, die FPM (Free Patriotic Movement) können die Ära der Korruption und Vetternwirtschaft in Politik und Ökonomie beenden. Natürlich wehrt sich das korrupte Establishment mit Händen und Füssen gegen seinen Einfluss und trieb ihn deswegen in die Opposition. Seine Anhänger sind überkonfessionell und kommen aus allen Schichten der libanesischen Gesellschaft, vor allem genießt er große Sympathien bei den Exil – Libanesen, weil er für deren Wahlrecht kämpft. Die FPM wird die Partei der Ehrlichen und Aufrichtigen genannt, denn sie hält sich aus allen gewaltsamen Konflikten heraus. Regelmäßig landen die Anhänger Aouns auf Intensivstationen von Krankenhäusern, weil sie sich nicht wehren dürfen, zumindest nicht körperlich. Für Aoun werden Konflikte demokratisch gelöst, bei Demonstrationen, im Parlament, in den Kommunen, immer friedlich, was seine Gegner per se auf die Palme bringt.
Hauptaugenmerk Aoun’s gilt der Aufklärung von Korruption. Die Rede ist von 40 Milliarden USD Staatsgelder, Zölle, Steuern, Subventionen und Spenden, die in Kanälen syrischer Politiker und deren libanesischer Kollaborateure gelandet sind, wovon heute keiner mehr etwas wissen will. Michel Aoun verlangt ein unabhängiges, internationales Gerichtsverfahren um die Schuldigen dieses Diebstahls am libanesischen Volk zur Rechenschaft zu ziehen.
Ein solches Verfahren ist ohne Hilfe des Auslands (eines neutralen Auslandes wohlgemerkt), vor allem aber ohne Hilfe der UNO nicht möglich. Wir sind der Meinung, dass Hilfe für einen Wiederaufbau von politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Strukturen funktionieren kann, ohne das damit gleich Besatzungsszenarien verbunden sind. Der Libanon braucht das Ausland, denn es gilt hier demokratische Werte zu verteidigen und sie auszubauen. Der Libanon aber, braucht ein neutrales Ausland, das Regierung wie Opposition gleichermaßen ernst nimmt.

Leider Gottes sind wir Deutschen mit unserer militärischen Präsenz vor der Küste des Libanon völlig fehl am Platze: denn wir besitzen in diesem Konflikt vielleicht alles, aber keine neutrale Haltung Israel gegenüber...
Also, bitte, nehmen Sie diesen Insider Tipp ernst...

01.12.2006:

Über flf-tayyar