Kölner ArGe versucht mit neuen Forderungen, die Alg II Bezieher zu schikanieren. Eine Fallbeschreibung

Renate J. in Köln ist 60 Jahre alt, Unterzeichnerin der so genannten 58iger Regelung noch vor der Einführung von Hartz IV, seit 01.01.2005 Hartz IV Betroffene und hat vor drei Wochen Ihre halbjährliche Verlängerungsbescheid von Alg II erhalten.
Als sie ihren Briefkasten öffnete und einen dickeren Brief der ArGe Köln erhielt, ahnte sie nichts böses. Doch was sie dann in Händen hielt, verschlug ihr die Sprache. Da wurde sie über neun Seiten aufgefordert Auskünften zu erteilen, die die ArGe längst hatte. So die Frage nach Miete, Nebenkosten, Warmwasser und Heizung. Doch jetzt ging es weiter. Sie wurde aufgefordert, bis zum 26. Oktober folgende weitere Unterlagen einzureichen. 1) Eine Kopie des Sozialversicherungsausweises, 2) eine Kopie der Krankenversicherungskarte, 3) eine Kopie der Geldkarte des Bankinstitutes, 4) Kontoauszüge der letzen drei Monate und last not least sollte sie eine Abbuchungsgenehmigung unterschreiben, in der sie die ArGe bevollmächtigte von ihrem Konto eventuell überbezahlte Zahlungen rückzubuchen.
Renate J. ging daraufhin schnurstracks zur ArGe. Beim Empfangsschalter wusste man von dieser Aktion nichts und meinte, dies müsse eine Sachbearbeiterin wissen. Nach einer längeren Wartezeit (die es in Köln trotz der angeblichen Abschaffung der Wartezeiten wieder gibt) wurde sie dann zu der Sachbearbeiterin herein gerufen. Diese ihr zugewiesene Ansprechperson konnte im Computer nicht feststellen, dass Renate J. gerade vor drei Wochen die Alg II Verlängerung erhalten hatte, ebenso lies sich bei ihr auch nicht feststellen, dass die Hartz IV Bezieherin die 58iger Regelung unterschrieben hatte. Nun meinte die Sachbearbeiterin, dass für die Verlängerung, die ja bereits vorlag, wohl noch Unterlagen gefehlt hätten, daher diese neuerliche Aufforderung. Ansonsten wisse sie auch nicht, warum Renate J. diese ganzen Unterlagen nun vorlegen solle. Sie müsse diese Unterlagen nur einsammeln. Renate J. war etwas eingeschüchtert und gab dann die Krankenversicherungskarte und die Bankkarte zum kopieren. Den Sozialversicherungsausweis wollte sie dann später nachreichen. Was die Kontoauszüge betraf, so kündigte sie der Sachbearbeiterin an, ihr dann 60 Auszüge auf den Schreibtisch legen würde. Dies war der Sachbearbeiterin wohl zu viel und sie gab Renate J. den Rat, sie solle sich an ihr Bankinstitut wenden, dort würde sie eine gesonderten Ausdruck der Kontobewegungen der letzten drei Monate bekommen. Den Abbuchungsauftrag zugunsten der ArGe allerdings wollte Renate J. nicht unterschreiben und bekam dann einen Termin zur weiteren Besprechung nächste Woche bei der ArGe.
Renate J. ging nun anschließend zu ihrer Bank, um die Ausdrucke der Kontoauszüge zu bekommen. Das aber weigerte sich, solche Ausdrucke zu erstellen, da diese auch Daten enthalten hätte, die die ArGe nichts angehen würde. So die Bank.
Renate J. fühlt sich von der ArGe Köln schikaniert. Denn sie kann keinen Sinn darin sehen,. ihre Bankkarte, ihre Krankenkassenkarte in Kopie dort zu lassen. Außerdem sträubt sich alles in ihr, der ArGe eine Einzugsermächtigung zu geben. Warum auch, überbezahlte Gelder können ja rücküberwiesen werden.
Es scheint so zu sein, dass in Köln diese Forderungen an eine zufällig ausgewählte Gruppe von Erwerbslose Alg II Empfänger gestellt wird um weitere Schikanen auszuprobieren. Wie heißt doch das von dem Unternehmensberater Roland Berger ausgegebene Motto in Köln: „der durch mehr und mehr Aufgaben getriebene ArGe Mitarbeiter soll den Druck auf die Erwerbslosen übertragen und diese treiben…“ Begrifflichkeiten, die in der Viehwirtschaft beheimatet sind. Erwerbslose als zu treibendes Vieh. Mehr Menschenverachtung kann es wohl kaum noch geben.

Nun kam der Tag, an dem sie zur weiteren Besprechung bei der ArGe erschien. Ehe dieser Termin nun stattfand hatte Renate J. sich kundig gemacht über das, was sie leisten muss und das, was nicht nur nicht notwendig ist sondern auch rechtswidrig ist. Und sie hatte folgendes in Erfahrung gebracht. Die ArGe kann nur Unterlagen einfordern, die für den Leistungsbezug notwendig sind. Daher ist die Kopie der Geldkarte sowie die Kopie der Krankenversicherungskarte unnötig. Kopie des Personalausweises und des Sozialversicherungsausweises ist rechtens. Die Kopien der Kontoauszüge letzten drei Monate kann die ArGe nur bei begründetem Verdacht auf Leistungsmissbrauch, hier Nebeneinnahmen, anfordern. Die restlichen Unterlagen waren recht unproblematisch, bis auf die Ermächtigung zum Einzug überbezahlter Leistungen. Diese Ermächtigung verstößt gegen die Paragraphen 45 bis 50 Sozialgesetzbuch zehn (SGB X). Hier wird in deutscher Gründlichkeit geregelt was zu passieren hat, wenn ein Verwaltungsakt nicht richtig war. Eine eigenmächtige Einziehung zuviel gezahlter Leistungen gehört nicht dazu. Außerdem wurden die eingeforderten Kopien nur benötigt, weil die Innenrevision im Hause tätig ist.

So gebrieft ging Renate J. etwas beruhigter zu dem Sachbearbeiter der Kölner ArGe. Renate J. beschwerte sich zuerst darüber, dass ihr gedroht würde, sollte sie die Unterlagen nicht beibringen. Der Sachbearbeiter, nennen wir ihn Herrn X, verstand das gar nicht, denn niemand hätte ihr gedroht und dieses Schreiben würde an alle Alg II Bezieher gehen. Seltsam, denn wie ist denn der Satz „Sollten Sie bis zum o.g. Termin nicht antworten haben bzw. die angeforderten Unterlagen nicht einreichen, werde ich die Geldleistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz versagen“ zu verstehen. Zuerst forderte Renate J. zumindest die Kopie der Rückseite mit ihrer Unterschrift der Geldkarte zurück. Als Herr X die Kontoauszüge haben wollte, weigerte sich Renate J. mit der Bemerkung, dass ihr unwohl wäre, wenn die ArGe genau wüsste, ob sie nun beim Kontra oder Penny Markt einkaufen würde. Außerdem solle er ihr doch sagen, ob ein begründeter Verdacht gegen sie vorläge. Wenn dies nicht der Fall wäre, was Herr X. bestätigte, weigere sie, die Kontoauszüge in Kopie aus der Hand zu geben. Da gab ein Aufleuchten in den Augen des Herrn X, annehmend, Renate J. hätte etwas zu verbergen. Nun wurde er etwas massiver, worauf Renate J. seinen Triumph schmälerte, indem sie die Kontoauszüge auf den Tisch legte, und ihm den Deal anbot, er könne die Auszüge einsehen, nicht kopieren, wenn er die Kopie der Geldkarte ihr zurück geben würde. Und, oh Wunder, Herr X ging auf den Deal ein. Allerdings das Highlight hatte sich Renate J aber bis zum Schluss aufgehoben. Denn nun kam die Frage der Einzugsermächtigung. Renate J. sagte ihm, dass dies schlicht rechtswidrig sei und nannte die entsprechenden Paragraphen. Herr X wechselte die Farbe, entschuldigte sich, denn er müsse das mit seinem Vorgesetzen besprechen. Nun kam Herr X wieder mit der umwerfenden Nachricht, dass die gesamte Angelegenheit in der juristischen Prüfung sei und für Renate J. sein das ganze vorerst erledigt. Indirekt wurde Renate J. auch Recht gegeben mit der Vermutung, dass das alles nur gemacht würde, weil die Innenrevision ins Haus stünde.

Was zeigt diese Angelegenheit nur allzu deutlich? Erstens: Die ArGe versucht auch mit Mitteln des Rechtsbruchs Alg II Bezieher zu schikanieren und unter Druck zu setzen. Zweitens: Auch die Sachbearbeiter der ArGe wissen nicht Bescheid, was rechtlich haltbar ist und was nicht. Sie werden auch nicht darüber informiert, dass eine juristische Prüfung über die Anforderungen stattfindet. Sie werden im Glauben gelassen, das alles rechtens sein, denn ihre Kenntnis über das SGB ist mehr als lückenhaft. Erinnern wir uns doch. Mitarbeiter der Telekom wurden zu den ArGen versetzt. Und die haben keine Ahnung, sind nur gehalten, die Erwerbslosen ständig unter Druck zu halten. Auch hier zeigt die Schmarotzerdebatte Wirkung. Drittens: Alg II Bezieher sollten sich unbedingt rechtlich kundig machen, bevor sie die schikanösen Anforderungen erfüllen.

Welche politischen Forderungen ergeben sich hieraus? Zum einen eine grundlegende Reform der Hartz Gesetze, u.a. Streichung der nicht zu vertretenden Zwangsmassnahmen wie Ein-Euro Jobs und die Erhöhung der Regelleistung um ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten. Und die von der Politik forcierte Schmarotzer- und Missbrauchsdebatte muss endlich beendet werden. Des weiteren müssen dringend die ArGE Mitarbeiter dahingehend geschult werden, Alg II Bezieher zu behandeln als denkende Menschen und nicht als schmarotzende Bittsteller und die Mitarbeiter müssen dringlich endlich fachqualifiziert beraten können, was bisher nur in Ausnahmen der Fall ist.

Peter-Chr. Löwisch, Journalist (dju-ver.di)

08.11.2006:

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