Die Angst des Konsumenten beim Lesen der Gebrauchsanweisung

Die Tücken der Technik verderben die Freude am Fortschritt

Von Ansgar Lange

Bonn/Frankfurt am Main – Wenn das Familienoberhaupt vom Christkind ein neues technisches Spielzeug geschenkt bekommt, kann dies die Weihnachtsfreude schon mal deutlich trüben. Es ist meist fatal, wenn die mit viel Liebe, aber unzureichender Gebrauchsanweisung verschenkte Kamera nicht richtig funktionieren will. Ist der Beschenkte männlich, fühlt er sich oft in seiner Ehre gekränkt. Und die zunehmende Gereiztheit und Nervosität überträgt sich leicht auf die übrige Familie. Zum Trost können all diejenigen, die gelegentlich verzweifelt gegen die Tücken der Technik kämpfen, zu einem Beitrag aus der Rubrik Technik und Motor in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) http://www.faz.net greifen. Der Autor ist Michael Spehr http://www.dr-spehr.de, ein ausgewiesener Fachmann für Mobilfunk, Kommunikationstechnik, Unterhaltungselektronik, Navigationssysteme, Digitalfotografie, IT-Technik und so weiter. Die These seines süffisant geschriebenen Essays: „Moderne Technik entfernt sich immer mehr von ihrem eigenen Inhalt und wird zum Selbstzweck“. Dadurch werde den Leuten die Freude am Fortschritt ausgetrieben. Sie verheddern sich im „Dickicht des Digitalen“.

Doch wie sieht es aus, wenn die Unterhaltungsindustrie aus der „schönen Welt der neuen Technik einen Albtraum der Bevormundung“ macht? Technik bestimmt unseren Alltag. Nach einer Umfrage der London School of Economics www.lse.ac.uk behaupten mehr als 90 Prozent aller Handynutzer, dass sie ohne ihr Gerät den Alltag nicht mehr bewältigen können. „Beim Kauf eines neuen Computers stellen sich nagende Zweifel ein: Ob es das höhere Tempo und die bessere Ausstattung wirklich wert sind, zwei, drei Abende mit dem Gerät zu verbringen, bis alles so läuft wie bisher?“ fragt Spehr. Der Spaß an der Technik stellt sich in der Regel nur dann ein, wenn man Erfolgserlebnisse hat. Doch in der Realität sehe es anders aus: „Bisweilen sitzt man in dieser Redaktion wochenlang über Hard- und Software, die sich nicht installieren lässt, und wenn schon die Experten an die Grenzen ihrer Fähigkeiten geraten, fragt man sich, was der typische Konsument in solchen Fällen macht.“

Die Beispiele für unaufgereifte Produkte und die Tücken der Bedienung seien Legion. Man könne hier nahezu den gesamten Bereich von PC-Hard- und Software durchbuchstabieren, aber auch die Welt der Unterhaltungselektronik, viele Produkte aus der Digitalfotografie und natürlich die Telekommunikation: „Technisches aller Art kommt unausgereift auf den Markt, arbeitet nicht mit anderen Komponenten ordnungsgemäß zusammen, die Bedienung ist umständlich, wichtige Funktionen liegen nicht an zentraler Stelle, verschachtelte Menüs und immer mehr Details versperren den Blick aufs Ganze.“

An der eher teuren Hardware werde gespart, so Spehr, und was günstig elektronisch und per Software machbar sei, werde zum Wettbewerbsvorteil hochgejubelt: „Warum soll ein portables Navigationssystem fürs Auto zusätzlich MP3-Lieder wiedergeben? Welchen Sinn hat es, dass der Apparat vor der Windschutzscheibe auch Fotos auf einem 7-Zentimeter-Display anzeigt? Geradezu abstrus: Moderne Kamerahandys haben alle möglichen Funktionen zur Bildbearbeitung eingebaut, die man besser, schneller und einfacher am Desktop-PC erledigen könnte. Aber bei Details, die Geld kosten und die in Sachen Bildqualität ganz zentral sind – das optische System oder der Autofokus – hapert es.“

Spehr zufolge schaufele sich eine ganze Industrie so ihr eigenes Grab, indem sie die Konsumenten gängele und verhindere, dass sie Herren (oder Damen) ihrer Technik seien: „Die Freude an der Technik vor allem elektronsicher und digitaler Provenienz schwindet. Der Kunde ist verunsichert. Die Kosten des Wechsels oder des Umstiegs auf neue Technik werden immer höher, und die Nachteile wiegen immer schwerer. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. Noch ist es nicht zu spät.“

Für mehr Einfachheit und ein genaueres Eingehen auf die Bedürfnisse der Kunden plädiert auch Axel Schnell, Service Director des Stuttgarter IT-Dienstleisters Nextiraone http://www.nextiraone.de: „Wir kennen alle das Einstein-Zitat: ‚So einfach wie möglich. Aber nicht einfacher!’ In vielen Lebensbereichen heute nur ein frommer Wunsch, stattdessen Komplexität aller Orten – ein Steuersystem, das nicht reformierbar scheint, ein undurchschaubarer Tarifdschungel bei Bahntickets, die nicht einmal zuständige Bahnmitarbeiter erläutern können, Entgeltmodelle bei Telefon- und Internetdiensten, deren Systematik sich oft erst nach intensivem Studium erschließt. Passwörter, Pins und Tans für Zugänge zu Bankfunktionen, multifunktionale Mobiltelefone, von denen die wenigsten Besitzer tatsächlich wissen, was sie damit anstellen können.“

Amerikanische Psychologen hätten in einer viel beachteten Studie mit dem Titel „TechnoStress“ belegt, dass sich über 50 Prozent der US-Verbraucher durch moderne Technik überfordert fühlen. Das gilt auch für Computer. „Wenn wir unsere Technik nur aus der Logik der Maschinen heraus entwickeln, beurteilen wir die Dinge nach rein mechanischen Maßstäben. Das Resultat ist eine zunehmende Entfremdung zwischen Menschen und Maschinen, eine wachsende Technikfrustration und der Stress eines technikzentrierten Alltagslebens“, formuliert Donald A. Norman in seinem Buch „The invisible Computer“. Hochkomplexe Bedienungsführungen und undurchschaubare Softwareprogramme machten den heimischen Computer zum Folterinstrument. Der TechnoStress-Studie zufolge haben 36 Prozent aller US-Verbraucher keine Orientierung, warum sie überhaupt einen PC kaufen sollten. Wirklich vertraut mit den Geräten sind gerade einmal zehn bis 15 Prozent. Schnell weiter: „Mit der Vielfalt möglicher Funktionen steigt in aller Regel auch die Schwierigkeit beim Bedienen eines Gerätes, die scheinbar einfache Handhabung bringt hochkomplexe Probleme mit sich: Ein schmaler Grat zwischen technisch möglichen und von Kundeseite gewünschten Features, zwischen einfacher Bedienbarkeit und scheinbarem Zusatznutzen. Mittlerweile stellen wir nicht mehr die Frage, was das neue Handy tatsächlich alles kann, sondern durchaus auch einmal, ob es eine Version des Gerätes gibt, mit dem man einfach nur telefonieren kann - ohne integrierte Fotokamera, MP3-Player oder Internetfähigkeit.“ Die Alleskönner können zuviel. Nicht alles, was technisch möglich ist, wird Kundenwünschen gerecht – ein Phänomen, das Zukunftsforscher Matthias Horx als „Unsinn des Mehr“ beschreibt. „Benötigen wir einen automatischen Zahnstocheranspitzer“ fragt er süffisant in seinem Buch „Die acht Sphären der Zukunft“. Unbewusst fühlt sich der Anwender technischen Systemzwängen unterlegen. Und mit dem Gefühl der Unterlegenheit wird man nicht zum kauffreudigen Konsumenten. Denn sonst ist der Weihnachtsfriede gestört, wenn Papa das neue Technikspielzeug auspackt.

13.09.2006: