OMTV News: Neusegmentierung des Open-Market – Bankrotterklärung und Chance zugleich

OMTV News: Neusegmentierung des Open-Market – Bankrotterklärung und Chance zugleich

von OMTV Fachautor Dr. Olaf Fischer

Was die Deutsche Börse AG am vergangenen Montag unter der Überschrift „Neusegmentierung des Open Market“ verkünden ließ, liest sich zunächst wie eine endgültige Bankrotterklärung der Börsenbetreiber. Das First Quotation Board, das Einstiegssegment aller erstnotierten Unternehmen am Open Market, wird es künftig nicht mehr geben. Damit stehen die dort gelisteten Aktiengesellschaften und sicher mehrere Tausend Anleger vor einem erheblichen Problem.

Überraschend kam dies für Insider nicht. Wer den Niedergang der Qualität des Handels an dieser Marktsegment verfolgte, ist eher gehalten, danach zu fragen, wieso die Deutsche Börse erst jetzt so konsequent regierte. Aber zwischen dem Spannungsfeld der ungewollten Umsatzeinbuße und dem Eingeständnis des Scheiterns eines ganzen Marktsegmentes einerseits und dem geforderten Anlegerschutz anderseits hat wohl eines den entscheidenden Ausschlag gegeben: die Furcht der Börsenbetreiber um ihren guten Ruf.

Das First Quotation Board war 2008 initiiert worden, um Unternehmen, die noch an keiner anderen Börse notiert waren, besonders leichten Zugang zum Aktienmarkt zu ermöglichen. Dafür musste der Betreiber deregulieren und holte sich so ein systematisches Risiko ins Haus: die Anfälligkeit für Marktmanipulationen.

Dabei war es nicht unbedingt der Umstand, dass jedes beliebige Unternehmen über diesen Zugang mit sehr geringem Aufwand und nahezu unabhängig von seinem Marktwert die unterstellte Seriosität eines (quasi-)börsennotierten Unternehmens für sich generieren konnte, sondern eher das sogenannte Scalping. Abgeleitete von to scalp, das Fell über die Ohren ziehen, skalpieren, bezeichnet dieses Vorgehen eine Marktmanipulation der besonders verwerflichen Art. Die Akteure decken sich mit Aktien eines Unternehmens mit zumeist sehr niedrigem Aktienkurs, sogenannten Pennystocks, ein und treiben durch gezielt gestreute, gleichwohl unwahre Informationen den Aktienkurs nach oben, um durch den Verkauf im rechten Moment hohe Gewinne einzustreichen. Das funktioniert allerdings auch in der quasi umgekehrten Ausrichtung: die Aktien werden geliehen und in der Hoffnung verkauft, sie am Ende der Leihfrist zu einem viel geringeren Preis zurückzukaufen und dem Ausleiher zurückzugeben (sogenannte Leerkäufe). Das bringt hohe Gewinne, wenn der Aktienkurs nach dem Verkauf stark abfällt. Gezielt gesetzte Mitteilung, dass die eine oder andere Bilanz gefälscht sei oder Aufträge verloren gegangen seien, einige verdeckte Aktienbewegungen und schon kommt sie Sache ins Rollen. Besonders perfide Auswüchse erreicht dies, wenn derart manipulative Informationen von vermeintlichen Anlegerschutzvereinen kommen und damit mit noch mehr Seriosität versehen werden.

Eben das bescherte uns dieser Tage die juristischen Konsequenzen eines der größten Börsenskandale der vergangenen Jahre. Am 16. Januar diesen Jahres begann der Strafprozess gegen die mutmaßlichen Drahtzieher einer solchen Manipulation, die gleichzeitig der SdK – Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V., einer der größten Aktionärsvertretungen Deutschland und laut Satzung allein dem Aktionärsschutz verpflichtet, vorstanden. Zusammen mit einem Börsenbriefherausgeber (der aufgrund seines Geständnisses in dieser Angelegenheit bereits vor wenigen Tagen zu 2 Jahren Bewährung und einer Geldstrafe von 5.000 EUR verurteilt wurde) werden den „Aktionärsschützern“ insgesamt 200 Fälle der Marktmanipulation vorgeworfen.

Der Leiter der Handelsüberwachung an der Frankfurter Wertpapierbörse, Michael Zollweg, musste kürzlich resigniert kundtun, dass es quasi mafiös organisierte Gruppen gebe, die sich darauf spezialisiert haben, Unternehmen an die Börse zu bringen, obwohl dahinter kein realer Geschäftsbetrieb steht. "Von Asien bis Amerika werden dann Investoren für diese angeblichen Kursraketen angeworben", sagt Zollweg. Das „Frankfurt Game“ wird dieses „Spiel“ bei Insidern genannt. Effektivieren lässt es sich, bedient man sich Unternehmen, die im Ausland sitzen. Recherchen dort sind wesentlich aufwendiger und aufgrund der Sprachbarrieren und der Differenz der staatlichen Regelungssysteme kaum zu durchdringen. Und tatsächlich haben nicht einmal 30 Prozent der gelisteten Unternehmen ihren Sitz in Deutschland. Die weitaus meisten Gesellschaften des First Quotation Board stammen aus USA, Großbritannien und Kanada. Gerade wer nicht an der heimischen Börse notiert ist, muss sich fragen lassen, wieso Kapital im Ausland akquiriert werden soll, wo dies im Heimatland doch erheblich einfacher möglich wäre.

Der Open Market wurde von Kriminellen okkupiert, das lässt sich nicht mehr wegreden. Dass die Deutsche Börse diesen Machenschaften keine Plattform mehr bieten will, ist ebenso nachvollziehbar wie der Schutz ihrer Reputation notwendig ist. Ob die angekündigten Reformmaßnahmen allerdings auf Dauer diesem Ziel tatsächlich dienlich, ist äußerst fraglich. Noch wurde nur angedeutet, dass das die Anforderungen für den Entry Standard verschärft werden und alle dort notierten Unternehmen einen Wertpapierprospekt zu erstellen sowie regelmäßiger über ihren Geschäftsbetrieb zu berichten haben. Der Entry Standard und das Second Quotation Board für Zweitlistings bilden dann den Freiverkehr (Open Market). Wer allerdings meint, dass das allein genügt, um kriminelles Handeln zu unterbinden, hat womöglich wenig aus den bisherigen Erfahrungen gelernt. Helfen könnte allein eine genaue, auf mehrere, voneinander unabhängige Institutionen verteilte Prüfung des tatsächlichen Unternehmenswertes. Das aber würde die Zugangskosten zum Marktsegment unweigerlich in die Höhe treiben und damit den eigentlichen Charme, den kostenreduzierten Marktzugang mittelständischer Unternehmen, zuwiderlaufen. Es bleibt abzuwarten, welchen Weg die Deutsche Börse in diesem Spannungsfeld findet.

Der OMTV Fachautor Dr.Olaf Fischer, Brauchschweig ist Fachanwalt für Gesellschafts und Kapitalmarktrecht. www.rak-fischer.de


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