Auflage zur Betriebsführung des KKW Philippsburg aufgehoben
Pressetext verfasst von EUROPATICKER am So, 2007-04-08 18:39. Adressat eines Verwaltungsaktes muss vorhersehen können, welches konkrete Verhalten von ihm verlangt wird
EUROPATICKER Umweltruf: Die gegenüber der EnBW als Betreiberin des Kernkraftwerks (KKW) Philippsburg vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg am 17.03.2005 erlassene nachträgliche Auflage zur Betriebsführung ist rechtswidrig. Dies hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden Württemberg (VGH) mit seinem ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteil vom 26.02.2007 entschieden. Das Bundesumweltministerium hat das Land Baden-Württemberg angewiesen, gegen das Urteil Revision einzulegen.
Der EnBW war im März 2005 auf Weisung des damaligen Bundesumweltministers Trittin vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg aufgegeben worden, den Betrieb des KKW Philippsburg (Block 1 und 2) unverzüglich einzustellen, sofern „Grenzwerte, Maße oder andere spezifizierte sicherheitstechnische Anforderungen der Genehmigung zur Störfallbeherrschung nicht eingehalten“ werden, es sei denn, „das dadurch bedingte Defizit der Störfallbeherrschung ist offensichtlich unbedeutend“. Darüber hinaus wurde der EnBW aufgegeben, die Aufsichtsbehörde unverzüglich zu informieren, wenn „der Nachweis der Störfallbeherrschung“ im KKW Philippsburg „in Frage gestellt sein könnte“ und den Leistungsbetrieb dieses KKWs unverzüglich einzustellen, wenn der Nachweis der Störfallbeherrschung gescheitert ist, es sei denn die Störfallbeseitigung ist „zweifelsfrei nur geringfügig beeinträchtigt“.
Mit dieser nachträglichen Auflage sollte die erteilte atomrechtliche Genehmigung teilweise aufgehoben und der Betrieb des KKWs nur noch nach Maßgabe der Auflage gestattet sein. Die EnBW hatte dagegen eingewandt, dass für diese Auflage keine Rechtsgrundlage bestehe und diese zudem unbestimmt sei.
Bereits mit Beschluss vom 02.12.2005 hatte der 10. Senat die Betreiberin des Kraftwerks im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vom Vollzug dieser Auflage bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache freigestellt. Ursprünglich hatte das Bundesumweltministerium geplant, gegenüber sämtlichen Betreibern von Kernkraftwerken eine solche nachträgliche Auflage zu erlassen. Nach dem Beschluss des 10. Senats im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vom 02.12.2005 hat das Bundesministerium von diesem Vorhaben aber wieder Abstand genommen.
Nach Ansicht des Senats ist die nachträgliche Auflage zunächst deshalb rechtswidrig, weil sie zu unbestimmt ist. Der EnBW als Betreiberin des Kernkraftwerks werde für eine Vielzahl von denkbaren Fallkonstellationen ein bestimmtes Verhalten (Einstellung des Leistungsbetriebs, unverzügliche Information der Aufsichtsbehörde oder Vorlage eines Projektplans) vorgeschrieben. Wann dieses Verhalten geboten sei, sei aber in der nachträglichen Auflage nicht ausreichend deutlich festgelegt.
Nach Auffassung des Bundesumweltministeriums, das das baden-württembergische Wirtschaftsministerium zum Erlass dieser nachträglichen Auflage angewiesen hatte, sollte die in der Auflage genannte Abweichung von einem Grenzwert nur dann zur unverzüglichen Einstellung des Leistungsbetriebs führen, wenn „der jeweilige Grenzwert zum Inhalt der atomrechtlichen Genehmigung gehöre und der Störfallbeherrschung diene“.
Die Beherrschung der Störfälle sei, so das Gericht, eine bei der Erteilung der atomrechtlichen Genehmigung zu prüfende Voraussetzung. In den zahlreichen für die Errichtung und den Betreib des KKW erteilten Genehmigungen werde aber bei den Festsetzungen und Vorgaben nicht auf die Beherrschung der Störfälle Bezug genommen. Deshalb sei in der nachträglichen Auflage nicht ausreichend deutlich geregelt, wann die Betreiberin den Vorgaben der nachträglichen Auflage nachzukommen habe und z.B. den Leistungsbetrieb der Anlage einstellen müsse. Diese Unklarheiten könnten auch nicht durch die Erwägung relativiert werden, die „Betreiberin des KKW als Betroffene werde schon wissen, was gemeint sei“. Denn der Adressat eines Verwaltungsaktes müsse hinreichend bestimmt vorhersehen können, welches konkrete Verhalten von ihm verlangt werde und welches Verhalten mit Strafe oder Geldbuße bedroht sei. Nach § 327 Strafgesetzbuch werde nämlich derjenige mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, der eine kerntechnische Anlage ohne die erforderliche Genehmigung betreibe; zudem handle er ordnungswidrig, wenn er einer vollziehbaren Auflage nach dem Atomgesetz zuwider handle.
Die abstrakte nachträgliche Auflage sei auch deshalb rechtswidrig, weil die Behörde für eine Vielzahl von Fallgestaltungen die Einstellung des Leistungsbetriebs vorgeschrieben habe und damit auch die dem Schutz des Betreibers dienenden rechtlichen Bindungen nach dem Atomgesetz umgangen habe. Das Atomgesetz sehe für die Einstellung des Betriebs eines Kernkraftwerks eine konkrete Einzelentscheidung vor.
Dies setze aber voraus, dass die Behörde im konkreten Einzelfall den Sachverhalt aufkläre und eine Abweichung von der Genehmigung feststelle und nachweise. Die Ermächtigung des Atomgesetzes zum Erlass einer abstrakten Regelung berechtige Behörde aber nicht dazu, durch den Erlass einer nachträglichen Auflage die auch dem Schutz des Betreibers dienenden gesetzlichen Regelungen für ein Einschreiten gegen den Kraftwerksbetreiber zu umgehen (Aufklärung des Sachverhalts, Ermessensausübung, Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit) und insbesondere durch die Ausübung eines „Vorabermessens“ zu ersetzen.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wurde die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen (AZ: 10 S 643/05).
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