Arbeit macht arm – Wie der Sozialstaat den griechischen Dichter Hesiod widerlegt

Von Ansgar Lange

Bonn/Hamburg – „Arbeit schändet nicht; die Trägheit aber entehrt uns“: Dieser Satz stammt von dem griechischen Dichter Hesiod, der um 700 vor Christus geboren wurde. Hesiod kannte noch nicht die Globalisierung und die Tücken des deutschen Sozialstaats. Sonst hätte er sich vielleicht anders geäußert. In seiner aktuellen Titelgeschichte geht das Magazin Der Spiegel http://www.spiegel.de der Frage nach, ob Arbeit arm macht und findet einige Belege für diese auf den ersten Blick tollkühne These. Die wahre Unterschicht, so die Meinung des Hamburger Mediums, sind nicht etwa die mit relativ üppigen Sozialleistungen alimentierten Hartz-IV-Karrieristen. Es sind die abhängig Beschäftigten, die zwar 40 Stunden in der Woche arbeiten, aber am Monatsende kaum mehr nach Hause bringen als ein Hartz-IV-Empfänger. In seinem Internet-Tagebuch http://www.hungerloehner.de informiert der gelernte Fleischer Matthias Rolle über die Lage dieser gesellschaftlichen Schicht, die sich unter anderem für einen gesetzlichen Mindestlohn http://blog.mindestlohn.de einsetzt.

Der Spiegel bringt die komplizierte Situation auf die etwas schlichte Formel: „Einfache Arbeit ist nichts mehr wert, weil irgendwo auf der Welt immer noch billiger produziert werden kann. Und weil die Konsumenten kaufen, was billig ist.“ Näher an der Wirklichkeit ist aber wohl die Vermutung, dass der „vielfach fehlkonstruierte Sozialstaat“ germanischer Prägung „ausgerechnet den Arbeitnehmern die größten Opfer“ abverlangt. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) http://www.diw.de belegt, dass die so genannten Markteinkommen von Arbeitern und Angestellten in den vergangenen Jahren deutlich gesunken sind. Sie zahlen mehr als andere Bevölkerungsgruppen in die sozialen Sicherungssysteme ein – „und schneiden finanziell oft schlechter ab als diejenigen, die von ihren Beiträgen leben“. „Während Rentner und Pensionäre in den vergangenen zwei Jahrzehnten teils beträchtliche Zuwächse verbuchen konnten, stagniert die Einkommensposition der abhängig Beschäftigten“, schreibt der Spiegel.

In Deutschland gebe es einen „Teufelskreis zu Lasten von Jobs“. Das Hamburger Nachrichtenmagazin macht dafür beispielsweise das Fehlen flächendeckender Mindest- und Kombilöhne verantwortlich. Außerdem beschwere der Staat den Faktor Arbeit mit Abgaben wie kaum ein anderes Industrieland, um den ausufernden Wohlfahrtsstaat am Leben zu halten. Und es kommt noch schlimmer: „Unter der narkotisierenden Wirkung günstiger Konjunkturdaten hat die Große Koalition die Arbeiten auf der Reformbaustelle Deutschland weitgehend eingestellt.“ Die gerade verabschiedete Gesundheitsreform führt zu einem weiteren Anstieg der Sozialbeiträge. Beim Umbau der Pflegeversicherung könnte Ähnliches drohen.

Wer profitiert von diesem System? Die Autoren Michael Sauga, Mareke Aden, Jochen Brenner und Sebastian Matthes sind der Meinung, dass sich die verfügbaren Einkommen derjenigen, die von Sozialleistungen leben, in den vergangenen 20 Jahren oftmals günstiger entwickelt haben als die Einkünfte der Arbeitnehmer. Lange Zeit existierten großzügige Regelungen für ältere Arbeitslose, und es gab einen vergleichsweise hohen Lohnersatz für ostdeutsche Beschäftigungslose. Und die realen Nettoeinkünfte der Ruheständler eilten den Lohneinkommen seit Jahren voraus.

Insbesondere das Heer an Beamten lebt wie die Made im Speck. Die Versorgung der „Staatsdiener“ ist „nach jenen kostspieligen Regeln organisiert, die Preußenkönig Friedrich der Große einst erdachte“. „Während die Haushaltseinkommen durchschnittlicher Arbeitnehmer in den vergangenen 20 Jahren nur um ganze 3.300 Euro pro Kopf stiegen, legten die Einkünfte von Pensionärsfamilien um 7.500 Euro zu“, so der Spiegel. Und die Rechnung geht wie üblich an die Arbeitnehmer. Wenn die abhängig Beschäftigten in Deutschland zum „pathologischen Fall“ geworden sind, wie der Spiegel schreibt, dann kann dies keinen kalt lassen. „Weder die Globalisierung noch die teilweise in der Tat zu hohen Managergehälter sind unser Zentralproblem“, sagt Michael Müller, Geschäftsführer der auf IT-Dienstleistungen spezialiserten a&o-Gruppe http://www.ao-services.de und Wirtschaftssenator im Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) http://www.bvmwonline.de. „Deutschland krankt daran, dass die verheerenden Wirkungen vermeintlicher sozialer Wohltaten oft nicht bedacht werden. Die Zahl der Steuerzahler, die das alles finanzieren, wird immer kleiner. Die Zahl der Leistungsempfänger und der Wohlfahrts-Bürokraten wächst hingegen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.“ Das vom Staat genährte Bedürfnis nach Sicherheit schnüre die Eigeninitiative ab. Müller verweist auf einen Satz aus dem neuen Buch des Handelsblatt-Chefredakteurs Bernd Ziesemer: „Deutschland brauchte weniger Beamte und mehr Spekulanten, damit es dem Land besser ginge als bisher, könnte man provozierend sagen.“ Außerdem sei mehr ökonomisches Denken gefragt. „Und genau hier liegt der Spiegel in meinen Augen daneben. Mit der Einführung flächendeckender Mindestlöhne können wir den Umstand nicht beseitigen, dass zurzeit manche abhängig Beschäftigte in der Tat arm dran sind. Die Einführung des berühmte Bierdeckels von Friedrich Merz bewirkte wahrscheinlich mehr Positives als alle gut gemeinten kleinteiligen Reformen zusammen“ so Müller. Doch davon ist die Bundesregierung weit entfernt: Das neue Elterngeld hat reine Gießkannen-Funktion, der Hartz-IV-Regelsatz in Ostdeutschland wurde sogar noch angehoben, das Ziel, die Lohnnebenkosten dauerhaft zu senken, wurde verfehlt. Und den Mut zu einer tief greifenden Arbeitsmarktreform traut den Großkoalitionären schon gar keiner mehr zu.

03.04.2007: