Offener Brief an die Bundeskanzlerin aus Anlass der offenen Schulden bei den Griechen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

wenn wir am 8. Mai 2015 zum 70sten Mal an das Ende des Krieges denken, verneigen wir uns abermals vor dem Leid und den Toten des von den Nationalsozialisten entfachten 2. Weltkriegs, der Europa in Schutt und Asche legte. Wir denken aber auch daran, dass die Wiedergutmachung noch nicht abgeschlossen ist. Es sind noch viele NS-Opfergruppen nicht hinreichend entschädigt worden. Unter anderem russische, polnische, italienische und griechische Opfer von Kriegsverbrechen gehen bis dato leer aus. Im Gegensatz zur Auffassung Ihrer Regierung meinen wir, dass historische Schuld nicht verjährt, die Opfer unabhängig vom zeitlichen Abstand der Schädigung entschädigt werden müssen und offene völkerrechtliche Ansprüche nur durch beidseitige Verträge zu befrieden sind.

Ein besonderes Kapitel bei der Wiedergutmachung sind unsere Schulden und die Schuld bei den Griechen und hier insbesondere der griechische Zwangskredit, zu dem die griechische Zentralbank 1942-44 von Nazi-Deutschland genötigt wurde. Ihre Regierung und auch die Vorgängerregierungen haben die Ansprüche, die die griechischen Regierungen nie fallen ließen, immer wieder mit Verweis auf internationale Abkommen zurückgewiesen. Doch die Griechen finden nun auch in Deutschland immer mehr prominente Fürsprecher aus den Reihen der SPD, der Grünen und der Linken für ihre Forderungen nach Reparationszahlungen und Tilgung des Zwangskredits.

Einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zufolge ist die Rechtsauffassung der Bundesregierung aber aus völkerrechtlicher Sicht nicht zwingend (WD 2, 041/13). Der Zwangskredit war eine griechische Besonderheit, in keinem anderen von den Nazis besetzten Land hat es so etwas gegeben. Deshalb widerspricht der deutsch-griechische Historiker Hagen Fleischer dem Argument, “dass der Zwangskredit unter die Reparationen falle, die sich 70 Jahre nach Kriegsende unter Freunden erledigt hätten”. “Statt sich”, so der Bremer Völkerrechtler Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano, “als demütiger Schuldner zu präsentieren, wird hier in zynischer Weise juristisch taktiert und getrickst. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig”. Diese Meinung wird von weiteren Juristen und Historikern gestützt. Und schließlich bezeichnete der Rechtswissenschaftler und amtierende griechische Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos die Bemerkung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, die griechischen Forderungen nach Reparationen entbehrten nach Auffassung der Bundesregierung jeder Grundlage, als “provozierend falsch”. Entsprechend charakterisierte Pavlopoulos in einer ausführlichen Stellungnahme an Minister Schäuble die deutsche Verpflichtung als “Staatsschuld eines Mitgliedsstaates der Eurozone”.

Sich der Rückzahlung des Zwangskredits weiter zu verweigern, belastet nicht nur die deutsch-griechischen Beziehungen, sondern auch die weitere Entwicklung der Europäischen Union. Was weiter verdrängt wird, kommt immer wieder zurück.

Deutschland hat den Griechen in der Besatzungszeit ihre Würde durch bestialische Verletzung der Menschenrechte und schreckliche Gräueltaten genommen. Seit der Finanzkrise wird sie durch die Folgen der europäischen Sparpolitik weiter verletzt. Die Folgen dieser Politik sind von der Internationalen Arbeitsorganisation bis zum Europäischen Sozialausschuss als menschenrechtswidrig kritisiert worden, weil sie gerade die besonders verletzbaren Gruppen – Kinder, Frauen, Migrantinnen und Migranten, Behinderte – benachteiligt; aber auch weil sie zu einer Verarmung geführt haben, die Generationen in die Hoffnungslosigkeit treibt. Besonders fatal ist, dass inzwischen einige deutsche Medien mit ihren Hetzkampagnen gegen die “gierigen Griechen” massiv Vorurteile gegen die griechische Bevölkerung schüren. Statt in diesen krisenhaften Zeiten Frieden zu stiften, mehren sie den Hass zwischen den Nationen. Amtierende griechische Minister sprechen inzwischen von kulturellem Rassismus, der ihnen offen gegenübertritt.

Wir sind tief besorgt und rufen Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, deshalb zu »Principiis obsta«, Wehret den Anfängen. Was wir brauchen, ist eine neue europäische Krisenpolitik, die Europa nicht in Arm und Reich spaltet. Das ist die Lehre aus dem zweiten Weltkrieg, der sich Deutschland besonders verantwortlich fühlen muss.

In diesem Sinne bitten wir Sie darum, Frau Bundeskanzlerin, darauf hinzuwirken, dass die Bundesregierung ihre bisherige Haltung zur Frage der offenen Schulden gegenüber den Griechen aufgibt, weil wir als Schuldverursacher nicht nur aus juristischen, sondern auch aus moralischen und politischen Gründen dazu verpflichtet sind.

Mit der Bereitschaft zur Rückzahlung des Zwangskredits an die Hellenische Republik , eröffnen sie für das deutsch-griechische Verhältnis neue Dimensionen, die auch für die weitere europäische Entwicklung förderlich sein werden.

Durch eine Rückzahlung des Zwangskredits bliebe das Bedauern über die Ausplünderung des Landes und die Gräuel, die SS und Wehrmacht während der Besatzungszeit 1941 bis 1944 in Griechenland angerichtet haben, keine Phrase mehr. Befreien wir Deutschland von Schuld und Schulden und die Griechen und uns von den Schatten der Vergangenheit.

Mit großer Hoffnung sehen wir Ihrer Antwort entgegen.

Mit freundlichen Grüßen von den Erstunterzeichnern und den Initiatoren

Prof. Dr. Elmar Altvater, Berlin; Diol.-Pol. Annegret Falter, Berlin; Prof. Dr. Birgit Mahnkopf, Berlin; Prof. Wolf-Dieter Narr, Berlin; Wolfgang Neskovic, Richter am Bundesgerichtshof a.D.; Lübeck
Der offene Brief wurde initiiert durch den Vorstand des Peira – Gesellschaft für politisches Wagnis e.V. Rainer Thiem, Vorsitzender; Prof. Dr. Martin Haase, Stellvertretender Vorsitzender, Martin Delius, Heiko Herberg, Michel Vorsprach

https://www.peira.org/offener-brief-an-die-bundeskanzlerin-der-bundesrep...

Jetzt den offenen Brief unterzeichenen https://www.change.org/p/bundeskanzlerin-dr-angela-merkel-tilgung-der-of...

30.03.2015: |