Servicearchitekt bringt systemische Beratung in die Unternehmen

Herr Rössel, Sie sind der Kopf hinter Servicearchitekt. Sie bieten systemische Beratung an. Was ist der größte Unterschied zur klassischen Unternehmensberatung?

Heiko Rössel: Jede Aktion hat auch eine Gegenreaktion, eine Rückkopplung. Der Systemiker nennt es zirkulär. Das ist der Kern des systemischen Denkens, das zirkuläre Denken, das Verabschieden von einfachen, linearen Lösungen. Das Verabschieden von der Idee, dass es auf komplexe Fragestellungen schnelle und einfache Antworten gibt. Der Systemiker erkennt das an und hat diverse Methoden, diese Vielfalt zu gestalten.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Heiko Rössel: Gern. Gerade im geschäftlichen Kontext denken wir oft linear. Wir denken in den Strukturen Ursache und Wirkung. Ein Projektteam bringt nicht die gewünschte Leistung. Der Vorgesetzte führt ein disziplinarisches Gespräch, er mahnt das Team ab. Das Team arbeitet wieder, wie es gewünscht ist.... So die Idee, die Wirklichkeit sieht natürlich anders aus. Das Team, der Vorgesetze und das Umfeld, das System werden zusätzlich und vielfältig auf diese „Intervention“, auf die Abmahnung, reagieren. Das Reduzieren der Komplexität auf Ursache und Wirkung ist eine technische Sicht, sie funktioniert in sozialen Systemen nicht. Das wird im systemischen Denken, in der systemischen Beratung berücksichtigt.

Wie kamen Sie zum systemischen Denken?

Heiko Rössel: Ich bin seit vielen Jahren als Berater in der Industrie und Verwaltung tätig. Ich habe Konzerne, große und mittlere und auch kleine Unternehmen beraten. Immer dann, wenn es um Veränderungen ging, konnte ich eine unterschiedliche Performance in Projekten feststellen. Wurden beispielsweise neu definierte Prozesse im Unternehmen angenommen oder nicht? Wird die neu eingeführte Software verwendet? Ändert sich die Stimmung zum Positiven? Ist ein Team motiviert? Ich habe mich bemüht, achtsam zu sein und gut zu beobachten. Ich konnte feststellen, dass es bei dem einen Projekt besser funktionierte, als bei dem anderen und habe nach Ursachen geforscht.

Was haben Sie erkannt, was war der Unterschied bei den erfolgreichen Projekten?

Heiko Rössel: Bereits vor Jahren habe ich festgestellt, dass die Einbeziehung aller beteiligten Menschen und deren Ideen und das Berücksichtigen von Widerständen die größten Garanten für ein erfolgreiches Projekt sind. Was zunächst einmal wie eine lapidare Erkenntnis klingt, hat durchaus eine große Wirkung. Viele Projekte werden tatsächlich für die Menschen, aber nicht mit den Menschen gemacht. Genau an diesen Stellen entstehen Widerstände, Konflikte und Probleme. Diese werden, oft aus „Zeitdruck“, nicht aufgegriffen, sondern ignoriert oder „weggedrückt“. Die vermeidlich gesparte Zeit wird aber teuer erkauft. Die Konflikte kommen wieder, aber oft mächtiger und kritischer als sie am Anfang waren. Aus diesem Grund habe ich versucht, der Sache auf den Grund zu gehen und habe mit dem systemischen Denken einen sehr guten Zugang zur Lösung dieser Problemstellung gefunden.

Wenn Sie einen prägnanten Punkt benennen müssten, der ein Lösungsansatz durch das systemische Denken darstellt, welcher wäre es?

Heiko Rössel: Entscheidend ist das Aktivieren der Ressourcen des Teams und der im Team beteiligten Personen. Es geht darum, die Kräfte des Teams, der Organisation, des Systems gemeinsam mit dem Team, der Organisation und dem System herauszuarbeiten, zu aktivieren und zielführend zu nutzen. Ressourcenaktivierung oder Hilfe zur Selbsthilfe ist das dahinterliegende prägnante Prinzip. Diesen Prozess zu begleiten, ist die Aufgabe des systemischen Beraters.

Was ist der entscheidende Vorteil, der sich daraus ergibt?

Heiko Rössel: Da fällt mir sofort Nachhaltigkeit ein. Keine Veränderung ist so nachhaltig wie eine, die durch das System selbst initiiert und gestaltet wurde. Wenn es dem Berater gelingt, Ressourcen des Teams zu aktivieren, die dieses Team dann selbst nutzt, dann ist die Nachhaltigkeit kaum zu vermeiden. Das, was bei anderen Projekten häufig mit einem umfangreichen Controlling, mit Kennzahlen und deren Überprüfung erreicht werden soll, kann bei systemischen Veränderungen von innen heraus, intrinsisch, motiviert sein. Das hat einen enormen Vorteil, aufwendige Controlling-, Reporting- und Kontrollstrukturen können einem Grundvertrauen in die Kräfte des Systems der Organisation und des Teams weichen.

Systemisches Denken ist ja gerade im Business Kontext noch nicht so verbreitet, wie schätzen Sie das ein?

Heiko Rössel: Systemisches Denken kommt tatsächlich aus der Ingenieurwissenschaft und dem Engineering. Im Zuge des zweiten Weltkriegs hat man versucht, selbststeuernde Raketen zu bauen, die durch Rückkopplungsschleifen funktionieren. Technische Regelkreise waren sozusagen der Nucleus, die Geburtsstunde des systemischen Denkens. Das ganze Thema hat sich über viele Jahre hinweg in verschiedene Bereiche ergänzt, erweitert und ist nun sehr viel facettenreicher. Derzeit kennt man das systemische Denken vorrangig aus der Soziologie, dem sozialen Kontext. Dort wird systemische Arbeit, systemische Therapie seit Jahren erfolgreich eingesetzt. Auch hier geht es darum, bei Einzelnen Ressourcen zu aktivieren, um individuelle Problemstellungen besser angehen und lösen zu können. Diese Ideen hat man nun seit Jahren auf Unternehmen transformiert. Dahinter steht der Begriff der systemischen Organisationsentwicklung, mit SOE abgekürzt. Das ist auch das Feld, in dem ich mich bewege. Ich glaube derzeit ist es ein sehr großer Trend, dass systemisches Denken und die damit verbundene systemische Organisationsentwicklung Einzug in die Unternehmen hält. Derzeit sind es noch vorrangig Personalabteilungen, die diese Gedanken aufgreifen. Sie nutzen das systemische Denken für das Coaching einzelner Führungskräfte und Mitarbeiter. Meine Erfahrung ist, dass sich diese Methoden auch im ganz allgemeinen Beratungskontext einer Unternehmensberatung, zum Beispiel für Prozessberatungen, Strukturberatungen, Portfolioberatungen usw. einsetzen lassen. Und da haben sie einen ganz entscheidenden Vorteil.

Welcher Vorteil ist das?

Heiko Rössel: Der Systemiker geht davon aus, dass die Lösung des Problems im System, hier im Unternehmen, in der Abteilung, im Team selbst liegt. Demzufolge wird der Systemiker versuchen, sowohl den Kontext des Problems als auch die Lösung des Problems mit dem Team gemeinsam zu klären. Er gibt keine Ratschläge, er ist kein Fachmann für das entsprechende Problem und dessen Lösung. Er hilft moderierend und begleitend aus der Problemstellung eigene Ressourcen zu aktivieren und diese zur Problembehebung einzusetzen. Das führt nicht nur zur bereits genannten Nachhaltigkeit, sondern auch zu einer sehr großen Akzeptanz im Team. Es wird erreicht, dass die Menschen in solchen Projekten gern mitmachen, dass es kaum Widerstände gibt und dass damit auch eine Teammotivation entsteht. Es kann sogar passieren, dass aus einem ursprünglichen Problem nicht nur die Lösung erarbeitet wird, sondern sogar noch ein ganz neuer Schub im Team entsteht, weil man gemeinsam das Problem erkannt, die Lösung gefunden und umgesetzt hat. Was ist schöner, als selbst etwas erreicht zu haben? Das kann man schon wunderbar bei Kindern beobachten. Warum sollte es bei Erwachsenen oder in Unternehmen anders sein?

Wo sehen Sie die Herausforderungen bei der Arbeit mit dem systemischen Denken?

Heiko Rössel: Gerade im Businesskontext erwarten die Verantwortlichen schnelle Ergebnisse. Systemische Projekte benötigen aber zunächst initial etwas länger, haben dann aber eine sehr viel höhere Effizienz. Ich nenne es gern Effizienz durch Freude. Bei herkömmlichen Projekten wird aber davon ausgegangen, dass am Anfang sehr schnell Lösungen erreicht werden, um Probleme zu beheben. Die „Quick Wins“ müssen am besten schon nach dem ersten Meeting auf dem Flipchart stehen. Man nimmt sich oft nicht die nötige Zeit, Dinge wachsen zu lassen, möchte gern am Gras ziehen, dass es schneller wächst. Der Systemiker braucht dafür am Anfang zwar etwas länger, schafft aber dafür eine höhere Akzeptanz, reduziert Widerstände, schafft hohe Nachhaltigkeit, viel Selbstmotivation und benötigt wenig Kontrolle im ganzen Verlauf von Veränderungsprojekten. Dadurch ist der systemische Beratungsansatz sehr viel effizienter als der klassische Beratungsansatz. Das ist aber zu Beginn schwierig zu vermitteln. Das muss man „erleben“. Aber ich bin guter Hoffnung, die systemischen Themen kommen und setze sich durch. Moderne Führungskräfte ebnen den Weg schon heute, die Anderen werden nachziehen.

Was sind typische Beratungsaufträge in Unternehmen, für die sich systemische Methoden eignen?

Heiko Rössel: Alles was mit „gewollten“ oder „gemussten“ Veränderungen zu tun hat, jedes Veränderungsprojekt ist geeignet. Gewollt sind solche, die selbst initiiert sind, gemusst sind solche Projekte, die von außen, z.B. vom Markt, vom Kunde, aber auch vom Management, verlangt werden. Und wenn man es mal auf den Kern reduziert, verändert jedes Projekt etwas mit und an den Menschen. Auch ein Bauprojekt, an das man in diesem Kontext nicht sofort denken würde. Beispiele für typische Veränderungsprojekte sind Portfolio- und Angebotsveränderungen, Strukturveränderungen auch und besonders Prozessveränderungen, auch Digitalisierung, d.h. der Einsatz neuer oder anderer Softwaresysteme. Aber auch Generationsübergänge, Führungswechsel, Kulturwandel, Kauf oder Verkauf von Unternehmen, Zusammenlegung oder Trennung von Teams und Abteilungen u v a m.

Wie passt das systemische Denken für Unternehmen in unsere Zeit?

Heiko Rössel: Unser Umfeld wirkt immer komplexer. Lieferantenketten und Kundenbeziehungen aber auch die Strukturen im Unternehmen stellen Unternehmer und Führungskräfte vor immer neue Herausforderungen. Althergebrachtes verschwindet schneller, die sogenannten disruptiven Effekte, die das zerstören was wir gewohnt sind und an denen wir uns festgehalten haben, werden immer stärker. Das systemische Denken ist ein effizientes Werkzeug, an dieser Problemstellung zu arbeiten. Unter diesen Gesichtspunkten ist systemische Unternehmensberatung exakt die richtige Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit.

Was ist das Besondere hinter Servicearchitekt, wie gehen Sie konkrete Aufgabestellungen an?

Heiko Rössel: Ich kombiniere den klassischen Beratungsansatz, den ich über Jahre hinweg gelernt und in Unternehmen genutzt habe mit dem systemischen Denken. Damit kombiniere ich die Vorteile der klassischen Herangehensweise, schnell konkrete Ergebnisse zu erzeugen, mit der systemischen Herangehensweise, des zirkulären Denkens, der Ressourcenaktivierung und der Nachhaltigkeit. Ich verknüpfe systemische Methoden mit meinen klassischen Beratungsansätzen, der Matrixmethode, dem P.A.R.I.S. Modell, dem Shop- Werkstatt-Modell, dem 7-W-Modell und anderen Methoden der Prozess- und Strukturberatung. Durch diese Kombination entsteht Effizienz und Nachhaltigkeit.

Auf die genannten Methoden werden wir in einem weiteren Interview noch eingehen, für heute bedanke ich mich für Ihre Antworten.

Heiko Rössel: Gerne!


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