Pflüger, der Industriekapitalismus und warum Partybürgermeister Wowereit die Wahlen gewinnt

Von Silke Landwehr

Bonn/Berlin, www.ne-na.de - Industriekapitäne, Verbandsfunktionäre und Politiker misstrauen immer noch dem Trend zur Dienstleistungsgesellschaft. Ihr Standardargument: „Vom Haare schneiden alleine kann eine Volkswirtschaft nicht leben“. So predige der völlig überforderte CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger im Abgeordnetenhaus-Wahlkampf den Irrglauben, Berlin durch die Ansiedlung von industriellen Arbeitsplätzen wieder wirtschaftlich nach vorne zu bringen. Er wolle Betriebe aus den Branchen Gen- und Biotechnik sowie regenerative Energien an die Spree holen. „Nachhaltiges Arbeitsplatzwachstum lässt sich damit nicht erzielen. Diese Industrielogik erinnert ein wenig an eine Bemerkung von Adam Smith in seinem 1776 veröffentlichten Werk ‚The Wealth of Nations’: ‚Die Arbeit einiger der respektabelsten Berufsgruppen – Kirchenmänner, Anwälte, Ärzte – ist unproduktiv und ohne Wert’. Das waren die alten Zeiten der Dampfmaschine. Ein Blick in die Statistik belegt, dass der Konsum von Dienstleistungen in Deutschland inzwischen rund 69 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Die Wertschöpfungsketten in unserem Land werden schon lange nicht mehr von der industriellen Produktion getaktet“, schreibt die Zeitschrift NeueNachricht http://www.ne-na.de in ihrer Herbstausgabe. Die Kampagne der Berliner CDU gegen den SPD-Partybürgermeister Klaus Wowereit setze genau an der falschen Stelle an. Denn alleine mit Partys, Tourismus, Vergnügung, Theater oder Unterhaltung mache Berlin über ein Drittel des Umsatzes. Rund 21.000 Unternehmen stelle die Kulturwirtschaft: TV-Produktion, Design-Ateliers, Softwarefirmen oder Musiklabels.

„Mit 100.000 sozialversicherten Stellen ist dieser Sektor inzwischen so groß wie die kümmerlichen Reste der Berliner Industrie. Und dort geht das Firmensterben weiter. So hat gerade in Spandau die Firma BoschSiemens Hausgeräte ihre Pforten dicht gemacht. Politiker wie Pflüger oder Funktionäre des BDI betrachten die Warenwelt immer noch zu produktzentriert aus dem Blickwinkel der Massenfertigung. Das reicht nicht mehr aus. Die Produktion und der Absatz der Güter müssen durch intelligente Service-Konzepte angereichert werden“, so NeueNachtricht. So sieht es auch der Trendforscher Matthias Horx: „Der Konsum als reiner Kaufakt wird problematisch. Früher spielte sich das in sogenannten Savannenmärkten ab. Das Ganze war geprägt von Herdenverhalten - nicht sehr artenreich und berechenbar. Heute sind wir in Dschungelmärkten gelandet mit Artenvielfalt, instabilen Gleichgewichten mit Nischenmärken und Spezialisierung“. Die Zeiten, in denen Produkte auf den Markt geworfen wurden und eine Produktlinienerweiterung der nächsten folgte, seien definitiv vorbei.

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12.09.2006: