Der graue Kapitalmarkt als Eigenkapital-Beschaffungsmarkt für eine unkomplizierte Eigenkapital-Versorgung - v. Dr. Horst Werner

Der freie oder auch graue Kapitalmarkt ist, so Dr. Horst Werner (www.finanzierung-ohne-bank.de ) keineswegs nur von grauer oder nebliger Undurchsichtigkeit geprägt. Bei näherer Betrachtung ist es eher ein sehr schillernder Markt mit vielen seriösen, aber manchmal auch betrügerischen Marktteilnehmern: Solide mittelständische Industrieunternehmen finanzieren sich über den Grauen Kapitalmarkt, innovative Start-up-Unternehmen versorgen sich dort mit Gründungskapital und das Kapital für die Energiewende wird teilweise ebenfalls auf diesem freien Kapitalmarkt eingeworben, um die eigene Eigenkapitalversorgung in Ergänzung zur Bankkreditversorgung zu gewährleisten. Zur Erfüllung von notwendigen Eigenkapitalquoten ist der "graue Kapitalmarkt" als Risikokapitalmarkt in einer freien Marktwirtschaft und gerade für die Banken unverzichtbar. Ein Großteil der Bankkreditgeschäfte würde gar nicht zustande kommen, wenn sich die Unternehmen nicht vorher über öffentliche Beteiligungsangebote mit dem erforderlichen Eigenkapital nach Basel III eindecken könnten.

Gleichzeitig tummeln sich in diesem Marktsegment leider aber auch dubiose und unseriöse Anbieter, die aus unterschiedlichen Motiven mit Hilfe immer neuer Konstruktionen nur die Erlaubnispflicht für bestimmte Geschäfte zu umgehen versuchen. Kleine und mittlere Anbieter wollen oft lediglich die Kosten vermeiden, die mit der Beaufsichtigung verbunden sind. Es gibt aber auch missbräuchliche Geschäftsmodelle, bei denen die Anbieter gezielt Gestaltungen und Vertriebsmethoden wählen, um ohne Erlaubnis- oder Prospektpflicht an das Kapital unerfahrener Kleinanleger zu gelangen und zu ihrem Vorteil in hochriskante Geschäfte zu reinvestieren. Derartige Angebote zielen häufig auf das Kapital ab, das in klassischen Vermögensanlagen gebunden ist, das die Kunden also staatlich kontrollierten Unternehmen anvertraut haben, die unter der Solvenzaufsicht der BaFin stehen.

Bei aller Vielgestaltigkeit der Angebote auf dem Grauen Kapitalmarkt haben sie immer eines miteinander gemeinsam, dass es sich um unternehmerische Risikokapitalanlagen handelt, die nicht in kontrollierten Wertpapieren verbrieft sind ( was auch nicht immer hilft ). Die Zuordnung eines Anlageangebotes zum Grauen oder Weißen Kapitalmarkt lässt somit für den Anleger noch keinen Rückschluss auf das Risiko zu, das mit einer Anlage verbunden ist. Dieses Risiko muss jeder Kapitalgeber selbst abschätzen.

Der Investor muss sich immer wieder zurückbesinnen auf den Grundsatz, dass eine gegenüber banktypischen Kapitalanlagen gesteigerte Renditeerwartung auch mit einem erhöhten Risiko für den Kapitalgeber verbunden ist. Auch eine noch so schillernde, emotionale oder auf zeitgenössische Trends abzielende Darstellung sollte die gebotene rationale Abwägung zwischen Risiko und Rendite nicht beeinflussen. Bei Anlageangeboten, bei denen sich Anleger als Gesellschafter beteiligen, liegt das Risiko des Verlustes ihrer Gesellschaftereinlage auf der Hand. Zahlreiche Anlageangebote auf dem Grauen Kapitalmarkt basieren jedoch auf rein schuldrechtlichen Kapitalüberlassungsverträgen. Ihr Risikoprofil ist aufgrund ihrer Vielgestaltigkeit schwerer einzuschätzen.

Auf dem „Grauen Kapitalmarkt“ sind auch immer wieder missbräuchliche Konstruktionen zur Umgehung irgendeiner Erlaubnispflicht zu beobachten. Solche Geschäftsmodelle können erhebliche Schäden für die Anleger verursachen und auch das Vertrauen nicht unmittelbar betroffener Anleger in den Finanzmarkt erschüttern. Daher ist der kollektive Anlegerschutz Teil des gesetzlichen Auftrags der BaFin, die Funktionsfähigkeit, Stabilität und Integrität des deutschen Finanzplatzes zu sichern. Auch wenn die BaFin die Anbieter auf dem grauen Kapitalmarkt nicht laufend beaufsichtigt, ist sie in vielfältiger Weise aktiv, um ein angemessenes Schutzniveau für Anleger herzustellen.
Um aufziehende Gefahren rechtzeitig zu erkennen und nach Möglichkeit abzuwehren, beobachtet und bewertet die BaFin dieses hochinnovative Marktsegment fortlaufend. Der Grundsatz der vorausschauenden und risikobasierten Aufsicht, das Leitprinzip der BaFin, gilt also auch für den „Grauen Kapitalmarkt“, soweit die Behörde hier mit dem Kleinanlegerschutzgesetz vom 10. Juli 2015 neue Zuständigkeiten bekommen hat. Der Gesetzgeber hat der BaFin mit dem Kleinanlegerschutzgesetz vom 10. Juli 2015 ein scharfes Schwert in Form einer Generalklausel im Wertpapierhandelsgesetz in die Hand gelegt: die Produktintervention. Die Kapitalmarktaufsicht kann Finanzinstrumente, strukturierte Einlagen und Finanztätigkeiten – auch von Finanzdienstleistern - beziehungsweise -praktiken nun beschränken oder sogar verbieten, wenn diese den Anlegerschutz oder die Stabilität und Integrität des Finanzsystems gefährden.

Das Produktinterventionsrecht wurde mit dem Kleinanlegerschutzgesetz als § 4b in das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) eingeführt. Dieses hat darüber hinaus den kollektiven Verbraucherschutz explizit als Aufsichtsziel verankert. Es ist Teil des Aktionsplans der Bundesregierung für mehr Verbraucherschutz im Finanzmarkt, mit dem diese unter anderem auf negative Entwicklungen gerade am Grauen Kapitalmarkt reagierte.

Der neue § 4b WpHG sieht diverse Möglichkeiten der behördlichen Intervention vor. Zum einen kann die BaFin bei der Vermarktung, beim Vertrieb oder beim Verkauf eines bestimmten Finanzinstruments oder einer strukturierten Einlage eingreifen, also Produktintervention im engeren Sinne betreiben. Zum anderen kann sie aber auch bei bestimmten Formen der Finanztätigkeit oder Finanzpraxis im Wege der Kleinanlegerschutzgesetz eingreifen. Möglich sind Beschränkungen und Verbote.

Beachtenswert ist auch der Umstand, dass die BaFin Verbote und Beschränkungen bereits vor Beginn der Vermarktung, des Vertriebs oder des Verkaufs aussprechen kann. Sie kann damit an jeder Stelle der Wertschöpfungskette und des Produkt- beziehungsweise Vertriebsprozesses eingreifen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Bei der Frage, ob die Interventionsvoraussetzungen vorliegen, hat die BaFin wegen der unbestimmten Rechtsbegriffe einen weiten Beurteilungsspielraum. Es bleibt abzuwarten, wie die BaFin die Interventionsrechte zu einem stärkeren Verbraucherschutz nutzen wird. Auch bei der Gestaltung der anzuordnenden Maßnahme – also auf der Rechtsfolgenseite - ist die BaFin flexibel: Sie kann Verbote und Beschränkungen an Bedingungen knüpfen oder mit Einschränkungen versehen. Hat sich die BaFin dafür entschieden, eine Maßnahme zu erlassen, muss sie dies zunächst dem Emittenten mitteilen und auf ihrer Internetseite eine entsprechende Bekanntmachung veröffentlichen.