Strafanzeige gegen Stuttgarter Familienrichterin wegen Rechtsbeugung

Liebe Leserin, Lieber Leser,

mit meinem Beitrag will ich nicht nur Väter, sondern auch den Mütter, folgende Inforamtion zur Verfügung stellen:

Auszug einer Strafanzeige und Strafantrag gegen die Richterin, Frau P..., vom Amtsgerichts Fürstenfeldbruck - Familiengericht -, in dem Verfahren: 005 F 716/08, wegen Umgangsregelung vom 08.09.2008 - Verfahren wurde eingestellt.

Strafrecht:

StGB

Stichwort: Rechtsbeugung
- Sachverhaltsfälschung
- Rechtsnorm
- falsche Anwendung
Ermessensmißbrauch
- Ermessensentscheidungen
- Unterlassung
- Nichtstellung sachgemäßer Fragen
Unterlassung

Rechtsquelle: StGB, § 339 iVm 336;

Schrifttum:

Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 21. Auflage 2001, § 339 Rdnr. 4 (s. 2596) – m.w.Lit.u.Rspr.N. -

Auszug aus dem Antrag vom 09.04.2008:

... “Rein vorsorglich wird jetzt schon einmal daraufhin gewiesen, dass es sich im vorliegenden Fall bereits um den Straftatbestand der Rechtsbeugung handelt, wenn die Menschenwürde aus Art. 1 I GG missachtet wird, siehe dazu die Ausführungen unten, a.a.O.

Stichwort: Rechtsbeugung
- Menschenwürde
- Missachtung

Rechtsquelle: StGB, § 339; GG Art. 1 I

Rechtsprechung:

Der Straftatbestand der Rechtsbeugung aus § 339 StGB ist bereits schon dann erfüllt, wenn ein Verfassungsbruch gegen die Menschenwürde aus Art. 1 I GG – hier: Missachtung -, vgl. auch dazu die Rspr. des 3. Strafsenats des BGH, Beschluß vom 11.04.1997 – 3 StR 567/96 – sowie des 5. Strafsenats des BGH, Beschluß vom 15.05.1997 – 5 StR 121/97 und 5 StR 580/69 -; siehe auch dazu BGH, in : BGHSt 40, 167 f.; 41, 254, begangen worden ist; vgl. auch dazu ferner, BVerfG, in: NJW 1997, Seite 929, 931; 1998, Seite 2585; und BVerfG, in: NStZ, 1998, Seite 455”. ...

Zitat Ende.

Öffentl. Recht

- Staats- und Verfassungsrecht
- Staatslehre
Grundgesetz (GG)

Stichwort: Grundrechte
- Menschenwürde
- Unantastbarkeit

Rechtsquelle: GG, Art. 1 I 1 und 2

Rechtsprechung:

BVerfG, in: BVerfGE 45, 187, 237 f;

Stichwort: Menschenwürde
- Verletzungsvorgang

Rechtsquelle: GG, Art 1 I 1 uns 2

Rechtsprechung:

BVerfG, in: BVerfGE 50, 166, 175;
BVerfGE 87, 209, 228;
BVerfGE 27, 1, 6;

BVerfG, in: BVerfGE 96, 375, 400
- Erniedrigung
- Brandmarkung
- Ächtung
- Kommerzialisierung

BVerfG, in: BVerfGE 102, 347, 367;
- Folter
- Sklaverei
- Leibeigenschaft
- Stigmatisierung

BVerfG, in: BVerfGE 50, 166, 175;
BVerfGE 87, 209, 228;

Es darf nicht angehen, dass der Anzeigeerstatter in dem vorliegenden Verfahren vor dem Amtsgericht München – Familiengericht - zum bloßen Objekt des Staates gemacht wird, vgl. dazu oben, a.a.O., die Rspr des BVerfG. Und das gleiche gilt auch für die Tochter des Anzeigeerstatter.

Rechtsähnlich BVerfG,in: BVerfGE 27, 1, 6.

Stichwort: Grundrechte
- Menschenwürde
- Schutzbereich
- Eingriffe

Rechtsquelle: GG, Art 1 I 1 und 2

Rechtsprechung:

BVerfG, in: BVerfGE 30, 1, 26;
BVerfGE 45, 187, 228;
BVerfGE 50, 166, 175;
BVerfGE 72, 105, 115 f.;
BVerfGE 87, 209, 228;
BVerfGE 88, 203, 296;

Schrifttum:

Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Loseblattsammluzng, Kommentar, Stand: 2004, Art. 1 Rdnr. 28 ff. - m.w.Lit.u.Rspr.N. -,

Fundstellen: BVerfGE 6, 72; 8, 210, 220 f.; 32, 71; 39, 38.

Auszug

... „Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist diejenige Verfassungskonforme Auslegung und Anwendung dabei zu wählen, die die juristische Willenskraft der Grundrechtsnorm entfaltet, vgl. dazu BVerfG, in: BVerfGE 6, 72; 8, 210, 220 f.; 32, 71; 39, 38. ...

Fundstellen: BVerfGE 8, 210, 220 f.

Auszug

... “Sind mehrere Darlegungen einer Norm möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht, vgl. dazu BVerfG, in: BVerfGE 8, 210, 220 f.”. ...

Verfassungsbruch aus Art. 19 IV 1 iVm Art. 20 III iVm Art. 103 I iVm Art. 2 I iVm Art. 1 I GG: ebenso gegen das Völkerecht aus Art. 1, 8, 14 und 17 EMRK und der UN-KRK 3, 9, 18, 21, 36 und 40.

Das ist ein absoluter Verfassungsverstoß aus Art. 19 IV 1 GG. Auf die einschlägige Rspr. des BverfG's wird ausdrücklich verwiesen; vgl. auch dazu BverfG, in: BverfGE 35, 382, 401 f.; 49, 329, 340 ff.; 84, 34, 49; 96, 27, 38; 100, 313, 364; 101, 397, 407-

Siehe auch den Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des BverfG's vom 19.02.1997 – 2 BvR 2989/95 -, veröffentlicht, in: juris

Wer so massiv gegen das Internationale Recht – UN-Konventuion der Rechte der Kinder (KRK) -, KRK, Art. 1 ff., sowie einen schwerwiegenden Völkerrechtsbruch aus Art. 20 III in Verbindung mit Art. 25 in Verbindung mit Art. 1 II mit III des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 8 der EMRK, siehe auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 26.02.2004, in FamZ 2004, Seite begeht oder begangen hat (vgl. auch dazu Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1 und 20 GG – Verfassungsgrundsätze -), der darf sein Amt nicht mehr länger ausüben, und stellt für die Bundesrepublik Deutschland eine sehr große Gefahr für die Verfassungsgrundsätze da.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die Sendung in der ARD „PANORAMA“ vom 30. Juni 2006, um 21:45 Uhr, hinzuweisen, wo es um das Thema gibt:

„Kind ins Heim, Eltern verzweifelt – wie Jugendämter überreagieren“

Und noch auf die Sendung von ;Montag, den 02. Jnui 2008, im NDR um 23:00 Uhr:

„Wenn Jugendämter versagen“

Anhörung des Kindes gemäß § 50 b FGG
NJW 2005, Seite 1681 ff.
NJW 1981, Seite 217

Sorgerecht

Leitsätze aus Urteilen zum Entzug, dem Ruhen und der Einschränkung der elterlichen Sorge
Urteile der obersten Bundesgerichte, des OLG Naumburg und anderer Gerichte
Urteile der obersten Bundesgerichte
Die Trennung des Kindes von der Familie führt nicht zum Verlust von Elternrechten. Die Eltern haben gegenüber dem Staat den Vorrang als Erziehungsträger. Der Staat darf in die Elternrechte nur zum Schutz des Kindes eingreifen. Das Kind hat eigene Grundrechte, nämlich eine eigene Menschenwürde und eigenes Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit.
BVerfG, 29.07.1968, Quelle: FamRZ 68, 578

Gerichte dürfen in Sorgerechtsstreitigkeiten nicht selbst entscheiden, sondern die Entscheidungsbefugnis nur auf den besser geeigneten Elternteil übertragen. Bei Entscheidungen über die Einschulung ist das Kind anzuhören.
BVerfG, 04.12.2002, Quelle: FamRZ 03, 511

Bei einer Entscheidung über die elterliche Sorge kommt es nicht darauf an, ob die Kindeswohlgefährdung verschuldet wurde. Eine Trennung des Kindes von der Familie ist nur als letzte Möglichkeit zulässig. Es ist nicht Aufgabe des Staates, jedem Kind die bestmögliche Entwicklung zu ermöglichen, insofern steht den Eltern ein Handlungsfreiraum zu.
BVerfG, 17.02.1982, Quelle: FamRZ, 82, 567Das

Elternrecht der elterlichen Sorge ist gleichermaßen Pflicht und Recht. Der Staat darf nur zum Schutz des Kindeswohls in das Recht eingreifen, wenn die Eltern sich nicht einigen können. Die Entscheidung, das Sorgerecht bei einer Scheidung zu trennen, obwohl die Eltern eine gemeinsame Sorge wünschen, verletzt daher das Elternrecht aus Art. 6 GG
BVerfG, 03.11.1982, Quelle: FamRZ 82, 1179

In eine Sorgerechtsentscheidung muss das Gericht immer auch zu befürchtende Schäden für das Kind einbeziehen. Sie ist immer eine Prognoseentscheidung.
BVerfG, 22.08.2000, Quelle: FamRZ 00, 1489

Die alleinige elterliche Sorge für eine Mutter bei nichtehelichen Kindern verletzt nicht das Elternrecht des Vaters weil das Kindesinteresse, ab Geburt einen handlungsfähigen Sorgeberechtigten zu haben, dessen Elternrecht überwiegt.
BVerfG, 29.01.2003, Quelle: FamRZ 03, 358

Pflegeeltern sind im Sorgerechtsverfahren nicht Beteiligte, sondern nur Anzuhörende. Ihnen steht daher kein Beschwerderecht zu. Sie haben keinen Anspruch auf rechtliches Gehör.
BGH, 25.08.99, Quelle: FamRZ 00, 219

Urteile des OLG Naumburg

Eine Sorgerechtsübertragung mit dem Ziel der Herausnahme des Kindes aus der Adoptivpflegefamilie nach 1,5 Jahren ist unzulässig, da die Bindungen des Kindes vorrangig vor dem Elternrecht des Vaters sind, selbst wenn dieser erst nach der Inpflegegabe von seiner Vaterschaft Kenntnis erhält
OLG Naumburg, Sommer 01, Mitteilg. LJA

Ist bei gemeinsamer elterlicher Sorge ein Elternteil verschwunden, so ist das Ruhen der Sorge, nicht der Entzug, auszusprechen, da dies den geringeren Eingriff in die Elternrechte bedeutet.
OLG Naumburg, 04.07.2001, FamRZ 02, 258

Eine Verbleibensanordnung reicht als milderer Eingriff in das Sorgerecht aus, wenn das Kindeswohl zukünftig nicht mehr gefährdet ist. Allein die Dauer eines Pflegeverhältnisses kann zur Notwendigkeit einer Verbleibensanordnung führen wenn das Kind sich an die Pflegeeltern bindet. Das Sorgerecht kann nicht auf Grund von Vorfällen in der Vergangenheit entzogen bleiben, wenn gleiche Handlungen für die Zukunft nicht zu erwarten sind (hier: versuchte Tötung des Kindes nach der Geburt). Die Gesundheitsfürsorge kann bei Anfallsleiden auch ohne Einverständnis der Mutter auf die Pflegeeltern übertragen werden.
OLG Naumburg, 30.10.2001., Quelle: FamRZ 02, 1274

Verweigerung der Zustimmung zu Schwangerschaftsabbruch ist keine Kindeswohlgefährdung und rechtfertigt keinen Entzug der elterlichen Sorge, es sein denn, die Eltern verweigern der schwangeren Tochter jegliche Unterstützung für die Versorgung des Kindes.
OLG Naumburg,19.11.2003,ZfJ 04, 467

Urteile anderer Gerichte

Das Sorgerecht kann entzogen werden, wenn Eltern nicht in der Lage sind, eine Bindung zum Kind aufzubauen, ihm nicht als vertrauensvolle Ansprechpartner zur Verfügung stehen und darüber hinaus das Kind durch starke Schwankungen zur Unterbringung in der Pflegefamilie verunsichern. Das Sorgerecht ist nicht nur eine formale Entscheidungsgewalt, sondern auch eine Vertrauensposition gegenüber dem Kind, die nicht vom traumatisierendem Elternteil wahrgenommen werden kann.
OLG Hamm, 08.08.2001, Quelle: FamRZ 02, 692

Die Vorläufige Anordnung auf Herausgabe eines Kindes ist nur bei nicht aufschiebbarem Bedürfnis (Gefahr) zulässig. Die Voraussetzungen für einen Sorgerechtsentzug müssen vorliegen. Im Verfahren sind die Eltern in jedem Fall persönlich anzuhören. Zur Durchsetzung der Entscheidung kommt die Anwendung von Gewalt nur als letztes Mittel in Betracht.
OLG Düsseldorf, 22.04.94, Quelle: ZfJ 94, 537

Das Sorgerecht kann auch auf einen Elternteil übertragen werden, wenn dieser es nicht wünscht, da Sorgerecht in erster Linie Pflicht und erst in zweiter Linie Recht ist.
OLG Karlsr., 27.07.98, Quelle: ZfJ 86, 352

Kindeswille hat im Sorgerechtsverfahren zwei Funktionen: Er ist Ausdruck für die Bindung des Kindes an Personen und darüber hinaus ein Akt der Selbstbestimmung des Kindes. Je älter das Kind, desto stärker gilt die zweite Funktion, als Grenze für die Fähigkeit zur Selbstbestimmung wird das 14. Lebensjahr angenommen.
OLG Zweibr., 29.06.00, Quelle: FamRZ 01, 186

Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes und Regelung des Umgangs durch Jugendamt bei unverschuldetem Erziehungsunvermögen der Mutter (Vernachlässigung der Kinder).
BayOLG, 15.4.94, Quelle: ZfJ 94, 540

Leidet ein Kind unter Schulphobie und weigert sich die Mutter, eine ärztliche Begutachtung vornehmen zu lassen, ist ein teilweiser Entzug der Personensorge zur Begutachtung des Kindes ein angemessener Eingriff in die elterliche Sorge. Die Anwendung von Gewalt gegen die Mutter zur Durchsetzung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes ist zulässig
BayOLG, 23.08.95, Quelle: ZfJ 96, 106

Wenn die Mutter das Kind aus der Pflegestelle herausnehmen will, obwohl dies dem Kindeswohl schadet, ist ihr nicht die elterliche Sorge zu entziehen. Vielmehr reicht eine Verbleibensanordnung als geringerer Eingriff in die elterliche Sorge aus, um das Kindeswohl zu sichern.
BayOLG, 05.04.00, Quelle: FamRZ 01, 563

Eine gerichtliche Herausgabeanordnung wird durch die Rückführung der Kinder in den elterlichen Haushalt erledigt. Die Vernachlässigung der Kinder wegen mangelnder Erziehungs- und Förderkompetenz ist ein Grund für den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes.
BayOLG, 06.10.00, Quelle: FamRZ 01, 562

Kinder haben eigene Grundrechte. Der Entzug der elterlichen Sorge ist zulässig, wenn die Mutter über einen längeren Zeitraum keinen emotionalen Zugang zu den Kindern und ihren Bedürfnissen findet und diese massiv missachtet, um eigene Wertvorstellungen durchzusetzen (Sorgerechtsmissbrauch, hier: Wahl einer religiös orientierten Schule durch die strenggläubige Mutter gegen den ausdrücklichen und langanhaltenden Wunsch der Kinder).
AG München, 05.06.2001, Quelle: FamRZ 02, 690

Sorgerechtsentzug kann trotz wiedergewonnener Erziehungsfähigkeit aufrecht erhalten werden wenn die Rückübertragung eine stabile Entwicklung des Kindes gefährden würde.
OLG Frankfurt, 28.02.2002, Quelle: FamRZ 02, 1277

Kann die Mutter die mit ihrer Erkrankung verbundene Traumatisierung des Kindes nicht erkennen, kommt ein Sorgerechtsentzug und der Ausschluss des Umgangs in Betracht weil das Bedürfnis des Kindes nach emotionaler Geborgenheit und gesicherter Bindung verletzt wird.
OLG Frankfurt, 08.05.2002, Quelle: JH 03, S. 156

Weigert sich ein Elternteil, die Kinder zum Umgang herauszugeben, kann ein Ergänzungspfleger für den Umgang bestellt werden. Die Herausgabe der Kinder an diesen kann mit Zwangsmitteln (Zwangshaft, Gewalt gegen die Mutter) durchgesetzt werden. Weigert sie sich, Auskünfte zu erteilen, kann das Sorgerecht soweit entzogen und auf einen Pfleger übertragen* werden.
OLG Frankfurt, 03.09.2002, FamRZ 03, 159

Dem Fortbestand der Geschwisterbeziehung kommt insbesondere bei zerrütteten Elternbeziehungen große Bedeutung zu. Mangelnde Bindungstoleranz eines Elternteils rechtfertigt es, diesem die Sorge zu entziehen. Nur der unbeeinflusste Kindeswille kann für die Gerichtsentscheidung erheblich sein.

OLG Dresden, 29.08.2002, Quelle: FamRZ 03, 397
Straftat und eine längerandauernde Inhaftierung des Sorgeberechtigten allein rechtfertigen keinen Sorgerechtsentzug. Vielmehr ist als geringerer Eingriff in das Elternrecht das Ruhen der elterlichen Sorge auszusprechen.
OLG Dresden, 27.02.2003, Quelle: FamRZ 03, 1038

Verlangt die Mutter die Herausnahme von Kindern aus einer Wohngruppe und entspricht dies nicht dem Willen der 15- und 16- jährigen, gefährdet sie dadurch das Kindeswohl, was einen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes rechtfertigt.
KG Berlin, 26.09.2003, FamRZ 04, 483

Sorgerecht kann teilweise entzogen werden, wenn Vater sich durch aggressives Verhalten und Schüren von Ängsten bei Pflegekindern von diesen entfremdet.
OLG Köln, 07.07.2003, FamRZ 04, 827

Es gehört nicht zu den Aufgaben eines gerichtlich bestellten Betreuers, die elterliche Sorge für die Kinder ausüben. Versagen bei der elterlichen Sorge kann auch nicht zur Bestellung eines Betreuers führen.
BayOLG,28.07.2004,FamRZ 05, 236

Für die Trennung von Kindern von ihren Eltern reicht es nicht aus, dass andere Personen zur Erziehung besser geeignet wären. Eingriffe des Staates in das Recht auf Familienleben nach Art. 8 EMRK sind nur unter engen Voraussetzungen möglich. Der Staat hat bei Eingriffen, die mit Trennung verbunden sind, auf Zusammenführung von Eltern und Kind hin zu arbeiten.
OLG Hamm,10.09.2003,FamRZ 04, 1664

Wird im Scheidungsverfahren beantragt, nur einen Teil der elterlichen Sorge auf einen Elternteil allein zu übertragen, so darf auch nur über diesen Teil entschieden werden. Bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht sind folgende Kriterien zu berücksichtigen: Förderungsgrundsatz, Bindungen des Kindes, Wille des Kindes, Kontinuitätsgrundsatz.
OLG Brandenburg,30.04.2003, ZfJ 04, 348

Hat ein Vater erheblich zur Entfremdung zwischen sich und den zunächst bei der Mutter, dann bei Pflegeeltern lebenden Kindern beigetragen, ist es nicht zweckmässig, ihm das gesamte Sorgerecht zu überlassen, wenn die Gefahr besteht, dass er die elterliche Sorge missbräuchlich ausübt und dadurch das Kindeswohl gefährdet.
OLG Köln,07.07.2003,FamRZ 04, 827

Können Eltern den Schulbesuch der Kinder nicht sicher stellen und entschuldigen dies mit immer neuen Ausflüchten, kann ihnen das Sorgerecht teilweise entzogen werden, um die Kinder außerhalb des elterlichen Haushaltes unterzubringen, wenn die Eltern nicht bereit sind, Hilfe anzunehmen und die Hilfe geeignet ist, die Gefährdung des Kindeswohls (hier: die geistige Entwicklung der Kinder) sicher zu stellen. Bei dieser Maßnahme sind jedoch die anderen Auswirkungen einer Trennung von Eltern und Kind gegen die Gefährdung durch das Fernbleiben von der Schule abzuwägen. Der teilweise Entzug der elterlichen Sorge umfasst das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht, schulische Angelegenheiten zu regeln, sowie das Recht auf medizinisch/ therapeutische Versorgung und auf Einleitung von Maßnahmen der Jugendhilfe.
OLG Koblenz, 11.05.2005, FamRZ 06, 57

Bei erheblichen Streitigkeiten der Eltern und massiven Vorwürfen eines Elternteils gegenüber dem anderen, kann es zu einem Sorgerechtsentzug kommen, wenn die Kinder unter den Streitigkeiten leiden und ihr Wohl dadurch gefährdet ist. Hier: Massive Vorwürfe der Mutter, der Vater habe einen unmoralischen Lebenswandel, verknüpft mit massiver Ablehnung der neuen Partnerin des Vaters. Gleichzeitig hat die Mutter die Trennung offenbar emotional nicht verarbeitet.
OLG Koblenz, 20.09.2005, FamRZ 06, S. 143

Verweigert ein Elternteil den Umgang der Kinder mit dem anderen Elternteil, kann ihm nicht einfach das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen werden. In einem Verfahren nach § 1666 BGB ist immer zu prüfen, ob das Kindeswohl durch die Umgangsverweigerung gefährdet ist. Als Zwangsmittel zur Durchsetzung des Umgangs ist es daher nur bedingt geeignet. Dies gilt erst Recht, wenn die Angelegenheit durch eine einstweilige Anordnung geregelt werden soll.
OLG Thüringen, 10.08.2005, FamRZ 06, S. 280

Der Entzug der elterlichen Sorge ist gerechtfertigt, wenn Eltern ihre Kinder nicht zum Besuch einer öffentlichen Schule anhalten, sondern ihnen ihr Recht auf Bildung in Heimunterricht vermitteln wollen. Dies gilt selbst dann, wenn dieser Haltung der Eltern religiöse Motive zu Grunde liegen.
OLG Brandenburg, 14.07.2005, FamRZ 06, S. 358

Der Entzug der elterlichen Sorge ist gerechtfertigt, wenn Eltern ihre Kinder nicht zum Besuch einer öffentlichen Schule anhalten, sondern ihnen ihr Recht auf Bildung in Heimunterricht vermitteln wollen. Dies gilt selbst dann, wenn dieser Haltung der Eltern religiöse Motive zu Grunde liegen. Eine solche Haltung rechtfertigt auch den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes im Wege einer einstweiligen Anordnung.
OLG Hamm, 05.09.2005, FamRZ 06, S. 358

Voraussetzung für einen Entzug des Sorgerechts nach § 1666 BGB ist immer, dass konkrete Feststellungen die Prognose erlauben, dass bei unbeeinflusster Entwicklung beim Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Schaden eintritt. Die bloße Möglichkeit, bei zu Veränderungen an der Versorgungssituation des Kindes schnell eingreifen zu können, reicht nicht aus. Ist die Maßnahme nicht durchsetzbar, weil die Eltern mit dem Kind zur Zeit im Ausland sind, ist ein Sorgerechtsentzug ein ungeeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr und damit unzulässig.
OLG Hamm, 25.08.2005, FamRZ 06, S. 359

Entzieht ein Gericht Eltern das Sorgerecht, um diese zu einer Kooperation mit dem Jugendamt und anderen Helfern zu bewegen, belässt aber gleichzeitig die Kinder im Haushalt der Eltern, verstößt es gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Ein Sorgerechtsentzug darf nicht eingesetzt werden, um Druck auf Eltern auszuüben. Es ist immer zunächst zu prüfen, ob ein teilweiser Entzug der elterlichen Sorge ausreicht, wenn das Kindeswohl gefährdet scheint.
OLG Köln, 28.10.05, FamRZ 06, S. 877

Wenn Pflegemutter und leibliche Mutter die freiwillige Übertragung des Sorgerechts auf die Pflegemutter beantragen, ist diesem Antrag stattzugeben, auch wenn das Familiengericht meint, die Übertragung sei nicht in vollem Umfang erforderlich, um das Kindeswohl sicher zu stellen. Im Gegensatz zum Entzug der elterlichen Sorge (§ 1666 BGB) und der Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil (§ 1628 BGB) ist lediglich zu prüfen, ob Pflegeeltern und leibliche Eltern einvernehmlich die Übertragung der elterlichen Sorge wollen und ob das Kind längere Zeit in Familienpflege lebt. Hinsichtlich des Kindeswohls ist lediglich zu prüfen, ob dieses durch die Übertragung gefährdet wäre.
KG Berlin, 08.02.2006, FamRZ 06, S. 1291

Für die Entziehung des Sorgerechtes reicht es nicht, wenn lediglich die Mutter nicht erziehungsfähig ist. Ist der Vater bereit und geeignet die Erziehung wahr zu nehmen, müssen die Gerichte prüfen, ob eine Zusammenführung unter Berücksichtigung der damit entstehenden Belastungen des Kindes, möglich ist, wenn das Kind in einer Pflegefamilie lebt. Gibt es keinen Kontakt zwischen Kind und Vater, ist dieser vorsichtig anzubahnen. Bei der Entscheidung über den Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie kommt es nicht auf die höhere „Förderkompetenz der Pflegeeltern" an. Kein Kind hat Anspruch auf die „bestmöglichen“ Eltern. Es ist lediglich zu prüfen, ob die Bindungen des Kindes einer Herausnahme entgegenstehen. Wenn das Kind sicher an die Pflegeeltern gebunden ist, bedeutet dies nicht, dass es bei guter Begleitung nicht auch sichere Bindungen zum Vater aufbauen kann.
OLG Hamm, 30.08.05, FamRZ 06, S. 1476

Gefährdet ein Elternteil das Kindeswohl durch Vortäuschen oder Erzeugen von Krankheiten beim Kind das Kindeswohl (Münchhausen – by – proxy – Syndrom) ist der Entzug des Sorgerechts angezeigt.
OLG Celle, 03.02.2006, FamRZ 06, S. 1478

Gefährdet ein Elternteil das Kindeswohl durch  unkontrollierte Wutausbrüche und glaubhafte Suiziddrohungen gegenüber den Kindern auf Grund einer akuten psychischen Belastunssituation, kann ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Rahmen einer einstweiligen Anordnung entzogen werden. Die einstweilige Anordnung darf nicht aufgehoben werden, so lange sich keine schwerwiegenden Gründe ergeben, die für die Aufhebung sprechen. Insbesondere kann sie nicht verändert werden, wenn die Kinder dadurch wieder ihren Wohnort wechseln müssten, ohne das gesichert ist, dass sie am neuen Ort bleiben können. Der begründete Wille 13- jähriger Kinder ist dabei von entscheidender Bedeutung.
OLG Hamm, 31.05.2006, FamRZ 06, S. 1478

Verweigert ein Elternteil die Begutachtung des Kindes ohne hinreichenden Grund, kann ihm das Sorgerecht insoweit entzogen werden. Mit der Durchsetzung der Begutachtung kann ein Gerichtsvollzieher beauftragt werden. Besuchskontakte des anderen Elternteils müssen nicht nur geduldet, sondern auch gefördert werden.
OLG Rostock, 20.04.2006, FamRZ 06, S. 1623

Entscheidungen, mit denen der Entzug der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB angeordnet wird, sind in der Regel nicht zu befristen, weil nicht abzusehen ist, wie lange die Gefährdung andauert. Dies gilt auch bei minderjährigen Eltern, wenn der Entzug der elterlichen Sorge bis zum Eintritt der Volljährigkeit befristet wird.
OLG Karlsruhe, 04.10.2005, ZKJ, S. 215

Zuständigkeit

Für die Entscheidung über eine Hilfe oder in familienrechtlichen Sachen sind Zuständigkeitsfragen oft bedeutend.

Hilfe für junge Volljährige ist, soweit es um eine Fortsetzung vorheriger Hilfen geht, von dem Jugendhilfeträger zu tragen, der die vorherige Hilfe gewährt hat (§ 86 a IV ist insofern lex spezialis). Eine Änderung der Hilfeform führt nicht zu neuen Zuständigkeiten.
BverwG, 14.11.2002, Quelle: ZfJ 03, 1099

Das Jugendamt kann vom Träger der Eingliederungshilfe keine Kostenerstattung für die Unterbringung eines körperlich oder geistig behinderten jungen Volljährigen in einer Pflegefamilie verlangen. Der Unterhalt für den jungen Volljährigen ist im Rahmen der Jugendhilfe gem. § 39 SGB VIII durch das Jugendamt sicher zu stellen. Im Rahmen der Eingliederungshilfe kann der Lebensunterhalt nur vom Sozialleistungsträger übernommen werden, wenn die Hilfe in einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung gewährt wird, wird die Hilfe in einer Pflegefamilie erbracht, ist der Lebensunterhalt aus der Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) zu bestreiten. Die Leistungen von Jugendhilfe und Eingliederungshilfe sind nicht deckungsgleich, deshalb kann keine Kostenerstattung für die Kosten des Lebensunterhaltes erfolgen.
BVerwG, 02.03.2006, ZKJ 2006, S. 424

Die Zuständigkeit für die Hilfe ändert sich nicht, wenn ein junger Volljähriger auszieht. Für diese fortgesetzte Hilfe ist vielmehr der gleiche Jugendhilfeträger zuständig, der bisher die Hilfe erbracht hat.
OVG Münster, 14.9.2001, ZfJ 02, 353

Zuständig für Inobhutnahme ist Jugendamt, in dessen Bereich sich der Jugendliche tatsächlich aufhält. Amtshilfe ist bei einer Inobhutnahme nicht möglich. Zwei Monate sind als Orientierungsphase nicht zu lang, da dies für Orientierung noch normal ist.DIV- Gutachten, 11.09.97, Quelle: ZfJ 97, 422

Zur Pflicht des Jugendamtes nach Übernahme eines Pflegeverhältnisses gehört es, in angemessener Zeit eine Eingangsprüfung hinsichtlich der geeigneten und erforderlichen Hilfe vorzunehmen. Wird diese Pflicht nicht erfüllt und kommen Pflege-kinder hierdurch zu Schaden, haben sie einen Anspruch auf Schadensersatz. 
OLG Stuttgart,23.07.2003,ZfJ 04, 193

Auch bei der Unterbringung in einer Erziehungsfachstelle kann die örtliche Zuständigkeit für die Hilfe nach § 86 Abs. 6 SGB VIII wechseln, weil es für den Zuständigkeitswechsel nicht darauf ankommt, ob Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII oder Heimerziehung nach § 34 SGB VIII gewährt wird. Die Zuständigkeitsvorschrift stellt lediglich darauf ab, dass ein Kind längere Zeit in einer Familie betreut wird und dort schützenswerte Beziehungen und Bindungen entstehen.
OVerwG NRW, 07.06.2005, , ZKJ, S. 306

KINDESWOHL UND KINDESWILLE 1
Kindeswohl und Kindeswille in der Praxis der Jugendämter und Gerichte - Oder: Ein Exkurs in ein begriffliches Spannungsfeld von und zwischen Sozialpädagogik und Recht

Hans Leitner, Dipl Pädagoge

Vortrag auf der Fachtagung "Kindeswohl und Kindeswille in Sorge- und Umgangsstreitigkeiten" am 21./22.04.2005 in Bernburg

Das Thema meines Vortages als Vorgabe der Veranstalter zielt gleichermaßen auf Jugendämter und Gerichte ab und macht damit, wenn vielleicht auch nicht vordergründig beabsichtigt einen Wunsch deutlich: Erwachsene, seid euch im Interesse der Kinder einig. So berechtigt dieser Wunsch auch ist haben, wir es mit Blick auf Jugendämter und Gerichte mit
zwei unterschiedlichen Systemen zu tun, denen auch per Gesetz zwei unterschiedliche Aufträge bzw. Funktionen zugeschrieben sind, auch wenn eine Zusammenarbeit grundsätzlich angezeigt ist. Lassen Sie mich aus diesem
„Tatbestand“ heraus einen kritischen Blick auf zwei Bereiche werfen, in deren Zusammenspiel Kindeswohl und Kindeswille nicht immer leicht auszubalancieren sind. Es geht hier also weniger um das Subjekt der Begierde, sondern eher um das „Schlachtfeld“.

Kindeswohl und Kindeswille – zwei zentrale Kategorien in der Jugendhilfe

Doch zunächst zu meinem Verständnis von Kindeswohl und Kindeswille aus der Perspektive meiner Profession; der Jugendhilfe.

Zunächst bleibt ganz pragmatisch festzustellen, dass die Begriffe Kindeswohl und Kindeswille als solche im 1990
eingeführten SGB VIII, im Kinder- und Jugendhilfegesetz so nicht verfasst sind.

Bezogen auf das Wohl des Kindes wird dieses jedoch im SGB VIII in mehreren Kontexten direkt bestimmt, insbesondere
als Handlungsgrundsatz bei der Ausgestaltung sozial- und ordnungspolitischer Aufgaben sowie als Auftrag bei der Ausführung von Leistungen des Gesetzes, so im:
§ 1 – Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe,
§ 4 – Zusammenarbeit der öffentlichen Jugendhilfe mit der freien Jugendhilfe,
§ 7 – Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung,
§18 – Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge,
§ 20 – Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen,
§ 22 – Grundsätze der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen,
§ 23 – Tagespflege
§ 27 – Hilfen zur Erziehung,
§ 37 – Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie,
§ 38 – Vermittlung bei der Ausübung der Personensorge,
§ 42 – Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen,
§ 44 – Pflegeerlaubnis,
§ 45 – Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung,
§ 46 – Örtliche Prüfung,
§ 50 – Mitwirkung in Verfahren vor dem Vormundschafts- und Familiengerichten,
§ 51 – Beratung und Belehrung in Verfahren zur Annahme als Kind,
§ 65 – Besonderer Vertrauensschutz in der persönlichen und erzieherischen Hilfe,
§ 87c – Örtliche Zuständigkeit für die Beistandschaft, die Amtspflegschaft, die Amtsvormundschaft und die Auskunft nach § 58a.

Damit wird das Wohl des Kindes als inhaltlicher und sozialrechtlicher Begriff zur zentralen Kategorie des SGB
VIII.

Bezogen auf den Willen des Kindes gibt es im SGB VIII keine direkten Bezüge. Dies ist verständlicher Weise dadurch zuerklären, dass sich die Durchsetzung des Willens eines Kindes aus rechtlicher Perspektive über die Personensorge realisiert und deshalb in diesem Kontext unmittelbar Eltern bzw. andere mit der Personensorge beauftragte Personen angesprochen sind. Und dennoch sind im SGB VIII auch direkte Bezüge zwischen dem Willen des Kindes und der eigenständigen Durchsetzung bestimmt. Hier sind die gegeben Rechtsbezüge allerdings „zu übersetzen“, so z.B. mit Blick auf:

§ 1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe: in dem Sinne, dass jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hat.

§ 8 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen: in dem Sinne, dass Kinder und Jugendliche das Recht haben,
sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an das Jugendamt zu wenden.

§ 9 Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen: in dem Sinne, dass bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben des SGB VIII die wachsenden Fähigkeiten und das wachsende Bedürfnisdes Kindes oder des Jugendlichen zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln sowie die jeweiligen besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen ... zu berücksichtigen sind.

§ 11 Jugendarbeit: in dem Sinne, dass Angebote der Jugendarbeit an den Interessen von den jungen Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden sollen.

§ 42 Inobhutnahme: in dem Sinne, dass das Jugendamt verpflichtet ist, ein Kind oder einen Jugendlichen in
seine Obhut zu nehmen, wenn das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet.

§ 80 Jugendhilfeplanung: in dem Sinne, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen ihrer lanungsverantwortung den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen ... zu ermitteln haben.

Aus diesen Beispielen wird deutlich, dass sich der Begriff des Kindeswillen im SGB VIII u.a. über den Bezug auf die
Rechte, Interessen, Wünsche, Bitten, Fähigkeiten und Bedürfnisse von jungen Menschen erschließt.

An dieser Stelle ein kleiner erklärender Ausflug in Richtung des sicher nicht ganz unumstrittenen Modells der
Maslowsche Bedürfnispyramide, das ich als Denkmodell heranziehen möchte.
Maslow konstruiert eine Bedürfnispyramide ausgehende von den:

- Grundbedürfnissen nach Wasser, Luft, Nahrung, Unterkunft und Schlaf.
Darauf aufbauend ordnet er in einer Rangfolge weitere menschliche Bedürfnisse
zu, die:
- Sicherheitsbedürfnisse im Sinne materieller, beruflicher und Lebenssicherheit,
- sozialen Bedürfnisse in Form von Liebe, Freundschaft und Gruppenzugehörigkeit,
- Ich-Bedürfnisse als Annerkennung, Geltung und Selbstachtung sowie
- Selbstverwirklichungsbedürfnisse, die in der Individualität, Güte, Gerechtigkeit und Selbstlosigkeit ihren Ausdruck finden.

Dabei geht er davon aus, dass diese Bedürfnisse grundsätzlich in der genannten Rangfolge zu befriedigen sind, um der
jeweils nächsten Stufe vordergründig persönliche Bedeutung bei zu messen zu können.

Bezogen auf das Thema Kindeswille bedeutet dies, dass die Bedürfnisstruktur eines Kindes wesentlich durch dessen
persönliche Lebensumstände und von der aktuellen Konstitution des Kindes mit diesen umzugehen geprägt ist. Kindeswohl bedeutet demnach immer auch die Befriedigung von individuellen Bedürfnissen bzw. die Realisierung des Willens.
Um eine Kind, und darauf möchte ich letztlich hinaus, in Bezug auf die Bewertung seines Willens bzw. seiner Bedürfnislage beurteilen und abholen zu können, habe ich mich aktiv mit der Frage seiner derzeitigen Bedürfnisbefriedigung auseinanderzusetzen. Hier kann das Moslowsche Bedürfnismodell u.a. hilfreich
sein sich dem Willen eines Kindes anzunähern und es dort abzuholen, wo es sich derzeit befindet.

Im Ergebnis dieser Betrachtung kann mit der Folie des SGB VIII und der sich daraus ergebenden Praxis der Jugendämter
konstatiert werden, dass sich, wenn auch rechtlich unbestimmt, Kindeswohl und Kindeswille als zwei eigenständige Kategorien abbilden lassen.

Das Spannungsfeld von Kindeswohl und Kindeswille

Eine ernsthafte Diskussion über den Bezug von Kindeswohl und Kindeswille fand zu Beginn der 90er Jahre des letzten
Jahrhunderts seine praktische Ausprägung in Debatte um den „Anwalt des Kindes“[1], die aus der Perspektive der Verbesserung der rechtlichen Vertretung von Minderjährigen geführt wurde. Dabei wurde davon ausgegangen, dass bei gerichtlicher Entscheidung neben dem Aspekt des Kindeswohls auch der Willen der jungen Menschen Berücksichtigung finden sollte, um die Tragfähigkeit gerichtlicher Entscheidungen für das folgende Alltagsleben zu erhöhen. Diesbezüglich stand hier der Umstand im Mittelpunkt der Überlegung, dass
Kindeswohl und Kindeswille nicht unbedingt im Einklang miteinander stehen müssen. So ging u.a. Salgo davon aus, dass im Rahmen einer dualen Vertretung das Dilemma zwischen Kindeswohl und Kindeswille zu mildern sei, in dem Sinne, dass
das Gericht durch die getrennte Stellungnahme zum Kindeswohl (durch das Jugendamt) und zum Kindeswille (durch einen Beistand) ein umfassenderes Gesamtbild als Grundlage für eine „balancierte“ Entscheidung erhält.[2]

In diesem Sinne sei ausdrücklich festgehalten, dass diese Debatte in Anerkennung eines wesentlichen Umstandes
geführt wurde und auch weiterhin geführt werden muss: Kindeswohl und Kindeswille sind zwei voneinander unabhängige Kategorien, die im Einzelfall in Konflikt eraten, sich konträr gegenüberstehen können und in der Regel auch nicht aufzulösen sind.

Trennungs- und Scheidungssituationen geben hierfür die prägnantesten Beispiele. Wenn Erwachsene sich zur Trennung
entscheiden hat dies zur Konsequenz, dass diese Entscheidung insbesondere aus einer konfliktträchtigen Partnerschaft heraus auch auf deren Kinder diffus wirkt.

Aus der Perspektive des Kindeswohls scheint eine klare und schnelle Entscheidung zur Personensorge bzw. zum
Aufenthalt des Kindes verständlich. Häufig steht diese jedoch nicht im Einklang mit dem Willen des Kindes selbst, beide Elternteile auch weiterhin in seiner unmittelbaren Umgebung zu wissen.

Eine getrennte „Bestandsaufnahme“ zur Frage des Kindeswohls – Welche ist die vermeintlich günstigere Entscheidung zur
Personensorge? – bzw. zum Willen des Kindes – Welches ist die durch das Kind gewünschte Situation? – hat sich als ebenso hilfreich erwiesen, wie eine entsprechende Vertretung und Begleitung von Kindern und deren Eltern vor, während und nach der familiengerichtlichen Entscheidung. Dies kann, wie bereits gesagt, den sich darüber abgebildeten Konflikt nicht verhindern aber begleitend mildern und insbesondere Kindern helfen, Kindeswohl und Kindeswille in Einklang
zu bringen.

Selbstredend, ohne bisher explizit darauf hingewiesen zu haben, kommt hier Gerichten und Jugendämtern gleichermaßen, wenn auch mit unterschiedlichen Aufträgen, Verantwortung zu und Sie erlauben hier etwas poentiert zu sein; klare aber auch tragfähige Verhältnisse in Situationen zu schaffen, in denen Familien nicht mehr aus eigener Kraft in der Lage oder bereit sind, den Alltag für sich und ihre Kinder zu meistern.

Kindeswille ist nicht Kindeswille und Kindeswohl noch lange nicht

Meinen wir das Gleiche, wenn wir über den Willen eines Kindes und sein Wohl sprechen?

Zunächst sei die These erlaubt, dass jedes System der Erledigung eines eigenständigen (gesetzlichen und fachlichen)
Auftrages nachgeht und somit auch sein eigenes Verständnis, sein eigenes Konzept und seine eigene Sprache entwickelt.

Es ist also davon auszugehen, dass Jugendämter und Gerichte, um im Sprachgebrauch des Titels meines Vortrages zu
bleiben, Kindeswohl und Kindeswille ansprechen, aber diesen vom Bedeutungsgehalt her verschieden interpretieren bzw. unterschiedlich ausfüllen.

Die (sozial-)pädagogische Perspektive

In der (Sozial-)Pädagogik wird z.B. das Interesse (eines Kindes) als eine andauernde Verfassung beschrieben, die zu
einer erhöhten Aufmerksamkeit bzw. aktiven Teilhabe und zum Handeln veranlassen. Der Entwicklung von Interessen wird deshalb z. B. im Rahmen der Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII bei der Gewährung einer Hilfe zur Erziehung besondere
Bedeutung beigemessen, da sie als zentrales Moment der Persönlichkeitsentwicklung verstanden wird. In diesem Sinne stehen unter (sozial-) pädagogischer Fokussierung Interessen von Kindern und deren Entwicklung für einen Prozess der Erkenntnisgewinnung und Teilhabe, der als Teil des Lern- und Sozialisationsprozesses von Kindern beschrieben werden kann. Dies bedeutet verkürzt, dass Kinder gemäß ihrer Alltagserfahrungen und der Möglichkeiten zu deren Verarbeitung mehr oder weniger in der Lage sein werden, eigene Interessen zu entwickeln, zu artikulieren und diese auch zunehmend selbst zu vertreten. Dies erfordert u.a., dass Kinder die Möglichkeit erhalten, am Modell „Alltag“ entsprechende Erfahrungen zu sammeln und angemessen dabei begleitet zu werden. Diese Funktionen erfüllt zunächst grundsätzlich die Familie.

Macht es sich auf Grund einer Mangelsituation erforderlich auf Angebote der Jugendhilfe zurückzugreifen kann
davon ausgegangen werden, dass Familie entweder nicht mehr bereit bzw. nicht mehr in der Lage ist, diese Funktionen wahrzunehmen. Eine solche Situation der eingeschränkten bzw. fehlenden Interessenvertretung der Kinder ist z.B. bei
Trennung und Scheidung, psychischer Krankheit, einer salopp bezeichneten „Erziehungsuntüchtigkeit“ oder bei fehlender Erziehungsbereitschaft potentiell gegeben. Hier wirkt Jugendhilfe auftragsgemäß familienergänzend bzw.
familienersetzend.

Da das Wörterbuch der Sozialen Arbeit darauf verzichtet, sich dem Interessenbegriff zuzuwenden, lassen Sie mich auf
eine Definition des Erziehungswissenschaftlers Roth verweisen.

Die Interessen sind zu verstehen, als das Ergebnis von Erfahrungen des eigenen Begehrens und Wollens. Roth meint damit
den unmittelbaren Zusammenhang zu den Bedürfnissen, die sich gemäß des Wert- und Sacherlebens in uns (ab-)gebildet haben. In diesem Sinne sind Interessen Bereitschaften zum Handeln, die sich zwischen äußeren Pflichten und inneren
Bedürfnis aufbauen und eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Welt und sich selbst erzeugen.[3] Nennen wir es an dieser Stelle illustrativ Neugier und Tatendrang.

In diesem Sinne ist der Auftrag der Jugendämter Kinder in besonderen Lebenslagen schützend zu beraten und zu begleiten, um ganz grundsätzlich deren Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Welt (der Erwachsenen) und sich selbst wach zu halten oder in der Praxis der Jugendämter und Gerichte deren Interessenvertretung wachsam zu gewährleisten.

Die rechtliche Perspektive

Zunächst nimmt die sozialpädagogische Fachkraft wahr, dass der Interessenbegriff in Bezug auf die jungen Menschen im
Rechtskontext eine feste Größe darstellt und sich im Zusammenhang mit der Personensorge, der gesetzlichen Vertretung, der vermögensrechtlichen Sorge oder das Unterhaltsrecht als Verhältnis der Personensorgeberechtigten zum jungen
Menschen darstellt. Jedoch ist auch im gleichen Zuge zu erfahren, dass es sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der im Ermessen des Einzelfalles rechtlich auszugestalten ist. Hiermit ist die sozialpädagogische Fachkraft zwar traditionell und strukturell zunächst unzufrieden aber über die Praxis der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII durchaus geübt.

Ich möchte zunächst die Verfahrensvorschriften des Gesetzes über die Freiwillige Gerichtsbarkeit (FGG) bemühen, um die Begriffe Kindeswohl und Kindeswille aus rechtlicher Perspektive zu erschließen.

Im § 52 FGG z.B. ist das Wohl des Kindes in Bezug auf die Gestaltung des Verfahren genannt:

Soweit dies (das Hinwirken auf ein Einvernehmen der Beteiligten) nicht zu einer für das Kindeswohl
nachteiligen Verzögerung führt, soll das Gericht das Verfahren aussetzen, wenn ...

Im § 50b FGG z.B. ist ausdrücklich vom Willen des Kindes in Bezug auf die Gestaltung des Verfahrens die Rede:

Das Gericht hört in einem Verfahren, das die Personen- oder Vermögenssorge betrifft, das Kind persönlich an, wenn die
Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn es zur Feststellung des Sachverhaltes angezeigt erscheint, dass sich das Gericht von dem Kind einen unmittelbaren Eindruck
verschafft.

Der § 50 FGG bestimmt folglich, dass bei erheblichen Interessenkonflikten, die einen faktischen Ausfall der Personensorge nach sich ziehen, diese durch die Einsetzung eines Verfahrenspflegers auszugleichen ist, der insbesondere mit dem Mandat der Vertretung des Wohl des Kindes und der Wahrung der Interessen des Kindes im gerichtlichen Verfahren betraut ist und so, wenn auch rechtlich dem Kind ohne Einschränkung der elterlichen Sorge „lediglich“ zur Seite gestellt, faktisch amilienersetzende zumindest aber familienergänzende Funktionen der Personensorgeberechtigten aus der Perspektive der Gerichte realisiert.

Das Gericht kann dem minderjährigen Kind einen Pfleger für ein seine Person betreffendes Verfahren bestellen, soweit
dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist.

Damit stellt der Gesetzgeber die Kindesinteressen über die Interessen anderer am Verfahren Beteiligter, was
soviel bedeutet: Im Zweifel für die Interessen des Kindes.

Überführen wir diesen Gedankengang, der uns in Bezug auf § 52 FGG vom Kindeswohl vorbei an § 50b FGG zum Willen des Kindes und abschließend zu § 50 FGG zu den Interessen des minderjährigen Kindes führt strukturell zusammen, so wird deutlich, dass der zentrale Begriff hier das Kindesinteresse darstellt über den Aspekte des Wohls und des Willens eines Kindes im Verfahren zusammengeführt eingebracht werden sollen.

Eine Frage, die sich aus der Perspektive der Jugendämter stellt, ist und dies vielleicht auch aus der nichterfüllten Hoffnung heraus, die im SGB VIII rechtunbestimmte Begriffsbestimmung zu Kindeswohl und Kindeswille mit Hilfe der „Justiz“ auflösen
zu können: Warum wird im Rahmen der Verfahrensvorschriften des FGG eine eindeutige Begriffsbestimmung vermieden?

Die (sozial-)pädagogische Lesart dieses Umstandes wäre, dass der Gesetzgeber mit Rücksicht auf die Kinder und in der
Absicht grundsätzlich einvernehmliche Urteile zu erreichen hier absichtsvoll eine eindeutige Bestimmung vermieden hat, um in einem mit den beteiligten Eltern und Kindern sowie mit der zur Zusammenarbeit verpflichteten Jugendhilfe in einem
eher dialogischen Verfahren Urteile zu fällen, die als konsensfähig insbesondere durch beide Elternteile getragen werden und so am weitesten dem Kindeswohl und dem Kindeswille entsprechen.

Perspektive eines Dialogs

Die beispielhaft beschriebenen strukturell-rechtlichen Rahmenbedingungen der Praxis der Jugendämter und Gerichte unter dem Fokus der Ausbalancierung des Kindeswohls und des Kindeswillen gegeneinander und zu den Interessen der
Personensorgeberechtigten illustrieren in Ansätzen die Schwierigkeit, beiden Aspekten gleichermaßen angemessen gerecht zu werden.

Zu verschieden sind die gesetzlichen Aufträge, zu unterschiedlich ist das professionelle Selbstverständnis, zu ungleich stellt sich die „Machtverteilung“ dar, dass eine Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe zunächst unmöglich erscheint.

Und dennoch möchte ich behaupten, dass gerade wegen dieser Unterschiedlichkeiten eine gelingende Kooperation im Sinne der Wahrung von Kindeswohl und Kindeswille wahrscheinlich ist.

Denn eigentlich:

- sind die Aufträge, wenn auch verschieden, klar,
- sollte das professionelle Selbstverständnis zu einer in der Praxis notwendigen Rollenklärung bzw. Klarheit beitragen und
- sollte die rechtlich bestimmte „Machtverteilung“ eher Handlungssicherheit zur Folge haben,

wenn gesichert ist, dass:

- die eigenen Aufträge klar sind und in kritischen Situationen dadurch Rückbesinnung möglich ist,
- das professionelle Selbstverständnis der jeweils anderen Seite anerkannt wird und kompetentes Handeln nach sich zieht
- die „Machtverhältnisse“ eher als Verantwortung und Kompetenzverteilung verstanden, ausgestaltet und erlebt werden.

In diesem Sinne könnte sich ein Dialog zwischen Jugendamt und Gericht auszeichnen durch
das Einvernehmen darüber, dass:

- die Kindesvertretung unabhängig auf wessen Veranlassung grundsätzlich parteilich zum Nutzen des Kindes handelt,
- zeitliche Verzögerungen, unabhängig durch wen bzw. durch was auch verursacht dem kindlichen Bedürfnis nach Sicherheit entgegenstehen,
- zeitliche Verzögerungen, unabhängig durch wen bzw. durch was auch verursacht notwendige Maßnahmen zum Schutz des Kindes verzögern,
- kindliche Interessen immer geprägt sind durch Motive und Emotionen, die jenseits des aktuellen Verfahrens liegen,
- Kindeswohl und Kindeswille aus der Perspektive des Kindes selbst grundsätzlich und nicht vorsätzlich im Widerspruch zueinander stehen können,
- die Verständigung zu Interessen bzw. zum Wille des Kind durch die entwicklungsbedingte Differenz zwischen kindlicher und erwachsener Erlebens-, Verarbeitens- und Kommunikationsweise erschwert wird,
- das, was Kinder mitteilen nicht unbedingt mit dem in Übereinstimmung stehen muss, was es nicht mitzuteilen wünscht oder sogar wagt,
- Kinder ob ihrer entwicklungsbedingten Reflektionsmöglichkeiten bestimmte, scheinbar ersichtliche Interessen nicht erschließen können und demzufolge einer stellvertretenden äußeren Deutung bedürfen.

Inobhutnahme

ZBFS – BAYERISCHES LANDESJUGENDAMT München, den 15.03.2006
Landesjugendhilfeausschuss A 1 31 00/011/05

Empfehlungen zur Umsetzung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII

Allgemeine Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe ist es, Kinder und Jugendliche davor zu bewahren, dass sie in ihrer Entwicklung durch den Missbrauch elterlicher Rechte oder eine Vernachlässigung Schaden erleiden. Kinder und Jugendliche sind vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII). § 8a SGB VIII konkretisiert diesen allgemeinen staatlichen Schutzauftrag als Aufgabe der Jugendämter, verdeutlicht die Beteiligung der freien Träger an dieser Aufgabe und beschreibt Verantwortlichkeiten der beteiligten Fachkräfte der Jugendhilfe. Als letztverantwortlicher Gewährleistungsträger hat das Jugendamt durch Vereinbarungen mit Trägern von Einrichtungen und Diensten sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag in entsprechender Weise wahrnehmen (§ 8a Abs. 2 SGB VIII). Die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen und den freien Trägern zählt zu den wesentlichen Strukturmerkmalen der Kinder- und Jugendhilfe. Wichtige Arbeitsbereiche werden in weit überwiegendem Maße und fachlich qualifiziert von freien Trägern erbracht. Leistungen durch Einrichtungen und Dienste von Trägern, mit denen die Sicherstellung des Schutzauftrags nicht nach den nachfolgend genannten Standards vereinbart werden kann, werden jedoch von den Jugendämtern künftig nicht mehr in Anspruch genommen werden dürfen. In der konkreten Umsetzung dieses nunmehr gesetzlich detailliert bestimmten Schutzauftrags sind die Jugendämter gehalten, - durch interne aufbau- und ablauforganisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass dem Schutzauftrag im unmittelbar eigenen Verantwortungsbereich jederzeit ausreichend
Rechnung getragen wird, und - durch den Abschluss von Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, deren Leistungen das Jugendamt in der Wahrnehmung seiner Verpflichtungen in Anspruch nimmt, sicherzustellen, dass dort der in § 8a Abs. 1 genannte Standard des Schutzauftrags in entsprechender Weise zur Geltung kommt. Bereits bestehende einschlägige Dienstvorschriften, Handlungskonzepte und dergleichen sind darauf hin zu prüfen, ob sie den Standards dieser Empfehlung entsprechen, und ggf. fortzuschreiben. Es geht also nicht darum, einen neuen, spezialisierten Dienst zu schaffen, sondern bereits bestehende Handlungskompetenzen zu einer in sich geschlossenen Reaktionskette zusammen zu führen, deren wesentliche Elemente Wahrnehmen, Urteilen und Handeln sind.

I.
Standards für dienstliche Regelungen für die Fachkräfte des Jugendamts zur Erfüllung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung nach § 8a Abs. 1 SGB VIII
1. „Gewichtige Anhaltspunkte“

Auslöser der Wahrnehmung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII sind „gewichtige Anhaltspunkte“ für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen. Gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung sind Hinweise oder Informationen über Handlungen gegen Kinder und Jugendliche oder Lebensumstände, die das leibliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder Jugendlichen gefährden, unabhängig davon, ob sie durch eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes oder Jugendlichen, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten bestehen (vgl. hierzu auch § 1666 BGB). Als Kindeswohl gefährdende Erscheinungsformen lassen sich grundsätzlich unterscheiden
- körperliche und seelische Vernachlässigung,
- seelische Misshandlung,
- körperliche Misshandlung und
- sexuelle Gewalt.
Anhaltspunkte für Fachkräfte zur besseren Erkennung von Gefährdungssituationen sind im Wesentlichen im Erleben und Handeln des jungen Menschen zu suchen sowie in der Wohnsituation, der Familiensituation, dem elterlichen Erziehungsverhalten, der Entwicklungsförderung, traumatisierenden Lebensereignissen sowie im sozialen Umfeld. Sie müssen in der Anwendung altersspezifisch betrachtet werden. Auf die besondere Situation (chronisch) kranker und behinderter Kinder ist Rücksicht zu nehmen. Eine große Rolle spielt auch die Fähigkeit und Bereitschaft der Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zur Problemeinsicht, Mitwirkungsbereitschaft und der Motivation, Hilfe anzunehmen. Anhaltspunkte beim Kind oder Jugendlichen
1. Nicht plausibel erklärbare sichtbare Verletzungen (auch Selbstverletzungen)?
2. Körperliche oder seelische Krankheitssymptome (z. B. Einnässen, Ängste, Zwänge…)?
3. Unzureichende Flüssigkeits- oder Nahrungszufuhr?
4. Fehlende, aber notwendige ärztliche Vorsorge und Behandlung?
5. Zuführung die Gesundheit gefährdender Substanzen?
6. Für das Lebensalter mangelnde Aufsicht?
7. Hygienemängel (z. B. Körperpflege, Kleidung...)?
8. Unbekannter Aufenthalt (z. B. Weglaufen, Streunen…)?
9. Fortgesetzte unentschuldigte Schulversäumnisse oder fortgesetztes unentschuldigtes
Fernbleiben von der Tageseinrichtung?
10. Gesetzesverstöße?
Anhaltspunkte in Familie und Lebensumfeld
11. Gewalttätigkeiten in der Familie?
12. Sexuelle oder kriminelle Ausbeutung des Kindes oder Jugendlichen?
13. Eltern psychisch oder suchtkrank, körperlich oder geistig beeinträchtigt?
14. Familie in finanzieller bzw. materieller Notlage?
15. Desolate Wohnsituation (z. B. Vermüllung, Wohnfläche, Obdachlosigkeit…)?
16. Traumatisierende Lebensereignisse (z. B. Verlust eines Angehörigen, Unglück…)?
17. Erziehungsverhalten und Entwicklungsförderung durch Eltern schädigend?
18. Soziale Isolierung der Familie?
19. Desorientierendes soziales Milieu bzw. desorientierende soziale Abhängigkeiten?
3
Anhaltspunkte zur Mitwirkungsbereitschaft und –fähigkeit
20. Kindeswohlgefährdung durch Erziehungs- oder Personensorgeberechtigte nicht abwendbar?
21. Fehlende Problemeinsicht?
22. Unzureichende Kooperationsbereitschaft?
23. Mangelnde Bereitschaft, Hilfe anzunehmen?
24. Bisherige Unterstützungsversuche unzureichend?
25. Frühere Sorgerechtsvorfälle?
In den vom Bayerischen Landesjugendamt herausgegebenen Sozialpädagogischen Diagnosetabellen sind diese Anhaltspunkte berücksichtigt. Soweit in den Dienststellen andere diagnostische Instrumente, Beobachtungslisten und dergleichen verwendet werden, sind sie auf Vollständigkeit zu überprüfen.

2. „Mehrere Fachkräfte“, „erfahrene Fachkräfte“

2.1 Regelungen zur Zuständigkeit
Durch verwaltungsinterne Festlegungen ist ausdrücklich festzuhalten, welche Fachkräfte (namentlich) oder welche Organisationseinheiten (funktional) bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos zu beteiligen sind. Ferner ist festzulegen, wer innerhalb der eigenen Organisation herbeizuziehen ist. Dabei sind auch entsprechende Vertretungsregelungen zu treffen. Sofern die Informationen eine Organisationseinheit außerhalb des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) bzw. der Bezirkssozialarbeit erreichen, sind diese auf alle Fälle zu beteiligen. Eine jugendamtsinterne Verfahrensregelung stellt sicher, dass die Risikoabschätzung in der Regel in einer Helferkonferenz, kurzfristig mittels eines Kriseninterventionsteams, in einem akuten Notfall zumindest durch eine kollegiale Beratung mit einer weiteren erfahrenen Fachkraft gewährleistet ist. Die beschriebenen Verfahrensschritte sind unverzüglich nachzuholen, sofern Entscheidungen während eines Bereitschaftsdienstes getroffen werden mussten. Über das Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte und zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos ist der nächste Vorgesetzte unabhängig vom Ergebnis der eigenen Risikoabschätzung zu informieren.

2.Qualifikationen

Unbeschadet sonstiger Regelungen muss mindestens eine der beteiligten Fachkräfte („erfahrene Fachkraft“) bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos über folgende Qualifikationen verfügen:
- einschlägige Berufsausbildung (z. B. Dipl.-Sozialpäd., Dipl.-Psych., Arzt),
- Qualifizierung durch nachgewiesene Fortbildung,
- Praxiserfahrung im Umgang mit traumatisierten Kindern und Problemfamilien,
- Fähigkeit zur Kooperation mit den Fachkräften öffentlicher und freier Träger der Jugendhilfe,
sowie mit weiteren Einrichtungen, z. B. der Gesundheitshilfe, Polizei,…
- Kompetenz zur kollegialen Beratung; nach Möglichkeit supervisiorische oder coaching-
Kompetenzen,
persönliche Eignung (z. B. Belastbarkeit, professionelle Distanz, Urteilsfähigkeit).

3. Handlungsschritte

1. Nimmt eine Fachkraft gewichtige Anhaltspunkte wahr, teilt sie diese dem nächsten Vorgesetzten mit. Falls die Vermutung eines gewichtigen Anhaltspunkts für ein Gefährdungsrisiko in der kollegialen Beratung nicht ausgeräumt werden kann, ist die Abschätzung des Gefährdungsrisikos im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte formell vorzunehmen. Dabei sind die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird (§ 8a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII).

2. Werden Hilfen zur Erziehung zur Abwendung des Gefährdungsrisikos für erforderlich
gehalten, ist bei den Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme solcher Hilfen
hinzuwirken.
3. Werden zur Abwendung des Gefährdungsrisikos andere Maßnahmen für erforderlich
gehalten (z. B. Gesundheitshilfe, Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz), so ist bei den
Personensorgeberechtigten auf deren Inanspruchnahme hinzuwirken.
4. Reichen diese Maßnahmen nicht aus oder sind die Personensorgeberechtigten nicht in
der Lage oder bereit, sie in Anspruch zu nehmen, sind weitergehende Maßnahmen des Jugendamts
im Sinne eines umfassenden Schutzkonzepts erforderlich.
Das Ergebnis der Überlegungen über die jeweils weiteren Verfahrensschritte ist umgehend
schriftlich und nachvollziehbar zu dokumentieren.

4. Hinweise zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos

Die Verfahrensdauer von der ersten Wahrnehmung einer Gefährdung bis zur konkret notwendigen
Reaktion (z. B. Gespräch mit den Personensorgeberechtigten, Angebot von Hilfen,
Inobhutnahme, Verständigung der Polizei, Staatsanwaltschaft) ist um so kürzer, je gravierender
die Gefährdung ist. Bereits bei der ersten Risikoabschätzung ist daher abzuwägen,
ob ein sofortiges Einschreiten erforderlich ist oder ob und wie lange zugewartet werden
kann. Weiterhin ist die Schutzbedürftigkeit maßgeblich nach dem Alter, dem Entwicklungsstand
und dem aktuellen gesundheitlichen Zustand zu beurteilen. Je jünger das Kind, desto
höher ist das Gefährdungsrisiko einzuschätzen, ebenso wie bei bereits vorhandenen Entwicklungsverzögerungen,
bei chronischer Krankheit oder einer Behinderung.
Mit der Ersteinschätzung muss im Hinblick auf ein notwendiges Schutzkonzept das weitere
Vorgehen dahingehend überprüft und begründet werden, ob im Hinblick auf die Dringlichkeit
und Eilbedürftigkeit
- eine Inobhutnahme erfolgen muss,
- die Polizei/Staatsanwaltschaft oder Gesundheitshilfe eingeschaltet werden muss,
- das Familiengericht angerufen werden muss,
- ein sofortiger Hausbesuch durch die Fachkraft erforderlich ist, mit Unterstützung eines
Kollegen oder gegebenenfalls der Polizei,
- zur weiteren Abklärung vorab noch weitere Recherchen im Umfeld des Kindes eingeholt
werden können und
- ein Hausbesuch in den nächsten Tagen, in den nächsten Wochen oder auch später angemeldet
oder unangemeldet durchgeführt werden muss, damit sich die Fachkraft zur
richtigen Einschätzung und Bewertung ein eigenes Bild über den Zustand des Kindes,
über seine Lebensbedingungen und Entwicklungsperspektiven einholen kann.
Sofern bei Vorliegen einer akuten Gefährdung die Erziehungsberechtigten oder Pflegeeltern
bereit und in der Lage sind, ein konkretes Schutzkonzept für das Kind mit festgelegten Vereinbarungen
einzuhalten, ist die Risikoeinschätzung in zeitnahen Abständen zu wiederholen.
Dies gilt auch bei einem noch nicht geklärten Verdacht oder bei drohender Kindeswohlgefährdung.
Bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos sind daneben „kritische Zeitpunkte“ zu beachten,
insbesondere:
- Wechsel der fallvertrauten Fachkraft im Jugendamt,
- Wechsel der Zuständigkeit von einem Jugendamt zum andern,
- Wechsel der Verfahrensherrschaft vom freien Träger auf den öffentlichen Träger,
- Mitarbeiterwechsel aufgrund von Urlaub oder Personalfluktuation beim beauftragten Träger.
Das Ergebnis der Abschätzung des Gefährdungsrisikos ist umgehend schriftlich und nachvollziehbar
zu dokumentieren.

5. Beschaffung von Informationen (Regelungen zum Hausbesuch)
Da es das fachlich-immanente Ziel ist, die Personensorgeberechtigen sowie die Kinder bzw.
Jugendlichen auch im Hinblick auf die weitere Beachtung des Kindeswohls von Anfang an
mit einzubeziehen, soll zunächst immer die unmittelbare und vorrangige Informationsbeschaffung
über die Eltern/Personensorgeberechtigten im Rahmen der bestehenden Gesetze
angestrebt werden.
In der Regel erfolgt die Informationsbeschaffung über einen – fallweise unangemeldeten –
Hausbesuch. Dieser ist grundsätzlich zu zweit, nach Möglichkeit von einer weiblichen und
einer männlichen Fachkraft gemeinsam durchzuführen, bei Gefahr im Verzug notfalls unter
Einschaltung der Polizei (§ 42 Abs.6 SGB VIII).
Verhindern die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten die Wahrnehmung möglicherweise
gewichtiger Anhaltspunkte (z. B. durch Verweigerung der Inaugenscheinnahme des
Kindes oder der Wohnung), ist unbeschadet sonstiger Erwägungen in der Regel das Familiengericht
anzurufen.
Die Informationsbeschaffung bei weiteren Stellen erfolgt – soweit notwendig - zur Ergänzung
(oder ersatzweise) bzw. zur Kontrolle über die Richtigkeit der Informationen der Personensorgeberechtigten.
Weitere wichtige Informationsquellen sind insbesondere: Kindergarten,
Schule, Nachbarschaft, Jugendgruppe, Verein, Jugendfreizeitstätte, Einrichtungen der Hilfe
zur Erziehung, Dienste der Hilfe zur Erziehung.

6. Einbeziehung der Personensorgeberechtigten
Die Personensorgeberechtigten sind einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz
des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird (§ 8a Abs.1 Satz 2 SGB VIII).
Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet
und notwendig, so hat es diese den Personensorgeberechtigten anzubieten (§ 8a Abs.1
Satz 3 SGB VIII). Verweigern die Eltern die Beantragung der angebotenen Hilfen, so sind die
weiteren Schritte des Jugendamtes im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzusprechen
(sh. oben).
Die geeignete Reaktion sowie deren Begründung sind schriftlich und nachvollziehbar zu dokumentieren.

7. Einbeziehung des Kindes oder des Jugendlichen
Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gemäß § 8 SGB VIII (insbesondere altersgerechte
Beteiligung, Aufklärung über Rechte) ist zu beachten. Davon kann im Einzelfall nur
abgewichen werden, wenn durch die Einbeziehung ihr wirksamer Schutz in Frage gestellt
werden würde (§ 8a Abs.1 Satz 2 SGB VIII).
Das Ergebnis der Einbeziehung, alternativ die Gründe der Nichteinbeziehung, sind schriftlich
und nachvollziehbar zu dokumentieren.

8. Einleitung des Hilfeplanverfahrens
„Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet
und notwendig, so hat es diese den Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten
anzubieten“ (§ 8a Abs. 1 Satz 3 SGB VIII).
Das Nahebringen von entsprechenden Hilfen erfolgt in der Regel nach den Verfahrensvorschriften
für die Einleitung und Durchführung des Hilfeplanverfahrens (§ 36 SGB VIII) und
führt je nach Fallgestaltung über den Hilfeplan hinaus zu einem umfassenden Schutzkonzept,
in dem Leistungen und Maßnahmen außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe einbezogen
sind.
Die schriftliche Dokumentation des Hilfeplans, ggf. des umfassenderen Schutzkonzepts, ist
obligatorisch.

9. Anrufung des Familiengerichts
Ob eine Anrufung des Familiengerichts die richtige Maßnahme zur Abwehr der Gefährdung
des Kindes ist, hat das Jugendamt im eigenen Ermessen zu entscheiden. Eine Anrufung des
Familiengerichts kann auch dann in Frage kommen, wenn im Einzelfall die Einschaltung der
Strafverfolgungsbehörden zur Abwendung der Gefährdung als nicht ausreichend oder geeignet
erscheint (z. B. im Hinblick auf die Beweislage in einem Strafverfahren).
Die Grundlage für diese Entscheidung unter Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte sowie
die Ermessensabwägung ist entsprechend schriftlich und nachvollziehbar zu dokumentieren.
Im Übrigen erfolgt die Anrufung des Familiengerichts nach den im Jugendamt vorgegebenen
Verfahren.

10. Inobhutnahme
Für die Inobhutnahme aufgrund einer Entscheidung nach § 8a Abs.3 Satz 2 SGB VIII gelten
die weiteren Bestimmungen nach § 42 SGB VIII.
Die Grundlage für diese Entscheidung im Jugendamt unter Zusammenwirken mehrerer
Fachkräfte ist entsprechend schriftlich und nachvollziehbar zu dokumentieren.

11. Dokumentation
Künftig wird es für den Nachweis ordnungsgemäßen Handelns der Fachkräfte im Jugendamt
noch wichtiger sein, alle entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte schriftlich und nachvollziehbar
zu dokumentieren.
Die Dokumentationspflicht betrifft alle Verfahrensschritte, und zwar nach den im Jugendamt
eingeführten Standards, mindestens aber muss die Dokumentation bei jedem Verfahrensschritt
beinhalten: beteiligte Fachkräfte, zu beurteilende Situation, Ergebnis der Beurteilung,
Art und Weise der Ermessensausübung, weitere Entscheidungen, Definition der Verantwortlichkeit
für den nächsten Schritt, Zeitschiene für Überprüfungen.

12. Datenschutz
Soweit dem mit dem Fall befassten Jugendamt oder sonstigen Trägern zur Sicherstellung
dieses Schutzauftrags Informationen bekannt werden oder ermittelt werden müssen und die
Weitergabe dieser Informationen zur Sicherstellung des Schutzauftrags erforderlich ist, bestehen
keine die Wahrnehmung dieser Aufgabe einschränkenden datenschutzrechtlichen
Vorbehalte.
Insofern gilt der Grundsatz, dass Sozialdaten zu dem Zweck übermittelt oder genutzt werden
dürfen, zu dem sie erhoben worden sind (§ 64 Abs.1 SGB VIII, § 69 Abs.1 Nr`n 1 und 2 SGB
X). Bei anvertrauten Daten sind die Regelungen des § 65 Abs.1 Nr. 4 SGB VIII zu beachten.
Bei Zielkonflikten gilt der Grundsatz, dass gegebenenfalls andere grundlegende Rechte wie
etwa das autonome Betätigungsrecht freier Träger oder das Recht zur ungehinderten Berufsausübung
hinter dem konkreten Schutzbedürfnis eines betroffenen Kindes oder Jugendlichen
zurückstehen müssen.

13. Regelmäßige Unterrichtung und Auswertung (Qualitätssicherung)
Die nach den dienstrechtlichen Bestimmungen der Gebietskörperschaft zuständigen Leitungen
(Jugendamtsleitung, Abteilungsleitung oder Leitung der Gebietskörperschaft) sind gehalten,
für die sachgerechte Unterrichtung der Fachkräfte über die Verpflichtungen aus § 8a
SGB VIII Sorge zu tragen, ebenso für eine regelmäßige Auswertung der Erfahrungen mit den
getroffenen Regelungen (Evaluation) sowie für die Einbeziehung weiterer fachlicher Erkenntnisse.
Diese Maßnahmen der Qualitätssicherung sind in der Regel einmal jährlich
durchzuführen.

II.

Empfehlungen zu Vereinbarungen zwischen Jugendamt und Trägern zur Sicherstellung
des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII
1. Die Verpflichtung des Jugendamts zum Abschluss von Vereinbarungen betrifft die Träger
von Einrichtungen und Diensten.
- Träger von Einrichtungen im Sinne der Bestimmung sind regelmäßig jene Träger, die
Leistungen nach § 78a SGB VIII erbringen, ferner die Träger von Einrichtungen der Kindertagesbetreuung
nach §§ 22 ff. und die Träger der Jugendarbeit, soweit diese Einrichtungen
unterhalten, in denen Fachkräfte (§ 72 SGB VIII) beschäftigt werden.
- Unter den Trägern von Diensten sind jene zu fassen, die regelmäßig Leistungen nach
§§ 13, 14, 16, 17, 28 bis 31, 33 (Vermittlungsstellen), 35, 35a SGB VIII erbringen und
hierbei Fachkräfte (§ 72 SGB VIII) beschäftigen.
- Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insbesondere der Jugendarbeit
einschließlich der Jugendverbandsarbeit (§§ 11, 12 SGB VIII), werden von diesen Regelungen
nicht erfasst.
2. Soweit mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten Vereinbarungen nach § 77 SGB
VIII oder Leistungs- und Entgeltvereinbarungen nach den §§ 78a ff. bestehen oder abgeschlossen
werden, sollen die Verpflichtungen aus § 8a SGB VIII regelhaft in diesen Vereinbarungen
aufgenommen werden.
3. Soweit die Erbringung von mit dieser Vorschrift erfassten Leistungen auf dem Wege der
Förderung (§ 74 SGB VIII) erfolgt, sollen die Vereinbarungen regelhaft Teil der Förderbescheide
oder Fördervereinbarungen sein.

III.

Empfehlungen zu Vereinbarungen zwischen Jugendamt und Trägern zur Sicherstellung
des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII
Sonderregelungen für Einrichtungen der Kindertagesbetreuung und der Jugendarbeit
Bei den (örtlichen) Trägern von Kindertagesbetreuungseinrichtungen sowie bei den Trägern
von Einrichtungen der Jugendarbeit sind in der Regel keine Fachkräfte beschäftigt, die den
Voraussetzungen nach § 6 Abs. 1 der Mustervereinbarung entsprechen; ferner werden von
diesen Trägern in der Regel auch keine der in § 3 Abs. 3 und 4 genannten Leistungen und
Maßnahmen angeboten.
Gleichwohl ist auch in diesen Einrichtungen darauf zu achten, dass gewichtige Anhaltspunkte
eines konkreten Gefährdungsrisikos für Kinder oder Jugendliche erkannt und die notwendigen
weiteren Schritte eingeleitet werden.
Dem tragen die nachfolgenden Empfehlungen für Sonderreglungen Rechnung. Die Zitation
bezieht sich auf die Mustervereinbarung in II.

Sonderreglungen für die Träger von Diensten, die Tagespflegepersonen nach § 23
SGB VIII vermitteln oder betreuen

Sofern es sich um einen Dienst des Jugendamts selbst handelt, gelten die Reglungen wie unter I. Sofern es sich um den Dienst eines anderen Trägers handelt, in dem auch andere Jugendhilfeleistungen angeboten werden (z. B. Erziehungsberatung), können sich die Vereinbarungen an der Mustervereinbarung nach II. Orientieren. Sofern es sich um den Dienst eines anderen Trägers handelt, in dem keine weiteren Jugendhilfeleistungen angeboten werden, sollen Vereinbarungen nach Maßgabe der Sonderreglungen für Einrichtungen der Kindertagesbetreuung und der Jugendarbeit abgeschlossen werden.

Die Inobhutnahme dient dem kurzfristigen Schutz von Kindern und Jugendlichen. Zu ihren Voraussetzungen und zu Verfahrensfragen finden Sie hier Urteile.
Die Inobhutnahme macht eine Sorgerechtsentscheidung nach § 1666 nicht überflüssig, da sie nur eine vorläufige Regelung mit vorübergehenden Befugnissen ist.
OLG Köln, 25.09.00, Quelle: ZfJ 01, 157

Bei der Inobhutnahme gibt es keinen Herausgabeanspruch des sorgeberechtigten Elternteils, so lange das Vormundschaftsgericht nicht über die Maßnahme des Jugendamtes entschieden hat.
OLG Zweibrücken, 09.02.96, Quelle: ZfJ 96, 241

Das Jugendamt ist verpflichtet, den Jugendlichen in Obhut zu nehmen, wenn dieser darum bittet. Der Sorgeberechtigte ist sofort zu unterrichten. Widerspricht er, muss der Jugendliche herausgegeben werden oder die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts eingeholt werden. Das Jugendamt darf sich Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht erschleichen. Liegt das Aufenthaltsbestimmungsrecht beim Jugendamt, kann dieses ohne Sorgeberechtigten entscheiden.
OLG Hamm, 20.11.96, Quelle: ZfJ 97, 433

Zuständig für Inobhutnahme ist Jugendamt, in dessen Bereich sich der Jugendliche tatsächlich aufhält. Amtshilfe ist bei einer Inobhutnahme nicht möglich. Zwei Monate sind als Orientierungsphase nicht zu lang, da dies für Orientierung noch normal ist.
DIV- Gutachten, 11.09.97, Quelle: ZfJ 97, 422

Zur Inobhutnahme gehören auch die Sorge um das umfassende physische und psychische Wohl des Kindes, die Beratung in der gegenwärtigen Lage und das Aufzeigen von Hilfen und Unterstützung. 
VGH Mannheim,18.03.2002 ZfJ 04, 155

Entfremdung gegenüber Geschwister
Kindeswohl
Kindeswohlgefährdung

Anhörung des Kindes gemäß § 50 b FGG

NJW 2005, Seite 1681 ff.
NJW 1981, Seite 217

Schrifttum:

Lempp/Braubehrens/Eichnr/Röcker,
Anhörung des Kindes gemäß § 50 b FGG, 1987, Seite 107

Anhörungen im Umgangsverfahren

Das Gericht muss im Umgangsverfahren das Kind und die Eltern anhören.

Die Entscheidung muss begründet werden.

Entscheidung des OLG Köln vom 19.5.2004, 21 UF 75/04

Gründe:

Das Amtsgericht - Familiengericht - hat durch den im Tenor näher bezeichneten Beschluss der Antragsgegnerin aufgegeben, dem Antragssteller den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern zu ermöglichen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt. Sie rügt die Verletzung der Anhörungspflicht gemäß § 50 b FGG und macht geltend, die Kinder wollten keinen Kontakt mehr mit ihrem Vater.

Die gemäß §§ 20 Abs. 1 FGG, 621 e, 621 Abs. 1 Nr. 2, 517, 520 ZPO zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung an das Amtsgericht führt.

Das Umgangsverfahren leidet an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel. Das AG hat weder gemäß § 50 a Abs. 1 und Abs 2 FGG die Eltern der gemeinsamen Kinder noch gemäß § 50 b Abs. 2 FGG die betroffenen Kinder angehört.

Ein weiterer schwerwiegender Verfahrensmangel ergibt sich aus der fehlenden Begründung der Entscheidung des Amtsgerichts. Zwar schreibt § 53 Abs. 2 FGG nur für die Entscheidungen über den Versorgungsausgleich ausdrücklich eine Begründung vor. Für andere Entscheidungen aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergibt sich die Begründungspflicht des Gerichts aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz, dass ein Beteiligter, in dessen Rechte eingegriffen wird oder dessen Begehren abgelehnt wird, Anspruch auf eine Begründung hierfür hat, um seine Rechte sachgemäß wahrnehmen zu können. (vgl. Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 6, 33, 44, Zöller/Philippi, ZPO 24 Aufl. 2004, § 621 e Rdnr.m.w.N.)

Eine Aufhebung und Zurückweisung der angefochtenen Entscheidung scheitert nicht an einem mangelnden Antrag der Antragsgegnerin, denn der Senat folgt der herrschenden Auffassung im Schrifttum (vgl. Thomas/Putzo, ZPO 25 Aufgl. 2003 § 621 e Rdnr. 15; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 62 Aufl. 2004 § 621 Rdnr. 23; Musilak/Borth ZPO 3 Aufl. 2002 § 621 e Rdnr. 26) und auch der Rechtsprechung ( vgl. OLG Brandenburg MDR 2003 , 271) nach der für die befristete Beschwerde die Vorschriften des FGG gelten, weil die Vorschrift des § 538 in der § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht genannt ist.

Eine Aufhebung und Zurückweisung sieht das FGG zwar nicht ausdrücklich vor. Eine solche Verfahrensweise entspricht jedoch der allgemeinen Praxis in den Verfahren der allgemeinen Gerichtsbarkeit (vgl. BGH, MDR 1982, 390; Zöller/Philippi ZPO 25 Aufl. 2004 § 621

Die Anrufung des Familiengerichts durch das Jugendamt ist erforderlich, wenn eine Kindeswohlgefährdung nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Es ist Aufgabe des Familiengerichts zu entscheiden, ob zum Schutz des Kindes oder Jugendlichen ein Eingriff in das elterliche Sorgerecht erforderlich ist, d. h. Weisungen oder Auflagen zur Wahrnehmung der elterlichen Sorge zu verfügen oder das Sorgerecht ganz oder teilweise zu entziehen und auf einen Vormund oder Pfleger zu übertragen.
Eingriffe in das elterliche Sorgerecht sind in den §§ 1666 und 1666a BGB geregelt und nur möglich,
wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist (Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch),
die Eltern nicht bereit oder in der Lage sind, diese Gefährdungssituation zu beenden,
andere Maßnahmen z. B. der Jugendhilfe erfolglos geblieben sind oder zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen
und die ergriffenen Maßnahmen (Ermahnungen, Verwarnungen, Auflagen, Entzug der elterlichen Sorge) eine geeignete und verhältnismäßige Form der Gefahrenabwehr darstellen (§ 1666a BGB).
Entzug der elterlichen Sorge) eine geeignete und verhältnismäßige Form der Gefahrenabwehr darstellen (§ 1666a BGB).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besagt, dass § 1666a BGB nicht zutrifft, wenn der Gefahr für Leib und Leben des Kindes oder Jugendlichen auch auf andere Weise begegnet werden kann, zum Beispiel durch eine gerichtliche Abmahnung wegen (fortgesetzter) Missachtung von Gesundheitsauflagen oder Duldung einer erzieherischen Hilfe. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden soll. Gemäß § 1666a Absatz 2 BGB darf die gesamte Personensorge nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.

Das Jugendamt kommt durch die Anrufung des Familiengerichts im Fall einer Gefährdung des Kindeswohls seiner Verpflichtung im Rahmen des Wächteramts der staatlichen Gemeinschaft nach (Garantenstellung). Nach der neueren Rechtssprechung haben die Mitarbeiter von kommunalen Jugendämtern und Sozialdiensten sowie die von ihnen beauftragten Mitarbeiter von Trägern der freien Jugendhilfe als Beschützergaranten kraft Pflichtübernahme strafrechtlich dafür einzustehen, dass von ihnen betreute Kinder nicht durch vorhersehbare vorsätzliche Misshandlungen durch die Sorgeberechtigten oder durch einen von ihnen beauftragten ungeeigneten Dritten körperlich verletzt werden oder zu Tode kommen. Die letzte Verantwortung der Garantenstellung auch bei der Übertragung von Aufgaben auf freie Träger bleibt bei der Jugendhilfebehörde.
Hinweise zum Verfahren

Jedes Kind und jeder Jugendliche, Erziehungsberechtigte oder Dritte können sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an das Jugendamt wenden.
Das Jugendamt hat die Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder und Jugendlichen zu beraten, entsprechende Hilfen zur Erziehung anzubieten bzw. zu gewähren. Die Anrufung des Familiengerichts durch das Jugendamt ist nur dann erforderlich und verpflichtend, wenn es zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung einer gerichtlichen Entscheidung, eines Eingriffs in das Sorgerecht der Eltern bedarf (§ 50 Abs.3 SGB VIII). Ein Eingriff in das elterliche Sorgerecht kann nur durch das Familiengericht entschieden werden. Gemäß § 50 Abs. 2 SGB VIII i. V. m. §§ 49, 49a FGG muss das Gericht das Jugendamt anhören. "Das Jugendamt unterrichtet insbesondere über angebotene und erbrachte Leistungen, bringt erzieherische und soziale Gesichtspunkte zur Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen ein und weist auf weitere Möglichkeiten der Hilfe hin" (§ 50 Abs. 2 SGB VIII).

In jedem Einzelfall muss geprüft werden, ob die Gefährdung bzw. das Gefährdungsrisiko des Kindeswohls durch die Förderung der Erziehungskompetenz der Personensorgeberechtigten, durch Hilfen zur Erziehung oder durch den staatlichen Schutz des Kindes abgewendet werden kann. Solche weitreichenden Entscheidungen sollten im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte erfolgen (Fallbesprechung). Zentrale Instrumente bei längerfristigen Hilfen sind die Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen sowie das Hilfeplanverfahren.

Nichtamtliche Übersetzung aus dem Englischen

EUROPARAT

EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE

DRITTE SEKTION

RECHTSSACHE GÖRGÜLÜ .1. DEUTSCHLAND

(Individualbeschwerde Nr. 74969/01)

URTEIL

STRASSBURG

26. Februar 2004

Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Absatz 2 der Konvention endgültig. Es wird

gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.

Inder Rechtssache Görgülü J. Deutschland

hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Dritte Sektion) als Kammer mit den
Richtern

Herrn L. CAFLISCH, Präsident,

Herrn G. RESS,

Herrn P. KÜRIS,

Herrn B. ZUPANCIC

Herrn J. HEDIGAN,

Frau M. TSATSA-NIKOLOVSKA,

Herrn K. TRAJA

und Herrn V. BERGER, Sektionskanzler,

nach nicht öffentlicher Beratung am 20. März 2003 und am 5. Februar 2004

das folgende Urteil erlassen, das an dem zuletzt genannten Tag angenommen wurde:

VERFAHREN

1. Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde (Nr. 74969/01) gegen die
Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die ein türkischer Staatsangehöriger zazaischer
Abstammung, Kazim Görgülü (,‚der Beschwerdeführer“), am 18. September 2001 nach
Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (,‚die
Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte.

2. Der Beschwerdeführer, für den Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, war vertreten
durch Frau A. Zeycan, Rechtsanwältin in Bochum. Nach der Entscheidung über die Zuläs-
sigkeit war er auch vertreten durch Herrn P. Koeppel, Rechtsanwalt in München. Die deut-
sche Regierung (,‚die Regierung“) war vertreten durch ihren Verfahrensbevollmächtigten,
Herrn Ministerialdirigent K. Stoltenberg.

3. Der Beschwerdeführer machte insbesondere geltend, dass eine Gerichtsentscheidung,
mit der ihm der Umgang mit seinem Sohn und das Sorgerecht für ihn verweigert wird, sein
Recht auf Achtung seines Familienlebens nach Artikel 8 der Konvention verletzt habe.
Ferner rügte er nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention, dass das Gerichtsverfahren nicht fair
gewesen sei.

4. Die Beschwerde wurde der Dritten Sektion des Gerichtshofs zugewiesen (Artikel 52 Abs.
1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs). In dieser Sektion wurde die Kammer, welche
die Rechtssache prüfen sollte (Artikel 27 Abs. 1 der Konvention), gemäß Artikel 26 Abs. 1
der Verfahrensordnung des Gerichtshofs gebildet.

5. Mit Entscheidung vom 20. März 2003 erklärte der Gerichtshof die Beschwerde in Teilen
für zulässig.

6. Der Beschwerdeführer und die Regierung gaben jeweils Stellungnahmen zur Begrün-
detheit ab (Artikel 59 Abs. 1 der Verfahrensordnung).

7. Die türkische Regierung erklärte, nachdem sie über ihr Recht auf Beteiligung unter richtet
worden war (Artikel 36 Abs. 1 der Konvention und Art. 61 Abs. 2 der Verfahrensordnung des
Gerichtshofs), dass sie nicht Stellung nehmen werde.

SACHVERHALT

1. DER HINTERGRUND DER RECHTSSACHE .

A. Tatsächlicher Hintergrund

8. Der 1969 geborene Beschwerdeführer ist in Krostitz, Deutschland, wohnhaft.

.9. Er ist der Vater des Kindes Christofer, das am 25 August 1999 in Leipzig nichtehelich
geboren wurde.

10. Der Beschwerdeführer lernte die Kindesmutter (Frau M:) 1997. kennen. 1998 planten sie
zu heiraten, jedoch sagte Frau M. die Heirat ab. Dennoch blieb ihre Beziehung bis An fang
1999 bestehen. Der Beschwerdeführer erfuhr im Mai 1999 von Frau M.s Schwangerschaft.
Dem Beschwerdeführer zufolge vereinbarten er und Frau M. damals, dass der Beschwerde-
führer für das Kind sorgen würde. Danach erkundigte sich der Beschwerdeführer
wöchentlich nach Frau M. und ihrem ungeborenen Kind, konnte jedoch ab Juli 1999 keinen
Kontakt mehr mit ihr herstellen.

11. Unmittelbar nach der Geburt am 25. August 1999 gab Frau M Christofer zur Adoption
frei: Das Jugendamt Wittenberg als Christofers Amtsvormund benachrichtigte sogleich Herrn
und Frau B., die als künftige Adoptiveltern registriert waren und schon zuvor ein Kind
adoptiert hatten, dass Christofer zur Adaption freigegeben wurde. Sie holten Christofer vier
Tage später vom Krankenhaus nach Hause.

12. Im Oktober 1999 erfuhr der Beschwerdeführer von Christofers Geburt und seiner
Freigabe zur Adaption durch Frau M. Im November 1999 wandte er sich an das Jugendamt
Leipzig in der Absicht, Christofer selbst zu adoptieren. Da Frau M. keine Angaben zur Vater-
schaft gemacht hatte, verweigerte das Jugendamt dem Beschwerdeführer jede Auskunft
über Christofer.

13. Am 30. November 1999 begleitete Frau M. den Beschwerdeführer zum Jugendamt und
bestätigte, dass er Christofers Vater sei, woraufhin er die Geburtsurkunde seines Sohnes
erhielt.

14. Nach der offiziellen Anerkennung der Vaterschaft und Beantragung der elterlichen Sorge
am 10. Januar 2000 leitete der Beschwerdeführer am 12. Januar 2000 das
Vaterschaftsfeststellungsverfahren vor dem Amtsgericht Wittenberg ein.

15. Nachdem er am 2. Mai 2000 erneut die Vaterschaft anerkannt und sich einer ärztlichen
Blutuntersuchung unterzogen hatte, bestätigte das Amtsgericht Wittenberg am 20. Juni
2000, dass der Beschwerdeführer Christofers Vater ist.

16. Seit Dezember 1999 ist der Beschwerdeführer mit Frau C., einer deutschen Staats-
angehörigen, nach islamischem Recht verheiratet. Er lebt mit seiner Frau und einem ihrer
beiden Kinder zusammen.

B. Sorge- und Ulmgangsrechtsverfahren

17 Am 10. Januar 2000 beantragte der Beschwerdeführer beim Amtsgericht Wittenberg,
das Sorgerecht für Christofer auf ihn zu übertragen.

16 Am 30. August 2000 bestellte das Amtsgericht Wittenberg Frau F. als Verfahrens-
pflegerin zur Vertretung von Christofers Interessen im Sorgerechtsverfahren.

19. Bei einer Anhörung am 22. September 2000 entschied das Amtsgericht, dass ein
Treffen zwischen dem Beschwerdeführer und Frau C. sowie Herrn und Frau B. stattfinden
und erste Kontakte zwischen dem Beschwerdeführer und Christofer geplant und durchge-
führt werden sollten. Am 13. Oktober 2000 trafen der Beschwerdeführer und Frau C. mit
Herrn und Frau B. zusammen. Bis Dezember fanden vier Treffen zwischen dem Beschwer-
deführer und seinem Sohn in Gegenwart von Christofers Pflegeeltern statt. Seit Dezember
2000 haben keine weiteren Treffen stattgefunden, da Christofen krank war und seine Pflege-
eltern derartige Treffen als eine zu große Belastung für das kleine Kind ansahen.

20. Am 11. Januar 2001 stellte der Beschwerdeführer beim Amtsgericht Wittenberg einen
Antrag auf Umgang mit seinem Sohn. Frau F. wurde auch für das Umgangsverfahren als
Verfahrenspflegerin bestellt.

21. Am 8. Februar 2001 räumte das Amtsgericht Wittenberg im Wege einer vorläufigen
Anordnung dem Beschwerdeführer den Umgang mit Christofer an sechs aufeinander folgen-
den Samstagen für zunächst eine, später zwei, denn drei und danach acht Stunden ein.

22. Am 16. Februar 2001 setzte das Oberlandesgericht Naumburg auf die Beschwerde
des Jugendamts die Vollziehung der vorläufigen Anordnung des Amtsgerichts bis der Ent-
scheidung über die Beschwerde aus. Dem Beschwerdeführer wurde gestattet, Christofer
einmal monatlich zwei Stunden lang in Gegenwart von Herrn und Frau B. oder einer dritten
Person zu sehen.

23. Mit Beschluss vom 9. März 2001 übertrug das Amtsgericht Wittenberg denn Be-
schwerdeführer nach § 1672 Abs. 1 BGB das alleinige Sorgerecht für Christofer. Aufgrund
der Stellungnahme von Frau F., der schriftlichen Stellungnahmen und Anhörungen der Par-
teien sowie einer psychologischen Stellungnahme einer Diplom-Pädagogin des Landesju-
gendamts Sachsen-Anhalt vom 30. Januar 2001 war das Amtsgericht überzeugt, dass der

Beschwerdeführer bereit und in der Lage sei, Christofer ein Heim und eine Familie zu
bieten, und dass die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den Beschwerdeführer
dem Wohl des Kindes diene. Das Amtsgericht wies darauf hin, dass bei den Treffen
zwischen dem Beschwerdeführer und Christofer das Kind keine Abwehrreaktionen gegen
den Beschwerdeführer gezeigt und keinerlei Schaden genommen habe. Die Kontakte
zwischen dem Beschwerdeführer und Christofer stellten deshalb generell keine
Kindeswohlgefährdung dar. Das Amtsgericht führte aus, dass solche Kontakte bereits viel
eher hätten stattfinden können, wenn die zuständigen Behörden nicht starr an dem
Adoptionsvefahren festgehalten und damit jeden Kontakt zwischen Vater und Kind
verhindert hätten. Würde Christofer bei seinen Pflegeeltern bleiben und später von seiner
Herkunft erfahren, so bestehe bei ihm das Risiko eines Identitätskonfliktes. Ein solcher
Konflikt stelle für das Kindeswohl eine größere Gefahr dar als die Trennung von seiner
gegebenenfalls zweijährigen Pflegefamilie, insbesondere im Hinblick auf Christofers
emotionale Stabilität. Das Amtsgericht wies zwar darauf hin, dass diese Entscheidung über
das Sorgerecht keine sofortigen praktischen Auswirkungen haben werde, insbesondere
nicht auf die Rechte der Pflegeeltern, aber es hielt eine schnelle Gewöhnung Christofers an
die neue Situation für wichtig. Das Amtsgericht sah es als geboten an, die im September
2000 eingeleiteten Besuche und Kontakte fortzusetzen, um zu vermeiden, dass ein
Aufenthaltswechsel zu einer plötzlichen Zäsur in Christofers Leben wird. Es entschied auch,
dass das Kind bei einem Wechsel des Aufenthalts hin zu seinem Vater weiterhin regelmäßig
die Pflegefamilie besuchen solle. Solche Besuche hätten sich in ähnlichen Fällen bewährt.

Das Amtsgericht erwähnte auch, dass das Jugendamt durch dieselbe Rechtsanwältin
vertreten werde, die in Parallelverfahren Christofers Pflegeeltern vertrete.

24. Am 10. April 2001 hob das Oberlandesgericht Naumburg auf die Beschwerde des
Jugendamts und eine zweite von Herrn und Frau B. eingereichte Beschwerde die vorläufige
Anordnung zur Regelung des Umgangs vom 8. Februar 2001 auf. Es stellte fest, dass
infolge der Entscheidung des Amtsgerichts Wittenberg, mit der dem Beschwerdeführer das
Sorgerecht für Chrstofer übertragen wurde, welches das uneingeschränkte Umgangsrecht
einschlieft, der Streit gegenstandslos geworden sei.

25. Auf die Beschwerde des Jugendamts gegen die Sorgerechtsentscheidung des
Amtsgerichts entschied das Oberlandesgericht Naumburg am 27. April 2001, die Vorziehung
der Sorgerechtsentscheidung bis zur Entscheidung Über die Beschwerde auszusetzen.
Ferner entband es die Verfahrenspflegerin für Christofer, Frau F., von ihren Aufgaben, da
sie ihre Kompetenz überschritten habe und nicht mehr unparteiisch sei. Als neue
Verfahrenspflegerin wurde Frau E., eine Sozialarbeiterin, bestellt.

26. Am 19. Juni 2001 räumte das Amtsgericht Wittenberg dem Beschwerdeführer im Wege
der vorläufigen Anordnung den Umgang mit seinem Sohn an drei Tagen für jeweils zwei
Stunden ab Ende Juli 2001 an jedem Samstag für acht Stunden ein. Es verpflichtete Herrn
und Frau B. hierbei mitzuwirken und für ausgefallene Umgangstermine Ersatztermine
einzuräumen. Ebenso wie in dem Sorgerechtsverfahren wurde Frau F. von ihrer Aufgabe
entbunden und Frau E. als neue Verfahrenspflegerin bestellt.

27. Am 20. Juni 2001 hob das Oberlandesgericht Naumburg den Beschluss des Amtsge-
richts vom 9. März 2001 auf und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Übertragung
der elterlichen Sorge für Christofer ab. Ferner schloss es das Umgangsrecht des
Beschwerdeführers mit seinem Sohn bis zum 30. Jul 2002 aus.

In diesem Beschluss befand das Oberlandesgericht, dass die Übertragung des Sorge-
rechts auf ihn nicht nur dem Wohl des Kindes nicht dienlich, sondern sogar für sein
Wohlergehen schädlich sei. Es bezog sich dabei auf die psychologische Stellungnahme des
Landesjugendamts Sachsen-Anhalt, eine kinderärztliche Bescheinigung vom 19. Januar
2001 sowie einen Bericht von Frau E. vom 6. Juni 2001, den es zuvor zur Prüfung des
Kindeswohls und der Wohnverhältnisse sowohl des Beschwerdeführers als auch der
Pflegeeltern angefordert hatte. Ferner stützte es sich auf seine eigene Sachkunde und
Lebenserfahrung.

Das Oberlandesgericht war der Auffassung, dass der Beschwerdeführer in der Lage sei,
für Christofsr zu sorgen. Es wies daraufhin, dass er mit Frau C., einer deutschen Staatsan-
gehörigen, verheiratet sei, die selbst bereits zwei Kinder erzogen habe und ihn unterstützen
würde. Der Beschwerdeführer könne auch weitere objektive Voraussetzungen für die Erzie-
hung eines Kindes anbieten, d.h. ein Haus mit einem eigenen Zimmer für Christofer. Das
Oberlandesgericht war auch davon überzeugt, dass der Beschwerdeführer, wenngleich er
selbst keine Schule besucht habe und auch keine abgeschlossene Berufsausbildung
besitze, unter Mithilfe von Frau C. imstande wäre, Christofers Ausbildung zu fördern.

Gleichwohl diene die Trennung des Kindes von seiner Pflegefamilie nicht dem Wohl
Christofers, da sich eine tiefe soziale und emotionale Bindung zwischen dem Kind und
seiner Pflegefamilie entwickelt habe. Christofer habe ein Jahr und zehn Monate bei Herrn
und Frau B. gelebt, was für ein Kind in Christofens Alter ein unendlicher Zeitraum sei. In
dieser Situation würde eine Trennung von Herrn und Frau B. zu einem schweren
irreversiblen psychischen Schaden für das Kind führen, insbesondere, da es bereits die
Trennung von seiner natürlichen Mutter erlebt habe, was an sich bereits ein traumatisches
Ereignis gewesen sei. Es wäre unmöglich, die Notwendigkeit der Trennung einem so k
einen Kind verständlich zu machen, insbesondere, da der Beschwerdeführer für Christofer
ein Fremder sei.

Das Oberlandesgericht erachtete die genannten Stellungnahmen als für die Beurteilung
des Falls ausreichend und hielt es deshalb nicht für erforderlich, weitere Gutachten einzu-
holen da nicht zu erwarten sei, dass diese zu anderen Schlussfolgerungen zugunsten des
Beschwerdeführers kommen würden. Diesbezüglich etwa Verbleibende Zweifel gingen, so
das Oberlandesgericht, zu Lasten des Kindesvaters.

Außerdem entschied das Oberlandesgericht unter Zugrundelegung der psychologischen
Stellungnahme und des Berichts der Verfahrenspflegerin, dass der Ausschluss des Um-
gangsrechts dem Wohl Christofers diene. In Anbetracht der durch den ungelösten Rechts-
streit entstandenen Unruhe und Unsicherheiten sei jeder Kontakt mit seinem leiblichen Vater
eine physische und psychische Belastung far das Kind. Durch den Ausschluss des Um-
gangsrechts für einen bestimmten Zeitraum könne Christofer wieder die notwendige innere
Ruhe und seine seelische Ausgeglichenheit finden.

28. Am 31. Juli 2001 lehnte es das Bundesverfassungsgericht in einer aus drei Richtern
bestehenden Kammer ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zur Ent-
scheidung anzunehmen.

C. Weitere Entwicklungen :

1. Sorge- und Umgangsrechtsverfahren

28. In der Zwischenzeit hat der Beschwerdeführer beim Amtsgericht ein neues Verfahren
auf Übertragung des Sorge- und Umgangsrechts anhängig gemacht. Der Beschwerdeführer
versuchte an sieben verschiedenen Terminen, Kontakt zu Christofer herzustellen, doch
diese Versuche blieben erfolglos, weil Herr und Frau B. nicht zur Zusammenarbeit bereit
oder abwesend waren. Zwei für Februar und Juli 2003 anberaumte Anhörungstermine
wurden gestrichen. Am 22. Juli 2003 Bestellte das Amtsgericht Frau E. zur
Verfahrenspflegerin sowohl im Sorge- als auch im Umgangsrechtsverfahren. Am 28.
Oktober 2003 verwarf das Oberlandesgericht Naumburg die Beschwerde des
Beschwerdeführers.

Am 30. September 2003 wies es den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung zur Regelung des Umgangs wegen der Spannungen zwischen
dem Beschwerdeführer und den Pflegeeltern sowie der unklaren Rechtslage ab. Am 27.
November 2003 fand vor dem Amtsgericht eine erste Anhörung statt.

2. Adoptionsverfahren

30. Am 19. Januar 2001 ging beim Amtsgericht Wittenberg der Antrag von Herrn und Frau
B. auf Adoption von Christofen ein. Das Jugendamt Wittenberg als gesetzlicher Vertreter
Chrstofers hatte zuvor seine Zustimmung zur Adoption erteilt. Nachdem der Beschwer-
deführer die Einwilligung in Christofers Adoption versagt hatte, entschied das Amtsgericht
am 28. Dezember 2001, seine fehlende Einwilligung durch Gerichtsbeschluss zu ersetzen.

Am 30. Oktober 2002 wies das Landgericht Dessau den Antrag des Beschwerdeführers auf
Aussetzung des Adoptionsverfahrens bis zur endgültigen Entscheidung im Sorge- und
Umgangsrechtsverfahren ab. Am 24. Jul 2003 gab das Oberlandesgericht Naumburg der
Beschwerde des Beschwerdeführers statt und hob die Entscheidung des Landgerichts auf.
Das Oberlandesgericht lehnte zwar die Aussetzung des Adoptionsverfahrens bis zur
Entscheidung in dem Verfahren vor dem Gerichtshof ab, wies aber darauf hin, dass die
zuständigen innerstaatlichen Gerichte gegebenenfalls ein Urteil dieses Gerichtshof zu
berücksichtigen hätten.

II. EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE RECHTSVORSCHRIFTEN

31. Die gesetzlichen Bestimmungen über elterliche Sorge und Umgang finden sich im
Bürgerlichen Gesetzbuch.

§ 1626 Abs. 1 lautet wie folgt:

„Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elter-
liche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Perso-
nensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge)."

Nach § 1626 a Abs. 2 übt die Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes das Sorgerecht
aus, wenn zwischen den Eltern keine andere Vereinbarung getroffen wurde. In einem
solchen Fall kann der Vater, wenn die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben, mit
Zustimmung der Mutter beantragen, dass ihm nach § 1672 Abs. 1 das Sorgerecht ganz oder
teilweise Übertragen wird. Ist das Sorgerecht der Mutter für unbestimmte Zeit ausgesetzt,
was der Fall ist, wenn sie in die Adoption des Kindes einwilligt (§ 1751 Abs. 1), so räumt das
Familiengericht dem anderen Elternteil das Sorgerecht ein, wenn dies dem Wohl des Kindes
dient (§ 1678 Abs. 2 i.V.m. § 1751 Abs. 1).

Nach § 1632 Abs. 1 umfasst die Personensorge das Recht, die Herausgabe des Kindes
von jedem zu verlangen, der es den Eltern widerrechtlich vorenthält. Wollen Eltern ihr Kind
von einer Pflegefanlilie nach längerer Zeit wegnehmen, so kann das Familiengericht anord-
nen, dass das Kind bei der Pflegefamilie verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch
die Wegnahme gefährdet würde (§ 1632 Abs. 4).

Nach § 1684 hat das Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist
zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. Außerdem haben die Eltern alles zu
unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt
oder die Erziehung erschwert. Die Familiengerichte können über den Umfang des
Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln;
und sie können die Beteiligten durch Anordnungen zur Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber
dem Kind anhalten. Die Familiengerichte können dieses Recht jedoch einschränken oder
ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das
Umgangsrecht für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur
ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Die Familiengerichte
können anordnen, dass das Umgangsrecht nur in Anwesenheit eines Dritten, z.B. eines
Trägers der Jugendhilfe oder eines Vereins, ausgeübt werden darf (§ 1684 Abs. 4).

Nach § 1656 halbe die Vormundschaftsgerichte und die Familiengerichte ihre Anordnungen
zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen
angezeigt ist.

32. Verfahren in Familiensachen sind im Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit (FGG) geregelt.

Nach § 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen er-
forderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzu-
nehmen.

Nach § 50 FGG Gestellt das Gericht einen Verfahrenspfleger zur Vertretung des minder-
jährigen Kindes, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist.

..
RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 8 DER KONVENTION

33. Der Beschwerdeführer rügte, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts
Naumburg, mit der se n Antrag auf Sorge für sein nichteheliches Kind Christofer und auf
Umgang mit ihm zurückgewiesen wurde, gegen Artikel 8 der Konvention verstoße, der,
soweit einschlägig, wie folgt lautet:

(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres ... Familienlebens... .

(2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nu( eingreifen, soweit der Eingriff
gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist ... zum
Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer."

34. Die Regierung beantragte, der Gerichtshof möge feststellen, dass diese Vorschrift
nicht verletzt wurde.

A. Gab es einen Eingriff?

35. Der Gerichtshof stellt fest, dass es zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die Ent-
scheidung, mit der dem Beschwerdeführer das Sorgerecht für sein Kind und der Umgang
mit ihm verweigert wurde, ein Eingriff in sein nach Artikel 8 Abs. 1 geschütztes Recht auf
Achtung seines Familienlebens war.

36. Jeder Eingriff dieser Art stellt eine Verletzung dieses Artikels dar, es sei denn, er ist

"gesetzlich vorgesehen“, verfolgt ein oder mehrere Ziele, die nach Artikel 8 Absatz 2 legitim
sind, und kann als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ angesehen werde.

B. War der Eingriff gerechtfertigt?

37. Die Parteien bestreiten nicht, dass die hier in Rede stehende Entscheidung auf inner-
staatlichem Recht beruhte, nämlich auf § 167a Abs. 2 und g 1684 Abs. 4 BGB, und dass sie

den Schutz des Kindeswohls zum Ziel hatte; dies ist ein legitimes Ziel im Sinne von Artikel 8
Abs. 2 (siehe Urteil Keegan ./. Irland vom 26. Mai 1994, Serie A Band 290, S. 20; Nr. 44).

38. Es ist daher nur noch zu prüfen, ob die Verweigerung des Umgangs als "in einer de-
mokratischen Gesellschaft notwendig" angesehen werde" kann.

1. Die Stellungnahmen der Parteien

a) Der Beschwerdeführer

39. Der Beschwerdeführer trug vor, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts
Naumburg vom 20. Juni 2001 sein Recht auf Familienleben verletze, weil sie ihn daran hin-
dere, mit seinem Sohn zusammen zu leben und mit ihm Umgang zu haben, obwohl
unstreitig sei, dass er bereit und in der Lage sei, für Christofer zu sorgen. Er könne nicht
verstehen, dass den Rechte" der Pflegealte(" Vorrang eingeräumt werde vor seinen eigenen
Rechten als Christofers leiblicher Vater; das Oberlandesgericht habe dadurch, dass es
Christofers Recht, seine wirkliche Familie zu kennen, nicht berücksichtigt habe, nicht dem
Wohl des Kindes entsprechend gehandelt. Der Beschwerdeführer wies ferner darauf hin,
dass er bisher so gut Wie keines Umgang mit Christofe( gehabt habe, weil Herr und Frau B,
nicht zur Zusammenarbeit bereit seien und die deutschen Gerichte nichts unternähmen, um
ihm zu helfen. Abschließend rügte er, dass das Verfahren vor dem Oberlandesgericht
Naumburg nicht fair gewesen sei.

b) Die Regierung

40. Die Regierung hielt die Argumentation des Oberlandesgerichts für nachvollziehbar.
Sie hielt es insbesondere für sachangemessen, das Interesse des Kindes an der Aufrechter-
haltung der inzwischen entstandenen Eltern-Kind-Beziehung zu seinen Pflegeelter höher zu
bewerten als das Interesse des Beschwerdeführers an der Zusammenführung mit seinem
Kind. Wann eine Zeitspanne des Zusammenlebens in einer Familie vergangen sei, die einer
Änderung der familiären Situation entgegenstehen könne, lasse sich nicht absolut, sondern
nur in Abhängigkeit vom Alter des Kindes und dem Beginn seines Zusammenlebens mit der
Pflegefamilie beantworte. Die Regierung stimmte dem Oberlandesgericht zu, dass die
Trennung Christofers von seiner Pflegefamilie, nachdem er bereits von seiner leiblichen
Mutter nach der Geburt getrennt worden war, einen zweiten tiefen Bruch in seinem Leben
darstellen würde, hier sich auf seine weitere Entwicklung nachteilig auswirken könne.
Wegen dar mit einer Trennung verbundenen Gefährdung des Wohls Christofers sowie der
Tatsache, dass keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich gewesen seien, dass sich die Situation
des Kindes in absehbarer Zeit ändern könnte, habe das Oberlandesgericht nicht erwägen
müssen, ob durch ein vorübergehendes Verbleiben Christofers bei der Pflegefamilie die
genannten Beeinträchtigungen auf ein zumutbares Maß halten zurückgeführt werden
können. Ebenso wenig habe es sich mit der Eignung des Beschwerdeführers ausein-
andersetzen müssen, die mit der Trennung des Kindes von der Pflegefamilie verbundenen
psychischen Beeinträchtigungen zu mildern da selbst ein idealer Elternteil nicht in der Lage
gewesen wäre, diese Beeinträchtigungen in einem zumutbaren Rahmen zu halten.

In Bezug auf den Ausschluss des Umgangsrechts des Beschwerdeführers stellte die Re-
gierung in Hinsicht darauf, dass bei Entscheidungen über die Einschränkung des Umgangs-
rechts eines Elternteils eines strengeren Prüfungsmaßstabs zugrunde zu legen ist, fest,
dass diese Maßnahme im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 notwendig gewesen sei. Sie stimmte
der Begründung des Oberlandesgerichts zu, dass die Auseinandersetzungen zwischen den
Pflegeeltern und dem Beschwerdeführer zu Unruhe und Unsicherheiten in der Pflegefamilie geführt hätten und das Christofer diese Spannungen erfühlt habe. Die Aufrechterhaltung
dieser Situation hätte das Kindeswohl gefährdet. Da das Recht eines Elternteils auf Umgang
mit seinem Kind stets ein gewisses Maß an kooperativem Zusammenwirken aller Beteiligten
voraussetze und der Mangel an einem solchen Zusammenwirken für alle Beteiligten emotio-
nal belastend gewesen sei, hielt es die Regierung insbesondere nicht für unangemessen,
die Parteien für ein Jahr zu trennen, um ihre Emotionen wieder zu beruhigen.

Abschließend wies die Regierung darauf hin, dass die Interessen des Beschwerdeführers
im Entscheidungsprozess hinreichend berücksichtigt worden seien. Er sei Verfahrensbetei-
ligter gewesen und persönlich vom Gericht angehört worden, und ihm sei
Prozesskostenhilfe gewährt worden.

2. Würdigung durch den Gerichtshof

a) Allgemeine Grundsätze

41. Bei der Entscheidung darüber, ob die Verweigerung des Sorge- und Umgangsrechts in
einer Demokratischen Gesellschaft notwendig waren, hat der Gerichtshof zu prüfen, ob die
der Rechtfertigung dieser Maßnahme angeführten Gründe in Anbetracht der Rechtssache
insgesamt im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 der Konvention zutreffend und ausreichend wa-
ren. Von entscheidender Bedeutung ist bei jeder Rechtssache dieser Art zweifellos die
Überlegung, was dem Kindeswohl am besten dient. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass
die nationalen Behörden insoweit im Vorteil sind, als sie unmittelbaren Kontakt zu allen
Beteiligten haben. Aus diesen Überlegungen folgt, dass die Aufgabe des Gerichtshofs nicht
darin besteht, an Stelle der nationalen Behörden deren Aufgaben in Fragen des Sorge- und
Umgangsrechts wahrzunehmen, sondern im Lichte der Konvention die Entscheidungen zu
überprüfen, die diese Behörden in Ausübung ihres Ermessens getroffen haben (siehe Sahin
und Sommerfeld./. Deutschland [GK], Individualbeschwerden Nr. 30943/96 und Nr.
31871/96, Nr. 64 bzw. Nr. 62, EGMR 2003-Vl11, und T. P. und K. M. .[ Vereinigtes
Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 25945/96, Nr. 71, ECHR 2001-V).

42. Welcher Ermessensspielraum den zuständigen nationalen Behörden dabei einzu-
räumen ist, hängt von der Art der streitigen Fragen und der Bedeutung der betroffenen Inte-
ressen ab. Insbesondere bei den Sorgerechtsentscheidungen hat der Gerichtshof aner-
kannt, dass die Behörden einen großen Ermessensspielraum haben. Einer genaueren
Kontrolle bedarf es jedoch bei weiteren Beschränkungen, wie beispielsweise bei Einschrän-
kungen des Umgangsrechts der Eltern durch diese Behörden, sowie bei gesetzlichen Maß-
nahmen, die einen wirksamen Schutz des Rechts von Eltern und Kindern auf Achtung ihres
Familienlebens gewährleisten sollen. Solche weiteren Beschränkungen bergen die Gefahr,
dass die Familienbeziehungen zwischen einem kleinen Kind und einem oder beiden Eltern-
teilen endgültig abgeschnitten werden (siehe Eisholz./. Deutschend [GK], Individual-
beschwerde Nr., 25735194, Nr. 49, ECHR 2000-Vl11, sowie Kutzner./. Deutschland,
Individualbeschwerde Nr. 46544/99, Nr. 67, ECHR 2002-1).

43. Die Innerstaatlichen Behörden haben nach Artikel 8 einen gerechten Ausgleich
zwischen den Interessen des Kindes und denen der Eltern herbeizuführen und dabei dem
Wohl des Kindes, das je nach seiner Art und Bedeutung den Interessen der Eltern vorgehen
kann, besonderes Gewicht beizumessen. Insbesondere kann ein Elternteil nach Artikel 8 der
Konvention nicht beanspruchen, dass Maßnahmen getroffen werden, die der Gesundheit
und der Entwicklung des Kindes schaden würden (siehe Scozzari und Giunta .l Italien [GK],
Individualbeschwerden Nr. 39221198 and Nr. 41963198, Nr. 169, ECHR 2000-Vl11, F., C.
und S. .l. Vereinigtes Königreich, Individualbeschwerde Nr. 56547/00, Nr. 117, ECHR 2002-
VI).

b) Die Beschwerde in der vorliegenden Rechtssache :

i. Sorgerecht

44. Der Gerichtshof stellt fest, dass das Oberlandesgericht in der vorliegenden Rechts-
sache in seiner Entscheidung vom 20. Juni 2001 die Auffassung vertreten hat, dass der Be-
schwerdeführer zusammen mit seiner Ehefrau, die bereits zwei Kinder erzogen habe, zwar
in der Lage wäre, Christofer zu betreuen, aber eine Übertragung des Sorgerechts auf den
Beschwerdeführer dennoch nicht dem Wohl Christofers diene, da sich eine tiefe soziale und
emotionale Bindung zwischen dem Kind und seiner Pflegefamilie entwickelt habe und eine
Trennung von ihr bei dem Kind zu einem schweren und irreversiblen psychischen Schaden
führen würde. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass das Amtsgericht Wattenberg im
Gegensatz dazu in seiner Entscheidung vom 5. März 2001 die Auffassung vertreten hat,
dass es dem Wohl Christofs diene, seinem Vater die elterliche Sorge für ihn zuzusprechen.

45. Dem Gerichtshof ist bewusst, dass es bei der Herbeiführung eines Ausgleichs zwi-
schen den widerstreitenden Rechten und Interessen des Beschwerdeführers und den
Rechten von Herrn und Frau B. sowie Christophers entscheidungserheblich sein kann, dass
der Beschwerdeführer und Christofer nie zusammengelebt haben. Der Gerichtshof weist auf
seine Rechtsprechung hin, in der es heißt, dass der Staat in haben, in denen nachweislich
Familienbande zu einem Kind bestehen, so handeln muss, dass diese Bande sich weiter-
entwickeln können (siehe Keegan, a.a.O., S" 15, Nr. SO sowie Urteil Kroon und andere ./.
die Niederlande vom SO. September 1954, Serie A Band 2e7-c, S. 56, Nr. 32), Demzufolge
ist jeder Staat nach ~Fibel 8 der Konvention verpflichtet, auf die Zusammenführung eines
leiblichen Elternteils mit seinem Kind hinzuwirken (siehe K. und T ./. Finnland [GK],
Individualbeschwerde Nr. 25702194, Nr. 178, ECHR 2001- Vll, Urteil Johansen ./. Norwegen
vom 7. August 1556, Aris und Entscheidungssammlung 1996- III, S. 1008, Nr. 78, und Urteil
Olsson.l. Schweden (Nr. 1) vom 24. März 1588, Serie A Band 130, S. 56, Nr., 81). In diesem
Zusammenhang stellt der Gerichtshof ferner fest, dass eine wirksame Achtung des

Familienlebens voraussetzt, dass Zukünftige Beziehungen zwischen einem Elternteil und

seinem Kind nicht vom bloßen Verstreichen der Zeit abhangen dürfen (siehe sinngemäß
Sylvester./ Österreich, Individualbeschwerden N(. 36812/57 und 40104/58, Nr. 65, 24. April
2003, und Urteil W. ./. Vereinigtes Königreich vom 8. Juli 1987, Serie A Band 121, S, 29, Nr.

46. Der Gerichtshof räumt ein; dass eine sofortige Trennung von Christofers Pflegefamilie
negative Folgen für sein Körperliches und seelisches Befinden hätte haben können. Im Hin-
blick darauf, dass der Beschwerdeführer Christofers leiblicher Vater und unstreitig bereit und
in der Lage ist, ihn zu betreuen, ist der Gerichtshof jedoch nicht überzeugt, dass das Ober-
landesgericht Naumburg alle möglichen Wege zu( Lösung des Problems geprüft hat. Insbe-
sondere scheint das Gericht nicht geprüft zu haben, ob es möglich wäre, Christofer und den
Beschwerdeführer unter Umständen zusammen zu führen, unter denen die Belastung für
Christofer geringer wäre. Das Oberlandesgericht hat sich stattdessen, soweit ersichtlich; nur
mit den unmittelbarer Folgen befasst, die eine Trennung von seinen Pflegeeltern für das
Kind haben würde, ohne jedoch die langfristigen Auswirkungen zu berücksichtigen, die eine
dauerhafte Trennung von seinem leiblichen Vater für Christofer haben konnte. Die vom
Amtsgericht angestrebte Lösung, nämlich die Erweiterung und Erleichterung der Kontakte
zwischen dem Beschwerdeführer und Christofer, der zunächst bei der Pflegefamilie verblei-
ben sollte, wurde anscheinend nicht in Betracht gezogen.. Der Gerichtshof weist diesbe-
züglich darauf hin, dass die Möglichkeiten einer Zusammenführung immer weiter abnehmen
und schließlich zunichte gemacht werden, wenn der biologische Vater und das Kind
überhaupt nicht oder nur so selten zusammen kommen dürfen, dass nicht zu erwarten ist,
dass zwischen ihnen eine natürliche Bindung entsteht (K. und T../. Finnland, a.a.O., Nr.
179).

47. Im Lichte der vorstehenden Ausführungen stellt der Gerichtshof fest, dass Artikel S der
Konvention verletzt worden ist.

ii Umgang

48. dem Ausschluss des Umgangsrechts stellt der Gerichtshof fest, dass das Oberlandesgericht Naumburg bei seiner Entscheidung auf die physische und psychische Belastung des Kindes abgestellt hat, die jeder Kontakt mit seinem leiblichen Vater bedeuten würde.

Das Oberlandesgericht zog hierbei die durch den ungelosten Rechtsstreit entstandene Unruhe und Unsicherheit in Betracht und kam zu dem Ergebnis, dass Christofer durch den Ausschluss des Umgangs für einen bestimmten Zeitraum wieder die notwendige innere Ruhe und seelische Ausgeglichenheit finden könne. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer bis Juni 2001 sein Kind lediglich sechs Mal für jeweils mehrere Stunden sehen konnte. mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts wurde jede Form der Familienzusammenführung und die Herstellung eines weiteren Familienlebens jeder Art unmöglich. Der Gerichtshof weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es dem Wohl des Kindes dient, seine Familienbande aufrechtzuerhalten, denn solche Bande zu zerschneiden bedeutet, ein Kind seiner Wurzeln zu berauben, und dies kann nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen gerechtfertigt sein (siehe Gnahore ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 40031/9B, Nr. 59, ECHR 2000-1X, Johansen, a.a.O., S. 1008-1009, Nr. 78 und P., C, und S. .[ Vereinigtes Königreich, a.a.O., Nr. 118). Es gibt keine Beweise für solche außergewöhnlichen Umstände in dieser Rechtssache.

49. Das Oberlandesgericht Naumburg hat somit durch Aufhebung aller Entscheidungen, die dem Beschwerdeführer Umgang mit seinem Sohn gewährt hätten, die nach Artikel 8 bestehende eindeutige Verpflichtung zur Zusammenführung von Vater und Sohn nicht erfüllt.
Der Gerichtshof stellt fest, dass auch nach Ablauf eines Jahres im Juni 2002 die Bemühungen des Beschwerdeführers um Umgang mit seinem Sohn erfolglos geblieben sind.

50. Der Gerichtshof ist folglich auch unter Berücksichtigung des geringeren Ermessens-
spielraums bei Einschränkungen des elterlichen Umgangsrechts (siehe oben Nr. 42) der
Auffassung, dass die Gründe, auf die das Oberlandesgericht Naumburg seine Entschei-
dung, den Umgang des Beschwerdeführers mit seinem Kind für die Dauer eines Jahres
auszuschließen, gestützt hat, nicht ausreichend waren, um einen derart schweren Eingriff in
das Familienleben des Beschwerdeführers zu rechtfertigen- Ungeachtet des Ermessens-
spielraum der innerstaatlichen Behörden war der Eingriff daher in Bezug auf die rechtmäßig
verfolgten Ziele nicht verhältnismäßig,

51. Folglich ist Artikel 8 der Konvention verletzt worden.

iii. Entscheidungsprozess

52. Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass der mit den Eingriffsmaßnahmen ver-
bundene Entscheidungsprozess, auch wenn Artikel 8 der Konvention keine ausdrücklichen
Verfahrenserfordernisse vorsieht, fair und so gestaltet sein muss, dass die gebührende
Achtung der durch Artikel 8 geschützten Interessen sichergestellt ist; Der Gerichtshof muss
daher prüfen, ob der Beschwerdeführer angesichts der Umstände des Falls und vor allem
angesichts der Bedeutung der zu treffenden Entscheidungen in den Entscheidungsprozess
a s Ganzes so weit eingebunden war, dass der erforderliche Schutz seiner Interessen ge-
währ eistet war (sie le Urteil W. ./. Verewigtes Königreich vom 8, Juli 1987, Serie A Band
121, S 29, Nr. 64; Buscemi ./. Italien, Individualbeschwerde Nr. 2e56sl95, Nr. 58, ECHR
1999-VI, und Eisholz, a.a.O., Nr. 52).

53. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer, der anwaltlichen Beistand hatte,
Gelegenheit der schriftlichen und mündlichen Stellungnahme hatte. Der Beschwerdeführer
war in einer Position, die es ihm ermöglichte, alle Argumente für eine Gewährung des
Sorge- und Umgangsrechts vorzubringen, und er hatte auch Zugang zu allen einschlägigen
Informationen, nur d e sich die Gerichte gestützt haben. Der Gerichtshof stellt außerdem
fest, dass die dem Amtsgericht vorgelegten Beweismittel, d.h. die Erklärungen der Parteien
sowie der leiblichen Mutter des Kindes, die Stellungnahmen von Frau F., der ersten
Verfahrenspflegerin, und die psychologische Stellungnahme von Frau K, vom Landes-
jugendamt Sachsen-Anhalt vom 30. .Januar 2001, Teil der Beweisgrundlage für die
Entscheidung des Oberlandesgerichts waren: Darüber hinaus ordnete das Oberlandes-
gericht einen Bericht über die Befindlichkeit des Kindes und die häuslichen Verhältnisse des
Beschwerdefahrers und der Pflegeeltern an, den die neue Verfahrenspflegerin Frau E. am 6.
Juni 2001 erstattete.

54. Unter diesen Umständen und im Hinblick darauf, dass es generell Sache der inner-
staatlichen Gerichte ist, die ihnen vorliegenden Beweise zu würdigen (Sahin und Sommer-
feld, a.a.O., Nr. 73 bzw. Nr. 71), ist der Gerichtshof überzeugt, dass die sich aus Artikel 8
der Konvention ergebenden Verfahrenserfordernisse erfüllt waren und dass der Besch-
werdeführer in den Entscheidungsprozess als Ganzes so weit eingebunden war, dass der
erforderliche Schutz seiner Interessen gewährleistet war.

52. Folglich ist Artikel 8 der Konvention in dieser Hinsicht nicht verletzt worden.

11. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 6 ABSATZ 1 DER KONVENTION

56, Der Beschwerdeführer rügte, dass das Verfahren vor dem Oberlandesgericht
Naumburg nicht fair gewesen sei. Er beruft sich auf Artikel ß Abs. 1 der Konvention, der,
soweit entscheidungserheblich, wie folgt lautet:

"Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivil- .
rechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen ... von einem unabhängigen und unparteiischen
... Gericht ... innerhalb angemessener Frist verhandelt wird."

Der Beschwerdeführer bemängelte die Stellungnahmen der Sachverständigen, auf die
sich das Oberlandesgericht gestützt hat. Er rügte insbesondere, dass die zweite
Verfahrenspflegerin Frau E. im Verlauf der. Erstellung ihres Gutachtens mit ihm nicht
unmittelbar gesprochen und einen Hausbesuch bei ihm in seiner Abwesenheit gemacht
habe. Hinsichtlich der von einer Diplom-Pädagogin vorgelegten psychologischen,
Stellungnahme verwies der Beschwerdeführer auf eine in Erwiderung auf diese Stellung-
nahme verfasste kritische Stellungnahme der ersten Verfahrenspflegerin Frau F., in der
diese ausführlich begründet habe, warum die psychologische Stellungnahme nicht mit der
erforderlichen Sorgfalt erarbeitet worden sei. Ferner rügte er die angeblich unbegründete
Entpflichtung von Frau F., der ersten Verfahrenspflegerin im Verfahren vor dem Amtsgericht.

Der Beschwerdeführer trug außerdem vor, die Prozessbevollmächtigte des Jugendamts in
dem Beschwerdeverfahren sei gleichzeitig auch Prozessbevollmächtigte von Christofers
Pflegeeltern in dem Adoptionsverfahren gewesen, was seines Erachtens zu einem erhebli-
chen Interessenkonflikt geführt habe.

57. Die Regierung führte aus, dass der Beschwerdeführer Verfahrensbeteiligter gewesen
und sein Vorbringen vom Oberlandesgericht zur Kenntnis genommen und erwogen worden
sei. Er sei vom Gericht persönlich angehört und ihm sei Prozesskostenhilfe gewähr worden.
Entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers habe Frau E., die zweite Verfahrenspflegerin, den Beschwerdeführer vor der Erstellung ihres Gutachtens getroffen. der Ent pflichtung von Frau F. als Verfahrenspflegerin brachte die Regierung vor, es sei dem Be-
schwerdeführer verwehrt, dies als Verletzung seiner Rechte zu betrachten, weil Frau F. zum Schutz von Christofers Rechten und nicht zum Schutz seiner Rechte bestellt worden sei.

Zur Behauptung, die Prozessbevollmächtigte des Jugendamts im Beschwerdeverfahren
sei auch Prozessbevollmächtigte der Pflegeeltern in anderen Verfahren gewesen, trug die Regierung vor, dass diese Rüge vor dem Bundesverfassungsgericht nicht erhoben worden sei und der Beschw'3rdeführer daher diesbezüglich die nach deutschem Recht zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe nicht erschöpft habe. Jedenfalls habe die betreffende Prozessbevollmächtigte den gesetzlich durch das Jugendamt vertretenen Christofer im Gerichtsverfahren vertreten. Selbst_ wenn die Behauptungen des Beschwerdeführers
zuträfen, könne die Regierung nicht erkennen, inwiefern dadurch seine Rechte aus der
Konvention verletzt worden sein könnten.

58. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass es nach Artikel 19 der Konvention seine
Aufgabe ist sicherzustellen, dass die Vertragsstaaten ihre Verpflichtungen einhalten. Insbe-
sondere ist es nicht seine Aufgabe, als Beschwerdeinstanz tätig zu werden und sich mit Tat
sachen- oder Rechtsirrtümern zu befassen, die einem innerstaatlichen Gericht unterlaufen
sein sollen, sofern und soweit die nach der Konvention geschützten Rechte und Freiheiten
hierdurch nicht verletzt sind. Außerdem ist es generell Sache der innerstaatlichen Gerichte,
das ihnen vorliegende Beweismaterial zu würdigen und zu entscheiden, ob die von den Be-
klagten angebotenen Beweise entscheidungserheblich sind (siehe Urteil Vidal ./. Belgien
vom 22. April 1992, Serie A Band 235-B, S. 32, Nr. 33, Elshoz, a.a.O., Nr. 66, M.C. ./ Finn-
land (Entscheidung), Individualbeschwerde Nr. 25460/95, 26. Januar 2001). Der Gerichtshof
muss sich jedoch vergewissern, ob das Verfahren insgesamt einschließlich der Art des Um-
gangs mit dem Beweismaterial im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 der Konvention fair(war. Der
Gerichtshof erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Unterschiedlichkeit der Zwe-
cke, die mit dem nach Artikel 6 Absatz 1 bzw. Artikel 8 gewährten Schutz verfolgt werden,
eine Prüfung desselben Sachverhalts nach beiden Artikeln rechtfertigen kann (Urteil ~ j
McMlchael ./. Verewigtes Königreich vom 24. Februar 1995, Serie A Band 307-B, S. 57, Nr._
91, Noppe .[ Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 28422/95, Nr. 61, 5. Dezember 2002,
Buchberger .l. Österreich, Individualbeschwerde Nr. 32899/96, Nr. 49, 20. Dezember 2001,
Nekvedaviclus ./. Deutschland (Entscheidung), Individualbeschwerde Nr. 4616b/99, 19. Juni
2003).

59. Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass der Beschwerdeführer in den
Entscheidungsprozess im Sinne von Artikel 8 der Konvention hinreichend eingebunden war.
Der Gerichtshof kann keine Anhaltspunkte dafür feststellen, dass die Verfahren oder
Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte in der vorliegenden Rechtssache das m
Mittelpunkt von Artikel 6 Absatz 1 stehende Fairnessgebot verletzt haben, zumal der
Beschwerdeführer, der anwaltlich vertreten war, Gelegenheit hatte, die Sachverständigen-
gutachten während des Gerichtsverfahrens inhaltlich anzugreifen. In Bezug auf die
anwaltliche Vertretung des Jugendamts und der Pflegeeltern durch dieselbe
ProzessbevolImächtigte, se es auch in verschiedenen Verfahren; stellt der Gerichtshof fest,
dass das Amtsgericht Wittenberg in seiner

Entscheidung vom 9. März 2001 diese parallele Vertretung bereits der Kenntnis genommen
und erwähnt hatte. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Punkt die Entschei-
dungen der deutschen Gerichte in irgendeiner Weise 6eeinflusst hat. Zudem scheint der
Beschwerdeführer dieser Rüge kein Gewicht beigemessen zu haben, denn er hat die vor
dem Bundsverfassungsgericht nicht vorgebracht.

60. Im Ergebnis stellt der Gerichtshof fest, dass in dem Verfahren vor dem Oberlandes-
gericht Artikel 6 Absatz 1 der Konvention nicht verletzt worden ist.

III. ANWENDUNG VON ARTIKEL 41 DER KONVENTION : :

61. Artikel 41 der Konvention lautet:

"Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die :Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist.

. Schadensersatz

62. Der Beschwerdeführer begehrte 18.253,63 Euro als Ersatz für entgangenes Kinder-
geld und Baukindelgeld seit Christofers Geburt, denn Herr und Frau B. hätten beides für die
Betreuung Christofers erhalten. In Bezug auf das Baukindergeld führt der Beschwerdeführer
aus, dass ihm bein- Bau seines Hauses höhere Kosten entstanden seien, weil! er ausrei-
chenden Raum für Christofer vorgesehen habe. Da er nur einer Teilzeitbeschäftigung nach-
gegangen sei und bestimmte Stellenangebote nicht angenommen habe, um für Christofer
zur Verfügung zu stehen, und das Gerichtsverfahren auch zu erheblichen Beeinträchtigun-
gen seines Gesundheitszustands und seiner Konzentrationsfähigkeit geführt habe, begehrte
der Beschwerdeführer auch Ersatz des hierdurch entstandenen Lohnausfalls (11,572,93
Euro) Unter Hinweis auf den Kummer und die Enttäuschung, die ihm die Verweigerung der
elterlichen Sorge für sein Kind sowie des Umgangs mit ihm bereitet habe, begehrte der
Beschwerdeführer auch immateriellen Schadensersatz. Die Höhe dieses Schadensersatzes
stellte er in das Ermessen des Gerichtshofs.

63. Die Regierung bestritt, dass das entgangene Kindergeld und Baukindergeld ein :
Schaden im oben genannten Sinn sei, da es sich dabei um staatliche Zuschüsse handele,
die Familien mit Kindern zur Deckung der erhöhten Ausgaben gezahlt wurden, die
entstünden, wenn ein Kind oder mehrere Kinder im Haushalt leben. Da Christofer nie beim
Beschwerdeführer gelebt habe, seien derartige Kosten nie angefallen. Der
Beschwerdeführer könne auch keinen Schadensersatz wegen des Lohnausfalls verlangen,
weil die Entscheidung für eine Teilzeitbeschäftigung vom Beschwerdeführer getroffen
worden sei, um mit seinem Sohn zusammen zu sein, und folglich nicht darauf zurückgehe,
dass ihm das Sorge- und Umgangsrecht in Bezug auf seinen Sohn versagt wurde.

94. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Hohen Vertragsparteien sich durch Artigel
46 der Konvention verpflichtet haben, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das
endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen, wobei das Ministerkomitee dessen Durchfüh-
rung überwacht, Draus folgt u.a., dass ein Urteil, in dem der Gerichtshof eine Verletzung
feststellt, den beflaggten Staat rechtlich nicht nur zur Zahlung der als gerechte
Entschädigung Der zugesprochenen Beträge an die Betroffenen, sondern auch dazu
verpflichtet, unter der Überwachung durch das Ministerkomitee allgemeine bzw.
gegebenenfalls individuelle Maßnahmen in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung zu
treffen, um die vom Gerichtshof festgestellte Verletzung abzustellen und den Folgen so Weit
wie möglich abzuheilen. Im übrigen ist der beklagte Staat vorbehaltlich der Überwachung
durch das Ministerkomitee in der Wahl der Mittel, mit denen er seiner rechtlichen
Verpflichtung nach Artikel 46 der Konvention nachkommen will, frei, sofern diese Mittel mit
den Schlussfolgerungen vereinbar sind, zu denen der Gerichtshof in seinem Urteil gelangt
ist (Scozzari und Glunta, a.a.O., Nr. 249). Dies bedeutet in der vorliegenden Rechtssache,
dass dem Beschwerdeführer mindestens der Umgang mit seinem Kind ermöglicht werden
muss.

65. Was den materiellen Schaden angeht, so weist der Gerichtshof darauf hin, dass zwi-
schen dem vom Beschwerdeführer geltend gemachten Schaden und der Konventionsverlet-
zung ein klarer Kausalzusammenhang bestehen muss (P., C. und O ./. Vereinigtes
Königreich, a.a.O., Nr. 148). Er ist der Auffassung, dass der geltend gemachte materielle
Schaden nicht durch die festgestellte Verletzung verursacht wurde. Seines Erachtens hat
der Beschwerdeführer Allerdings aufgrund der Trennung von seinem Kind und auch in

Hinsicht auf die Beschrankungen seines Umgangsrechts einen immateriellen Schaden
erlitten, der durch die Feststellung einer Konventionsverletzung nicht hinreichend wieder
gutgemacht wird.

Gemäß Artikel 41 setzt der Gerichtshof die Summe nach Billigkeit fest und spricht dem
Beschwerdeführer l 5.000 Euro zu.

::

B. Kosten und Auslagen

66. Der Beschwerdeführer hat 2.538,23 Euro für Kosten und Auslagen vor den deutschen
Gerichten und vor dem Gerichtshof verlangt, und zwar 2.189,02 Euro für Reisekosten für
Besuche bei seinen Rechtsanwälten, So2,68 Euro für Porto- und Telefonkosten sowie 46,47
Euro für sonstige Kosten. Er hat die Forderungen detailliert aufgelistet.

67, Die Regierung hat hierzu nicht Stellung genommen.

68. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass unter dieser Rubrik eine Entschädigung
nur zugesprochen werden kann, soweit die Kosten und Auslagen tatsächlich und notwendi-
gerweise entstanden sind, um die festgestellte Verletzung zu vermeiden oder ihre Wieder-
gutmachung zu erreichen. Insbesondere kann eine Entschädigung nicht zugesprochen wer-
den von Kosten und Auslagen, die unabhängig davon angefallen wären, ob die Konvention
durch das in Rede stehende Verfahren verletzt wurde oder nicht (siehe sinngemäß F. C. und
S. _/. Verewigtes Königreich, a.a.O., Nr. 148). Im Übrigen kann eine Entschädigung nur für
Gebühren und Auslagen zugesprochen werden, die im Zusammenhang mit einer für
zulässig erklärten Rüge entstanden sind (K.A ./. Finnland, Individualbeschwerde Nr.
27751/95, 14. Januar 2003, Nr. 1b4).

65. Der Gerichtshof stellt fest, dass dem Beschwerdeführer vor dem Gerichtshof
Prozesskostenhilfe gewährt worden ist. Er stellt ferner fest, dass der Beschwerdeführer
Ersatz der Kosten für sei ne anwaltliche Vertretung vor den innerstaatlichen Gerichten nicht
verlangt hat. Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof nicht aufgefordert, über eine
Entschädigung unter dieser Rubrik zu entscheiden.

70. In Bezug auf die geltend gemachten weiteren Beträge stellt der Gerichtshof fest, dass
es sich hierbei um eigene Kosten und Auslagen des Beschwerdeführers handelt.

Der Gerichtshof hat zwar eine Verletzung von Artikel 8 wegen der Verweigerung des
Sorge- und Umgangsrechts, nicht jedoch eine Verletzung der Artikel 6 und wegen der be-
haupteten Verfahrensmängel festgestellt. Er entscheidet nach Billigkeit und spricht dem Be-
schwerdeführer einen Betrag von 1.500 Euro zu.

C. Verzugszinsen

71. Der Gerichtshof hält es für angemessen, für die Berechnung der Verzugszinsen den
Spitzenrefinanzierungssatz (marginal lending rate) der Europäischen Zentralbank zuzüglich
3 Prozentpunkte zugrunde zulegen.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG WIE FOLGT:

1. Artikel 8 der Konvention ist in Bezug auf die Verweigerung des Sorge- und
Umgangsrechts verletzt worden.

2. Artikel 8 der Konvention ist in Bezug auf das Entscheidungsverfahren nicht verletzt
worden.

3. Artikel 6 Absatz l der Konvention ist nicht verletzt worden.

4. a) Der beklagte Staat hat dem Beschwerdeführer binnen drei Monaten nach dem Tag, an
dem das Urteil nach Artikel 44 Absatz 2 der Konvention endgültig wird, 15.000 Euro
(fünfzehntausend Euro) in Bezug auf den immateriellen Schaden und 1.500 Euro (eintau-
sendfünfhundert Euro) für Kosten und Auslagen, zuzüglich gegebenenfalls zu berechnender
Steuern, zu zahlen.

b) Nach Ablauf der genannten Frist von drei Monaten bis vor Auszahlung fallen für die oben
genannten Beträge einfache Zinsen in Höhe eines Zinssatzes an, der dem Spitzen-
refinanzierungssatz (marginal lending rate) der Europäischen Zentralbank im Verzugs-
zeitraum zuzüglich drei Prozentpunkte entspricht.

:

5. Im Übrigen wird die Forderung des Beschwerdefahrers nach gerechter Entschädigung
zurückgewiesen. Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 26. Februar 2004
nach Artikel 77 Absätze 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

Vincent BERGER Lucius CAFLISCH

Kanzler Präsident

http://dejure.org/dienste/lex/BGB/1684/1.html

Rechtsprechung zu § 1684 BGB
bei lexetius.com (Sortierung: relevantere zuerst)
1
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38
BGH, 19.06.2002 - XII ZR 173/00
Der umgangsberechtigte Elternteil kann vom anderen Elternteil Schadensersatz verlangen, wenn ihm der andere Elternteil den Umgang nicht in der vom Familiengericht vorgesehenen Art und Weise gewährt und ihm daraus Mehraufwendungen entstehen.
BGB § 1684 Abs. 1, 2 (= § 1634 Abs. 1 a. F.)
 

BGH, 14.05.2008 - XII ZB 225/06
Das Recht auf Umgang mit seinen Eltern steht dem Kind als höchstpersönliches Recht zu und kann deswegen auch nur von ihm, vertreten durch den sorgeberechtigten Elternteil oder, im Falle eines Interessenkonflikts, durch einen Verfahrenspfleger, nicht aber von dem sorgeberechtigten Elternteil im eigenen Namen gerichtlich geltend gemacht werden (im Anschluss an BVerfG Urteil vom 1. April 2008 - 1 BvR 1620/ 04 - FamRZ 2008, 845).
BGB § 1684 Abs. 1

3

BGH, 11.05.2005 - XII ZB 120/04
Zur Bedeutung eines Beschlusses, mit dem das Familiengericht eine von den Eltern getroffene Umgangsregelung bestätigt.
BGB § 1684
 
4

BGH, 13.04.2005 - XII ZB 54/03
Pflegeeltern sind nicht berechtigt, Beschwerde gegen eine Entscheidung des Familiengerichts einzulegen, in der den Eltern ein Umgangsrecht mit dem Kind eingeräumt wurde (Fortführung der Senatsbeschlüsse vom 25. August 1999 - XII ZB 109/ 98 - FamRZ 2000, 219 und vom 11. September 2003 - XII ZB 30/ 01 - FamRZ 2004, 102).
BGB § 1684 Abs. 1; FGG §§ 20 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 9

5

BVerfG, 01.04.2008 - 1 BvR 1620/04
Die den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auferlegte Pflicht zur Pflege und Erziehung ihres Kindes besteht nicht allein dem Staat, sondern auch ihrem Kind gegenüber. Mit dieser elterlichen Pflicht korrespondiert das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Recht und Pflicht sind vom Gesetzgeber auszugestalten.

Der mit der Verpflichtung eines Elternteils zum Umgang mit seinem Kind verbundene Eingriff in das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ist wegen der den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auferlegten Verantwortung für ihr Kind und dessen Recht auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern gerechtfertigt. Es ist einem Elternteil zumutbar, zum Umgang mit seinem Kind verpflichtet zu werden, wenn dies dem Kindeswohl dient.

Ein Umgang mit dem Kind, der nur mit Zwangsmitteln gegen seinen umgangsunwilligen Elternteil durchgesetzt werden kann, dient in der Regel nicht dem Kindeswohl. Der durch die Zwangsmittelandrohung bewirkte Eingriff in das Grundrecht des Elternteils auf Schutz der Persönlichkeit ist insoweit nicht gerechtfertigt, es sei denn, es gibt im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen wird.

6

BVerfG, 09.04.2003 - 1 BvR 1493/96
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG schützt den leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater (so genannter biologischer Vater) in seinem Interesse, die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen. Ihm ist verfahrensrechtlich die Möglichkeit zu eröffnen, die rechtliche Vaterposition zu erlangen, wenn dem der Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern nicht entgegensteht.

Auch der biologische Vater bildet mit seinem Kind eine von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Der Grundrechtsschutz umfasst auch das Interesse am Erhalt dieser Beziehung. Es verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 GG, den so mit seinem Kind verbundenen biologischen Vater auch dann vom Umgang mit dem Kind auszuschließen, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient.

Zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 1600, 1685 BGB, § 1711 Abs. 2 BGB a. F.
Volltext bei 
7
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38
BVerfG, 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04
Gründe: A. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage aufenthaltsrechtlicher Schutzwirkungen aus Art. 6 GG zugunsten des umgangsberechtigten Vaters eines deutschen Kindes.

8

BGH, 22.11.2006 - XII ZR 24/04
Altersvorsorgeunterhalt kann für die Vergangenheit nicht erst von dem Zeitpunkt an verlangt werden, in dem er ausdrücklich geltend gemacht worden ist. Es reicht für die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen vielmehr aus, dass von diesem Auskunft mit dem Ziel der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs begehrt worden ist.
BGB §§ 1361 Abs. 1 Satz 2, 1360 a Abs. 3, 1613 Abs. 1 Satz 1

9

BVerfG, 23.10.2006 - 2 BvR 1797/06
Gründe: I. Die Verfassungsbeschwerde, die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden ist, betrifft die im Untersuchungshaftvollzug für den Besuch von Familienangehörigen zu gewährenden Besuchszeiten.

10

BGH, 23.02.2005 - XII ZR 56/02
Die angemessenen Kosten des Umgangs eines barunterhaltspflichtigen Elternteils mit seinem Kind können dann zu einer maßvollen Erhöhung des Selbstbehalts oder einer entsprechenden Minderung des unterhaltsrelevanten Einkommens führen, wenn dem Unterhaltspflichtigen das anteilige Kindergeld gem. § 1612 b Abs. 5 BGB ganz oder teilweise nicht zugute kommt und er die Kosten nicht aus den Mitteln bestreiten kann, die ihm über den notwendigen Selbstbehalt hinaus verbleiben (im Anschluß an Senatsurteil vom 29. Januar 2003 - XII ZR 289/ 01 - FamRZ 2003, 445 ff.).
BGB §§ 1603 Abs. 2, 1612 b Abs. 5, 1684 Abs. 1

Seite 2

11
BGH, 09.02.2005 - XII ZB 40/02
Zu den Anforderungen an die sozial-familiäre Beziehung einer Bezugsperson des Kindes.
BGB § 1685 Abs. 2

12
von
38
BVerfG, 20.05.2003 - 1 BvR 2222/01
Gründe: I. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die zwangsweise Durchführung von Umgangskontakten mit seinem 1999 geborenen Sohn im Beisein eines Sachverständigen.

13
BAG, 18.01.2001 - 6 AZR 492/99
Arbeitsbefreiung bei Niederkunft der Lebensgefährtin

Ein Angestellter einer Landesversicherungsanstalt in den neuen Bundesländern kann weder nach § 616 BGB iVm § 52 Abs. 1 Buchst a BAT-TgRV-O noch nach § 52 Abs. 3 Unterabs 1 BAT-TgRV-O bezahlte Freistellung aus Anlaß der Niederkunft seiner mit ihm nicht verheirateten Lebensgefährtin verlangen. Die Beschränkung des Anspruchs auf die Niederkunft der Ehefrau verstößt nicht gegen Art 3 Abs. 1 und Art 6 GG.
Volltext bei 
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BFH, 27.09.2007 - III R 28/05
Aufwendungen eines Elternteils für Besuche seiner bei dem anderen Elternteil lebenden Kinder sind nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar (Fortführung des Senatsurteils vom 28. März 1996 III R 208/ 94, BFHE 180, 551, BStBl II 1997, 54).
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; EStG § 32 Abs. 6, § 33

15

BVerfG, 09.02.2007 - 1 BvR 217/07
Gründe: Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde 1 BvR 217/ 07 gegen eine umgangs- und sorgerechtliche Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg bezüglich seines 1999 geborenen Sohnes. Im Verfahren ...

16

BVerfG, 26.09.2006 - 1 BvR 1827/06
Gründe: I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine Umgangsregelung, die zurzeit keine Übernachtung und keine Ferienaufenthalte seines dreijährigen Kindes bei ihm vorsieht.

17
BVerfG, 20.09.2006 - 1 BvR 1337/06
Gründe: I. Der Beschwerdeführer behauptet, leiblicher Vater des 2004 geborenen Sohns der Eheleute H. zu sein und wendet sich gegen die Verweigerung von Umgangs- und Auskunftsansprüchen.

18
BVerfG, 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04
Zur Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische "Vollstreckung" können gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen.

Bei der Berücksichtigung von Entscheidungen des Gerichtshofs haben die staatlichen Organe die Auswirkungen auf die nationale Rechtsordnung in ihre Rechtsanwendung einzubeziehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich bei dem einschlägigen nationalen Recht um ein ausbalanciertes Teilsystem des innerstaatlichen Rechts handelt, das verschiedene Grundrechtspositionen miteinander zum Ausgleich bringen will.

19
BVerwG, 20.02.2002 - 6 C 18.01
Änderung des Familiennamens; Namensänderung; wichtiger Grund; "Scheidungshalbwaise"; Förderlichkeit für das Kindeswohl; Erforderlichkeit für das Kindeswohl.

Ist die Ehe der Eltern eines minderjährigen Kindes, das den Ehenamen der Eltern als Geburtsnamen erhalten hat, geschieden worden und hat der nicht erneut verheiratete allein sorgeberechtigte Elternteil wieder seinen Geburtsnamen angenommen, so ist auch nach In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 2942) die Änderung des Geburtsnamens des Kindes ("Scheidungshalbwaise") auf öffentlich-rechtlicher Rechtsgrundlage möglich.

Ein wichtiger Grund im Sinne des § 3 NÄG, der die Änderung des Geburtsnamens des Kindes in den Namen des sorgeberechtigten Elternteils rechtfertigt, liegt bei fehlender Einwilligung des anderen Elternteils nicht schon dann vor, wenn die Namensänderung für das Wohl des Kindes förderlich ist, sondern nur, wenn sie für das Kindeswohl erforderlich ist (Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere BVerwGE 95, 21).
NÄG § 3 Abs. 1; BGB §§ 1355, 1616, 1617, 1617 a, 1617 b, 1617 c, 1618

20

BVerfG, 20.10.2008 - 1 BvR 2275/08
Gründe: I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Ablehnung der Übertragung der elterlichen Sorge für sein Kind nach § 1680 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 BGB, die ...

Seite 3

21
BVerfG, 23.01.2008 - 1 BvR 2911/07
Gründe: I. Der Beschwerdeführer zu 1) (im Folgenden: Beschwerdeführer) wendet sich - auch im Namen seiner beiden minderjährigen Kinder, der Beschwerdeführer zu 2) und 3) - gegen einen vorläufigen Umgangsausschluss samt Kontaktverbot.

22
BGH, 12.12.2007 - XII ZB 158/05
Zur Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge, wenn der die Alleinsorge begehrende Elternteil für die völlige Zerrüttung der sozialen Beziehungen zwischen den Eltern (haupt-) verantwortlich ist.
BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2

23
BVerfG, 09.05.2007 - 1 BvR 1253/06
Gründe: I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen einen Umgangsausschluss.
 
24
BVerfG, 09.02.2007 - 1 BvR 125/07
Gründe: Der 1999 geborene Beschwerdeführer wehrt sich mit einer durch die Verfahrenspflegerin erhobenen Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Umgangsentscheidung und begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Aussetzung und Modifizierung der Umgangsregelung.

25
BVerfG, 24.07.2006 - 1 BvR 971/03
Gründe: I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die seiner Auffassung nach unzureichende Bemessung seines Rechts auf Umgang mit seinen Kindern.

26
BVerfG, 13.07.2005 - 1 BvR 1245/05
Gründe: I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Ausschluss seines Umgangs mit seinem Sohn bis zu dessen Volljährigkeit.
 
27
BGH, 26.01.2005 - XII ZR 70/03
§ 1600 Abs. 4 BGB gilt auch für Anfechtungsfälle, über die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung noch nicht entschieden war.
BGB § 1600 Abs. 4

28
BFH, 14.12.2004 - VIII R 106/03
1. Es verstößt nicht gegen das GG oder sonstiges Recht, - dass das Kindergeld gemäß § 64 Abs. 1 EStG an nur einen Berechtigten zu zahlen ist und - dass es gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG an denjenigen Berechtigten zu zahlen ist, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (Obhutsprinzip).

2. Der Begriff der Haushaltsaufnahme i. S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ist unter Berücksichtigung seines Zwecks dahin auszulegen, dass ein Kind, welches sich in den Haushalten beider Elternteile in einer Besuchscharakter überschreitenden Weise aufhält, demjenigen Elternteil zuzuordnen ist, in dessen Haushalt es sich überwiegend aufhält und seinen Lebensmittelpunkt hat.
EStG § 64 Abs. 1 und 2; GG Art. 3, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; EMRK Art. 8, Art. 14; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 7, 20, 23 Abs. 1 und 24

29
BFH, 30.11.2004 - VIII R 51/03
Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 31 Satz 5 und § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 2001 maßgeblichen Fassung insoweit mit dem GG vereinbar sind, als danach bei Steuerpflichtigen, deren Einkommen gemäß § 31 Satz 4 EStG um die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG gemindert wurde, die tarifliche Einkommensteuer auch in den Fällen um die Hälfte des gezahlten Kindergelds zu erhöhen ist, in denen eine Anrechnung des Kindergelds auf den Barunterhalt nach § 1612b Abs. 5 BGB i. d. F. des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000 (BGBl I 2000, 1479) mit der Folge ganz oder teilweise unterblieben ist, dass im wirtschaftlichen Ergebnis nicht einmal die tatsächlichen - die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG unterschreitenden - Unterhaltszahlungen des Steuerpflichtigen in vollem Umfang von der Einkommensteuer freigestellt worden sind.
GG Art. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6, Art. 20 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1; EStG 2001 § 31 Satz 5, § 32 Abs. 6, § 36 Abs. 2 Satz 1; BGB § 1612b Abs. 1 und 5; BVerfGG § 80 Abs. 1 und 2

30
BVerfG, 09.04.2003 - 1 BvL 1/01
§ 1612 b Abs. 5 BGB verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit er zur Sicherung des Existenzminimums des unterhaltsberechtigten Kindes die Anrechnung des Kindergeldes auf den Kindesunterhalt von der Leistungsfähigkeit des barunterhaltspflichtigen Elternteils abhängig macht und diesen vor dem betreuenden Elternteil verpflichtet, seinen Kindergeldanteil zur Deckung eines Defizits beim Kindesunterhalt einzusetzen.

Das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG gebietet dem Gesetzgeber, bei der von ihm gewählten Ausgestaltung eines Familienleistungsausgleichs Normen zu schaffen, die auch in ihrem Zusammenwirken dem Grundsatz der Normenklarheit entsprechen. Dem genügen die das Kindergeld betreffenden Regelungen in ihrer sozial-, steuer- und familienrechtlichen Verflechtung immer weniger.
Grundgesetz
   
IX. Die Rechtsprechung (Art. 92 - 104)
   
Gliederung
Artikel 103
(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.
(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Rechtsprechung zu Art. 103 GG
Rechtsprechungsübersichten:
1854 Entscheidungen zu Art. 103 GG im Volltext bei
geordnet nach Relevanz oder nach Datum
200 Entscheidungen der BGH-Strafsenate zu Art. 103 GG im Volltext bei
geordnet nach Datum
29 Urteilsbesprechungen zu Art. 103 GG bei ibr-online
Redaktionell ausgewählte Entscheidungen:
BVerfG, Jemenitischer Staatssekretär, 5.11.03 
Art. 100 II GG, zur (hier verletzten) Pflicht der Gerichte, bei objektiven völkerrechtlichen Zweifeln das BVerfG anzurufen;
Art. 25 GG, zur Frage, ob das Herauslocken eines Verdächtigen aus seinem Heimatland durch fremde Staatsgewalt völkerrechtswidrig ist: Es stellt jdf keine völkerrechtliches Auslieferungshindernis für den Aufenthaltsstaat (hier: Deutschland) dar;
Art. 103 II GG, zur Frage der Anwendbarkeit des für das materielle Strafrecht geltenden Rückwirkungsverbots bei der Prüfung der Auslieferungsvoraussetzungen gem. § 3 IRG: Offengelassen (hier: Inkrafttreten des § 129b StGB zum 30.8.2003)

BGH, "Es sind 9000 DM! Ja, 9000 DM in bar!", 16.10.03
§ 661a BGB ist nicht verfassungswidrig, § 661a BGB stellt keine strafähnliche Sanktion iSv Art. 103 III GG dar

BVerfG, Rechtsschutz gegen den Richter, 30.4.03 
Art. 19 IV, 103 GG, (fachgerichtlicher) Rechtsweg steht auch zur Überprüfung einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör offen und muß einfachgesetzlich geregelt werden (Abkehr von der bisherigen Rspr.)

BVerfG, rechtswidrige Nebentätigkeit des Polizeihauptkommisars, 21.11.02
§ 13 I StGB (unechte Unterlassungsdelikte) verstößt nicht gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 II GG);
§§ 258, 13 I StGB, §§ 163 I, 152 II StPO, die Grundsätze der Rechtsprechung über die Strafbarkeit von Polizeibeamten bei unterlassenem Einschreiten nach privat erlangter Kenntnis von begangenen Straftaten (Abwägung im Einzelfall) sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden

BVerfG, Zündholzbriefchen II, 25.10.02 (NJW 2003, 1655)
§ 287 ZPO, Ablehnung eines Beweisantrags unter Verletzung der Grenzen pflichtgemäßen Ermessens stellt zugleich eine Verletzung von Art. 103 I GG dar;
Art. 14 GG im Urheberrecht (hier: Bemessung des Schadenersatzes nach § 97 UrhG gem. Lizenzanalogie)

BVerfG, Vermögensstrafe, 20.3.02 (NJW 2002, 1779) 
§ 43a StGB ist wegen Verstoßes gegen Art. 103 II GG (strafrechtliches Bestimmtheitsgebot) verfassungswidrig und nichtig, Abgrenzung der Aufgaben des Strafgesetzgebers und des Strafrichters

BVerfG, Sitzblockade III, 24.10.01 (NJW 2002, 1031) 
Art. 103 II GG, § 240 I StGB, zur verfassungskonformen Auslegung des Gewaltbegriffs und der Verwerflichkeitsklausel, zur Bedeutung des Art. 8 GG in Sitzblockade-Fällen

BGH, Blutspendedienst des Bayerischen Roten Kreuzes, 15.3.01 (NJW 2001, 2102)
§ 299 StGB;
§ 11 I Nr. 2 StGB, Begriff des Amtsträgers;
§ 301 StGB, kein Verstoß gegen Art. 103 II GG durch nachträglichen Wegfall (oder nachträgliche Einschränkung) eines Strafantragserfordernisses

BVerfG, prozessuale Privilegierung der GEMA, 4.9.00 (NJW 2001, 1200)
Art. 3 GG, § 13b II UrhWahrnG;
Art. 103 I GG, zulässiges Unbeachtetlassen eines Parteivortrags, wenn er für das Gericht nur mit unangemessenem Aufwand nachvollziehbar ist (hier: umfangreiche Unterlagen in Anlagen)

BVerfG, rückwirkende Änderung des Rechts der Sicherungsverwahrung, 29.2.00
§ 2 VI StGB, Art. 1a III EGStGB, Art. 103 II GG;
§ 92 BVerfGG, unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen ein rückwirkendes Gesetz, wenn der Beschwerdeführer sich nicht eingehend mit Rechtsprechung und Literatur auseinandersetzt;
§ 90 BVerfGG, Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde erfordert, daß schon im fachgerichtlichen Verfahren verfassungsrechtliche Bedenken nicht nur pauschal, sondern ebenso eingehend vorgebracht werden

BVerfG, nachträgliches Ruhen der Verjährung, 31.1.00 (NJW 2000, 1554)
§ 78b I Nr. 1 StGB;
Art. 103 II GG

BVerfG, Genehmigung der Erbauseinandersetzung durch Rechtspfleger, 18.1.00 (BVerfGE 101, 397) 
Art. 19 IV GG: §§ 62, 55 FGG sind insoweit verfassungswidrig, als sie zu einem Ausschluß des Rechtswegs gegen Entscheidungen des Rechtspfleger führen (vgl. auch § 11 III RPflG);
Art. 103 I GG ist für Verwaltungsverfahren, auch im gerichtlichen Verfahren vor dem Rechtspfleger, nicht anwendbar, § 1 RPflG, Anhörung aber als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips erforderlich, § 20 III GG

BVerfG, Egon Krenz, 12.1.00 (NJW 2000, 1480)
Strafbarkeit wegen in der DDR rechtmäßiger Tötungen an der Grenze, Zurücktreten des Art. 103 II GG gegenüber dem Gebot der materiellen Gerechtigkeit "in dieser ganz besonderen Situation" (Hinweis zum weiteren Verfahren: der EuGMR wies die Individualbeschwerde von Egon Krenz ab: Entscheidung vom 22.3.02, Az. 34044/96)

BVerfG, fehlende Prognosebegründung, 7.12.99 (StV 2000, 113)
§§ 33, 33a StPO, Art. 103 I GG, Begründungserfordernis bei einer Entscheidung nach § 81g StPO

BVerfG, Berufungsbegründung im Feiertagspostverkehr, 11.11.99 (NJW-RR 2000, 726)
§ 233 ZPO, Vertrauen auf normale Postlaufzeiten, Art. 103 I GG

BVerwG, nichtgenehmigter Studienaufenthalt in Oxford, 10.11.99 (BVerwGE 110, 40)
§ 3 II WPflG, Art. 18 EG, keine Anwendbarkeit der Freizügigkeitsgarantie auf Wehrdienstleistende;
§§ 6 VwGO, § 548 ZPO (nunmehr § 557 II ZPO ), Art. 103 I, 101 I 2 GG, Heilung eines Verstoßes gegen das Gebot rechtlichen Gehörs

BVerfG, "in-camera-Verfahren" im Verwaltungsprozeß, 27.10.99 (BVerfGE 101, 106) 
§ 99 I 2, II 1 VwGO aF, Art. 19 IV GG, Art. 103 I GG;
(Hinweis: beachte die Neuregelungen in §§ 99 II, 189 VwGO als Folge dieser Entscheidung)

BVerfG, altruistische Nierenspende, 11.8.99 (NJW 1999, 3399)
§§ 8 I 2, 19 II Transplantationsgesetz, Art. 2 I, II 103 II, 19 I 2 GG

OLG Stuttgart, islamische Privatscheidung, 3.12.98 (FamRZ 2000, 171)
Art. 7 § 1 FamRÄndG, § 606a II ZPO, keine Anerkennung einer Privatscheidung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 6 EGBGB, Art. 103 I GG)

BVerfG, gegenläufige Kinderrückführungsanträge, 29.10.98 (BVerfGE 99, 145)
Art. 6 II, Art. 2 I iVm Art. 103 I, Haager Kindesentführungsübereinkommen

BVerfG, Kokain-Bubbles, 4.5.98 (EuGRZ 1998, 466)
§§ 172 ff StPO, Art. 103 I GG, Verfahrensrechte des Verletzten im Klageerzwingungsverfahren, hier: unzureichende Sachverhaltsermittlung;
(Hinweise zum Verfahrensfortgang: nach Rückverweisung erfolgte erneute Verfahrenseinstellung nach § 170 II StPO, gegen einen der Beschuldigten jedoch Einstellung nach § 153a I StPO, die hiergegen gerichtete neue Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos: «Kokain-Bubbles II»)

BVerfG, Lügendetektor II [BVerfG], 7.4.98
Art. 1 I, 2 I, 103 I GG

BVerfG, verschwundenes Einspruchsschreiben mit Eingangsstempel, 6.4.98 (NJW 1998, 2044)
§ 139 ZPO, Art. 103 I GG, Art. 2 I GG, faire Verfahrensgestaltung;
§ 282 II ZPO, keine Abwälzung der Verantwortung auf die Partei bei fehlerhafter Aktenführung des Gerichts;
§ 139 ZPO, Hinweispflicht des Berufungsgerichts über vom Erstrichter abweichende Beurteilung der Beweislast

BVerfG, Schwarzfahren, 9.2.98 (NJW 1998, 1135)
§ 265a StGB, Art. 103 II GG

BVerfG, Mauerschützen [BVerfG], 24.10.96 (BVerfGE 95, 96) 
Art. 103 II

BVerfG, Überraschungsentscheidungen, 15.8.96 (NJW 1996, 3202)
Art. 2 I i.V.m. Art. 20 III: Anspruch auf faires Verfahren;
Art. 103 I

BVerfG, Flughafenverfahren, 14.4.96 (BVerfGE 94, 166)
Art. 16a IV, Anforderungen an die Abweisung einer Asylklage als "offensichtlich unbegründet";
Art. 103 I

BGH, Bestimmtheit einer Baumschutzsatzung, 15.3.96 (BGHSt 42, 79)
§ 3 OWiG, Art. 103 II GG, Blankettvorschriften, unbestimmte Rechtsvorschriften, dynamische Verweisungen

BVerfG, DDR - Spionage, 15.5.95 (BVerfGE 92, 277) 
Völkerrecht, Art. 103 II GG, Rechtsstaatsprinzip, "einzigartige Situation"

BVerfG, Sitzblockade II, 10.1.95 (BVerfGE 92, 1) 
Art. 103 II GG, § 240 I StGB, zur verfassungskonformen Auslegung des Gewaltbegriffs

BVerfG, nicht ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung, 2.1.95 (NJW 1996, 45)
Art. 103 I GG, § 278 III ZPO (nunmehr § 139 II ZPO );
§ 72a ArbGG (vgl. auch § 133 VwGO), Nichtzulassungsbeschwerde gehört bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit nicht zum Rechtsweg i.S.v. § 90 II 1 BVerfGG

BVerfG, "Deine Kinder gehen schlecht, deine Kinder tot", 19.12.94 (NJW 1995, 2776)
Art. 103 II GG, § 241 StGB, keine strafbare Bedrohung, wenn die vermeintliche "nahestehende Person" nicht existiert, Straflosigkeit des (untauglichen) Versuchs

BVerfG, 1,1 o/oo, 27.6.94 (NJW 1995, 125)
§§ 315c I Nr. 1, 316 StGB, Art. 2 I 103 II GG, § 261 StPO, den Gegenbeweis ausschließende Bindung an Erfahrungssätze

BVerfG, Selbstablehnung, 8.6.93 (BVerfGE 89, 28)
§ 48 ZPO, Art. 103 I GG

BVerfG, Versammlungsauflösung, 1.12.92 (BVerfGE 87, 399)
Art. 8, § 29 I Nr. 2 VersG, Strafbarkeit setzt die Rechtmäßigkeit der Auflösungsverfügung voraus;
Art. 103 II, Ordnungswidrigkeit

BVerfG, "Tanz der Teufel", 20.10.92 (BVerfGE 87, 209)
§ 131 StGB, Art. 103 II GG, Analogieverbot, "Zombie" ist kein "Mensch", Auslegung des Tatbestandsmerkmals in § 131 StGB "Menschenwürde verletzend";
Art. 5 I 2 GG, Zensur, "Vorprüfung der Strafbarkeit";
Art. 101 I 2 GG

BVerfG, versäumte Berufungsverhandlung wegen Wohnungsabwesenheit, 6.10.92 (NJW 1993, 847) 
Art. 103 I GG, § 44 StPO (Hinweis: siehe auch § 233 ZPO, § 60 VwGO), "Wer eine ständige Wohnung hat und diese nur vorübergehend nicht benutzt, braucht für die Zeit seiner Abwesenheit keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen zu treffen. Der Staatsbürger muß damit rechnen können, daß er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten wird."

BVerfG, Fangschaltungen, 25.3.92 (BVerfGE 85, 386)
Art. 10, Deutsche Bundespost;
Art. 103 I, rechtsstaatliches Verfahren;
Hinnahme eines verfassungswidrigen Zustandes für eine Übergangszeit

BVerfG, blinder Berufungsrichter, 10.1.92 (NJW 1992, 2075)
Art. 101 I 2 GG, kein Anspruch der Prozeßbeteiligten hinsichtlich persönlicher Eigenschaften des Richters, Art. 101 I 2 GG enger als § 338 Nr. 1 StPO;
Art. 103 I GG, Erfordernis einer ausreichenden Kommunikation

BVerfG, Präventivgewahrsam, 30.10.90 (BVerfGE 83, 24)
Art. 104 II, Art. 103 I GG

BVerfG, Sitzblockade I, 11.11.86 (BVerfGE 73, 206) 
§ 240 StGB, Art. 103 II GG

BVerfG, Anti-Atomkraftplakette, 23.10.85 (BVerfGE 71, 108)
Art. 5, Art. 103 II GG, Richterrecht

BVerfG, Strafbefehl II, 7.12.83 (BVerfGE 65, 377)
§ 410 StPO aF, (frühere) eingeschränkte Geltung von "ne bis in idem" im Strafbefehlsverfahren verstieß zwar nicht gegen Art. 103 III GG, jedoch gegen Art. 3 I GG wegen Ungleichbehandlung mit den in § 84 II OWiG und § 153a I 5 StPO geregelten Fällen;
Hinweis: gem. § 410 III StPO nF gilt nun erweiterter Strafklageverbrauch auch im Strafbefehlsverfahren

BVerfG, Startbahn West, 24.3.82 (BVerfGE 60, 175)
Art. 28 I GG, Bundes- und Landesverfassungsrecht im landesverfassungsgerichtlichen Verfahren, Art. 103 I, 101 I 2 GG

BVerfG, V-Mann, 26.5.81 (BVerfGE 57, 250)
§ 99 I Nr. 1 StGB, Art. 103 II, 5 GG;
§ 251 II 2 StPO verletzt auch dann nicht das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2, 20 III GG), wenn der Zeuge von den Behörden geheim gehalten wird (vgl. §§ 54, 96 StPO)

BVerfG, RAF-Anschlag in Heidelberg II, 8.1.81 (BVerfGE 56, 22) 
vorangegangene Bestrafung wegen RAF-Mitgliedschaft, § 129 StGB, Art. 103 III GG, ne bis in idem, prozessualer Tatbegriff, § 264 StPO, §§ 52, 53 StGB

BVerfG, Präklusion im Zivilprozeß, 7.10.80 (BVerfGE 55, 72)
§ 528 III ZPO , Art. 3, 103

BVerfG, Führungsaufsicht, 15.8.80 (BVerfGE 55, 28)
Art. 103 III GG, § 68f StGB, Verfassungsmäßigkeit der Führungsaufsicht

BVerfG, Zwangsversteigerung I, 24.3.76 (BVerfGE 42, 64)
Art. 3 GG, Willkür, Art. 103 I GG, § 139 ZPO

BVerfG, Justizverwaltungsakt, 28.10.75 (BVerfGE 40, 237)
§ 24 II EGGVG, Verwaltungsanordnung, Art. 19 IV, 103 I GG, Vorbehalt des Gesetzes

BVerfG, Strafbestimmungen in Gemeindesatzungen, 23.2.72 (BVerfGE 32, 346)
Art. 103 II, Bestimmtheitsgrundsatz

BGH, Sonderkommando 1005, 15.7.69 (BGHSt 23, 39)
Massenmorde durch staatliche Gewalt, Art. 103 II GG;
natürliche Handlungseinheit;
§§ 211, 28, Verdeckungsabsicht als niedriger Beweggrund

BVerfG, Grober Unfug, 14.5.69 (BVerfGE 26, 41)
Art. 103 II GG, hinreichende Bestimmtheit einer Strafvorschrift (hier: § 360 Nr. 11 StGB aF) durch "jahrzehntelang gefestigte Rechtsprechung", (Hinweis: vgl. jetzt § 118 OWiG)

BVerfG, Einsicht in Patentunterlagen, 10.6.64 (BVerfGE 18, 85) 
Betriebsgeheimnisse;
Art. 14 GG, § 90 BVerfGG, Erfolg einer Verfassungsbeschwerde nur bei Verletzung "spezifischen Verfassungsrechts";
Art. 103 I

BVerfG, Strafbefehl I, 18.12.53 (BVerfGE 3, 248)
§ 410 StPO aF, § 373a I StPO, Art. 103 III GG, eingeschränkte Geltung von "ne bis in idem" im Strafbefehlsverfahren;
Hinweis: einfachgesetzlich nun erweiterter Strafklageverbrauch gem. § 410 III StPO nF;
diese Erweiterung verstößt unter Zugrundelegung der Meinung des BVerfG aus dem Jahr 1953 gegen ein "Gebot der Gerechtigkeit"

Literatur im Internet zu Art. 103 GG
Keine Strafe ohne Gesetz – Das Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 7 EMRK in der Rechtsprechung des EGMR von Dr. Daniela Demko (LLM), Zürich (Aufsatz)
über hrr-strafrecht.de
Rechtsstaat und revolutionäre Gerechtigkeit von Prof. Dr. Bernhard Schlink (Aufsatz)
Der Verfasser beschätigt sich in seinem Beitrag zur Bewältigung kommunistischer Vergangenheit in Deutschland unter anderem mit der Mauerschützenproblematik und dem Rückwirkungsverbot in Art. 103 Abs. 2 GG.
über www.humboldt-forum-recht.de
Befreiung des Strafrechts vom nationalsozialistischen Denken? von Prof. Dr. Gerhard Wolf (Aufsatz)
Der Autor greift in seinem Beitrag die Weiternutzung von Elementen der nationalsozialistischen Rechtslehre sowohl in zahlreichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches als auch in Lehrmeinungen zu dessen Allgemeinem und Besonderem Teil an.
über www.humboldt-forum-recht.de
Stärkung der Verletztenrechte – Gefahr für den rechtsstaatlichen Strafprozess oder grundrechtlich gebotene Emanzipation? von RA Margarete Gräfin von Galen, Berlin (Aufsatz, PDF-Format)
BRAK-Mitteilungen 3/2002, S. 110-115
über www.brak-mitteilungen.de
Art. 103 GG wird im freien Lexikon Wikipedia unter folgenden Stichworten zitiert:
Analogieverbot
Bestimmtheitsgebot
Erschleichen von Leistungen
Gewohnheitsrecht
In-camera-Verfahren
Nulla poena sine culpa
Nulla poena sine lege
Nötigung
Rechtsstaat
Rückwirkungsverbot im Strafrecht
Strafzumessung
Unnützes Hin- und Herfahren
Verjährungsdebatte
Fügen Sie einen neuen Literaturhinweis hinzu
Querverweise
Auf Art. 103 GG verweisen folgende Vorschriften:
GG
Die Rechtsprechung
Art. 93
Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG)
Verfassung und Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts
§ 14
 
Besondere Verfahrensvorschriften
Verfahren in den Fällen des § 13 Nr. 8a
§ 90
Redaktionelle Querverweise zu Art. 103 GG:
GG
Die Grundrechte
Art. 2 (zu Art. 103 II)
Europäische Menschenrechtskonvention (MRK)
Rechte und Freiheiten
Art. 6 (Recht auf ein faires Verfahren) (zu Art. 103 I)
Art. 7 (Keine Strafe ohne Gesetz) (zu Art. 103 II)
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
Verfahren
Verwaltungssachen
Beschwerde
§ 71a (Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör) (zu Art. 103 I)
Markengesetz (MarkenG)
Verfahren in Markenangelegenheiten
Verfahren vor dem Bundesgerichtshof
§ 89a (Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör) (zu Art. 103 I)
Zivilprozessordnung (ZPO)
Allgemeine Vorschriften
Verfahren
Mündliche Verhandlung
§ 139 II (Materielle Prozessleitung) (zu Art. 103 I)
 
Verfahren im ersten Rechtszug
Verfahren vor den Landgerichten
Urteil
§ 321a (Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör) (zu Art. 103 I)
Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen
Urteilsverfahren
Beschwerdeverfahren, Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
§ 78a (Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör) (zu Art. 103 I)
Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG)
Allgemeine Vorschriften
§ 29a (zu Art. 103 I)
Strafgesetzbuch (StGB)
Allgemeiner Teil
Das Strafgesetz
Geltungsbereich
§ 1 (Keine Strafe ohne Gesetz) (zu Art. 103 II)
Strafprozeßordnung (StPO)
Allgemeine Vorschriften
Gerichtliche Entscheidungen und Kommunikation zwischen den Beteiligten
§ 33 (zu Art. 103 I)
§ 33a (zu Art. 103 I)
 
Verfahren im ersten Rechtszug
Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens
§ 211 (zu Art. 103 III)
 
Rechtsmittel
Revision
§ 356a (zu Art. 103 I)
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
Verfahren
Urteile und andere Entscheidungen
§ 108 II (zu Art. 103 I)
 
Rechtsmittel und Wiederaufnahme des Verfahrens
Revision
§ 138 Nr. 3 (zu Art. 103 I)
Beschwerde, Erinnerung, Anhörungsrüge
§ 152a (zu Art. 103 I)
Finanzgerichtsordnung (FGO)
§ 133a (zu Art. 103 I)

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BVerwG, 20.02.2003 - 1 C 13.02
Aufenthaltserlaubnis für Asylberechtigten; Widerruf der Aufenthaltserlaubnis; Wegfall der Asylberechtigung; Aufenthaltsberechtigung; kleinere Straftaten; Ausweisungsgrund; getrennt lebender nichtehelicher Vater; nichteheliches Kind; Familienschutz; Sperrwirkung der Abschiebung.

Der Widerruf einer nach § 68 AsylVfG erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG ist bei Wegfall der Asylberechtigung nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 27 Abs. 2 AuslG oder einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AuslG unter Berücksichtigung der Zeiten seiner asylbedingten Aufenthaltserlaubnis erfüllt.
GG Art. 6; EMRK Art. 8; AuslG § 8 Abs. 2 Satz 2, § 24 Abs. 1, § 27 Abs. 2, § 43 Abs. 1 Nr. 4; AsylVfG § 68
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BGH, 29.01.2003 - XII ZR 289/01
Die Vorschrift des § 1612 b Abs. 5 BGB, wonach eine Anrechnung des Kindergeldes auf den Barunterhalt unterbleibt, soweit der Unterhaltspflichtige nicht 135 % des Regelbetrages leistet, dient der Sicherstellung des sächlichen Existenzminimums des Kindes und verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1 GG (im Anschluß an das Urteil des Senats vom 6. Februar 2002 - XII ZR 20/ 00 - FamRZ 2002, 536).
GG Art. 3 Abs. 1 und 2.; Art. 6 Abs. 1; BGB § 1612 b Abs. 5
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BVerfG, 21.06.2002 - 1 BvR 605/02
Gründe: I. Mit der Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer insbesondere gegen den in einem Eilverfahren erfolgten Entzug der Personensorge für ihre vier gemeinsamen Kinder sowie den Entzug der elterlichen Sorge für drei weitere Kinder der Beschwerdeführerin zu 1 und den Ausschluss ...
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BVerfG, 30.01.2002 - 2 BvR 231/00
Gründe: A. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage aufenthaltsrechtlicher Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG zugunsten des mitsorgeberechtigten nichtehelichen Vaters eines deutschen Kindes.
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BVerfG, 07.03.2001 - 2 BvR 2108/00
Gründe: Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG zulässig und begründet.
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38
BGH, 09.02.2000 - XII ZB 76/99
Gründe: I. Der Antragsteller ist durch Urteil des Amtsgerichts als Vater des Kindes Norman festgestellt worden. Durch Beschluß vom 2. Februar 1999 hat das Vormundschaftsgericht das Umgangsrecht des Antragstellers mit dem Kind geregelt. Dieser Beschluß wurde der Antragsgegnerin zu Händen ihres ...
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BVerfG, 11.11.1999 - 1 BvR 1647/96
Gründe: I. 1. Der im Mai 1989 geborene Beschwerdeführer zu 1) ist der leibliche Sohn der M. Im Juni 1990 wurde die Kindesmutter in das Landeskrankenhaus Bonn zwangseingewiesen. Der Beschwerdeführer zu 1) und seine im November 1987 geborene Schwester F. wurden daraufhin von den Beschwerdeführern zu ...
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BVerfG, 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99
Gründe: Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, mit dem die Beschwerdeführer im Hinblick auf das zwischen ihnen bestehende Vater-Kind-Verhältnis den Aufschub aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer zu 1. bis zur ...
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Ein ähnlich gelagerter Fall muss ich derzeit durchlaufen.

Vielleicht kann der eine oder andere diese rechtlichen Hinweise für sich oder andere nutzen

Information kann auf Wunsch per E-Mail zugestellt werden. Meine E-Mail lauetet wie folgt:

joachimhinz@hotmail.com