Der Weg in die Knechtschaft – Wie die Unternehmen ihre Kunden zur Mitarbeit einspannen
Pressetext verfasst von NeueNachricht am Di, 2006-09-26 15:19.Hannover – In Sonntagsreden wird der Kunde gern als König bezeichnet. Doch die Realität ist trist: In Wirklichkeit ist der deutsche Kunde ein Knecht. Nach Ansicht des Zeit-Autors http://www.zeit.de Marcus Rohwetter zwingen die Unternehmen ihre Kunden zur Mehrarbeit und spannen sie als Boten, Handwerker oder Erfinder ein. Gegenwehr gibt es nicht, von Streiks keine Spur. „Früher gab es Bankberater, die für mich Überweisungen erledigt und Aktien gekauft haben. Heute soll ich lernen, die Computerprogramme der Finanzindustrie zu bedienen: 72 Seiten dick ist das Handbuch fürs Online-Banking bei der Deutschen Bank“, so Rohwetter. Im Frühjahr habe es einen großen Streit darüber gegeben, dass die Angestellten im öffentlichen Dienst 18 Minuten pro Tag länger arbeiten sollten: „Seltsam nur: Gegen den alltäglichen Minuten-Diebstahl protestiert niemand. Obwohl wir alle jeden Tag ein wenig mehr arbeiten. Ohne Lohn.“
Günter Voß, Industriesoziologe an der Technischen Universität Chemnitz http://www.tu-chemnitz.de, vermutet System hinter diesem Vorgehen: „Betriebe versuchen ganz bewusst, Kunden für sich arbeiten zu lassen.“ In der entsprechenden Managementliteratur würden Verbraucher schon unverblümt als „Teil-Arbeitskräfte“ bezeichnet. Dies sei die Folge eines sich ständig erhöhenden Kosten- und Rationalisierungsdrucks. „Das Outsourcing zum Kunden hat begonnen. Er wird vom König zum Knecht“, stellt der Zeit-Redakteur fest. Der amerikanische Soziologe George Ritzer benutzte den Begriff „McDonaldisierung der Gesellschaft“, um diesen Weg zur Knechtschaft zu beschreiben. In Schnellrestaurants kann der Kunde günstig essen, muss allerdings am Tresen bestellen, sein Getränk zapfen, alles an den Tisch bringen und nach der Mahlzeit alles brav aufräumen.
Die Schweden sind jedoch Meister darin, den Kunden zur Mitarbeit einzuspannen. „Ikea hat zum Beispiel sein ganzes Geschäftsmodell darauf ausgerichtet, Kunden möglichst umfassend für sich einzuspannen: Artikelnummern aufschreiben, Pakete aus dem Regal wuchten, den Einkauf ins Auto laden, daheim die Treppen zur Wohnung hochschleppen, alles aufbauen und hinterher die Pappkartons entsorgen“, so Rohwetter. Die Strategie der Unternehmen ist klar: Sie wollen ihre Kosten senken. Doch ob die Kunden über niedrigere Preise davon profitieren, ist nicht immer gewährleistet. Zugespitzt könnte man sagen: „Mag ja sein, dass sich Deutschland gerade zur Dienstleistungsgesellschaft wandelt. Bislang allerdings funktioniert nur eine Form von Bedienung reibungslos: die Selbstbedienung.“
Wenn der Kunde nicht so will wie die Unternehmen, werden ihm die Flötentöne beigebracht: Neudeutsch heißt das dann consumer education. Rohwetter bringt noch weitere Beispiele, um seine Beobachtung zu illustrieren. Wenn ein abgestürzter Computer wieder zum Laufen gebracht werden soll, können schon einmal ein paar Nächte drauf gehen. Nur scheinbar kümmert sich der Kunde um seinen eigenen Kram: „In Wahrheit ist unser Verhalten bereits einkalkuliert. In der High-Tech-Industrie ist es schon seit Jahren üblich, halb fertige Waren zu verkaufen. ‚Bananenprodukte’ nennen das Ingenieure: ‚Die reifen beim Kunden’.“
Kostenargumente spielen oft eine zu große Rolle, Service und Markenwert kommen dabei häufig zu kurz. Diese Beobachtung macht Uwe Röhrig, Inhaber des Hannoveraner Beratungsunternehmens International Car Concept (ICC) http://www.icconcept.de und ehemaliger Vertriebschef für Mercedes-Benz Pkw und Maybach in Deutschland, beim Blick auf die aktuelle Debatte über die Erhöhung der Mehrwertsteuer. „Ich bin davon überzeugt, dass ein hervorragender Service und der Wert einer Marke langfristig vom Kunden genauso ins Kalkül einbezogen werden wie der Preis. Mit Rabattschlachten wird sich die Autobranche zu einem gewissen Teil selbst das Wasser abgraben, weil die dauerhaften Schäden den kurzfristigen Vorteil überwiegen.“ Zum Hintergrund: Um Kaufeinbrüchen vorzubeugen, werben einige Autohersteller derzeit damit, sie würden dem Kunden die Mehrwertsteuer „schenken“. Was für die Autobranche gelte, könnte auch für andere Wirtschaftszweige geltend gemacht werden. Die „Geiz-ist-geil-Welle“ sei langsam ausgereizt. Die Kunden registrierten, dass man für ein gutes Produkt auch „gutes Geld“ zahlen müsse. „Weder die Automobilindustrie noch andere Wirtschaftszweige sollten nur aktionistisch mit Preisnachlässen operieren, um Kunden zu halten und neue zu gewinnen. Kundenbindung erreicht man nur über Qualität in Service und Beratung.“
Selbstverständlich sei nicht jedes Produkt gleich, betont Röhrig: „Wer ein hochwertiges technisches Gerät kauft, möchte sich in der Regel nicht durch dicke Gebrauchsanweisungen lesen, die so dick wie eine Bibel sind. Und er reagiert allergisch, wenn er selber Schäden an diesem Produkt beheben soll oder sich ständig mit technischen Pannen herumschlagen soll. Bei einem Ikea-Regal gelten andere Gesetze: Die meisten möchten nicht so viel Geld für die Einrichtung der ersten Wohnung oder der Studentenbude berappen. Sie stört es dann auch noch, wenn man eine gewisse Zeit in den Aufbau des neuen Regals oder Tisches investieren muss.“ Dass reine Preisargumente bei Premium-Produkten nicht so entscheidend seien wie der richtige Mix aus Service und Beratung, zeige sich zum Beispiel in der Automobilindustrie. Denn die Käufer hochwertiger Autos zeigten sich von der „drohenden“ Erhöhung der Mehrwertsteuer weit weniger beeindruckt als diejenige Käufergruppe, die beim Autokauf mit Euro und Cent rechnen müsse. „Bei Toyota/Lexus sind die Kunden in ihrem Streben nach Vollendung nicht nur Könige, sondern Götter“, so Röhrig griffig.