Lyrischer Gesang, in Strophen
Pressetext verfasst von Matthias Hagedorn am Mo, 2009-10-26 09:11.Eine Würdigung des Verlegers und Lyrikers Peter Engstler
Literatur ist immer auch Behauptung. Peter Engstler reklamiert für sich und seinen Verlag „ Medien Streu“ einen Sprachraum und schafft damit eine Wirklichkeit, die anders ist als alle ande¬ren Realitäten. Und er macht dies mit dem Anspruch auf Auto¬nomie, Gültigkeit und der Bedeutung seiner Werke – und die der Kollegen.
Peter Engstler ist ein sehr engagierter Verleger. Er gibt beispielsweise die Literaturzeitschrift „Der Sanitäter“ heraus. Dieses Literaturmagazin ist, ähnlich wie das von Jürgen Ploog herausgegebene Magazin Gasolin/23, ein Schlüsselorgan für die Vermittlung der amerikani¬schen Beat-Literatur im deutschen Sprachraum.
Literatur spiegelt ihre Zeit, Beat lebt in und von seinem Kontext, zehrt von dem kulturellen, politischen und sozialen Humus der Epoche, dem er dem abgeklärten Publikum den Spiegel vorhält. Mit dem scharfen Blick ihrer versierten Intelligenz zerlegten Beat-Autoren wie beispielsweise Rolf Dieter Brinkmann die Ge¬mütlichkeiten, in denen sich die Hippies eingerichtet hatten. Brinkmann zeigte den Maschinenraum der Leidenschaften, der das scheinbar aufgeklärte, um ideologische Korrektheit bemühte Bewußtsein der westdeutschen Gesellschaft in Wahrheit antrieb.
Die Einfügung in den historischen Zusammenhang, die der Literaturgeschichte, der Kritik und den Verlegern zufällt, gibt dem Leser einen Schlüssel zum Verständnis der Zeitumstände und fördert zumindest das Leserlebnis. Bevor Beat zur Pop-Literatur verniedlicht wurde, war er gefährlich. Beat-Literatur hat ihren Reiz nicht verloren, doch in einer Zeit, da Originalität von der Stange erhältlich ist, muss sie sich schriller präsentieren, um noch Aufmerksamkeit zu wecken.
Die Tradition wird bei ‚Medien Streu’ weiterhin gepflegt, hier wird die Extrapolation des Werkes aus seinem historischen Umfeld nicht versucht, um seine Zeitlosigkeit zu unterstreichen, Autoren wie Jörg Burkhard, Theo Köppen oder Alexander Krohn kann man weiterhin als widerständig beschreiben. Diese Autoren for¬mulieren eine Hermeneutik, die nicht primär an der Wirkungsge¬schichte des Pop und den kontroversen Lesarten der Texte inte¬ressiert ist, sondern am Urtrieb der Autorschaft. Das Ergebnis ist überraschend.
Auch Peter Engstlers Gedichte wenden sich radikal sich gegen alle gesellschaftlichen Normierungen, gegen den ganzen Litera¬tubetrieb und dies auch ausdrücklich auch orthographisch, pro¬vozierend mit einer verwegenen Verknäuelung von Hybris und Demut, Tiefsinn und Posse. Seine Lyrik streift das Ephemere von den Momenten und Gelegenheiten, die sich dem dichterischen Zugriff bieten, fast vollständig ab und führt sie in Augenblicke glasklarer Beobachtung über. Ohne Rücksicht auf soziale Rituale und Reglements bricht Peter Engstler verkrustete Strukturen auf. Dieser Autor interessiert sich gleichermaßen für die Wirklichkeit, die Psyche und das Unbewusstsein, hier sucht er nach der letzten Wahrheit. Seine Texte entäußern die innere Bewegung und ver¬innerlichen zugleich das Äußere.
Schon früh hat sich dieser Autor in das Biosphärenreservat an die Rhön zurückgezogen. Den vulkanischen Ursprung dieses Ge¬birgszugs ahnt man ebenso als Bodensatz seines Schreibens, wie die offenen Fernen. Aus diesem Hinterland gelingt ihm ein Transfer der Normalität ins Pathetische. Mitunter nicht ohne iro¬nischen Nebenton, der als kritisches Element in seinem neuen Band »Strophen eins« mitschwingt. Es geht in diesem Band um die andere Wirklichkeit, die durch Literatur in die Welt kommt. Diese Lyrik ist kein Selbstzweck, sondern eine klug angelegte, tief gestaffelte Vorrichtung, in das Publikum auf Wortfelder trifft. Behutsam fächert Engstler die Variationen des Blicks auf die Ge¬genwart auf und lädt dazu ein, das eigene Begreifen als vorläufi¬ges, vergängliches zu begreifen. Dies ist ein Buch voller Lebens¬weisheit, aber es stellt diese Weisheit an keiner Stelle zur Schau. Es geht in »Strophen eins« darum, den Lesern das Disparate nahe¬zubringen. Mit einfachen Worten: Es geht um prismatische Wahrnehmung.
Matthias Hagedorn
Peter Engstler, »Strophen eins«, Medien Streu, Ostheim/Rhön 2009.
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