Mit einer wirtschaftlichen Nato gegen die „Termitenstaaten“? – Wirtschaftliche Abschottung wird den Westen ärmer machen
Pressetext verfasst von NeueNachricht am Mi, 2006-09-27 13:31.Bonn/Düsseldorf – Der Aufstieg Asiens hält die Welt in Atem. Die Meinungen darüber, ob der Westen von den asiatischen Angreifern überrollt wird oder sogar von deren ökonomischen Erfolgen profitieren wird, sind geteilt. Vor kurzem hat der Spiegel-Redakteur http://www.spiegel.de Gabor Steingart für Furore gesorgt, als er eine „Nato der Wirtschaft“ forderte, um sich der vermeintlichen Bedrohung zu erwehren. Sogar in Angela Merkels Kanzleramt werde über eine „europäisch-amerikanische Freihandelszone“ nachgedacht. Was in Asien nach Marktwirtschaft aussehe, folge in Wahrheit den Regeln einer Gesellschaftsformation, die Ludwig Erhard als „Termitenstaat“ bezeichnet habe. Das Denken der Inder und Chinesen sei staatszentriert: Der Staat spiele eine entscheidende Rolle als Preisfestsetzer, Technologieförderer, Rohstoffbeschaffer, Schutzpatron und Impulsgeber für wirtschaftliche und politische Aktivitäten aller Art.
Steingart wirft dem Westen Naivität vor, die sich bitter rächen könne. Der Westen glaube, er verkaufe Maschinen, Autos und Flugzeuge: „Doch als Beigabe verkauft er mittlerweile auch ein Stück von sich selbst. Nicht wenige Politiker und Unternehmer sind bereit, Selbstmord aus Angst vor dem Tode zu begehen.“ Was die Nato im Zeitalter der militärischen Bedrohung für den Westen bedeutet habe, könne im Angesicht der ökonomischen Herausforderung eine transatlantische Freihandelszone leisten: „Zwei Wirtschaftszonen, die EU und die USA, vielleicht noch um Kanada erweitert, würden dem Schwinden ihrer jeweiligen Marktmacht durch die Addition der Kräfte entgegenwirken.“
Nach innen solle diese neue Nato Freiheit bieten – nach außen solle sie als Festung dienen. Raunend schreibt Steingart davon, dass Angela Merkel ebenfalls von dieser Idee umgetrieben werde, wenn sie denn mal Zeit dazu habe: „Der Gedanke eines selbstbewussten und daher wehrhaften Westens bewegt auch die Frau im deutschen Kanzleramt. In den seltenen Momenten, in denen es für Angela Merkel jenseits der Tagespolitik um strategische Weichenstellungen geht, rückt die transatlantische Freihandelszone in ihr Blickfeld: Einen Zusammenschluss der Gleichgesinnten sieht sie dann vor sich.“
Widerspruch zu diesen Thesen meldete Thomas Straubhaar, Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) http://www.hwwi.org, in Spiegel-Online an. Der liberale Ökonom rät von einer defensiven Strategie à la Steingart ab und hält Protektionismus und ökonomisches Säbelrasseln für kontraproduktiv. Der Westen und insbesondere die Europäer sollten den Aufstieg Asiens als sportliche Herausforderung begreifen: „Der in der Tat beeindruckende, rasante Wiederaufstieg Chinas ist keine bedrohliche Kriegserklärung. Er ist eine stimulierende und neue Kräfte freisetzende Herausforderung für die Europäer, ebenfalls besser und schneller zu werden. Mit einer offensiven Strategie lässt sich am erfolgreichsten auf die asiatische Herausforderung reagieren.“ Straubhaar erinnert daran, dass es nicht die großen Weltreiche, nicht die Imperien der Ottomanen, Mughale, Ming und Manchu gewesen seien, die Arbeitsteilung, Industrialisierung, Handel und Wohlstand vorangebracht hätten, sondern das in kleine Nationalstaaten zerfallene Europa.
Nur ein Europa, das an seinen Werten zweifle, müsse sich um seine Zukunft sorgen. Nicht Schutz und Abschottung oder ein Rückfall in bilaterale Handelskriege seien eine erfolgreichversprechende europäischen Strategie, sondern eine offensive Wiederbelebung der historisch gewachsenen Kräfte. Europa besteht im Kampf gegen die asiatische Konkurrenz, so könnte man sagen, wenn es mehr Freiheit wagt: „Je weniger der Staat den Europäern vorgibt, wie sie zu leben, zu arbeiten, zu wohnen haben, je weniger der Staat befiehlt, was sie tun und unterlassen sollen, je mehr die europäische Gesellschaft auf die individuellen Freiheitsrechte setzt, um so stärker sind die menschlichen Erfinder- und Entdeckerinstinkte.“
Auch wenn Indien eine rasante Aufholjagd hingelegt hat, so gibt es auch auf dem Subkontinent noch erhebliche Defizite, so die Analyse von Rajat Gupta, Senior Partner der Wirtschaftsberatung McKinsey http://www.mckinsey.com. In einem Beitrag für das Handelsblatt beschreibt Gupta neben den Vorzügen auch die Mängel. So sei mehr Deregulierung vor allem im Einzelhandel, im Rüstungssektor, in den Medien und im Finanzbereich dringend geboten. Zudem seien die Arbeitsmarktgesetze zu rigide. Bislang darf beispielsweise ein Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten niemanden entlassen, ohne zuvor die Genehmigung der regionalen Regierung einzuholen. Gravierend sei der Rückstand bei der Infrastruktur. In den vergangenen 15 Jahren hat Indien im Schnitt 4,4 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Infrastruktur investiert, China hingegen 25,7 Prozent. Auch das indische Bildungswesen stehe im Vergleich zu China nicht gut da. 40 Prozent der Inder seien Analphabeten, in China dagegen nur zehn Prozent.
Vor Alarmismus und zugespitzten Thesen warnt der Düsseldorfer Finanz- und Emerging-Markets-Experte Jörg Peisert: „Im Westen sollte man sich nicht nur von den Erfolgen in China und Indien blenden lassen. Zur Zeit des Kalten Krieges grassierte im Westen die Sorge, man werde von der Sowjetunion und ihren Satelliten ökonomisch und militärisch überrollt werden. Dies ist nicht eingetreten, weil die politische Führung und die Menschen ein gewisses Grundvertrauen in die eigene Stärke nicht aufgegeben haben. Ich halte es für falsch, die These von einem Weltkrieg um Wohlstand zu vertreten. Diejenigen, die zu mehr Protektionismus aufrufen und den Freihandel einschränken wollen, wollen letztlich dem Rad der Zeit in die Speichen greifen und die Zeit anhalten. Das hat noch nie funktioniert. Staaten, die sich nach außen ökonomisch abschotten, stürzen ab.“
Peisert hält die generelle Globalisierungskritik auch für unmoralisch: „Globalisierung heißt natürlich nicht, dass nur wir unsere Besitzstände halten können, ohne dass sich in Europa oder Amerika etwas ändern muss. Denn Experten weisen zurecht darauf hin, dass auch Entwicklungsländer von der Globalisierung ihren Nutzen ziehen können. Im Jahr 1970 gehörten zehn Prozent aller Afrikaner und 75 Prozent der Asiaten zu den Ärmsten der Armen. 30 Jahre später hatte sich der afrikanische Anteil verdreifacht, während der asiatische auf 15 Prozent gefallen ist. Asien hat sich bekanntlich geöffnet. Das sollte uns im Westen zu denken geben und allem Gerede von einer neuen wirtschaftlichen Nato eine Absage erteilen.“