Deutsche Unternehmen dominieren Sprachautomatisierung

Informationstechnik soll sich dem Menschen anpassen

Von Andreas Schultheis

Brüssel/Berlin, www.ne-na.de - Europa spricht viele Sprachen. Mittlerweile hat die Europäische Union 23 offizielle Amtssprachen. Übersetzer haben vor allem in der Europa-Hauptstadt Brüssel derzeit Hochkonjunktur. Die ganze Palette der erforderlichen Sprachkenntnisse decken aber auch die hervorragend ausgebildeten Dolmetscher nicht ab. Von Jahr zu Jahr wachsen Zahl und Umfang der Übersetzungen in Wirtschaft, Verwaltung, Politik und Kultur. Hauptauftraggeber sind exportorientierte Wirtschaftszweige, internationale Organisationen einschließlich der Europäischen Union und der Vereinten Nationen sowie multinationale Konzerne.

Mit der Auftragszahl steigt die Anforderung an die Qualität der Übersetzungen, die mittlerweile auch von Maschinen geleistet werden. Während viele Experten noch bezweifeln, dass Maschinen brauchbare Ergebnisse liefern können, erzielen einige Unternehmen durch den Einsatz des Computers bereits erhebliche Kosteneinsparungen. „Selbst die völlig veralteten und qualitativ unzureichenden Übersetzungssysteme, die heute sehr begrenzt in Wirtschaft und Verwaltung eingesetzt werden, ermöglichen bereits in großem Umfang Kosten zu sparen“, sagt Hans Uszkoreit, Professor für Computerlinguistik an der Universität des Saarlandes http://www.uni-saarland.de und Wissenschaftlicher Direktor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) http://www.dfki.de. Im Forschungsprojekt EuroMatrix des sechsten Rahmenprogramms der EU koordiniert er die Weiterentwicklung der besten bestehenden Übersetzungsverfahren: „Natürlich wird es nicht möglich sein, alle Sprachpaare gleich gut zu bearbeiten", so Uszkoreit. „Aber ein praktisches Ergebnis des Projekts wird auch eine ständig fortgeschriebene Bestandsaufnahme des Technologiestandes für die europäischen Sprachen sein."

Beim DFKI in Saarbrücken wird der Dialog von Mensch und Maschine schon seit langem vorangetrieben. „Mobile Geräte, die ohne Maus und Tastatur auskommen müssen, werden alle menschlichen Sinne nutzen, um mit dem Menschen zu kommunizieren“, prognostiziert DFKI-Leiter Wolfgang Wahlster gegenüber der Stuttgarter Zeitung http://www.stuttgarter-zeitung.de. Er ist der Ansicht, dass die Sprachtechnologie in den kommenden Jahren eine Flut neuer Möglichkeiten mit sich bringt. „Die Kaffeemaschine könnte schon bald fragen, ob es Espresso oder Cappuccino sein soll. Auch wird per Spracheingabe das Umschalten des TV-Programms möglich oder Videotext vorgelesen. Selbst Lernspielzeuge für Kinder sind bereits angedacht: Kinder können Fragen stellen oder Anweisungen geben, worauf das Spielgerät mit einer Aktion reagiert“, so die Zeitung.

Um all das zu ermöglichen, arbeiten Sprachwissenschaftler, Neurobiologen und Techniker ständig an neuen Sprachdialogen. „Natürliche Spracherkennung" ist für sie mittlerweile der Schlüsselbegriff: Ziel der Sprachdialoge ist, dem menschlichen Sprechen so nahe wie möglich zu kommen. „Bei einem Dialog mit menschlichen Zügen wird sich der Anrufer eher angenommen fühlen als bei einem mit starrer Menüführung und Abfrage von bestimmten Antworten“, sagt Lupo Pape, Geschäftsführer des Voice Award-Gewinners SemanticEdge http://www.semanticedge.de in Berlin. Den Branchen-Oscar der Initiative Voice Business http://www.voiceaward.de gewannen die Berliner im vergangenen Jahr unter anderem mit dem „Persönlichen Assistenten", den sie für Daimler-Chrysler entwickelten. Das ist ein Sprachdialogsystem, das sich im persönlichen Adressbuch des Nutzers auskennt. Vergessene Telefonnummern oder Adressen gehören der Vergangenheit an. „Selbst wenn man den Namen eines Geschäftspartners gerade nicht weiß, kann man über eine Suchfunktion mit der Eingabe von Branche und Standort die gewünschte Verbindung aufbauen“, so der Spracherkennungsexperte. Ihm geht es darum, dass sich der Mensch nicht länger dem Computer anpassen muss, sondern dass die Dialoge natürlichsprachlich werden. „Die Informationstechnik sollte sich an den Menschen anpassen. Softwaresysteme müssen intelligenter werden, damit sie besser verstehen, was der Mensch von ihnen will und damit sie sich umgekehrt dem Menschen einfacher verständlich machen“, fordert Pape.

Bei der Entwicklung der Sprachtechnologie gehört Deutschland nach Ansicht von Wolfgang Wahlster zu den führenden Ländern. „Wir haben rund 120 kleine und mittelständische Firmen in Deutschland, die sich damit auseinander setzen“, wird er in der Stuttgarter Zeitung zitiert. Auch Computernutzer würden sich mit der Zeit an neue Umgangsformen mit ihren Geräten gewöhnen. Wahlster prognostiziert bereits den Beginn der Post-PC-Ära. In Japan spreche man bereits vom One-Button-Computer: „Ein und aus, alles andere geschieht über Sprache, Mimik und Gestik, für die man kein Handbuch studieren muss“, resümiert Wahlster.

Zu den Chancen und Grenzen der Mensch-Maschine-Kommunikation findet auf der Call Center World im Hotel Estrel (Halle 1, Stand B 5) in Berlin-Neukölln am Dienstag, den 27. Februar 2007 von 14 bis 15 Uhr ein Expertenforum statt. Es diskutieren Prof. Joseph Weizenbaum, Prof. Wolfgang Wahlster und SemanticEdge-Geschäftsführer Dr. Lupo Pape. Moderiert wird die Runde von Jürgen Liminski vom Deutschlandfunk. Weizenbaum und Wahlster sind zwei der profiliertesten Informatiker der Gegenwart. Der „Pionier, Dissident und Computerguru“ Joseph Weizenbaum, der als Professor für Computerwissenschaften am MIT in Cambridge unterrichtete, ist einer der international bekanntesten Kritiker des Hightech-Zeitalters.

07.02.2007: