Vorsicht bei zu großen Erwartungen und Versprechungen: Das All-on-Four Konzept

Nicht herausnehmbarer, also fester Zahnersatz ist auch bei völliger Zahnlosigkeit möglich. Der Bundesverband der Deutschen Implantierenden Zahnärzte (BDZI) hat hierfür in seiner Konsensuskonferenz schon vor vielen Jahren verbindliche Richtlinien erlassen. Danach sind die Voraussetzungen für festen Zahnersatz mindestens 6 Implantate im Unterkiefer und aufgrund der weicheren Knochenstruktur im Oberkiefer mindestens 8 Implantate.
Es gibt auch Konzepte für die feste Zahnersatzversorgung auf nur vier Implantaten (All-on-4®, Fast and Fixed®) – der absoluten Untergrenze für festsitzenden Zahnersatz, ohne „Reserven“. Hier tut sich der Großteil der Experten aber schwer, dieses Verfahren als generell empfehlenswert einzustufen.

Teeth in an Hour, Zähne in einer Stunde, heißt diese in den Medien werbeträchtig angepriesene Methode. Hierbei erfolgen die Entfernung zerstörter Zähne, die Implantatsetzung und das Aufsetzen des vorgefertigten Zahnersatzes innerhalb einer Sitzung bzw. am selben Tag. Dieses Vorgehen bedarf einer differenzierten Betrachtung und ist nur einigen wenigen Ausnahmefällen vorbehalten!

Bei dieser 4-Implantate-Methode werden zwei anteriore Implantate parallel und die beiden hinteren Implantate mit einer Neigung eingebracht. Die Implantate werden mit einer Brücke verblockt.

Dabei handelt e sich um eine Sofortversorgung der zuvor gesetzten Implantate mit festem, in der Regel provisorischem Zahnersatz. Da der Kiefer zahnlos ist, werden die Implantate immer auch sofort voll belastet. Die Sofortbelastung in dieser Form birgt im Vergleich zum herkömmlichen Einheil-Protokoll allerdings Risiken, die genau abgewogen werden wollen.

Nur wenige Studien überprüften den Langzeit-Effekt solcher Konzepte auf den stützenden Knochen. Bringt man zu wenig Implantate ein, besteht die Gefahr der Überlastung und des Implantatverlustes. Auch die Belastungsrichtung (Aufbauabwinkelung) ist von Bedeutung. Eine stark nicht-axiale Belastung kann zum Bruch des Aufbaus, der Halteschraube oder schlimmstenfalls des Implantats führen.
Untersuchungen zeigen, dass sich bei Verwendung von nur vier und zudem geneigten Implantaten mit einer Vergrößerung der Winkelbildung der Druck auf den periimplantären kortikalen Knochen deutlich steigert. Diese Über- bzw. Fehlbelastungen können, wie seit Jahrzehnten bekannt, zu Knochenverlusten um die Implantatkörper und zu Implantatverlusten führen.

Zudem geht in solchen Behandlungsfällen immer eine verkürzte Zahnreihe im Stützzonenbereich der seitlichen Kiefer einher, was zu muskulären Verspannungen und Kiefergelenksproblemen führen kann.
Umfangreiche 3-D-OP-Planung im Vorfeld, die aufwendige, fest verschraubte Interimsversorgung aus Kunststoff und die darauf folgende Keramikbrücke gestalten die Gesamtversorgung kaum zeit- und preisgünstiger als herkömmliche, evidence basierte Versorgungen auf sechs Implantaten. Kosmetisch anspruchsvolle Patientenwünsche können wegen der knappen Fertigungszeit für die Provisorien kaum berücksichtigt werden. Auch der Zahnfleischverlauf nach der Einheilphase, das Emergence Profile, lässt sich nicht sicher vorhersagen.

Vorteilhaft mag der Umstand sein, dass in Fällen reduzierten Knochenangebotes auf einen Knochenaufbau verzichtet und schwierige anatomische Strukturen wie Nerven oder die Kieferhöhlen „umgangen“ werden können.

Die gesamte Behandlung erfordert eine exakte 3-D-Vermessung des Kiefers mit einem DVT. Bei entsprechenden Voraussetzungen (ausreichendes Knochenangebot, in Breite und Höhe, kein Knochenaufbau notwendig, keine Entzündungszeichen im Knochen) kann dann eine Planung für das präzise Setzen der Implantate mittels 3-D-Bohrschablone erfolgen. Der zuvor in CAD-Technik gefertigte Zahnersatz kann mit der Implantatinsertion in der gleichen Sitzung aufgesetzt werden.

So verständlich der „Wunsch nach festen Zähnen – und das sofort“ auch ist:
Letztlich gilt, was der Volksmund sagt: „Gut Ding will Weile haben“.
Nach gründlicher Anamnese werden beschrieben Konzepte nur für einen eher kleinen Anteil der Implantatpatienten in Frage kommen.

? Dr. Gerd Hülshorst

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