Im Gespräch: Volker Schnittler, VDMA und Dr. Joachim Schlüter, MFB Resultants GmbH

Weniger ist mehr, dies gilt auch für die Inhalte vieler Unternehmenssteuerungs- und Managementinformationssysteme. Unternehmenssteuerung und Unternehmenscontrolling erfordern Methoden und Instrumente, die zielgerichtet für interne und externe Zwecke eingesetzt werden können. KPIs (Key Performance Indicators) können einen wichtigen Beitrag zur Unternehmenssteuerung leisten – wenn sie richtig gehandhabt und sinnvoll in die Managementinformationssysteme eines Unternehmens eingebunden werden.

> Wie sehen Sie den Wert eines Einsatzes von KPIs im Anlagen- und Maschinenbau?
Volker Schnittler: KPIs sind ja aggregierte Informationen zur Entscheidungsunterstützung. Daraus ergibt sich ein umfassender und vielseitiger Nutzen in Unternehmen. Durch KPIs werden Entscheider in die Lage versetzt, vor dem Hintergrund ihrer beruflichen Erfahrungen Entscheidungen zu treffen, die sich auf tatsächliche Ergebnisse aus den Wertschöpfungsprozessen stützen. Das gilt umfassend von der Produktion bis hin zum Ratinggespräch bei der Bank.

> Eine Nachfrage: Kommt Ihrer Meinung nach bei einer externen Beurteilung eines Unternehmens die Berücksichtigung von unternehmens- oder branchenspezifischen KPIs zu kurz?
Volker Schnittler: Das kann in der Tat ein Problem sein. Schließlich sitzen sich hier ja Menschen gegenüber, die sich in der jeweiligen Welt des anderen nicht auskennen. Wie soll ein Mitarbeiter einer Bank so ohne weiteres verstehen, wie in einem Maschinenbauunternehmen das Geld verdient wird? Da braucht es schon gemeinsame Benchmarks, die auf beiden Seiten in gleicher Weise bewertet werden.

> Wir sprechen dann aber auch nicht nur über Kennzahlen mit der Dimension EURO?
Dr. Joachim Schlüter: Auf keinen Fall. Es wird neben den Finanzkennzahlen immer nicht-monetäre Kennzahlen geben; diese können sich aus der Branche oder den konkreten Unternehmenszielen ergeben. Spielt etwa eine Krankheits- oder Unfallquote eine signifikante Rolle, ist eine solche Kennzahl eher branchen-unabhängig. Bei einem Anlagenbauer in der Investitionsgüterindustrie sind allerdings zum Teil andere KPIs gefordert als etwa bei einem Serien- oder Sortenfertiger in der Konsumgüterindustrie. In allen Fällen ist aber unabdingbar, dass die Ausprägung einer Kennzahl in ihrer Wirkung auf den Unternehmenserfolg qualitativ und quantitativ transparent gemacht werden muss.

> Wie geht man bei der Einführung eines „KPI-Systems“ in einem Unternehmen vor?
Dr. Joachim Schlüter: Wichtig ist der durchgängige Ansatz. Das Geschäftsmodell und die Unternehmensziele müssen klar sein, die Werttreiber und Einflussfaktoren der Zielerreichung erkannt sein. Dann müssen Prioritäten gesetzt werden, um damit letztlich ein Modell des Unternehmensgeschehens zu erstellen, dass sich auf wesentliche Steuerungsgrößen beschränkt. Unerlässlich ist die Umsetzung und gegebenenfalls auch Durchsetzung eines solchen Systems gegen unternehmensinterne Widerstände. Dabei sind die Information und Schulungen der Verantwortlichen und Beteiligten von ausschlaggebender Bedeutung. Die Entwicklung des Konzeptes ohne Umsetzungsbegleitung ist nutzlos, eigentlich nur verbranntes Geld.

> Das heißt doch, man muss einen Key Performance Indicator in seiner Relevanz nachweisen und seine Wirkung, z. B. 1 % Änderung nach oben oder unten, auch verstehen?
Volker Schnittler: Ich möchte Ihnen gerne ein Beispiel geben. Ein Unternehmen des Maschinenbaus erzielt in seinem Kerngeschäft, der Herstellung und dem Verkauf von Maschinen, einstellige Deckungsbeiträge. Im Bereich des Servicegeschäftes dagegen werden sehr komfortable zweistellige Deckungsbeiträge erzielt. Eine Veränderung der Relation zwischen Maschinen- und Servicegeschäft bei gleichem Umsatz hat somit unmittelbare Wirkung auf den Unternehmenserfolg. Solche Relationen und ihre Wirkung sind auch jedem Dritten, zum Beispiel unserem Gesprächspartner von der Bank, der kein Maschinenbauexperte ist, sofort einsichtig.

> Bleiben wir bei dem von Herrn Schnittler genannten Beispiel. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Bedeutung einer qualifizierten Unternehmensplanung?
Dr. Joachim Schlüter: Der Nutzen einer Unternehmensplanung ist grundsätzlich immer hoch, selbst wenn es nur eine Minimalausprägung ist. Hier wird der Blick für die Zukunft geschärft, alleine dadurch, dass man sich mit den Parametern und den Einflussgrößen zukünftiger Periodenerfolge beschäftigt; hierzu gehört in dem Beispielfall natürlich, dass man die angesprochene Relation zwischen Service- und Maschinengeschäft plant. Damit können, abhängig von dieser Kennzahl, auch Teilziele für einzelne Abteilungen und Bereiche definiert werden, die bspw. über ein MBO gesteuert werden können. Wichtig ist der periodische oder fallweise Abgleich von Vorgaben und IST sowie die Abweichungsanalyse. Für Szenariorechnungen kann man mit unterschiedlichen Vorgaben der einzelnen KPIs „spielen“, um die Wirkung von veränderten Ausgangsgrößen modellhaft zu erfassen. Dabei müssen nicht alle KPIs „hochwissenschaftlich“ geplant werden; oft sind die KPIs auch über Erfahrungswerte als Zielgröße definierbar, und die Bedeutung ihrer Abweichungen mit Wirkung auf das Unternehmensergebnis ist ohnehin sehr im Bewusstsein der Verantwortlichen verankert.

> Das gilt doch insbesondere für viele mittelständische, oft inhabergeführte Unternehmen?
Volker Schnittler: Natürlich sind Erfahrungen und detaillierte Kenntnisse der Prozesse immer ein Vorteil – in der Tat ist dies sehr ausgeprägt im Mittelstand, wo oft über Jahre und Jahrzehnte konstante Führungsstrukturen existieren. Der systematische Ansatz eines KPI-Systems hilft hier, unternehmerische Entscheidungen transparent und nachvollziehbar zu machen – vor allem für externe Partner.

> In welchen spezifischen Bereichen eines Unternehmens sehen Sie den Nutzen von KPI-Systemen?
Dr. Joachim Schlüter: Hier unterliegen wir keinen Einschränkungen. Es wird allerdings nicht in allen Bereichen und Funktionen eines Unternehmens für jeden Zweck eine messbare Kennzahl geben – klassisch: für die Bewertung von Kundenzufriedenheit oder Mitarbeitermotivation, also häufig für die sog. „weichen Faktoren“, brauchen wir Hilfsgrößen, um die Ausprägungen einer solchen Kennzahl vergleichbar zu machen. Wichtig ist, dass das KPI-System in sich geschlossen ist und der Blick auf das Gesamtunternehmen und seine Zielerreichung nicht verstellt wird. Im Übrigen muss sich die Anwendung von KPIs nicht auf das Unternehmen selbst beschränken, Stichworte sind hier: brancheninterne Vergleiche oder Benchmarking.

> Und wie sehen Sie die Bedeutung von KPIs aus Sicht des Unternehmenscontrollings, und welche Eigenschaften sollte ein Key Performance Indicator aus dieser Sicht besitzen?
Dr. Joachim Schlüter: KPIs sind meines Erachtens einerseits unabdingbar, andererseits aber nur ein notwendiger, kein alleine hinreichender Bestandteil der Steuerung eines Unternehmens. Als wesentliche Kriterien der KPIs gelten Transparenz für alle Beteiligten, klare Verantwortungszuordnung und Definition, einhergehend mit einer sauberen Datenerfassung. Darüber hinaus sind die Setzung von Vorgabewerten, beispielsweise im Rahmen der Unternehmensplanung, und eine strukturierte Abweichungsanalyse mit Ursache-Wirkungs-Beziehungen unabdingbar. Ein KPI sollte also „controllbar“ sein.

> Hier sind wir doch sofort an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Was können moderne BI-Systeme hier unterstützend leisten?
Volker Schnittler: Systemunterstützung erfordert ganz klar saubere Definitionen – wenn nicht sogar Normung – und eine strukturierte und beschriebene Daten-erfassung in den relevanten Prozessen. Am Anfang steht der Mensch; die Organisation eines KPI-Systems erfordert umfangreiche (Projekt-)Vorarbeiten, die IT-Lösung reicht dann von einfacher Tabellenkalkulationssoftware bis hin zur Implementierung im Rahmen von komplexen ERP-Systemen.

> Sie sprechen das Thema „Normung“ an. Können Sie uns ein Beispiel geben, wie sich das in der Praxis ausprägt?
Volker Schnittler: Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Unternehmen mit mehreren Fertigungsstandorten, sagen wir in Deutschland, in USA, in China und in Brasilien. Nun wollen Sie wissen, in welchem der Werke der gleiche Produktionsprozess mit dem besten Ergebnis durchgeführt wird. Das geht nur, wenn Sie eine einheitliche Methodik zur Prozessmessung etabliert haben.
Zu diesem Zweck haben wir beim VDMA eine Standardisierung von Produktionskennzahlen erarbeitet, welche die Definition, das Verhalten und die Herkunft der Kennzahlen eindeutig beschreibt. Diese Arbeit, die zunächst in VDMA Einheitsblättern veröffentlicht wurde, fließt nun in ein ISO Normungsverfahren ein, und wir werden bald eine international gültige Norm auf dieser Grundlage sehen.

> Eine abschließende Frage an Sie beide. Erfahren solche KPI-Systeme denn die nötige Akzeptanz in den Unternehmen?
Dr. Joachim Schlüter: Auf jeden Fall, wenn man einige Prämissen bei der Einführung beachtet. Die Auswahl der KPIs sollte zusammen mit den letztlich Verantwortlichen erfolgen, nicht nur „von oben“ vorgegeben werden. Transparenz ist ein wichtiger Punkt. D. h. tangierte Bereiche und Abteilungen, auch der Betriebsrat, sollten frühzeitig in den Aufbau eines solchen Systems mit einbezogen werden. Später im Tagesgeschäft sind ein strukturierter und organisierter Informationsfluss und Rückkoppelung zu den „Eignern“ der Kennzahlen essentiell, die sich mit „ihren KPIs“ identifizieren müssen.
Die Schwellenwerte und Warngrenzen der einzelnen Steuerungsgrößen sollten für alle Beteiligten von vornherein klar und von den Verantwortlichen akzeptiert sein. Zusammenhänge zwischen einzelnen Kennzahlen müssen offengelegt werden. Hier ist insbesondere das Controlling, aber auch die Unternehmensleitung gefordert.
Volker Schnittler: Ein KPI-System ist kein Selbstzweck, und ein Unternehmer braucht keine Zahlenfriedhöfe, um sein Unternehmen zu steuern. Daher ist Weniger oft mehr. Ein mit Hilfe der Verantwortlichen erstelltes, nicht überladenes KPI-System hat aber einen hohen Wert, um Unternehmensziele „in die Mannschaft“ zu transportieren, um Abweichungen und Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge frühzeitig zu erkennen und daraus erforderliche unterstützende oder gegensteuernde Maßnahmen abzuleiten. Das Abbilden des Unternehmensgeschehens in Zahlen hilft nicht zuletzt den Stakeholdern, das Unternehmen besser zu verstehen und sei es im Rating-Prozess der Banken im Wege der Kapitalbeschaffung.

Vielen Dank für das Gespräch!

Definition KPI
Unter einem Key Performance Indicator (KPI) versteht man eine Kennzahl, die durch eine vergleichende Analyse generiert wird. Dazu bedarf es eines Vergleichsmaßstabes, etwa in Form einer konkreten Zielsetzung oder einer theoretisch erreichbaren Leistung. Objekte der Analyse sind alle im Zeitablauf veränderlichen Größen einer Organisation, z. B. eines Unternehmens, insbesondere die Prozesse, die Inputs und Outputs, aber auch beispielweise Bestandsgrößen aus der Bilanz oder Rahmenbedingungen einer Fertigung. Es werden sowohl quantitative, als auch qualitative Merkmale betrachtet. Die Anwendung solcher Maßzahlen dient internen Steuerungszwecken, aber auch der Darstellung einer Organisation nach außen.

Volker Schnittler – Jahrgang 1955 – ist gelernter Werkzeugmacher und Maschinenbaumeister. In einem berufsbegleitenden Studium absolvierte er die Ausbildung zum Informatik-Betriebswirt (VWA). Seinen beruflichen Schwerpunkt fand er zunächst im Bereich des Qualitäts-managements bei einem Automobilzulieferer. Nach seiner Meisterprüfung war er in mehreren Unternehmen im Bereich der Arbeitsvorbereitung tätig. Nach seinem Studium war Schnittler über 10 Jahre als EDV-Leiter in einem mittelständischen Unternehmen tätig, bevor er für 3 Jahre zu einem ERP-Softwareanbieter wechselte. Seit Oktober 2001 ist er als Referent für ERP und PPS Systeme bei der Abteilung Informatik des VDMA beschäftigt. Dort leitet er u. a. auch den PPS-Anwender/Anbieter-Dialog und ist Mitglied im Forschungsbeirat des FIR e. V. an der RWTH Aachen.

Dr. Joachim Schlüter – Jahrgang 1953 – studierte Betriebswirtschaftslehre mit dem Abschluss Diplomkaufmann und promovierte mit einem Thema aus dem Bereich Operations Research. Weiterbildungen erfolgten u. a. in Form von Qualifizierungen zum Wissensbilanz-moderator, als Lean Six Sigma-Black Belt und in der Ressourcenkostenrechnung der Effizienzagentur des Landes Nordrhein-Westfalen. Berufliche Schwerpunkte liegen in den Bereichen Finanzen/Controlling und Unternehmensentwicklung in produzierenden Unternehmen. Schlüter kann eine langjährige Leitungserfahrung als Direktor und Prokurist vorweisen. Seine Berufs- und Beratungsfelder sind unter anderem in den Branchen Behälterglas, Aluminium, Chemie, Zement, Kunststoff-verpackung, Werkzeugbau, Maschinen- und Anlagenbau sowie im Gesundheitswesen angesiedelt, wobei ihm in seinen Beratungsprojekten die ganzheitliche Sicht eines Unternehmens ein Anliegen ist.

01.06.2012:

Über MFB Resultants GmbH

Benutzerbild von MFB Resultants GmbH

Vorname
Monika

Nachname
Frick-Becker

Adresse

Hildastr. 14
65189 Wiesbaden

Homepage
http://www.mfbresultants.com

Branche
Unternehmensberatung für Strategie und Organisation