Rache im Tal der Tempel

Rache im Tal der Tempel

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In der Luft lag ein Duft von Mandeln.
Ich erinnerte mich plötzlich an den Duft der Mandelbäume im Tal der Tempel von Agrigent. Eine Studienreise hatte mich vor vielen Jahren an diesen Ort geführt. Ich war aus dem Norden gekommen, in einem feuchten Novembermonat. Und ich hatte mich gewundert wie klar die Luft in Agrigent war und perlte wie Champagner. Wie das Licht die Augen blendete, wie die Tempelsäulen in der Hitze glühten. Wie das Licht um sie vibrierte, wie die Säulen zu schwanken schienen als würden sie von einem Erdbeben geschüttelt.
"Agrigent mit seinem Tal der Tempel. Die Tempel sind zweitausendfünfhundert Jahre alt und stehen immer noch. Wenn man bedenkt, dass heute Betonbrücken zum Teil schon nach dreißig Jahren sanierungsreif sind. Es gibt dort auch einen Tempel der Dioskuren, der berühmten Zwillinge Castor und Pollux. Sie waren die Söhne von Zeus und Leda und die Brüder von Helena von Troja und Klytämnestra. Castor war ein bekannter Pferdezureiter und Pollux ein großer Boxer. Aber Castor war sterblich und Pollux unsterblich. Castor wurde von seinem Cousin erschlagen, dessen Braut er geraubt hatte, und Pollux bat Zeus, auch ihn sterben zu lassen, sodass er sich mit seinem Zwillingsbruder vereinen könne. Obgleich dies unmöglich war, denn Pollux war unsterblich, erfüllte Zeus seinen Wunsch, indem er den Zwillingen erlaubte, einen Tag im Hades und einen Tag auf dem Olymp zu verbringen. Es gab nur zwei Dioskuren, aber die Ruinen des Tempels haben drei Säulen. Den Christen hatte die Liebe zwischen zwei Brüdern nicht gereicht, möglicherweise hatten sie darin auch ein heidnisches Element gesehen. Deswegen haben sie die dritte Säule hinzugefügt. Sie steht für die Dreifaltigkeit: Vater, Sohn und Heiliger Geist – Das Konzept der Vollkommenheit."
Wir prosteten uns zu. Der Wein rann dickflüssig meine Kehle hinunter. Es war ein schwerer Wein.
"Und das Licht, dort herrschen andere Lichtverhältnisse. Es ist ein anderes Licht als hier. Es ist als wäre es durch nichts gebrochen, als käme es direkt vom Ursprung allen Lichtes. Es ist sehr hell, klar und hart."
Ich betrachtete den Wein in meinem Glas.
"Und außer dem Licht werde ich den Duft der Magnolienbäume nicht vergessen und auch Brunos Geschichte nicht. Bruno ist Angestellter im örtlichen Bestattungsunternehmen Pompe Funebri Figlio di Dio, ich lernte ihn in einer Bar im Zentrum kennen, und offensichtlich brauchte er die Unterstützung einiger Gläser einheimischen Grappas, um mir seine Geschichte zu erzählen.

Vor ihm lag Gino, sein Gesicht war wächsern, und seine Augen waren geschlossen. Sein blondes Haar war sauber zu einem Scheitel gekämmt. In seiner Kehle bildete sich ein Knoten, der ihm den Atem nahm. Er starrte auf den Toten und tat plötzlich das, wozu er gegenüber dem Lebenden nie den Mut gefunden hatte: er küsste ihn auf den Mund, und während er seine Lippen auf die unnatürlich roten Lippen des Toten presste, raste sein Puls, und er bemühte sich nicht, die Tränen zurückzuhalten, die seinen Blick verschleierten.