Wirtschaftskriminalität boomt und macht auch vor der Justiz nicht halt

Ob große Fälle wie der Betrugsskandal bei Heros, die jüngsten Bestechungsfälle bei Siemens und den Autozulieferern oder weniger spektakuläre Delikte bei kleinen Unternehmen. Experten zufolge hat die Wirtschaftskriminalität in Deutschland weiter zugenommen. Die Schäden belaufen sich laut Bundeskriminalamt (BKA) auf Milliardensummen, die Dunkelziffer ist hoch, berichtet das Branchenmagazin EUROPATICKER Umweltruf. Fachleute warnen, viele Firmen hätten den Ernst der Lage noch nicht erkannt, Frühindikatoren und striktere Regeln könnten helfen, die Gefahr einzudämmen.
Selbst bei der Justiz haben die Korruptions- und Untreuefälle zugenommen.
Besonders anfällig ist offenbar die Branche der Insolvenzverwaltung. Allein in diesem Jahr sind zwei große Unterschlagungen von Treuhandgeldern durch Verwalter ruchbar geworden. In Hannover hat sich einer der ehemaligen Stars unter den Norddeutschen Verwaltern, Reinhard Mühl, mit mehr als 6 Millionen EURO aus dem Staub gemacht. Rund 800 000 Euro soll der langjährige Gießener SPD-Stadverordnete und Rechtsanwalt Klaus-Philipp Lange als Insolvenzverwalter des Kunststoffwerks Kaha beiseite geschafft haben.

In Magdeburg zieht sich jetzt schon seit fünf Jahren das Verfahren gegen den ehemaligen Konkursrichter, Sven Ritorff, hin. Er soll nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft die lukrativen Aufträge nur an befreundete Verwalter gegeben haben. Als Gegenleistung konnte ihm die Staatsanwaltschaft die Annahme eine AUDI 100 und eines Computers nachweisen. Insider sprechen von Provisionsforderungen an einigen deutschen Gerichten durch die Insolvenzrichter. Wer die nicht zahlt, sei raus, so ein Branchenkenner gegenüber EUROPATICKER.

Die Zunahme der Wirtschaftskriminalität beschert der Detektivbranche immer mehr Aufträge von Unternehmen. Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Detektive (BDD) gehen nur noch 15 bis 20 Prozent der Ermittlungsaufträge von Privatpersonen aus, knapp 80 Prozent kommen inzwischen aus dem Bereich der Wirtschaft. "In den meisten Fällen ist das eigene Personal in die Delikte verwickelt", sagt BDD-Geschäftsführer Hans Sturhan.

Investition in eigene Tasche

"Die desolate wirtschaftliche Situation in der Vergangenheit führte dazu, dass Mitarbeiter zunehmend in die eigene Tasche investieren", berichtet die Berliner Wirtschaftsdetektivin Liane Reinicke, die vor allem von mittelständischen Betrieben beauftragt wird. Ob Inventurmanipulation, Firmenspionage oder Bilanzfälschungen, die 44-Jährige und ihre sechs Mitarbeiter beobachten und verfolgen Verdächtige im In- und Ausland und lassen sich dabei auch mal als vermeintlich neue Mitarbeiter in die betreffenden Unternehmen einschleusen.

Ist der Täter ausgemacht, kommt es aber nicht zwangsläufig zu einer Strafanzeige. Laut BDD meiden viele Unternehmen aus Angst vor einem Imageschaden die Öffentlichkeit und regeln den Vorfall lieber intern.

Dennoch stieg die Zahl der Strafanzeigen nach Angaben des BKA 2005 im Vergleich zum Vorjahr um 9,9 Prozent auf fast 90 000. Obwohl die Wirtschaftsdelikte nur 1,4 Prozent aller mit Schadenssumme erfassten Straftaten ausmachen, geht fast die Hälfte des Gesamtschadens auf ihr Konto: 2005 waren es 4,2 Milliarden Euro.

"Die Dunkelziffer ist aber mindestens doppelt so hoch", schätzt der Leiter des Instituts für Kriminologie der Universität Heidelberg, Prof. Dieter Dölling. "Viele Fälle bleiben unentdeckt, weil die Firmen den Ernst der Lage nicht erkennen." Wirksame Kontrollen, beispielsweise das Vier-Augen-Prinzip bei wichtigen Entscheidungen und klare Wertmaßstäbe mit konsequenter Bestrafung könnten helfen, die Situation zu verbessern.

Hohe Dunkelziffer

Nach einer aktuellen Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG kommen auf jeden aufgedeckten Fall fünf unentdeckte Delikte. Zudem ergab die Umfrage unter 420 Führungskräften, dass in den vergangenen drei Jahren jedes zweite Großunternehmen sowie jede dritte mittelgroße Firma Wirtschaftskriminellen zum Opfer gefallen war. Die Zahl der zufällig entdeckten Delikte stieg von 44 auf 66 Prozent.

"Das ist eine dramatische Tendenz", sagt der Leiter des KPMG- Bereichs Forensic, Dieter John. Besonders häufig seien Diebstahl und Unterschlagung, Untreue sowie Betrug. Seltener, aber mit weitaus höheren Schäden verbunden seien Korruption, Bilanzfälschungen oder Kartellrechtsverstöße. Topmanager sind John zufolge zwar nur an weniger als 15 Prozent der Fälle beteiligt. "Allerdings verursachten sie die wirklich großen Schäden."

Die Ursachen für Wirtschaftskriminalität sind vielfältig. Die sinkende Hemmschwelle der Mitarbeiter hängt nach Ansicht des Kriminologen Dölling auch mit der wachsenden Komplexität der Wirtschaft zusammen. "In traditionellen Familienbetrieben kannten die Mitarbeiter ihre Chefs noch persönlich, in großen international agierenden Aktiengesellschaften hat man die geschädigten Personen nicht mehr direkt vor Augen."


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23.12.2006:

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