Verkürzen Antioxidantien unser Leben? Über die Glaubwürdigkeit von Studien und Statistiken!

Ende Februar 2007 publizierte das Journal of the American Medical Association (JAMA) eine statistische Arbeit von Goran Bjelakovic und Co-Autoren. Im Rahmen einer Meta-Analyse wurden 68 selektierte Studien (mit insgesamt 232.606 Studienteilnehmern) ausgewertet. Den selektierten Studien war gemeinsam, dass sie randomisiert waren und entweder Beta-Carotin und / oder Vitamin A und / oder Vitamin E und / oder Vitamin C und / oder das Spurenelement Selen als „Wirkstoff“ einsetzt hatten. Die Schlussfolgerungen der Autoren erfreute Pharmahersteller, deprimierte Vitamin-Produzenten und irritierte KosumentInnen: Beta-Carotin, Vitamin A und Vitamin E könnten die Sterblichkeit erhöhen, zu Vitamin C und Selen seien weitere Studien nötig.

Bei allem nötigen Respekt vor der Notwendigkeit, Wert und Unwert von Vitaminen für unsere Gesundheit durch Studien zu objektivieren, drängen sich einige relativierende Kommentare zur Arbeit von Bjelakovic förmlich auf:

1. Meta-Analyse:
Der Begriff „Meta-Analyse“ wurde 1976 vom Psychologen Gene V. Glass geprägt und steht für eine „Gesamtanalyse gleichartiger Analysen“.
Fazit:
Die von Bjelakovic und Co zur statistischen Auswertung herangezogenen 68 Studien waren keinesfalls gleichartig. So wurden unter anderem Studien, denen Gesunden Vitamine verabreicht wurden, mit Studien verglichen, in denen Vitamine an Risikogruppen (z.B. Raucher oder Asbestarbeiter) oder an Kranke (KrebspatientInnen, Herz/Kreislauf-PatientInnen) verabreicht wurden. Ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen also, wissenschaftlich unzulässig, bezüglich Aussagekraft höchst spekulativ.

2. Selektion der ausgewählten Studien:
Aus bemüht-statistischen Überlegungen verständlich, wurden nur jene Studien integriert, in denen nur einzelne oder wenige Vitamine verabreicht worden waren. Wer sich mit der Komplexität der menschlichen Biologie nur einigermaßen auseinandersetzt, weiß, dass insgesamt (maximal) 3 Vitamine und ein Spurenelement wohl nicht ausreichen, den Körper gesund zu erhalten, vor Krankheiten zu schützen oder das Leben zu verlängern. Wenn großangelegte Studien (z.B. CARET-Studie mit 18.314 Männern, ATBC-Studie mit 29.133 Männern) zeigen, dass die tägliche Zufuhr von 30mg hochkonzentriertem Beta-Carotin und 10mg synthetischem Vitamin A bzw. durch tägliche Verabreichung von 50mg synthetischem Vitamin E und 20mg hochkonzentriertem Beta-Carotin bei starken Rauchern, alkoholkonsumierenden Männern oder Asbestarbeitern das Lungenkrebsrisiko erhöht, so beweist dies vor allem zwei Dinge:
1. Dass man durch gezielte Zufuhr einzelner, hochdosierter und synthetischer Vitamine die Blutspiegel dieser Vitamine entsprechend erhöhen kann (Blutspiegelkosmetik), aber
2. dass die (künstliche) Korrektur von drei oder vier Mikronährstoffen-Blutwerten (von Dutzenden, die miteinzubeziehen wären) ernährungsmedizinisches Stückwerk ist.
Fazit:
So wie eine Schwalbe keinen Sommer macht, so schützen hohe Beta-Carotin- oder Vitamin E-Spiegel Raucher nicht vor Lungenkrebs (wie sollten sie auch?).

3. Zum Wesen von Vitaminen und Spurenelementen:
Während Arzneistoffe chemisch definierte Verbindungen sind und in der Medizin gezielt dazu eingesetzt werden, „pharmakologische“ Wirkungen im Organismus zu erzielen, üben Vitamine und Co gänzlich unterschiedliche Wirkungen aus. Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und Phytamine (zusammengefasst als „Mikronährstoffe“ bezeichnet) üben in unseren mehr als 60 Billionen Körperzellen die Funktionen biologischer Werkzeuge aus. Wir kennen heute Hunderte dieser Mikronährstoffe, viele von ihnen lebensnotwendig, die meisten von ihnen gegeneinander nicht ersetzbar und deshalb elementar für ein gesundes und langes Leben. Die Zufuhr einzelner, hochdosierter und synthetischer Vitamine entstammt dem einseitigen Geist pharmakologisch orientierter Wissenschaftler, die in der Verabreichung einzelner Vitamine immer noch „pharmakologische“ Wirkungen erwarten, obwohl dies dem biologischen Anspruch von Mikronährstoffen widerspricht Die tägliche Zufuhr des 15fachen Bedarfes an Beta-Carotin oder des 10fachen an Vitamin A (wobei ergänzend anzumerken ist, dass pflanzliches Beta-Carotin vom Körper ohnehin in Vitamin A umgewandelt wird – wozu also die doppelte Gabe?) käme einer Aktion gleich, in der man versuchen würde, die Produktivität eines Schlossereibetriebes durch tägliche (!) Versorgung mit jeweils einem Container voller Schraubenzieher (der gleichen Größe!) zu erhöhen.
Fazit:
Die Versorgung von 232.606 Personen mit einzelnen, isolierten Vitaminen ist methodischer Unsinn und spiegelt das Missverstehen der biologischen Funktion von Mirkonährstoffen einzelner Experten wider.

4. Synthetische Vitamine – natürliche Vitamine:
Während natürliche, pflanzliche Lebensmittel 10 verschiedene Vitamin E-Verbindungen anbieten, propagiert die Industrie ein einziges isoliertes Tocopherol. Während in Salaten, Gemüse oder Vollkorn mittlerweile mehr als 20 Flavin-Moleküle identifiziert wurden, kennt die Industrie nur ein Vitamin B2, nämlich Riboflavin. Das reduktionistische Zählen, Wägen und Messen einzelner Moleküle befriedigt zwar unseren Sinn für Ordnung und Statistik, ist jedoch für das Gesamtbild der komplexen biologischen Bedürfnisse des menschlichen Organismus nur Stückwerk von geringer Aussagekraft. Dies erkannte bereits Mephisto in Goethes Faust („Daran erkenn ich den gelehrten Herrn… was Ihr nicht münzt, das, meint Ihr, gelte nicht!“).
Fazit:
Nahrungsergänzungsmittel weisen erstens unterschiedliche Qualitäten auf (ein Blick auf das Zutatenverzeichnis von Nahrungsergänzungsmitteln klärt häufig den Blick) und können zweitens eine gesunde Ernährung nicht ersetzen.

Ein letztes Wort, vor allem an die (in solchen Diskussionen meist auf der Strecke bleibenden) KonsumentInnen gerichet:
? Essen Sie täglich (heimisches) Obst
? Essen Sie täglich (heimische) Salate und Gemüse
? Konsumieren Sie kaltgepresste Pflanzenöle (aus dunklen Flaschen)
? Konsumieren Sie nicht nur Weißmehl, sondern auch Vollkorn
? Trinken Sie vorwiegend ungesüßte Getränke
? Essen Sie nicht zuviel tierisches Eiweiß
? Machen Sie ausreichend Bewegung
? Gehen Sie mäßig um mit Genussmitteln
? Sorgen Sie für ausreichend Schlaf
? Decken Sie Ihren zusätzlichen Mikronährstoff-Bedarf durch komplexe (natürliche) Präparate, nicht durch hochdosierte Mono-Präparate
? Glauben Sie nicht alles, was in der Zeitung steht
? Glauben Sie nicht alles, was Experten sagen.

Mag. pharm. Norbert Fuchs
Institut für Nährstofftherapie
Wissenschaftlicher Beirat der Nährstoffakademie Salzburg
www.naehrstoff-akademie.com
Moosham, 08. März 2007

08.03.2007:

Über Nährstoff Akademie Salzburg