Schützt Memantin das Gehirn bei Bestrahlungen vor Schäden?

Der Schutz der kognitiven Funktionen bei Patienten, die sich einer Strahlentherapie des Gehirns unterziehen, ist von großer Bedeutung. Eine vielversprechende Intervention, die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist der Einsatz von Memantin. Dabei handelt es sich um ein einfaches, sicheres und relativ kostengünstiges Medikament. Es zielt darauf ab, den kognitiven Abbau zu begrenzen, der häufig als Nebenwirkung einer Strahlentherapie des Gehirns auftritt.

Heutzutage versucht man, den Einsatz der Ganzhirnbestrahlung bei Patienten mit Hirnmetastasen einzuschränken, da sie viele Nebenwirkungen verursacht. Eine davon ist die kognitive Beeinträchtigung, die schwerwiegend und irreversibel sein kann. Auf zellulärer Ebene gibt es verschiedene Mechanismen, die die Auswirkungen der Strahlentherapie auf gesundes Hirngewebe erklären. Der wichtigste Mechanismus ist die Ischämie-Hypoxie-Kaskade, die durch die Strahlentherapie ausgelöst wird. Diese führt zu erhöhten Glutamatspiegeln, die wiederum eine übermäßige Aktivierung der sogenannten NMDA-Rezeptoren auslösen. Diese Rezeptoren spielen eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung und beim Lernen. Die übermäßige Aktivierung der NMDA-Rezeptoren führt zu einem Einstrom von Kalzium-Ionen, der zum Zelltod führt. Ähnliche Schäden werden auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen diskutiert, bei denen ein ähnlicher Mechanismus durch Glutamat verursacht wird.

Es gibt verschiedene nicht-pharmakologische Maßnahmen, um die durch Hirnbestrahlung verursachten Schäden zu verhindern, zu begrenzen und rückgängig zu machen. Die Kontrolle von Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes, die Einschränkung des Alkoholkonsums und das Aufgeben des Rauchens sind einige der üblichen Maßnahmen. Auch die Begrenzung der Strahlendosis wird praktiziert. Diese Maßnahmen haben gezeigt, dass sie den kognitiven Abbau begrenzen können.

Mehrere pharmakologische Interventionen wurden in randomisierten kontrollierten Studien untersucht. Einige haben gezeigt, dass sie die Auswirkungen der Strahlung auf gesundes Hirngewebe verbessern können. Mit Ausnahme von Memantin konnte jedoch keines dieser Medikamente den strahlenbedingten kognitiven Abbau verhindern.

Memantin war eines der ersten vielversprechenden Medikamente in diesem Zusammenhang. Ursprünglich wurde es Ende der 1960er Jahre als Antidiabetikum entwickelt und patentiert, erwies sich aber für diesen Zweck als unwirksam. Später stellte sich heraus, dass Memantin ein guter NMDAR-Antagonist ist. Memantin bindet also bevorzugt an NMDA-Rezeptoren. Dort verhindert es den Einstrom von Kalzium-Ionen, wodurch die Störung der synaptischen Plastizität verhindert wird. Die Wirkung tritt nach 3 bis 7 Stunden ein, die Halbwertszeit beträgt 60 bis 80 Stunden. Die Verstoffwechslung erfolgt in der Leber und die Ausscheidung über die Nieren.

Die häufigsten Nebenwirkungen von Memantin sind Kopfschmerzen, Schwindel, Bluthochdruck, Müdigkeit, Schmerzen und Verstopfung. Memantin ist für die Behandlung von mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz zugelassen. Insbesondere kommt es bei Patienten zum Einsatz, die Acetylcholinesterase-Hemmer wie Donepezil nicht vertragen oder bei denen diese kontraindiziert sind. Bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Krankheit bewirkt es eine bescheidene Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten, des Verhaltens, der Stimmung und der körperlichen Funktion. Zudem wird Memantin zur Alzheimer-Prävention erforscht und als Off-Label-Medikation bei vaskulärer Demenz und anderen psychiatrischen Erkrankungen wie Depression und Schizophrenie sowie bei posttraumatischer Belastungsstörung, Zwangsstörung, generalisierter Angststörung und bipolarer Störung eingesetzt.

Eine der ersten Studien, die die Rolle von Memantin als Neuroprotektor untersuchte, zeigte in einer Reihe von Experimenten, dass Memantin trotz erhöhter Glutamatspiegel eine nahezu normale physiologische NMDA-Aktivität ermöglicht. Tatsächlich konnten die Autoren zeigen, dass die Wirksamkeit von Memantin mit steigenden Glutamatspiegeln sogar zunimmt. In einer relativ großen Studie wurde die neuroprotektive Wirkung von Memantin bei bestrahlten Patienten untersucht. Memantin wurde innerhalb von 3 Tagen nach Beginn der Bestrahlung verabreicht und über einen Zeitraum von 24 Wochen mit einer schrittweisen Dosiseserhöhung von 5 mg auf 20 mg pro Tag fortgesetzt. Der primäre Endpunkt der Studie war der Wert des Hopkins Verbal Learning Test-revised (HVLT-R) nach 24 Wochen. Die Studie war darauf ausgelegt, einen Unterschied von 0,87 im HVLT-R-Wert nach 24 Wochen zwischen den beiden Gruppen nachzuweisen.

Obwohl die Studie zeigte, dass die Patienten im Memantin-Arm nach 24 Wochen einen leichten Vorteil hatten, war dies statistisch nicht signifikant. Die Autoren argumentierten, dass aufgrund der Tatsache, dass nach 24 Wochen nur noch etwa 30% der Patienten (von der ursprünglichen Patientenzahl) untersucht wurden, die statistische Aussagekraft erheblich reduziert war. Darüber hinaus führte Memantin zu einer wesentlich längeren Zeit bis zum kognitiven Abbau und zu leichten Verbesserungen in anderen Bereichen. Memantin wurde gut vertragen und zeigte keine zusätzlichen Toxizitäten im Vergleich zu Placebo.

Das Ergebnis dieser Studie war zwar klinisch relevant, aber statistisch nicht signifikant. Trotzdem wurde Memantin weiterhin in klinischen Studien untersucht, hauptsächlich in Kombination mit anderen Interventionen.

In einer weiteren Veröffentlichung, in der mittels MRT die Veränderungen der Blutgefäße nach einer Bestrahlung untersucht wurden, reduzierte Memantin die Gehirnschäden signifikant. Eine kürzlich veröffentlichte Phase-III-Studie, in der Patienten randomisiert einer Bestrahlung mit oder ohne Vermeidung des Hippocampus unterzogen wurden, verwendete Memantin in beiden Armen. Die Studie zeigte, dass diese Art der Bestrahlung in Kombination mit Memantin zu einer relativen Reduktion des kognitiven Abbaus um 26 % und zu einer signifikanten Verbesserung der Symptome führten, ohne den Krankheitsverlauf zu verändern.

Die oben genannten Studien zeigen, dass Memantin zumindest in bescheidenem Maße wirksam ist, um die Abnahme der allgemeinen kognitiven Fähigkeiten zu begrenzen und bestimmte kognitive Bereiche besser zu erhalten. Sie hat auch gezeigt, dass Memantin die Zeit bis zum kognitiven Verfall verzögert. Die Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten in der frühen Nachbeobachtungsphase ist hauptsächlich auf die intrakranielle Progression zurückzuführen. Daher wäre der Nutzen von Memantin bei Patienten, die länger mit guter intrakranieller Kontrolle überleben, größer. Diesen Vorteilen steht kein erhöhte Toxizität gegenüber, obwohl die Patienten oft mehrere Medikamente wie Antiepileptika, Steroide, Antidepressiva, Hormone und Chemotherapie gleichzeitig erhalten.

Leider ist der Einsatz von Memantin noch nicht weit verbreitet. Dafür gibt es viele Gründe. Die internationalen Leitlinien zur Empfehlung von Memantin sind uneinheitlich. Das Problem der Untertherapie könnte zum Teil auch auf einen traditionellen therapeutischen Negativismus gegenüber Patienten mit Hirnmetastasen zurückzuführen sein. Glücklicherweise ist der Optimismus durch ein besseres Verständnis des molekularen Milieus von Hirnmetastasen und die Entdeckung geeigneter Wirkstoffe wieder gestiegen. Mit dem zunehmenden Einsatz von MRT-Screenings des Gehirns steigt die Chance, asymptomatische Hirnmetastasen zu entdecken. Zudem ist für einen hohen Anteil dieser Patienten eine Bestrahlungsmethode möglich, die eine längere Überlebenszeit mit sich bringt. Trotz der eindeutigen Empfehlung, die Bestrahlung zu vermeiden oder zu verzögern, erhält immer noch ein Viertel der Patienten mit Hirnmetastasen diese Behandlung. In diesen Situationen bleibt Memantin die einzige verfügbare Intervention, die relativ kostengünstig, sicher und wirksam ist.

Leider wurde Memantin fast ausschließlich bei Patienten untersucht, die eine Ganzhirnbestrahlung zur Behandlung von Hirnmetastasen erhielten. Nur wenige Daten gibt es über Patienten, die diese Behandlung als Teil einer prophylaktischen Schädelbestrahlung oder einer kraniospinalen Bestrahlung erhielten. Darüber hinaus gibt es nur begrenzte Daten über Memantin bei Patienten, die eine fokale Hirnbestrahlung erhielten.

Zwei Studien, in denen das Langzeitüberleben von Patienten mit niedriggradigen Gliomen, die mit einer Chemoradiotherapie behandelt wurden, untersucht wurde, geben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der kognitiven Beeinträchtigung. Dies trifft insbesondere bei jüngeren Patienten zu, da bei diesen große Teile des Gehirns bestrahlt werden. Die Auswirkungen auf das Gefäßsystem und die Effekte auf Neuronen bleiben sind auch bei diesen Patienten relevant. Eine andere Studie untersucht die Rolle von Memantin bei der Begrenzung der kognitiven Beeinträchtigung durch fokale Hirnbestrahlung bei Kindern ab 6 Jahren und jungen Erwachsenen mit niedriggradigen Tumoren.

Eine Studie untersucht die Rolle von Memantin bei Patienten, die sich einer Strahlentherapie im Kopf-Hals-Bereich unterziehen. Außerdem wird es als Neuroprotektor bei Brustkrebspatienten untersucht, die eine systemische Chemotherapie erhalten. Memantin und ähnliche Substanzen stoßen also auf wachsendes Interesse. In einer Phase-I-Studie wurde die Sicherheit von Memantin in Kombination mit Temozolomid, Mefloquin und Metformin bei Patienten mit Glioblastom nachgewiesen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Memantin eine einfache, sichere, und relativ kostengünstige Intervention ist, die den kognitiven Abbau nach Bestrahlungen des Gehirns teilweise verhindern kann. Es besteht Bedarf an weiteren Studien, um die Rolle von Memantin bei Patienten mit Hirnmetastasen zu etablieren und seinen Nutzen in weiteren Anwendungsgebieten zu definieren.

Quelle und weitere Informationen:
Schützt Memantin vor Hirnschäden durch Bestrahlung? (demenz-medikamente.com)


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