Null-Fehler-Kultur tötet die Kreativität – Goethes Gebrauchsanweisung und die Gründe zum Gründen

Von Ansgar Lange

Bonn/Wolfsburg – Deutschland mangele es an Gründergeist, lautet eine häufig zu hörende Klage. Die Chance für Startups, für Firmengründer und junge Unternehmer – auch in Deutschland – sind so gut wie schon lange nicht mehr, schreibt hingegen der Wirtschaftsjournalist Michael Freitag in der aktuellen Ausgabe des Magazins Stadtansichten http://www.autostadt.de. An Geldmangel würden Gründungen jedenfalls nicht scheitern, so seine Überzeugung. Zwischen dem Börsencrash von 2001 und der darauf folgenden Depression bis ins Jahr 2005 habe es in der Tat schlecht ausgesehen. Doch der Wind habe sich nun gedreht. Für Nachwuchsunternehmen gebe es wieder Geld. „Das Vertrauen der Investoren in den Standort Deutschland wächst“, sagt Michael Groß, Chef von BC Brandenburg Capital und Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Deutscher Kapitalgebergesellschaften (BKV), zu dem sich die deutschen Venture-Capital-Gesellschaften und Private-Equity-Geber zusammengeschlossen haben.

Die Fonds freuten sich nicht nur über reichlich fließende Mittelzuflüsse von Pensionskassen, Stiftungen, Versicherungen und Privatleuten, sondern auch über den „breiten Strom der Ideen“ deutscher Firmengründer. In Deutschland herrsche kein Mangel an Ideen für neue Produkte und neue Unternehmen. Freitag zufolge gebe es eine wachsende Toleranz in der Wirtschaft gegenüber Gründern, die beim ersten Versuch gescheitert sind. Doch noch immer gründeten viele Menschen mit guten Ideen aus Angst vor dem Scheitern kein Unternehmen. Jürgen Kluge, Deutschland-Chef von McKinsey http://www.mckinsey.de, zerstreut diese Ängste mit Verweis auf eine Umfrage aus dem Jahr 2005, in der 45 Prozent der deutschen Unternehmen angaben, schon einmal einen gescheiterten Selbständigen eingestellt zu haben. Nur elf Prozent der Unternehmen lehnte Gescheiterte grundsätzlich ab.

„Eine auf Perfektionismus ausgerichtet Null-Fehler-Kultur zerstört jegliches kreative Potenzial. Fehler müssen auch in Unternehmen offen diskutiert werden; nicht, um einen Sündenbock oder Schuldigen zu finden, sondern damit alle beim nächsten Mal einen Missgriff oder eine Fehlentscheidung vermeiden können“, sagt Michael Müller, Geschäftsführer der auf IT-Dienstleistungen spezialisierten a & o-Gruppe http://www.aogroup.de und Wirtschaftssenator im Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) http://www.bvmwonline.de. Manfred Osten, Autor des Buches „Die Kunst, Fehler zu machen“, beschreibt in der Zeitschrift Universitas http://www.hirzel.de/universitas das Modell Toyota: „Fehler werden dort gemeldet und intensiv besprochen, um daraus zu lernen. Beim Versuch, die Toyota-Fehlerkultur zu kopieren, hat sich allerdings immer wieder dasselbe Kardinalproblem ergeben: Für die Qualitätsverbesserung reicht es nicht, Fehler zu thematisieren, entscheidend ist, dass die Fehlerkultur sich mit einer Vertrauenskultur verbindet“. Denn nur wer angstfrei mit Fehlern umgehen könne, so Müller, der sei auch bereit, eigene Verantwortung zu übernehmen und neue Ideen auch gegen Widerstände zu vertreten.

Osten zufolge neige der Mensch aber dazu, die an sich selbst wahrgenommenen Fehler und Mängel reflexartig mit den am anderen erkennbaren Vorzügen und Vorteilen zu vergleichen. Die Folge: Neid macht sich breit. Goethe biete eine schöne Gebrauchsanweisung für den Umgang mit Neid: Sie bestünde in der Kunst, nicht angestrengt zu vergleichen im Sinne von „weniger oder mehr“ oder „besser oder schlechter“, sondern gelassen festzustellen, dass etwas „anders“ sei. Vielleicht kann Goethe also auch jungen Gründern das Gründen erleichtern, wenn diese nicht mit Neid und Missgunst auf das Projekt des Konkurrenten schauen, sondern mit Gelassenheit an dem eigenen Projekt wirken; in der Gewissheit, dass sich auch einmal scheitern dürfen.

03.11.2006: