Atlantic: Der Nachbau einer Legende

Mit dem Nachbau macht Ed Kastelein allen Liebhabern edler Segelklassiker ein wundervolles Geschenk.

Volle 75 Jahre hatte der sagenhafte Transatlantik-Rekord des Dreimastschoners Atlantic von 1905 Bestand bis er 1980 von der französischen Segellegende Eric Tabarly mit dem Trimaran Paul Ricard erstmals geknackt wurde. Aber es sollte noch weitere 18 Jahre dauern bis mit der Marie-Cha III eine Einrumpfyacht die legendäre Rekordfahrt unterbot. Jetzt hat der Niederländer Ed Kastelein den über 60 Meter langen Schoner, der nach mehrfachen Eignerwechseln 1982 endgültig verschrottet worden war, fast originalgetreu nachgebaut.

In der neuesten Ausgabe des Superyachtmagazins „Meer&Yachten“ beschreibt Kastelein, der sich mit den Nachbauten des 43 m Schoners Zaca, der einst Errol Flynn gehörte, sowie der berühmten Eleonora, die nach dem Vorbild des 49,50 m Herreshoff Schoners Westward (1910) entstand, einen Namen gemacht hatte, wie er zur Atlantic kam. Seine Liebe zu Segelbooten reicht in die frühe Kindheit zurück: „Als ich klein war, habe ich aus vier Brettern, die ich in der Garage meines Vaters gefunden hatte, ein Bötchen gebaut. Meine Vorfahren waren als Seeleute in der Fischerei und im Seetransportgeschäft bei der Holland America Line tätig. Muss wohl Vererbung sein!“

In Büchern stieß Kastelein auf Kaiser Wilhelm II., der 1905 eine Ozeanwettfahrt von New York nach Kap Lizard initiierte. Der Amerikaner Wilson Marshall, ein reicher Erbe, gab daher bei dem Konstrukteur William Gardner eine schnelle Yacht in Auftrag. Neben Kapitän Lem Miller heuerte Marshall den dreimaligen America’s Cup Gewinner Charlie Barr als Skipper und Ersten Offizier für die 1903 vom Stapel gelaufene Atlantic an. Der Legende nach soll Barr die rund 50 Mann starke Crew einschließlich Eigner mit seiner unerbittlichen Disziplin während der halsbrecherischen Überfahrt in Furcht und Schrecken versetzt und nachts die Fallen mit Vorhängeschlössern gesichert haben, damit ja keiner ein Reff einbinden konnte, während er schlief. Atlantic absolvierte die vorgesehene Strecke in 12 Tagen, 4 Stunden und 1 Minute mit durchschnittlich 10,20 kn und stellte damit ganz nebenbei auch noch einen 24-Stundenrekord von 341 Seemeilen auf. Diese Leistung galt fortan als Richtschnur für alle Atlantiküberquerungen.

Mit dem Nachbau macht Ed Kastelein allen Liebhabern edler Segelklassiker ein wundervolles Geschenk – und sich selbst nebenbei auch eine Freude: „Derartige Projekte zu bewältigen, geht natürlich nicht ohne Schwierigkeiten. Es ist eine echte Genugtuung zu sehen, wie beherzt alle Beteiligten mitgemacht haben und wie glücklich die Leute bei ihrem Anblick sind.“ Aus gutem Grund, denn im Profil betrachtet sieht der Nachbau – abgesehen von den durchgehenden Alumasten anstelle der stählernen mit hölzernen Toppspieren – dem historischen Vorbild verblüffend ähnlich.

Die Originalmasten waren aus kostengünstigerem, einfacher zu verarbeitendem Stahl, doch für Kastelein kam dieser Werkstoff ebenso wenig in Frage wie Holz, das viel zu große Querschnitte erfordert hätte. „Die größten Unterschiede zur original Atlantic,“ so Kastelein, „sind der aus Gründen des Cruisingkomforts hinzugefügte Cockpittisch und der weggefallene Dampfschornstein, der sich bei der Originalyacht vorn befand.“ Sein Nachbau hat ebenso viele Bronzewinschen – 36 insgesamt, einige davon elektrisch betrieben – und Skylights wie das historische Vorbild; auch das Steuerrad ist von Form und Platzierung her identisch mit dem Original. Vor dem geneigten Steuerstand, der den Ingenieuren im Hinblick auf die Entleerung der in der Steuersäule kaschierten Hydraulikpumpe einiges Kopfzerbrechen bereitete, befindet sich ein wunderschöner Kompass, der von der Yacht des spanischen Diktators Franco stammt.

Die Veränderungen unter Deck betreffen in erster Linie den geplanten Chartereinsatz: Während das historische Vorbild mit 32 Mann gesegelt wurde und entsprechend viele Unterkünfte für Besatzung und Gäste bot, kommt die heutige Atlantic mit einer 12-köpfigen Crew aus und hat mehr Schlafplätze für Gäste: 12 in 6 Doppelkabinen – drei mit Doppelbetten, drei mit Doppelstockkojen. Bei der Innenausstattung im klassischen Jahrhundertwendestil des Vorbilds, jedoch zeitgemäß und weniger verspielt, orientierte Kastelein sich an den wenigen von damals erhaltenen Fotos. Doch im Salon hat die Moderne in Form eines mittels Fernbedienung elektrisch ausfahrbaren Flachbildschirms im Großformat Einzug gehalten.

Mit der Verwirklichung seiner Träume bringt Kastelein auch anderen Menschen den zeitlosen Segelzauber näher. „Die ersten Kunden,“ berichtet er, „hatten Atlantic für fünf Wochen ab La Rochelle gechartert. Wir waren in Spanien, Portugal und Marokko und sind durch die Meerenge von Gibraltar und hoch bis Cartagena gefahren.“

Weitere Themen in dieser Ausgabe von Meer&Yachten befassen sich mit der kürzlich von der Rendsburger Werft Nobiskrug an einen Amerikaner ausgelieferten 68 Meter langen Motoryacht Sycara V sowie dem Topdesigner und Yachtkonstrukteur Espen Øino, der über den Umgang mit Eignern von Superyachten, insbesondere solchen, die zum ersten Mal eine Yacht bei ihm bestellen, berichtet.

Das Magazin „Meer&Yachten“ Ausgabe 2/2011 ist ab dem 18. Februar 2011 im Handel erhältlich.

Mehr Informationen unter:
www.meerundyachten.de

17.02.2011: | |