Demenzhelfer Richtlinien der GKV öffnen Tür und Tor für Billigarbeit!

Nürnberg, d. 02. September 2008
von Hans-Jürgen Graf

Der Redaktion von „Horch amol aus Franken“ liegt die Richtlinie der gesetzlichen Krankenversicherung zum Einsatz von Langzeitarbeitslosen in der Altenpflege vor, die wohl vom Bundesgesundheitsministerium so abgesegnet worden ist. „Diese Richtlinie ist so dehnbar wie ein Hosengummi“ meint dazu der Herausgeber der Zeitschrift.

Das Richtlinienpapier nennt sich: "Richtlinien nach § 87b Abs. 3 SGB XI zur Qualifikation und zu den Aufgaben von zusätzlichen Betreuungskräften in Pflegeheimen (Betreuungskräfte-Rl vom 19. August 2008)" und sie ist, laut ihrem eigenen Text bereits durch das BGM genehmigt.
"Der GKV-Spitzenverband der Pflegekassen hat nach Anhörung der Bundesvereinigungen der Träger vollstationärer Pflegeeinrichtungen und unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse diese Richtlinien am 19. August 2008 beschlossen. Das Bundesministerium für Gesundheit hat sie mit Schreiben vom 25. August genehmigt."

Allein schon aus diesen Passagen ist folgendes zu entnehmen. Der Einsatz Langzeitarbeitsloser beschränkt sich nicht ausschließlich auf den Bereich der Demenzkranken. Nein hier wird eindeutig geschrieben „in Pflegeheimen“. Sonst würde man eine Formulierung erwarten wie z. B. „zusätzlichen Betreuungskräften in den Bereichen der Demenzkrankenversorgung in Pflegeheimen“. Aus dem zweiten zitierten Text geht eindeutig hervor, dass dieses Richtlinienpapier der GKV lediglich mit den Trägern vollstationärer Einrichtungen der Altenpflege abgesprochen wurde. Pflegeverbände, die Vertretungen des qualifizierten Personals wurden nicht gehört. Man beruft sich lediglich auf den „allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse“ und erwähnt nirgendwo, aus welcher Zeit? Rein theoretische könnte dies auch zur Zeit Florence Nighthingales gegolten haben. Und am 25. August 2008 wurde sie bereits genehmigt durch unsere „Volksvertreterin Frau Ministerin Ulla Schmidt“. Zu der Zeit, als wir also heiß diskutierten, weil wir davon erst so richtig Kenntnis erlangten, war alles schon unter Dach und Fach. „Schlimmer kann man das Volk nicht hintergehen“ meint H. J. Graf, selbst examinierte Krankenpflegekraft.

Doch das ist bei weitem nicht alles. Was wurde in den Medien und Stellungnahmen per Internet, Zeitung usw. doch argumentiert von Seiten der Verantwortlichen des Ganzen, also Frau Schmidt, den Vertretern der Pflegeeinrichtungen usw. dass keineswegs qualifiziertes Personal dadurch ersetzt werden soll oder womöglich noch abgebaut werden soll. Nein, das werde keinesfalls passieren. Eine einzige Formulierung in dieser Richtlinie macht aber genau das möglich.

In § 2, Absatz 4 steht:

"Zu den Aufgaben der zusätzlichen Betreuungskräfte gehören auch die Hilfen, die bei der Durchführung ihrer Betreuungs- und Aktivierungstätigkeiten unaufschiebbar und unmittelbar erforderlich sind, wenn eine Pflegekraft nicht rechtzeitig zur Verfügung steht."

Wenn ich also die Bewohner erst mal aus dem Bett bringen muss um meine eigentliche Tätigkeit wahrnehmen zu können, dann muss ich als diese(r) Pflegeassistent(in) auch die Grund- und Körperpflege übernehmen, wenn eben eine ausgebildete Pflegekraft nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Dies wäre dann der Fall, wenn eine solche Station, die meist eh schon maximal mit 3 examinierten Kräften im Frühdienst arbeitet, einen krankheitsbedingten Ausfall hat oder vielleicht auch zwei, und so die verbliebenen Examinierten den erhöhten Grundpflegeaufwand gar nicht schaffen können. Und so, wie wir bereits aus anderen Berichten in den Medien wissen, wird es nicht lange dauern bis die Basis dafür von den Arbeitgebern, sprich den Pflegeeinrichtungen, geschaffen wurde.

Das Papier der GKV zählt aber auch explizit die Tätigkeiten auf, die diese Pflegeassistenten, Pflegeassistentinnen erfüllen sollen. Ich betone SOLLEN!

Im Absatz 2 des § 2 steht folgendes:

"Die Aufgabe der zusätzlichen Betreuungskräfte ist es, die betroffenen Heimbewohner zum Beispiel zu folgenden Alltagsaktivitäten zu motivieren und sie dabei zu betreuen und zu begleiten:
- Malen und basteln,
- handwerkliche Arbeiten und leichte Gartenarbeiten,
- Haustiere füttern und pflegen,
- Kochen und backen,
- Anfertigung von Erinnerungsalben oder -ordnern,
- Musik hören, musizieren, singen,
- Brett- und Kartenspiele,
- Spaziergänge und Ausflüge,
- Bewegungsübungen und tanzen in der Gruppe,
- Besuch von kulturellen Veranstaltungen, Sportveranstaltungen
- Gottesdiensten, und Friedhöfen,
- Lesen und Vorlesen
- Fotoalben anschauen

Die Betreuungskräfte sollen den Pflegeheimbewohnern für Gespräche über Alltägliches und ihre Sorgen zur Verfügung stehen, ihnen durch ihre Anwesenheit Ängste nehmen sowie Sicherheit und Orientierung vermitteln. Betreuungs- und Aktivierungsangebote sollen sich an den Erwartungen, Wünschen, Fähigkeiten und Befindlichkeiten der Heimbewohner unter
Berücksichtigung ihrer jeweiligen Biographie, ggf. einschließlich ihres Migrationshintergrundes, dem Geschlecht sowie dem jeweiligen situativen Kontext orientieren."

Es ist die Rede von Beispielen und eben dass diese Tätigkeiten erfüllt werden sollen. Doch zwischen der Realität und dem „sollen“ eines solchen Textes können in der Pflege Welten liegen meint der Herausgeber von „Horch amol“ dazu. An die Fähigkeiten der Personen, die diese Fort- Weiter- oder Ausbildung, wie man sie auch nennen mag, mehr oder minder freiwillig ergreifen werden, werden natürlich auch Anforderungen gestellt:

§ 3 Anforderungen an die Betreuungskräfte
"Grundlegende Anforderungen an die persönliche Eignung von Menschen, die beruflich eine Betreuungstätigkeit in Pflegeheimen ausüben möchten, sind insbesondere
- eine positive Haltung gegenüber kranken, behinderten und alten Menschen,
- soziale Kompetenz und kommunikative Fähigkeiten,
- Beobachtungsgabe und Wahrnehmungsfähigkeit,
- Empathiefähigkeit und Beziehungsfähigkeit,
- die Bereitschaft und Fähigkeit zu nonverbaler Kommunikation,
- Phantasie, Kreativität und Flexibilität
- Gelassenheit im Umgang mit verhaltensbedingten Besonderheiten infolge von
demenziellen und psychischen Krankheiten oder geistigen Behinderungen,
- psychische Stabilität, Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Handelns, Fähigkeit
sich abzugrenzen,
- Fähigkeit zur würdevollen Begleitung und Anleitung von einzelnen oder
mehreren Menschen mit Demenz, psychischen Erkrankungen oder geistigen
Behinderungen,
- Teamfähigkeit.
- Zuverlässigkeit."

Ein Anforderungsprofil, das man genauso gut für die Stellenausschreibung des Heimleiters nehmen könnte, was die Fähigkeiten mit charakterlicher Prägung betrifft. Der Basiskurs für die „Freiwilligen“ soll, laut diesem Papier, 100 Stunden umfassen. In diesem Basiskurs sollen folgende Fertigkeiten vermittelt werden:

"- Grundkenntnisse der Kommunikation und Interaktion unter
Berücksichtigung der besonderen Anforderungen an die
Kommunikation und den Umgang mit Menschen mit Demenz,
psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen,

- Grundkenntnisse über Demenzerkrankungen, psychische Erkrankungen,
geistige Behinderungen sowie typische Alterskrankheiten wie
Diabetes und degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparats
und deren Behandlungsmöglichkeiten,

- Grundkenntnisse der Pflege und Pflegedokumentation (Hilfen bei der
Nahrungsaufnahme, Umgang mit Inkontinenz, Schmerzen und Wunden
usw.) sowie der Hygieneanforderungen im Zusammenhang mit
Betreuungstätigkeiten zur Beurteilung der wechselseitigen Abhängigkeiten
von Pflege und Betreuung,

- Erste Hilfe Kurs, Verhalten beim Auftreten eines Notfalls."

Schon grundsätzlich gefragt, wie solch ein Wissenspaket vermittelt werden soll in 100 Stunden, bewegt einen aber schon noch ein wenig mehr die Frage, warum jemand der keine qualifizierten Pflegetätigkeiten ersetzen soll, dann etwas über Pflege, Pflegedokumentation, Umgang mit Inkontinenz, Schmerzen und Wunden, lernen soll? Besonders dann, wenn ja eigentlich qualifiziertes Personal eng mit diesen Mitarbeitern zusammen arbeiten soll? Das zweite Modul dieser „Qualifikation“ ist dann ein zweiwöchiges Praktikum in einem Pflegeheim. Diesem wiederum folgt Modul 3, welches die erworbenen Kenntnisse vertiefen soll. In diesem Modul ist eine Vermittlung von hauswirtschaftlichen und ernährungswissenschaftlichen Kenntnissen vorgesehen, mit Schwerpunkt auf diätetischer Ernährung als auch Ernährung bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten.

Im Großen und Ganzen ein Papier, das tatsächlich nach Meinung der Redaktion, in einer erneuten Runde der Kostensenkung im Gesundheitswesen und bei der qualifizierten Pflege ein weiteres Heer von 10.000 Billigarbeitern liefern soll, das durch die Arbeitslosenverwaltung zum „Abschuss“ frei gegeben wird.


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