Argumentation aus dem Schmollwinkel - Friedrich Merz macht sich Sorgen um die Demokratie

Von Ansgar Lange

Bonn/Düsseldorf – Jetzt sorgt sich auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedrich Merz http://www.friedrich-merz.de um den Zustand der Demokratie. Der einstige „neoliberale“ Hoffnungsträger der Union macht ja bekanntlich so einiges außerhalb seines politischen Mandats. Mit 18 Nebentätigkeiten kann er sich nur mühsam „über Wasser halten“(André Mielke), daher schreibt er in regelmäßigen Abständen Kolumnen für die Wirtschaftswoche http://www.wiwo.de. Und in seiner Eigenschaft als Publizist sorgt sich Merz nun darüber, dass nur noch 51 Prozent der Deutschen mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniere, zufrieden seien.

Was ist das Auffällige an dem Text des „Vielverdiener(s)“ (Martin S. Lambeck)? Merz ist der lebende Beweis dafür, warum die Union nicht mehr den Anspruch erheben darf, eine Volkspartei zu sein. Seine Argumentation ist kalt und ökonomisch. Doch wer Politik nur auf das Ökonomische verengt und ständig über Globalisierung, Demographie und sonstige Zwänge der Wirtschaft spricht, darf sich nicht wundern, wenn sich immer weniger Menschen angesprochen fühlen. Politik ist kein volkswirtschaftliches Seminar, möchte man dem forschen Sauerländer zurufen. Wenig originell ruft Merz dazu auf, man möge der Bevölkerung endlich im Zusammenhang erklären, „wo wir stehen, wo wir hin wollen und welche Schritte dazu erforderlich sind“. Dabei hängt diese dauernde Selbstanalyse den meisten Bürgern zum Halse heraus. Sie können und wollen nicht mehr hören, dass sie innerhalb der Europäischen Union nur noch den Stellenwert haben, den Mainz 05 in der Bundesliga hat. Und dabei haben wir noch nicht mal einen Jürgen Klopp, sondern nur eine überforderte Kanzlerin Angela Merkel.

Merz doziert wie ein Wirtschaftskapitän oder ein Manager, wenn er über ökonomische Anreize, Frühverrentungs-Programme, eine „Verkürzung der Zahlungsdauer des Arbeitslosengeldes für junge Arbeitslose“ und die „neuen Zahlungsverpflichtungen junger Arbeitsplatzbesitzer zugunsten älterer Arbeitsloser“ spricht. Mein Gott, und dieser Politiker gilt innerhalb des Parlaments als einer der besten Redner, als einer, der mit Sprache umgehen kann. Seine Kritik an der Reichensteuer, der Erhöhung der Mehrwertsteuer, an dem Antidiskriminierungsgesetz und der unterbliebenen Deregulierung des Arbeitsrechts würde umso glaubwürdiger ausfallen, wenn man nicht stets den Eindruck hätte: Dieser Mann verarbeitet seinen tiefen Sturz innerhalb der Partei. Freunde des umtriebigen Politikers attestierten ihm eine „Midlife-Krise“, so Martin S. Lambeck in der Bild-Zeitung http://www.bild.de. Vor kurzem wurde er „Aalkönig“ in Bad Honnef. Und noch gut in Erinnerung ist der Auftritt in Aachen bei der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst, „bei dem Merz Versatzstücke seiner Rede aus dem Internet von einer Bielefelder Sekretärin verwendete. Die Scherze waren bemüht bis peinlich“, so der Springer-Journalist, der der Union bestimmt nicht feindlich gegenübersteht.

Vielleicht bleibt es nicht aus, dass die eigene politologische Analyse so saft- und kraftlos ausfällt, wenn man sich nur noch die Hälfte der Arbeitszeit mit Politik im engeren Sinne beschäftigen kann. Man könnte Merz’ Artikel auch mit der Überschrift „Argumentation aus dem Schmollwinkel“ überschrieben an Stelle von „Große Illusion“. Allerdings macht sich der Kolumnist große Illusionen, wenn er seine Zustandsbeschreibung als hilfreich empfindet. Deutschlands Demokratie wird mit Sicherheit nicht daran genesen, dass der einfache Abgeordnete Friedrich Merz kein Freund der Großen Koalition ist und meint, „jede kleine Koalition wäre besser“. Seinen politisch ungleich erfolgreicheren „Parteifreund“ Jürgen Rüttgers mag Merz vielleicht geringschätzen. Allerdings macht Rüttgers zurzeit vor, wie man der Union eine Art Gesicht verleihen kann. Wer die CDU nur als Filiale mittelständischer Unternehmen und internationaler Konzerne begreift, sollte zur Wahl gar nicht mehr antreten. Es ist eine „große Illusion“ zu glauben, Politik sei nur ein anderes Wort für Ökonomie.

14.11.2006: