Bundesarbeitsgericht - Grenzen der Verwertung von vom Arbeitgeber gewonnenen Erkenntnissen?
Pressetext verfasst von pr-gateway am Mi, 2023-12-27 10:23.1. In einem Kündigungsschutzprozess besteht nach Maßgabe der Datenschutz-Grundverordnung und der Zivilprozessordnung grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Das gilt bei dem Vorwurf einer vorsätzlich begangenen Pflichtverletzung auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht.
2. Den Betriebsparteien fehlt die Regelungsmacht, ein über das formelle Verfahrensrecht der Zivilprozessordnung hinausgehendes Verwertungsverbot zu begründen, oder die Möglichkeit des Arbeitgebers wirksam zu beschränken, in einem Individualrechtsstreit Tatsachen über betriebliche Geschehnisse vorzutragen.
(Urteil des BAG vom 29.06.2023 - 2 AZR 296/22; Leitsätze des Verfassers)
Die Arbeitgeberin betreibt eine Gießerei im Schichtbetrieb, in der der Kläger tätig ist. Im Betrieb wird eine offene Videoüberwachung an den Zugängen zum Werksgelände durchgeführt auf die, wie auch auf die einzelnen Videokameras, hingewiesen wird. Eine Betriebsvereinbarung hierüber besteht nicht. Die Erfassung der Arbeitszeit im Betrieb findet elektronisch statt, hierzu existiert eine Betriebsvereinbarung. In dieser ist niedergelegt, dass keine personenbezogene Auswertung der erfassten Daten erfolgt. Die Anwesenheit im Betrieb wird von den Beschäftigten durch die Bedienung von Kartenlesegeräten an den Werkstoren dokumentiert, die Arbeitszeit beginnt nicht bei Betreten des Werksgeländes sondern am jeweiligen Arbeitsplatz. Dem Kläger wirft die Arbeitgeberin Arbeitszeitbetrug vor, da er zwar das Werksgelände betreten und den Beginn der Arbeitsleistung dokumentiert hätte, aber vor Schichtende das Werksgelände, ohne Dokumentation, wieder verließ. Die Arbeitgeberin sei davon ausgegangen, dass eine vollständige Arbeitsleitung vom Kläger erfolgt sei und hat daher die entsprechende Lohnzahlung erbracht. Eine Auswertung der Videoaufzeichnung und der erfassten Arbeitszeiten habe jedoch ergeben, dass der Kläger das Werksgelände vor Schichtende verlassen und nicht wieder betreten habe.
Die Arbeitgeberin hat das Arbeitsverhältnis, nach Anhörung des Betriebsrates, außerordentlich und fristlos, hilfsweises ordentlich und fristgerecht gekündigt. Der vom Kläger gegen die Kündigungen erhobenen Kündigungsschutzklage gaben sowohl das ArbG Hannover als auch das LAG Niedersachsen statt. Auf die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung könne die Arbeitgeberin zur Begründung der Kündigungen nicht zurückgreifen, da ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorgaben bei der Durchführung derselben erfolgte. Es sei insofern nicht erkennbar, aus welchen Gründen die Videoüberwachung für die Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen oder der Aufdeckung von Straftaten erforderlich sei. Im Übrigen sei die Videoüberwachung auch nicht dazu geeignet, Verstöße gegen die Arbeitszeit zu erfassen, denn die Aufzeichnungen der Videokameras würden lediglich den Zutritt auf das Werksgelände sowie das Verlassen desselben, dagegen nicht die Anwesenheit am Arbeitsplatz, dokumentieren. Geeignet zur Erfassung von Verstößen gegen die Arbeitszeit sei eine Arbeitszeiterfassung. Die aufgrund der elektronischen Arbeitszeiterfassung erfassten Anwesenheitszeiten könnten jedoch von der Arbeitgeberin nicht verwertet werden, da aufgrund der Regelung in der Betriebsvereinbarung ein Verwertungsverbot bestehe.
Auf die Revision der Arbeitgeberin hat das BAG die Entscheidung des LAG Niedersachsen aufgehoben und zu Entscheidung an eine andere Kammer des LAG Niedersachsen zurückverwiesen. Die Arbeitgeberin könne die durch die offene Videoüberwachung gewonnenen Daten auswerten und im Prozess verwerten. Allein maßgeblich für die Frage der Verwertung im Prozess sei, ob durch die Videoüberwachung ein Verstoß gegen die DSGVO oder das Grundgesetz erfolge. Ein solcher Verstoß scheide jedoch jedenfalls in Bezug auf Bildsequenzen aus einer offenen Videoüberwachung aus, die vorsätzlich begangene Pflichtverletzungen zulasten des Arbeitgebers zeigen würde. In einem solchen Falle käme es dann auch nicht darauf an, ob die Überwachungsmaßnahme selbst in vollem Umfang den Vorgaben der DSGVO und des Grundgesetzes genügen könne. Dies könne lediglich dann nicht gelten, wenn die Überwachungsmaßnahme selbst als schwerwiegende Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung anzusehen sei oder gegen datenschutzrechtliche Vorgaben verstoße. Ob die Videoüberwachung selbst unter Missachtung der insoweit an sich bestehenden Rechte des Betriebsrats erfolge, war für das BAG nicht relevant. Dass in der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung schließlich niedergelegt sei, dass die hiermit erfassten Daten nicht personenbezogen ausgewertet werden dürften, sei unerheblich. Den Betriebsparteien sei eine Regelung, die es den Gerichten untersagen würde, unter Verstoß gegen eine Betriebsvereinbarung vom Arbeitgeber gewonnene Daten zu würdigen, nicht möglich. Es fehle ihnen insoweit an einer Befugnis zu Eingriffen in das gerichtliche Verfahren; dieses obliege allein dem Gesetzgeber. Die Arbeitgeberin sei daher nach Auffassung des BAG berechtigt, sowohl die von ihr ermittelten Erkenntnisse aus der Videoüberwachung als auch diejenigen aus der Arbeitszeiterfassung im Verfahren zu verwerten.
Fazit:
Die Entscheidung des BAG schließt an die Entscheidung zur Vertraulichkeitserwartung in WhatsApp-Gruppen, auf die wir im Mandanteninfo September 2023 bereits hingewiesen haben, an. Arbeitgeber sind in der Verwertung von Erkenntnissen aus Überwachungs-/Kontrollmaßnahmen in Gerichtsverfahren nur in datenschutz- und verfassungsrechtlicher Hinsicht eingeschränkt. D.h. konkret, dass eine Verwertung nur dann wahrscheinlich ausscheiden wird, wenn die Überwachungs-/Kontrollmaßnahme selbst datenschutz- oder verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht genügen kann. Bei verdeckten Überwachungs-/Kontrollmaßnahmen durch den Arbeitgeber hat das BAG dies in seiner sog. Keylogger-Entscheidung, noch angenommen (vgl. BAG, Urteil vom 27.07.2017 - 2 AZR 681/16 ). Besondere Relevanz hat die Entscheidung aber für betriebliche Gremien. Zum einen sieht das BAG keine Schwierigkeiten, Erkenntnisse aus Überwachungs-/Kontrollmaßnahmen zu verwerten, deren Einrichtung/Errichtung nicht mitbestimmt ist. Hieraus resultiert letztlich ein Handlungsauftrag an die betrieblichen Gremien. Zum anderen schränkt es aber die Gestaltungsmöglichkeit in betrieblichen Vereinbarungen zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus Überwachungs-/Kontrollmaßnahmen ein. Es war insoweit bisher üblich, dass dort aufgenommen wurde, dass Erkenntnisse, die gegen die Vorgaben einer solchen Vereinbarung gewonnen wurden, nicht gegen Beschäftigte verwertet werden dürfen. Das sollte auch zukünftig weiterhin aufgenommen werden, da dann von den betrieblichen Gremien gegen den Arbeitgeber, soweit er diese nicht beachtet, aufgrund Missachtung der Vereinbarung vorgegangen werden kann. Zusätzlich sollte der Arbeitgeber dahin bewegt werden, dies im Rahmen einer Gesamtzusage auch gegenüber jeder/-m Beschäftigten zu erklären. Ein besonderer Fokus ist in betrieblichen Vereinbarungen zudem darauf zu legen, welche Daten die Arbeitgeberin/Dienstelle bei Überwachungs-/Kontrollmaßnahmen oder der Nutzung hierzu geeigneter Mittel überhaupt erfassen kann und wann diese zu löschen sind.
Fabian Wilden, Rechtsanwalt
Anwaltsbüro* Windirsch, Britschgi & Wilden
Anwaltsbüro* Windirsch, Britschgi & Wilden - seit über 30 Jahren im Herzen von Düsseldorf. Die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte von Windirsch, Britschgi & Wilden sind auf Arbeitsrecht spezialisiert und legen zudem Wert auf ihr soziales Engagement.
Seit 1983 setzt sich unser Anwaltsbüro ausschließlich für die Belange von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein. Wir betreuen insbesondere Betriebsräte, Personalräte, Schwerbehindertenvertretungen und Mitarbeitervertretungen.
Die jahrzehntelange Qualifizierung unserer Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte garantiert unseren Mandanten die bestmögliche Beratung und Vertretung im Arbeitsrecht.
Betriebsräte, Personalräte, Schwerbehindertenvertretungen und Mitarbeitervertretungen finden Unterstützung beim Verhandeln von Betriebsvereinbarungen, Dienstvereinbarungen und Sozialplänen oder bei der Einleitung gerichtlicher Beschlussverfahren und Unterstützung in Einigungsstellenverfahren als Beisitzer oder Verfahrensbevollmächtigte.
Wir legen Wert auf eine persönliche Betreuung, sei es in unseren Räumlichkeiten, über moderne Kommunikationsmittel oder vor Ort - denn manchmal ist es erforderlich, sich von den betrieblichen Verhältnissen selbst ein Bild zu machen.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden von unseren Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen umfassend beraten und sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich vertreten. Dies gilt z.B., wenn Sie eine Kündigung erhalten haben, eine Abfindung aushandeln möchten oder sich gegen Abmahnungen und ungerechtfertigte Versetzungen zur Wehr setzen wollen.
Als Anwaltsbüro Windirsch, Britschgi & Wilden stehen wir mit unserem guten Namen dafür ein, dass Sie zu Ihrem Recht gelangen. Für unsere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind Ihre Anliegen die Verpflichtung zu einer umfassenden und engagierten Vertretung.
Firmenkontakt
Anwaltsbüro Windirsch, Britschgi & Wilden
Fabian Wilden
Marktstr. 16
40213 Düsseldorf
(0211) 863 20 20
(0211) 863 20 222
www.fachanwaeltInnen.de
Pressekontakt
PUBLIC TUNE Agentur für Kommunikation & PR
Melanie Schrader
Achenbachstr. 40
40237 Düsseldorf (Düsseltal)
+4921159815159
www.public-tune.de