Xinnovations 2011: Die Ausstattung der Justiz ist gut aber die Barriere in den Köpfen ist zu überwinden

Berlin, 22.09.2011, Wegen der besonderen Stellung der Justiz als dritte Gewalt im Staat können IT-Lösungen aus anderen Bereichen nicht 1:1 in die Welt des Rechtswesens übertragen werden. Schwierigkeiten der IT-Modernisierung ergeben sich zum einen aus den spezifischen Anforderungen, die eigens entwickelte IT-Lösungen verlangen. Stichworte sind die Funktion des Anwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege oder die richterliche Unabhängigkeit. Beide sollen die Vorteile der Digitalisierung nutzen, aber ihre Daten müssen vor den unberechtigten Zugriffen Dritter geschützt sein, einschließlich anderer Staatsgewalten wie der Exekutive. Zweite Hürde der IT-Modernisierung ist die Veränderung von althergebrachten Organisationsstrukturen sowohl in den Anwaltskanzleien als auch den Gerichten.

Beide Schwierigkeitsfelder - technische Implementierung und organisatorisch-mentale Öffnung - haben den vor mehr als zehn Jahren begonnenen Prozess der Digitalisierung der Justiz „zum Stocken gebracht", wie es in der Einladung zum e-Justice-Forum formuliert wurde. Das ganztägige E-Justice-Forum am 20. 9. 2011 im Rahmen der Xinnovations 2011 im Senatssaal der Humboldt-Universität hatte das Ziel, bereits vorhandene Lösungen zu präsentieren, Problembereiche zu lokalisieren und daraus gemeinsame Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Letzteres spielte sich vor allem in der abschließenden Podiumsdiskussion (Flying Talk) ab.

Grundlage der Diskussion waren sechs Thesen und Fragen, die Diskussionsleiter RA Lutz Diwell, StS BMJ a.D., eingang vorgestellt hatte. 1. Muß sich die Justiz endlich der digitalen Außenwelt stellen? 2. Werden die Möglichkeiten der digitalen Mediums optimal genutzt? 3. Elektronische Erreichbarkeit der Justiz bis zum Jahre 2013? 4. Defizite in der externen Kommunikation? 5. Offenheit technischer Infrastrukturen (EGVP, De_mail, E-Postbrief), 6. Vereinheitlichung von Standards.

Erste Antworten gaben mit zwei Impulsstatements MinR Holger Radke vom Justizministerium in Stuttgart und Uwe Berlit, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Radke präsentierte unterschiedliche Zahlen zur Akzeptanz. So würden am Landgericht Stuttgart bei Streitfällen nach dem Zivilrecht seit 2008 bis heute monatlich maximal 50 Online-Eingänge registriert. Die Zahl habe sich im Laufe der Jahre nicht erhöht. Zum Vergleich: Insgesamt gehen monatlich 900 Verfahren ein. Radkes Schlußfolgerung: „Das Online-Verfahren wird von den Anwälten nicht angenommen". Anders verhält es sich in Rechtsfeldern, wo „leichte Zwänge" in technischer Richtung ausgeübt werden, wie bei Gerichtlichen Mahnverfahren. Seit 2008 wird verlangt, die Formulare dafür in maschinenlesbarer Form einzureichen. Seitdem hat sich der Post-Eingang dramatisch reduziert, dafür gehen jetzt 71 Prozent per Online-Zustellung ein. Der gleiche Effekt beim Elektronischen Handelsregister, wo es im letzten Jahr nahezu 10.000 Online-Zustellungen per EGVP gegeben habe. Radke: „Da funktioniert es".

Die Justiz, so sein Fazit zur ersten These, verfüge heute über eine moderne IT-Ausstattung und habe hier keinen Nachholbedarf. „Das Problem ist die Barriere im Kopf, die mentale Sperre". Den Schlüssel, hier etwas zu ändern, sah Radke in der „Ergonomie", in der Veränderung der Arbeitsabläufe dergestalt, dass der IT-Einsatz mit spürbaren Arbeitserleichterungen einhergeht. Dies bedeute auch, so der Reflex auf These 4, dass - bevor die Anwälte in die IT-Pflicht genommen werden - zunächst die Abläufe in den Gerichten entsprechend geändert und ergonomisiert werden. Dann könne es zu entsprechenden gesetzlichen Verpflichtungen kommen.

Verwaltungsrichter Berlit schloß sich sich bei der Bewertung des Ist-Zustandes der Einschätzung Radkes an: die Justiz sei weder technikfeindlich noch habe sie einen Modernisierungsrückstand. Der Punkt sei in der Tat „die Gestaltung der Arbeitsplätze", hier bestehe „Handlungsbedarf". Eine entsprechende Bundesrats-Initiative, die zuvor auch in dem Forum besprochen wurde, sei richtig, auch wenn sie doch recht spät komme. Berlit empfahl, bei diesen neuen Regelungen die Schutz- und Verfahrensziele in den Mittelpunkt zu stellen, anstelle der Normierung von konkreten Arbeitsschritten im Einzelnen.

Eine flächendeckende Umstellung auf elektronische Verfahren bereits bis zum Jahre 2013 hielt Berlit für verfrüht. „Wenn es dann schon von allen genutzt wird, bricht uns der Betrieb zusammen", war die Befürchtung des Leipziger Richters. Sympathie hatte Berlit allerdings für Ansätze, die Anwaltschaft zu einer „Anschluß- und Benutzungspflicht" in Richtung elektronische Justizkommunikation zu bewegen. Auch wenn es richtig sei, gewisse Dinge aktiv anzuschieben, werde sich in der IT-Welt auch für seine Institution vieles von selber entwickeln, war Berlits Auffassung: „Unsere Aufgabe ist es schließlich, Recht auf hohem Niveau zu sprechen und nicht, Technik-Freaks zu sein".

Manfred Ronzheimer, Berlin

Weitere Infos zur Xinnovations 2011: http://www.xinnovations.de

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