Gesundheitskolumne: Das große Aber beim Aberglauben

Sportmediziner, Allergologen, Schwimmweltmeister, Kabarettisten und Ernährungsmediziner gehören zum großen Expertenteam des Internet-Gesundheitsportals www.imedo.de. Ab sofort berichten die Experten aus Funk und Fernsehen im wöchentlichen Wechsel darüber, was wirklich gesund ist, was Anfänger beim Sport beachten sollten und wie Pollen-Allergiker unbeschadet durch den Frühling und Sommer kommen. In dieser Woche: Dr. Eckart von Hirschhausen: Das große Aber beim Aberglauben.

Der englische Psychologe und Zauberkünstler Richard Wiseman beschäftigt sich schon lange mit dem Zusammenhang zwischen Aberglauben und tatsächlichem Glück. Sein überraschendes Fazit: Menschen, die sehr viele Glücksbringer zu Hause haben, erleben weniger Glück. Das leuchtet ein, denn wer zu sehr an die Macht von Glücksbringern glaubt, verpasst oft, das offensichtlich Notwendige zu seinem eigenen Glück beizutragen.

Ein konkretes Beispiel: Fällt ein abergläubischer Mensch dreimal durch eine Prüfung, könnte es daran liegen, dass er den Prüfungsstoff nicht ausreichend beherrschte. Aber an so etwas Absurdes glaubt der Abergläubische erst gar nicht. Für ihn ist klar: Das erste Mal lag es nicht an ihm, sondern an Saturn, der in einem ganz ungünstigen Winkel stand. Das zweite Mal stand der Schreibtisch über einer Wasserader, die zu spät entdeckt wurde. Das dritte Mal wäre er auch gerne angetreten. Er hatte sich sehr gut vorbereitet, zwar nicht hinsichtlich des Prüfungsstoffs, mehr so "feinstofflich" – energetisch war alles top. Nur dass er ein bisschen zu spät zur Bahn los ist. In letzter Sekunde sprang er noch hinein, aber sein Astralleib, der ist leider draußen geblieben. Keine Chance. Durchgefallen.

Vorstellungen vom Glück: Placebo- und Nocebo-Effekt

Die dunkle Seite des magischen Denkens ist das Gegenteil des Placebo-Effektes, der Nocebo-Effekt. Gegen Placebo habe ich überhaupt nichts und auch nichts gegen ein bisschen „Zauber“ zur Prüfung. Ich habe selbst versucht, meinen Lieblingsplatz bei den Klausuren zu ergattern, und habe mich mit vielen Süßigkeiten und kleinen Talismännern „gedopt“. Es gab mir Sicherheit zu wissen, dass andere an mich dachten und mir die Daumen drückten. Der Glaube daran, sein Schicksal ein bisschen kontrollieren zu können, ist gesund und hilfreich. Aber wenn Kräfte, die nicht in unserer Macht stehen, es einmal nicht so gut mit uns meinen, kippt dieser psychologische Vorteil ins Gegenteil. Wer zum Beispiel meint, dass Sendemasten durch ihre Strahlung den Menschen schädigen, bekommt schon Kopfschmerzen, bevor der Sendemast überhaupt in Betrieb ist.
Irgendwie hängen unsere Vorstellungen vom Glück immer noch mental im Mittelalter und bräuchten dringend ein Update.

Wann haben Sie das letzte Mal ein Hufeisen auf der Straße gefunden? Sind Sie also ein geborener Pechvogel, oder könnte es daran liegen, dass die Fortbewegungsmittel von heute keine Hufeisen, sondern Feinstaub verlieren? Der moderne abergläubische Mensch sollte sich also über die Tür eine Tüte Feinstaub hängen, stilecht, mit der Öffnung nach unten. Stattdessen wird in Zeiten der Kohlendioxid-Belastung und der globalen Erwärmung auch noch im Jahr 2009 ein Schornsteinfeger für einen Glücksbringer gehalten. Dabei symbolisiert der rußverschmierte schwarze Mann eigentlich das unvollständige Verheizen fossiler nichtregenerativer Brennstoffe. Und wenn er selten zu sehen ist und Sie lange keinen mehr angerührt haben, heißt das: Sie haben wahrscheinlich eine Zentralheizung in Ihrer Wohnung – ein Glück, um das Sie viele Menschen auf der Erde wirklich beneiden.

Wenn anstelle eines echten nostalgischen Schornsteinfegers ein moderner Installateurmeister mit Laptop und Messsonde ins Haus kommt, verspüren wir keinen Impuls mehr, ihn mit erwartungsvollem Blick an seinem grauen Overall zu berühren. Stattdessen betrachten wir das Glück selbst als Handwerker: Ständig muss man darauf warten. Und wenn es schließlich erscheint, sind wir nicht etwa glücklich, sondern sauer, weil es so lange auf sich hat warten lassen.

Was ist mit dem vierblättrigen Kleeblatt? Auf dem Titelfoto sieht man mich mit einem dreiblättrigen. Denn wer sagt, dass vier Blätter besser sind als drei? Vier Blätter sind vor allem eins: Sie sind seltener als drei. Und was machen wir? Wir binden unser Glück an Dinge, die selten vorkommen, und wundern uns, dass wir nur selten glücklich sind. Das haben wir uns selbst eingebrockt, das ist bescheuert. Ob vier Blätter besser sind als drei, ist nur eine Frage des Standortes. Zum Beispiel neben einem Atomkraftwerk: Wenn dort alle Kleeblätter plötzlich vier und mehr Blätter haben, dann ist das nicht unbedingt ein gutes Zeichen.
Schließlich bemühen wir die Tierwelt: Eine Hasenpfote soll Glück bringen. Der Hase hatte vier davon – was hat es ihm gebracht? Mich überzeugt das alles nicht. Und erwachsene Menschen sorgen sich ernsthaft bei einer schwarzen Katze, ob sie von rechts oder von links über die Straße rennt. In manchen Ländern gilt rechts als günstig, in anderen links. Aber jedes Mal auswandern, wegen einer Katze? Meine Meinung: Ob eine Katze für Ihr Leben etwas bedeutet, hängt nicht von ihrer Laufrichtung ab, sondern von einer zentralen Frage – sind Sie Mensch oder Maus?

Zu Silvester kann man sich aber auch als wissenschaftlich gebildeter Mensch sorglos an den Nobelpreisträger Niels Bohr halten, der ein Hufeisen über seiner Tür hängen hatte. Gefragt, warum er denn an so einen Unsinn glaube, antwortete der Physiker: „Ich habe gehört, es wirkt auch, wenn man nicht dran glaubt!“

Auszug aus: „Glück kommt selten allein“

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09.09.2009: |