Abgrenzung Heilversuch vs. medizinische Forschung am Menschen

Medizinische Forschung am Menschen steht bei der versuchsweisen Anwendung einer neuartigen Behandlungsmethode der allgemeine wissenschaftliche Erkenntnisgewinn im Vordergrund, so handelt es sich um medizinische Forschung am Menschen. In diesem Fall müssen die speziellen Regelungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) bzw. des Medizinproduktegesetztes (MPG) beachtet werden.

Bei Erprobungen im Rahmen eines medizinischen Forschungsvorhabens ist zu unterscheiden zwischen
a) dem rein wissenschaftlichen Versuch, dessen ausschließliches Ziel der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn ist, und
b) dem „therapeutischen Versuch“, der neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn auch einen Behandlungsnutzen für den betroffenen Patienten zum Ziel hat.

Abgrenzung Heilversuch vs. Medizinische Forschung am Menschen:
Während der rein wissenschaftliche Versuch klar vom individuellen Heilversuch zu unterscheiden ist, können sich bei der Unterscheidung zwischen dem therapeutischen Versuch und dem Heilversuch Fragen der korrekten Zuordnung ergeben. Klar und unstrittig ist, dass der „einzelne individuelle Heilversuch nicht“ den speziellen Regelungen für medizinische Forschung nach AMG bzw. MPG unter-liegt. Dies ist unserer Einschätzung nach „auch dann der Fall“, wenn derselbe Heilversuch zu einem späteren Zeitpunkt bei einem anderen Patienten wiederholt wird, sofern die wiederholte Durchführung nicht von vornherein geplant war.

Bei Heilversuchen, deren Durchführung an mehr als einem Patienten geplant ist, hat die Ärztin/der Arzt zu prüfen, ob die Kriterien des individuellen Heilversuches auf jede der geplanten Behandlungen zutreffen. In Zweifelsfällen empfehlen wir eine vorherige Kontaktaufnahme mit der Ethik-Kommission für Forschung am Menschen zur Klärung der Frage, ob das geplante Erprobungshandeln als Heilver-such (und somit als Behandlung) oder als therapeutischer Versuch (und somit als Forschung am Menschen) anzusehen ist.

Zentrale ethische und rechtliche Kriterien bei der Durchführung eines Heilversuches und Voraussetzungen für die Durchführung eines Heilversuches sind:

1. eine sorgfältige, auf den vorhandenen Erfahrungen und Evidenzen gestützte Nutzen-Schadensrisiko-Abwägung mit dem Ergebnis, dass nach ärztlicher Einschätzung angesichts einer ansonsten ausweglosen Situation des schwerkranken Patienten die Chancen die Risiken deutlich überwiegen,

2. eine umfassende und dokumentierte Aufklärung des Patienten erfolgt ist, sowie

3. eine dokumentierte Einwilligung des Patienten vorliegt.

Außerdem treffen die Ärztin/den Arzt im Rahmen eines Heilversuches erhöhte Beobachtungs- und sonstige Sorgfaltspflichten zur frühzeitigen Schadensvorsorge (Maßstab eines besonders vorsichtigen Arztes). Bei der Aufklärung ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass es sich um die Erprobung einer neuen, (noch) nicht zugelassenen Behandlungsmethode handelt, deren Risiken und Erfolgsaussichten nur eingeschränkt zu beurteilen sind. Ferner sollte die Ärztin/der Arzt dem Patienten die Gründe erläutern, warum seiner Einschätzung nach die Chancen die Risiken überwiegen. Dem Patienten ist ausreichend Zeit zu geben, sich für oder gegen den Heilversuch zu entscheiden.

Quelle:
Ethik-Kommission (für Forschung am Menschen)
Med. Uni Göttingen


Über Peter Birkel