Goldgräberstimmung in der Zeitarbeit

Ein Blick hinter die Kulissen der M&A Aktivitäten in der deutschen Zeitarbeitsbranche

Sie erhalten jede Woche eine Vielzahl von Anrufen und Briefen von Menschen, die behaupten es gäbe einen interessierten Käufer für Ihr Unternehmen? Ja? – dann stehen die Chancen gut, dass Sie ein Unternehmen der Zeitarbeitsbranche besitzen und mit Erfolg führen.

Doch was ist dran an den viel versprechenden Aussagen? Welche Motivation steckt hinter den Kontaktversuchen und wie ist darauf sinnvoll zu reagieren? Lesen Sie eine Bestandsaufnahme der aktuellen Lage aus Sicht eines Prozessinsiders.

Der Verkaufszeitpunkt ist günstig: Nachhaltige Wachstumserwartung, Ausbau von Marktanteilen und positive Kaufstimmung treffen zusammen

Der Zeitarbeitsmarkt in Deutschland ist (noch) unterentwickelt und stark zersplittert. Im europäischen Vergleich sind in D nur etwa 1 % (= ca. 400.000) der Arbeitnehmer in der Zeitarbeit beschäftigt, deutlich unter dem Durchschnitt der Europäischen Union mit 1,5% und weit hinter dem Spitzenreiter Großbritannien mit 5,1% aller Arbeitnehmer. Mehr als 4.700 Unternehmen in D teilten sich 2005 ein Marktvolumen von rund EUR 9 Mrd. ; für das Jahr 2006 wird ein Volumen erstmals über EUR 10 Mrd. erwartet bei ca. 500.000 Zeitarbeitnehmern. Im Vergleich zu 134.000 Zeitarbeitern in 1994 entspricht das einer durchschnittlichen Wachstumsrate von ca. 11,6% p.a.

Dieser seit 1994 anhaltende steile Aufwärtstrend ist fundamental begründet und wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen: Wirtschaftswachstum ist mit der Notwendigkeit eines flexiblen Arbeitsmarktes eng verknüpft. Diesem Umstand können sich weder Politik noch Gewerkschaften komplett verweigern, so dass eine faktische Notwendigkeit besteht, ausgewogene Rahmenbedingungen für die Zeitarbeit zu schaffen. Prominentestes Beispiel ist der ehemalige Superminister Wolfgang Clement, der den Vorsitz des neu gegründeten Adecco-Instituts übernommen hat, mit dem erklärten Ziel die Zeitarbeit in Deutschland auf ein europäisches Niveau zu heben.
Im Ergebnis attraktive Bedingungen, um in ein Marktsegment zu investieren und sich Marktanteile zu sichern. Diese Situation haben sowohl die Marktführer aus dem In- und Ausland als auch Finanzinvestoren erkannt. Es ist davon auszugehen, dass selbst große Strategen, die angeben nur organisch wachsen zu wollen, opportunistisch zukaufen werden, um die eigene Position zu verteidigen oder weiter auszubauen. Während das Marktvolumen in Deutschland von 2004 auf 2005 um ca. 10% gewachsen ist, wuchsen die 15 größten Zeitarbeitsunternehmen mit 22% deutlich schneller als der Gesamtmarkt
Finanzinvestoren wie Barclays (Tuja), Investcorp (TimePartner), Nord Holding (Argo), BLB (ISU), Granville Baird (Team BS), etc. verfolgen Buy&Build Strategien, die insbesondere dann erfolgreich sind, wenn genau im strategischen Zielkorridor zugekauft werden kann. Das Marktscreening nach den passenden Kandidaten läuft gegenwärtig auf Hochtouren, Banken stellen Transaktionsfinanzierungen (noch) bereitwillig zur Verfügung.

Im Wettbewerb um die ersten Plätze herrscht somit über die gesunden Fundamentaldaten der Branche hinaus gewissermaßen Jagdstimmung. Nicht jeder Käufer kann sich dieser Stimmung entziehen und ist deshalb eher bereit eine Preisprämie zu bezahlen – eine besonders attraktive Situation für einen Verkäufer.

Breites Bewertungsspektrum: Ebit-Multiples zwischen 3 und 12 sind möglich

Als vergleichsweise einfache Methode zur Bestimmung des Bruttofirmenwertes werden häufig sog. Ebit-Multiplikatoren (Ebit = Ergebnis vor Zinsen und Steuern) verwendet. Das Finance-Magazin nennt beispielsweise in der Ausgabe vom Oktober 2006 Ebit-Multiples für Unternehmen bis 50 Mio. Umsatz zwischen 2,8 bis 5 im Bau und Handwerk und 5,8 bis 9 in der Softwarebranche. Tatsächlich decken Firmen der Zeitarbeit das gesamte breite Bewertungsspektrum ab. Der Markt produziert derzeit Multiples von 3 bis 12.

Ein Mix aus harten und weichen Faktoren entscheidet am Ende über den Marktwert eines Unternehmens. Nicht jeder Interessent wertet einen bestimmten Umstand gleich. Dennoch haben sich zumindest bei den harten Faktoren einige Kriterien herausgebildet, deren Erreichen oder Übertreffen die zu erwartenden Preise wesentlich bestimmen.

(i) Größe

Laut aktueller Lünendonk Studie vereinten im Jahr 2005 die 15 größten Zeitarbeitsunternehmen mit ca. EUR 3,5 Mrd. etwa 40% des Marktvolumens auf sich.

Zeitarbeitunternehmen Deutschland 2005 - Top 15
[mit Umsatz in EURm]

  1. Randstad + Bindan [902]
  2. Adecco + DIS [680]
  3. Manpower [402]
  4. Persona Service [375]
  5. Tuja [203]
  6. Hays [190]
  7. AutoVision [170]
  8. ZAG [159]
  9. I.K. Hofmann [133]
  10. Vedior [112]
  11. TimePartner [98]
  12. Runtime Group [76]
  13. Brunel [74]

Quelle: Lünendonk Studie 2006

Keines der Top 15 Unternehmen hatte einen Umsatz von über 1 Mrd.; die letzten drei Unternehmen bewegten sich um bzw. unter EUR 100 Mio. Damit ergibt sich ein eindeutiges Bild: Bei einem rechnerischen Durchschnittsumsatz eines Zeitarbeitsunternehmens (ohne die Top 15) von rund 1,2 Mio. Euro liegt das Gros der Marktteilnehmer meist unterhalb des Radarschirms vieler Finanzinvestoren oder Strategen.

Aus transaktionstechnischer Sicht kann man folgende Größenklassen unterscheiden: Zeitarbeitsunternehmen unter 10 Mio. Umsatz, zwischen 10 und 25 Mio. Umsatz, zwischen 25 Mio. und 100 Mio. und Unternehmen über 100 Mio. Auch hier gilt, kleine Unternehmen erzielen geringere Multiples als Große. Ausnahmen bestätigen die Regel. Unternehmen unter 5 Mio. haben häufig den Nachteil fehlender Visibilität und Verfügbarkeit moderner Controlling Instrumente / Daten zum Nachweis ihrer guten Positionierung. Gerade solche Unternehmen können jedoch eine perfekte Ergänzung für einen Käufer darstellen und in einem professionell vorbereiteten und geführten Verkaufsprozess Grössenklassennachteile zumindest teilweise wettmachen. Der Multiplegewinn von Größenklasse zu Größenklasse beträgt nach aktueller Einschätzung zwischen 1 und 2. Multiples von 8 und mehr sind eher den Unternehmen auf dem Weg zur EUR 100 Mio. Umsatz-Grenze vorbehalten oder beschreiben eine sehr profitable, exzellente Nische in der auch hohe Margen erzielt werden.

(ii) Profitabilität und Rohmarge

Eine Bewertung am oberen Ende der Skala kann man bei Rohmargen (Umsatz – Personalkosten externer Mitarbeiter / Umsatz) von über 30% erwarten, die nachhaltige EbitDA Profitabilität sollte bei 10, eher 12% liegen. Sondereinflüsse sind positiv wie negativ zu adjustieren.

(iii) Wachstum

Investiert wird in die Zukunft. Dennoch ist das tatsächlich realisierte Wachstum der Vergangenheit ein wichtiger Indikator dafür, wie erfolgreich sich das Unternehmen vom allgemeinen Trend absetzen konnte. Organische Wachstumsraten von +20% p.a. gelten hierbei als attraktiv, marktführende Unternehmen erreichen 30% und mehr. Einen Hinweis auf die Stabilität des Wachstums ist insbesondere aus den schwachen Jahren der Zeitarbeit, 2002 und 2003 abzuleiten.

Unternehmen, die auch in diesen Phasen in relevanten Kenngrößen nur unterproportional verloren oder sogar hinzugewonnen haben sind hierbei besonders interessant.

(iv) Einzigartigkeit

Was macht ein Unternehmen einzigartig oder andersherum gefragt, was würde fehlen, wenn es plötzlich vom Markt verschwände? Die Besonderheit kann prinzipiell in jedem Aspekt des Unternehmens bestehen, also beispielsweise einer Spezialisierung auf bestimmte wachsende Berufsgruppen wie Konstruktions- und Ingenieurdienst-leistungen oder Dienste für Bank- und Gesundheitswesen, Kundenzugang, Branchenkompetenz, Recruitingstrategie, Markenname, Positionierung, Technologie, Software, Qualitätssicherung, Responsezeiten, Übernahmequoten, Leerzeiten, usw.. Gelingt es diese Einzigartigkeit klar herauszuarbeiten und den erwarteten unternehmerischen Erfolg glaubhaft in die Zukunft zu projizieren, steigt die Transaktionswahrscheinlichkeit zu einem guten Multiple signifikant.

Verkauf ist nicht gleichbedeutend mit Ausstieg – im Gegenteil!

Gerade Unternehmen mit Umsätzen bis 25 Mio. Euro sind sehr stark eigentümergetrieben, wurden mit vollem Herzblut des Unternehmensgründers aufgebaut und binden meist auch dessen gesamtes Vermögen bzw. bilden die einzige Basis der wirtschaftlichen Existenz. Der Verkauf des eigenen Unternehmens bietet in einer positiven Marktstimmung den großen Vorteil zusätzlich zu einem fairen Kaufpreis durch geschickte Positionierung und Verhandlung eine Konditionen- und/oder Preisprämie realisieren zu können. Das Interesse von Finanzinvestoren bedeutet weiterhin, dass zur Sicherstellung eines Interessengleichklangs erwartet wird, dass der Unternehmer sich mit einem substantiellen Anteil, z.B. 20%, an dem Unternehmen rück-beteiligt und das Wachstum weiter aktiv vorantreibt. Der Eigentümer kann damit einen Teil seines Unternehmenswertes in sein Privatvermögen überführen und ist weiterhin Unternehmer allerdings mit geringerem persönlichen Risiko.
Die Mehrheit an einem Unternehmen abzugeben bedeutet meist auch Entscheidungen im Konsens mit den neuen Mehrheitsgesellschaftern treffen zu müssen. Insofern spielt die Chemie zwischen den handelnden Personen eine entscheidende Rolle. Um diesen Käufer zu finden bietet ein angeheizter Markt mehr Auswahl an Käufern als ein Markt, der eben weniger "hip" ist.

Ein Verkauf heute hängt wesentlich von der persönlichen Wachstums- und Marktprognose ab

Die Entscheidung einen typischerweise 3 bis 6 Monate dauernden Verkaufsprozess anzustoßen hängt von der persönlichen Einschätzung der aktuellen Marktlage, Marktentwicklung und der individuellen Lebenssituation ab.
Im gegenwärtigen Boom kann ein Unternehmen Wachstumsraten von 30% pro Jahr erzielen. Wächst das Ergebnis mit, kann man in wenigen Jahren die Bewertungsbasis (Ebit) schnell verdoppeln. Dann spielt es keine Rolle, ob der boomgestützte Bewertungsfaktor von z.B. 6 auf 5 fällt, weil die Ebit-Basis selbst höher ist. Allerdings muss man den Blick in die Zukunft wagen und eine Entscheidung treffen, ob die in zwei, drei oder fünf Jahren vorherrschende Zukunftserwartung der potentiellen Käufergruppen noch immer so positiv ist, dass ein Unternehmensverkauf grundsätzlich noch möglich erscheint.

Fazit:

Die hohe Frequenz der an Zeitarbeitsunternehmen gerichteten Anfragen ist nicht überraschend und fundamental begründet. Nachhaltig positive Branchenaussichten gepaart mit einem beschleunigten Konsolidierungstrend in dem etablierte wie neue Spieler sich positionieren, verschieben das Gleichgewicht zwischen Käufer und Verkäufer zugunsten des Verkäufers. Zusätzlich herrscht positive Kaufstimmung.

Ein Verkauf bedeutet nicht automatisch den kompletten Abschied vom Unternehmen und Unternehmertum, sondern kann gerade mit Finanzinvestoren als Weg zur persönlichen Risikodiversifizierung gesehen werden.

Unter Kaufpreismaximierungsgesichtspunkten ist ein späterer Verkaufszeitpunkt dann sinnvoll, wenn die persönliche Wachstumsprognose für das Unternehmen überdurchschnittlich ist und gleichzeitig die Erwartung für sehr gute Marktprognosen mindestens 2 Jahre über den geplanten Verkaufszeitpunkt der Zukunft hinaus, bestehen. Um die eigene Einschätzung zu schärfen lohnt ein Gespräch mit einem in der Branche erfahrenen Transaktionsberater.

Der Autor, Stefan Herborg, ist Partner bei Hübner Schlösser & Cie (www.hscie.com), eine mit über 100 Transaktionen und ca. 17 Mrd. Euro Transaktionsvolumen führende Corporate Finance Beratung in Deutschland.

AUCTUS veräußert die Zeitarbeitsgruppe Time Partner an Investcorp

Die jüngste Transaktion im Bereich Zeitarbeit war der Verkauf der Time Partner Gruppe an den Finanzinvestor Investcorp und das TimePartner Management Mitte 2006.

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26.10.2006:

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