Gabriel begrüßt Müll-Importe

EUROPATICKER Umweltruf: Innerhalb von zwei Jahren will der australische Chemie- und Sprengstoffhersteller Orica 22 000 Tonnen hochgiftiges Sondermüll in den modernen Anlagen Deutschlands verbrennen lassen: Die Hälfte gleich in Brunsbüttel, der Rest soll zu den Bayer-Anlagen in Nordrhein-Westfalen transportiert werden. Auf dem "Schienenweg".

Die Verbrennung von Giftmüll ist nicht rückstandsfrei.

Zum einen gibt es die Emissionen in der Luft, zum anderen fallen beim Verbrennen Filterstäube und Schlacken an, die entsorgt werden müssen. Ein Teil davon wird im Straßenbau verwendet, für den Rest gibt es in Leverkusen und Dormagen Deponien. Das sind Rückstände, die über Jahrzehnte gelagert werden müssen. Es ist sei ein giftiges Erbe, das den nachfolgenden Generationen hinterlassen wird, sagt Philipp Mimkes von der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG). Das gelte auch für die Rückstände, die auf dem Gelände der Verbrennungsanlagen gelagert werden.

Seit die Giftigkeit dieses Stoffes bekannt wurde, wird er nicht mehr produziert. Aber es gibt noch viele Restbestände. HCB wurde früher in der Arzneimittel- und Düngemittelproduktion verwendet, bzw. als Pflanzenschutz- und Desinfektionsmittel, als Fungizid, Insektizid und Holzschutzmittel eingesetzt. Das ist aber noch nicht alles. Denn mittlerweile nutzt der Bayer-Konzern seine Müllverbrennungsanlagen längst nicht mehr nur, um die eigenen Giftstoffe zu entsorgen, wofür der Bau der Anlagen eigentlich gedacht war. Inzwischen werden ebenso fleißig, laut Mimkes, auswärtige Aufträge angenommen.

Umweltminister Sigmar Gabriel begrüßt die Müll-Importe.

Deutschland übernehme mit seinen sehr guten Anlagen zur Sondermüllverbrennung ein Stück umweltpolitischer Verantwortung, findet Gabriel. Das Zeug hier zu entsorgen, sei besser, als gefährliche Stoffe unsachgemäß irgendwo zu deponieren oder ins Meer zu kippen, sagte er dem Spiegel

In NRW stießen Gabriels Aussagen auf Unverständnis. "Wir freuen uns nicht über fremden Giftmüll", sagte Landesumweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU). Allerdings könne das Land die Transporte nicht unterbinden. BUND-Sprecher Dirk Jansen kritisierte, dass "Gabriel andere Staaten zum Nichtstun" einlade. Wer sich so äußere, verhindere den Aufbau sicherer Anlagen in den Müll-Erzeugerländern. Joachim Jürgens vom Bürgerinitiativen-Zusammenschluss Pro Herten sprach gar von einer "Müll-Mafia, die bis in höchste Kreise" reiche, berichtet die taz.

Die Zahlen des Landesumweltministeriums machen deutlich, dass es sich beim Müll-Import um einen beträchtlichen Wirtschaftsfaktor handelt. 15 Mio Tonnen Müll zwischen 1999 und 2005, fast 2,4 Mio Tonnen allein im Jahr 2005, wurden über die Grenzen nach NRW kutschiert. 615 000 Tonnen Sonderabfälle gelangten allein im Jahr 2005 nach NRW. Umgekehrt exportierte NRW nur rund 150 000 Tonnen. Der größte Teil der importierten Abfälle stammt aus den Niederlanden. Zu den gefährlichen Stoffen gehören Verbrennungsrückstände, in denen Dioxin vorhanden ist oder mit dem stark krebserregenden PCB belastete Trafo-Öle."Sie haben dafür keine Genehmigung ihrer Regierung bekommen"

Joachim Beyer, Chef der Bayer-Sonderabfallverbrennung meint allerdings, was bei der Giftmüll-Verbrennung den Schornstein verlasse, liege weit unter den vorgeschriebenen Grenzwerten. Wissenschaftler halten dagegen, dass es eine Müllverbrennung ohne schädliche Emissionen nicht gebe. Harry Rosin, Professor für medizinische Mikrobiologie, hält die Beteuerungen der Industrie gar für eine "Verdummbeutelung". Selbst bei den besten Anlagen gelangten "krebserregende Partikel" in die Luft.

Nach Angaben der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) und der Steinburger Grünen soll hochgiftiges Hexachlorbenzol (HCB) auf dem Seeweg von Australien bis nach Brunsbüttel geschafft und in Deutschland verbrannt werden. Die Verbrennung der Chemikalie sei in einer Müllverbrennungsanlage der Firma Remondis in Brunsbüttel sowie in Verbrennungsöfen in Leverkusen, Dormagen und Herten geplant.

Dieser Giftmülltransport stellt nach Auffassung der Kritiker einen "neuen, erschütternden Entfernungsrekord" dar. Auch gebe es in Australien nach Darstellung dortiger Umweltschützer "erprobte Verfahren" zur Beseitigung des Chemiemülls mit deutlich weniger Gefahrstoffen, als bei einer Verbrennung in Deutschland.

Vor der Gefahr, dass Brunsbüttel mit seiner Verbrennungsanlage SAVA "zum Drehkreuz internationaler Giftmülltransporte" werden könne, haben die Steinburger Grünen nach Aussage von Jürgen Ruge schon vor deren Bau der Anlage zur Mitte der neunziger Jahre gewarnt.

Nicht mehr nur die Verbrennung von regionalem Sondermüll stehe seither im Mittelpunkt der Verbrennungsanlage, sondern "auch die Beseitigung von Giftstoffen, die aus der ganzen Welt nach Brunsbüttel transportiert werden". Damit solle die Wirtschaftlichkeit der Anlage gewährleistet werden, die derzeit eine Jahreskapazität von 35.000 Tonnen aufzuweisen.

Der australische "giftige Chemie-Altlast" bedroht den Angaben zufolge seit 30 Jahren das Grundwasser der Millionenstadt Sydney. Verursacher sei die dort ansässige Firma ORICA. Australische Umweltschützer würden seit Jahren fordern, das krebserregende HCB umweltschonend im eigenen Land zu beseitigen.

Jetzt sei jedoch geplant 22.000 Tonnen des Giftmülls mit dem Schiff "rund um den Erdball" von Sydney nach Brunsbüttel zu transportieren, wozu auch ein "Tankstopp in Südafrika" erforderlich sei. Rund ein Drittel der Chemikalie solle in der Brunsbütteler Anlage verbrannt werden.

Die übrige Menge solle in Brunsbüttel nur zwischengelagert und anschließend in die nordrhein-westfälischen Verbrennungsöfen von Leverkusen, Dormagen und Herten transportiert werden. Die Müllöfen in Dormagen und Leverkusen gehörten dem Bayer-Konzern.

"Es ist nicht hinnehmbar, dass dieser Giftmüll aus dem technologisch hoch entwickelten Australien ausgeführt wird und man mit dem Transport unberechenbare Risiken auf See, beim Umladen, Zwischenlagern und beim Transport auf Schiene und Straße eingeht", so Ruge. "Der erst vor wenigen Wochen verunglückte Güterzug bei Tornesch hat deutlich gemacht, dass folgenschwere Unfälle aufgrund kleinster Ursachen geschehen können."

Nach Darstellung von Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren schreibt die Baseler Konvention zur Entsorgung gefährlicher Abfälle "eine erzeugernahe Entsorgung von Gefahrstoffen" vor. Diese sei bei einem Transportweg von 16.000 Kilometern in keinster Weise gegeben. "Die kommerziellen Interessen von Remondis und Bayer müssen hinter dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung zurückstehen", fordert er. Doch lockt offenbar ein gutes Geschäft: "Bayer will bei dem Geschäft drei Millionen Euro einnehmen", so Mimkes.

Zwei Firmen in Australien könnten laut Umweltschützern Hexachlorbenzol im eigenen Land mit einem chemischen Verfahren unschädlich machen "Verbrennen ist Steinzeit", sagt BUND-Abfallexpertin Claudia Baitinger. Die deutschen Umweltschützer und das australische Netzwerk NTN raten zur "kalten Entsorgung" des HCBs mit einem speziellen Neutralisierungsverfahren in Australien - anstatt es auf Weltreise zu schicken und in Deutschland zu verbrennen.

Das NRW-Umweltministerium beruft sich auf die Baseler Konvention: "Diese gestattet es Ländern, die selbst keine Möglichkeiten besitzen, Giftmüll anderswo zu entsorgen, wo entsprechende Anlagen vorhanden sind", erklärt Sprecherin Sabine Raddatz. Die australische Zeitung "The Daily Telegraph" berichtet allerdings, dass zwei Anlagen in der Lage seien, die zum "schmutzigen Dutzend" gehörende Chemikalie unschädlich zu machen. "Demnach dürfen die Australier die Chemikalie gar nicht nach Deutschland verfrachten. Sie haben dafür auch keine Genehmigung ihrer Regierung bekommen", macht der Sprecher der Bürgerinitiative "Pro Herten", Joachim Jürgens, deutlich. BUND-Müllverbrennungsexperte Ingo Gödeke erläutert das Verfahren, mit dem die australische Firma BCD in der Lage sei, das Problem im Land selbst zu lösen: Ein im chemischen Prozess zugefügtes Glykol nehme den Chloranteil auf und neutralisiere ihn. Allerdings: Sondermüllverbrennung sei ein dickes Geschäft, so Gödeke. Weil die deutsche Industrie hier Überkapazitäten habe und zu Dumpingpreisen arbeite, koste die Entsorgung hier zu Lande nur 30 Mio Euro, in Australien dagegen 80 Mio, ergänzt Jürgens.

Die Kritiker fordern, dass Politik und Behörden "in der brisanten Angelegenheit" aktiv werden und die Pläne für Transport und Verbrennung stoppen. Sollte Hexachlorbenzol hier verbrannt werden, wäre ihres Erachtens "ein giftiges Erbe für kommende Generationen garantiert". Neben erhöhten Emissionen würden große Mengen hochbelasteter Filterstäube und Schlacken anfallen, die langfristig auf Deponien gelagert werden müssten.

"Dieser Giftmülltransport durch eine Millionenstadt wie Hamburg stellt eine große Gefahr für die Anwohner und die Natur dar. Die Australier sollen ihren Müll vor Ort umweltverträglich entsorgen", fordert Manfred Braasch (42), Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg. SPD-Umweltexpertin Monika Schaal (61) betont: "Wenn es bei einem Gifttransport mitten durch Wohngebiete zu einem Unfall wie vor Kurzem in Tornesch kommt, dann würde es zu einer Katastrophe für Anwohner und Natur kommen."

Der CDU-Umweltexperte Rüdiger Kruse (45) kritisiert: "Es kann nicht sein, dass Giftmüll aus Australien nach Deutschland geschafft wird, um diesen hier zu verbrennen. Australien sollte sich von Deutschen Spezialisten beraten lassen und dann selber Müllverbrennungsanlagen bauen."

Auf welchen Bahnstrecken die giftige Fracht von Brunsbüttel dann bis ins Ruhrgebiet gefahren wird, versucht die Bahn geheim zu halten: Aus Sicherheitsgründen gebe es keine Auskunft über die "Laufwege von Gefahrgut", sagt Bahnsprecher Ole Constantinescu. Erst vor Kurzem bei Tornesch vor den Toren Hamburgs elf Waggons eines Güterzuges entgleist. Aus einem der Waggons traten ätzende Chemiekalien aus.

SPD-Bundestagsabgeordneter Christian Carstensen fordert im Hamburger Abendblatt: "Wenn dieser Giftmüll tatsächlich durch Hamburg transportiert wird, dann muss die Bahn die Bürger im Vorfeld umfassend informieren und darf keine Geheimaktion daraus machen."

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20.02.2007:

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