Schmuck aus Schmuck - Interview mit Bettina Gomez-Latus

Die preisgekrönte Steinbacher Goldschmiedin und Schmuckdesignerin Bettina Gomez-Latus erklärt im Interview, warum es – auch im Sinne der Nachhaltigkeit – nicht immer Neuschmuck sein muss und welche ungeahnten Schätze in alten Schmuckstücken schlummern.

In deinem Atelier machst du auch viele Umarbeitungen und Reparaturen. Was ist das Interessante an diesen Arbeiten, vielleicht auch im Gegensatz zu Neuanfertigungen?

Erinnerungen zu bewahren und gleichzeitig etwas Neues zu erschaffen ist immer wieder sehr spannend. Meist erzählen die alten Schmuckstücke, die zu mir ins Atelier gebracht werden, wunderbare Geschichten über die Menschen, die sie getragen haben. Es verlangt viel Respekt, Vorsicht und Empathie sich dieser Schätze anzunehmen, denn die Kund*innen geben mir einen großen Vertrauensvorschuss, wenn sie mir ihre Kostbarkeiten überlassen.
Leider eignen sich nicht alle alten Schmuckstücke dazu, in ein neues Design umgearbeitet oder repariert zu werden. Vor allem, wenn das Material nach dem jahrelangen Tragen schon sehr spröde oder viel zu dünn geworden ist. Dann verwenden wir die darin gefassten Steine, kaufen das Edelmetall an und kreieren daraus ein komplett neues Schmuckstück. Manchmal übernehmen wir Teile der alten Formgebung oder fertigen sogar eine genaue Kopie des vorhandenen Schmuckstücks an. Oft sitze ich mit meinen Kund*innen lange zusammen im Atelier und wir kreieren aus den vorhandenen aufgefassten Steinen gemeinsam ein wunderbares Schmuckstück. So mutieren Umarbeitungen oft auch zu Neuanfertigungen, die zu neuen Lieblingsstücken werden.

Auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit sind Umarbeitungen eine sinnvolle Alternative. Wie siehst du das und kann die Schmuckbranche deiner Meinung nach insgesamt nachhaltig werden?

Umarbeitungen sind natürlich sehr nachhaltig. Allein, dass wir in der Lage sind, aus dem Altmaterial wundervolle neue Schmuckstücke zu fertigen, zeugt davon. So lassen wir zum Beispiel das Altmetall unserer Kunden in unserer Scheideanstalt scheiden, um schließlich mit einer neuen, homogenen Edelmetall-Legierung arbeiten zu können. Auch Edelsteine mit deutlichen Gebrauchsspuren lassen wir bei unseren Edelsteinspezialisten nachschleifen. So erstrahlen sie wieder in neuem Glanz und können wunderbar im neuen Schmuckstück brillieren. Selbst die kleinsten Brillanten, die die meisten Kund*innen als „winzige Splitter“ titulieren, sind es oftmals wert, aufgefasst und wiederverwendet zu werden.
Aber auch unsere Rohstoffzulieferer sind sehr darauf bedacht, die Lieferketten der Farbedelsteine, Diamanten, Perlen und Edelmetalle transparent zu halten und sind unter anderem mit dem Responsible Jewellery Council (RJC) und dem Responsible Gold Guidance (LBMA) zertifiziert. Das sind Organisationen, die Standards setzen für ethisch, sozial und ökologisch verantwortungsvolle Verfahren, in denen die Menschenrechte geachtet, gefördert und geschützt werden.
Leider lässt die Schmuckindustrie nach wie vor unglaublich viel Schmuck in Billiglohnländern fertigen. Der Preis spielt dabei natürlich eine große Rolle. Hauptsache, es gefällt und entspricht dem momentanen Trend. Auf Langlebigkeit und Herstellungsverfahren wird hierbei seltenerer geachtet. Ich bin der Meinung, dass Schmuck kein schnelllebiger Artikel sein sollte. Vielmehr sollte der Handarbeit und der Beschaffung der Rohstoffe deutlich mehr Wertschätzung entgegengebracht werden.

Gibt es weitere Vorteile von Umarbeitungen gegenüber neuem Schmuck?

Es gibt noch einen entscheidenden Vorteil bei einer Umarbeitung: Das „neue“ Schmuckstück ist ein Unikat mit Erinnerung – ganz speziell angefertigt für diesen einen Kunden beziehungsweise diese eine Kundin.

Sicher steht nicht jeder Schmuckliebhaber Umarbeitungen offen gegenüber. Welchen sind aus deiner Erfahrung die größten „Vorurteile“, die Kund*innen in Sachen Umarbeitungen haben?

Oft ist es die Angst ihre Schätze einem Goldschmied anzuvertrauen. Es hängen einfach viel zu viele Erinnerungen daran, die zerstört werden könnten. Diese Ängste versuche ich den Kund*innen zu nehmen, indem sie Teil der Umarbeitung werden. Es ist schön zu sehen, wie ihre Verunsicherung dabei schwindet und wie sie sich auf meine Expertise verlassen.

Viele Menschen folgen aktuellen Schmucktrends, die sie in den Medien sehen. Wobei manche Trends immer wiederkommen oder dauerhafte Klassiker sind. Sind Umarbeitungen also auch „trendy“?

In den letzten Jahren hat die Umarbeitung immer mehr an Beachtung gewonnen. Oft kommen Kund*innen mit einer ganzen Tüte voll geerbten Schmucks zu mir ins Atelier und wir sitzen gemeinsam da und schauen, was wir aus diesem Sammelsurium machen können. Allein die Reise durch die ganzen Epochen der mitgebrachten Schmuckstücke ist faszinierend. Es ist häufig etwas dabei, das ich richtig toll finde und das unbedingt so erhalten bleiben sollte. Ob es trendy ist, Umarbeitungen machen zu lassen, weiß ich nicht. Ich erachte es als sehr sinnvoll und ich würde mich freuen, wenn es sich weiter in diese Richtung entwickeln würde.

Was sagst du Menschen, die denken, ihr Altschmuck „macht nichts mehr her“? Und was würdest du Leuten raten, die zuhause noch alte Erbstücke „rumliegen“ haben?

Diesen Leuten würde ich unbedingt empfehlen, zu mir ins Atelier zu kommen und ein wenig Zeit mitzubringen. Sie werden sehen, wie viel Spaß es bereitet, sich damit auseinander zu setzten und was wir alles aus den alten Materialien zaubern können. Oft sind unsere Kund*innen absolut überrascht, was am Ende dabei herauskommt. Natürlich ist die erste Beratung kostenfrei und die Kund*innen können hinterher immer noch entscheiden, was sie mit ihrem Altschmuck und ihren Erbstücken machen wollen.

Wie wirken sich die aktuellen Preisanstiege und die Inflation auf den Kauf von Echtschmuck aus? Sind Umarbeitungen eine kostengünstige Alternative, um trotzdem ein Unikat zu erhalten?

Bei uns im Atelier konnten wir glücklicherweise noch keinen Rückgang der Kaufkraft unserer Kundschaft feststellen. Das liegt wohl unter anderem tatsächlich daran, dass Umarbeitungen bei uns an der Tagesordnung sind. Wir arbeiten Altschmuck nicht nur um, sondern kaufen auch das alte Edelmetall an und fertigen aus dem Erlös komplett neue Schmuckstücke für unsere Kund*innen. So müssen diese oftmals gar kein zusätzliches Geld ausgeben, um ein Unikat zu erhalten.

Du verwendest bei deinen Schmuckkreationen auch mal ungewöhnliche oder untypische Materialien. Wie sieht das bei Umarbeitungen aus? Und welches sind Materialien, die aus deiner Sicht von Schmuckdesigner*innen/Goldschmied*innen häufig unterschätzt werden?

Bei uns gilt grundsätzlich der Leitsatz: „Geht nicht, gibt‘s nicht“! Wir sind neugierig auf alles Neue und meist sofort dabei, wenn es darum geht, neue Materialien und Arbeitsmethoden auszuprobieren. Für mich ist es essenziell, stets auf dem Laufenden darüber zu sein, was sich in der Metallverarbeitung und -veredelung tut. Das beschränkt sich nicht nur auf die Schmuckfertigung, sondern geht des Öfteren weit darüber hinaus. Soweit es uns möglich ist, setzen wir alle Hebel in Bewegung, um die Schmuckwünsche unserer Kund*innen zu erfüllen. Manche Kundschaft bringt uns die ungewöhnlichsten Sachen mit in die Werkstatt, die für sie einen unschätzbaren Wert darstellen und aus denen wir ein sehr persönliches Schmuckstück mit „Geheimnis“ fertigen. Um welche Materialien es sich hierbei handelt, verlässt jedoch nicht die Räume unseres Ateliers.

Bei unseren Schmuckkreationen und Umarbeitungen bieten wir ein breites Spektrum an verschiedenen Farbgold- und Platinlegierungen an. Sie reichen von diversen Weiß- und Grautönen über Chamoire, den verschiedensten Gelbgoldfarben bis hin zu Weißrosé, Rosé und einem tiefen Rotgoldton. Die zurzeit außergewöhnlichste Metalllegierung, mit der wir arbeiten, ist das seltenste und stabilste Element unseres Sonnensystems: Tantal. Es hat eine wunderschöne, tief dunkelgraue metallische Farbe, ist extrem hart, schwer und robust und besitzt den höchsten Schmelzpunkt aller Elemente. Unschlagbar in der Anmutung in Kombination mit Brillanten. Zudem lieben wir es, mit Keramik in fast allen Farbnuancen zu arbeiten. Damit können wir jegliche gewünschte Intarsienarbeit in die Schmuckstücke einlegen und somit einzigartige Kreationen erschaffen. Selbst bei Reparaturen wurde Keramik bereits des Öfteren erfolgreich zum Einsatz gebracht.
Ob Schmuckdesigner*innen oder Goldschmied*innen Materialien unterschätzen, mag ich nicht zu beurteilen. Ich glaube, dass alle, die ihren Beruf ernst nehmen, sich mit den verschiedensten Materialien auseinandersetzen. Was mir jedoch in den letzten Jahren sehr stark aufgefallen ist, ist, dass viele „Schmuckdesigner*innen“ aus dem Boden schießen, die eigentlich keine oder nicht ausreichend Ahnung von der Materie und der Fertigung haben und sich ausschließlich auf die Industrie verlassen, die ihnen die Schmuckstücke anfertigt.

Wie empfindest du ganz allgemein den Umgang mit Schmuck heutzutage? Gibt es etwas, das du verbessern möchtest oder das dir auf der Seele brennt?

Ich bin kein Freund von Ware aus Billiglohnländern und ich bitte um Verzeihung für meine Ausdrucksweise, aber mich kotzt diese Wegwerfgesellschaft einfach an! Sie schadet nicht nur unserer Umwelt, sondern verdrängt auch das Bewusstsein für wahre Werte und für die Langlebigkeit von Gegenständen, die uns manchmal unser ganzes Leben oder sogar generationsübergreifend begleiten. So wie ein hochwertiges, nachhaltig gefertigtes und zeitlos schönes Schmuckstück!

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