Reflex zur Waffe

Ein Gastbeitrag von Jan van Aken, Außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke für Peira - Gesellschaft für politisches Wagnis

Berlin, 20.08.2014 - In den Bergen Sindschars, in den Kleinstädten Nordsyriens und in den Flüchtlingslagern des Nordirak sind zuletzt Zehntausende aus den Regionen angekommen, die vom Islamischen Staat (IS) existentiell bedroht sind. Sie befinden sich hinter den Linien der kurdischen Milizen in relativer Sicherheit, es fehlt aber am Elementarsten: An Wasser, Nahrung, Zelten und Medikamenten.

Die politische Debatte, die sich hier in Deutschland an diese furchtbaren Entwicklungen anschließt, beschäftigt sich aber keinesfalls mit dem Naheliegenden. Das wäre zum Beispiel die Frage, wie man den NATO-Partner Türkei dazu bringt, seine Grenzen für humanitäre Hilfen nach Syrien zu öffnen und die Rückzugsräume für die dort kämpfenden Islamisten endlich zu schließen. Oder die Frage, wie man endlich mehr flüchtenden Menschen aus der Region einen sicheren Weg nach und Aufenthalt in Europa ermöglicht. Nein, der deutschen Politik fällt nichts anderes ein, als Rüstungsgüter an die nordirakischen Kurden Masud Barzanis zu schicken.

Wer braucht diese Debatte?
Dies ist um so bizarrer, weil die Forderungen danach laut wurden, als der Vormarsch des IS längst von verschiedenen kurdischen Milizen gestoppt war. Diese KämpferInnen der syrischen YPG und der türkischen PKK waren es auch, die den Schutz der bedrohten JesidInnen in den Bergen garantiert und einen Korridor zu deren Evakuierung eingerichtet haben. Und, man höre und staune: Sie taten dies ganz ohne Waffen aus Europa, wo beide Milizen politisch nicht anerkannt beziehungsweise als Terrororganisation (PKK) verboten sind. Die Diskussion um angeblich akut nötige Waffenlieferungen ist eine Phantom-Debatte, die kein Not leidender Mensch im Irak und in Syrien braucht.
Wer diese Debatte allerdings braucht, sind Merkel, Gabriel und Barzani. Die Bundesregierung ist in den vergangenen Jahren wegen ihrer brutalen Rüstungsexportpraxis massiv unter Druck geraten. Nach Panzern für Saudi-Arabien, G36-Sturmgewehren für Gaddafi in Libyen und Wasserwerfern für Ägyptens Mubarak ist die Katastrophe im Nordirak nun der willkommene Anlass, einmal eine moralisch vermeintlich einwandfreie Waffenlieferung öffentlichkeitswirksam durchzuwinken. An diesen Einzelfall will man demnächst erinnern können, wird das einzig Richtige – das generelle Verbot von Rüstungsexporten – gefordert. Die militärische Flankierung der unbedingt richtigen – allerdings viel zu geringen – humanitären Hilfen für Erbil zeigt auch, wie sehr die deutsche Außenpolitik militarisiert ist.

Prestigegewinn für Barzani
Der andere Profiteur einer Bewaffnung durch die westliche Staatenwelt ist der Präsident der nordirakischen Autonomiegebiete, Masud Barzani. Er würde durch den Erhalt dieser Waffen an Stärke und Prestige gewinnen, um im innerirakischen und innerkurdischen Streit um Einfluss und Geld seine Position zu stärken. Selbst wenn man ein Freund seines quasifeudalen, konservativen Cliquenstaates ist (ich bin es nicht): Mit dem Schutz der jesidischen KurdInnen oder anderer bedrohter Minderheiten im Irak hat eine solche Stärkung Barzanis nichts zu tun. Er und seine Partei KDP haben vor allem das Interesse, ihre eigene Macht zu festigen und auszubauen. Andererseits – um den IS im Irak wirklich zu besiegen – müssen Sunniten, Schiiten, Kurden und die anderen Minderheiten gerade gemeinsam für einen stabilen Staat eintreten. Denn dann wären die Kämpfer des IS isoliert und völlig chancenlos.
Grundsätzlich sind die Probleme sowohl im Irak als auch in Syrien selbst das Ergebnis einer kriegerischen und interventionistischen internationalen Politik, der nun erneut das Wort geredet wird. Es ist über Jahre eben keine friedliche, diplomatische Lösung der Konflikte gesucht worden – mit allen schrecklichen Folgen wie dem Erstarken einer Gruppe wie IS / ISIS. Mit einer weitsichtigen, ausgleichenden Friedenspolitik und einer effektiven Konfliktprävention wären wir nicht in die heutige Situation geraten. Bei der Eroberung der Stadt Mosul haben Kämpfer des IS US-Waffen aus den Depots erbeutet. Stolz fuhren sie mit einer erbeuteten Scud-Rakete durch ihre syrische „Hauptstadt“ Rakka, überall posieren sie mit modernen US-Sturmgewehren. Sie verfügen nun auch über amerikanische Humvees, mit denen sie ihre Pickup-Kolonnen ergänzen konnten.

Ungemein lange Lebensdauer
Nur zur Erinnerung: Diese Waffen wurden dem Irak geliefert, um einen islamistischen und nationalistisch-sunnitischen Aufstand niederzuschlagen – statt eine Inklusion der verfeindeten Gruppen in die irakische Gesamtordnung zu gewährleisten. Dass genau diese Ausrüstung jetzt bei eben diesen Menschenhassern vom IS gelandet ist, zeigt ein grundlegendes Problem von Waffenexporten: Sie haben eine ungemein lange Lebensdauer und werden von Krieg zu Krieg weitergegeben. Der ursprüngliche Adressat eines Waffenexports wird am Ende nicht selten mit genau dieser Waffe angegriffen – so wie heute in Afghanistan deutsche Soldaten von den Taliban auch mit deutschen Waffen angegriffen werden. Waffenexporte sind vollkommen unkontrollierbar und eine dauerhafte Gefahr für den Weltfrieden.
Zehntausende aus den Sindschar-Bergen haben im nordsyrischen Rojava Schutz gefunden. Aber dort sind sie gemeinsam mit Hunderttausenden Binnenflüchtlingen aus dem syrischen Bürgerkrieg von Hilfslieferungen abgeschnitten, weil die Türkei ihre Grenzen weiterhin dicht macht. Hier könnte die Bundesregierung ganz schnell zeigen, dass es ihr um die gefährdeten Menschen geht: Sie sollte Druck auf die Türkei ausüben, endlich die Grenzen zu öffnen, das Embargo zu beenden und humanitäre Hilfe passieren zu lassen und ihre Unterstützung für die Islamisten in Syrien einzustellen. Die massive Ausweitung der Kontingente für Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak wäre ebenfalls eine einfache Maßnahme, die dringend notwendig ist, aber von der deutschen Politik nicht aufgegriffen wird. Der Reflex zu helfen, ist gut und richtig. Reflexhaft Waffen zu liefern, ist aber falsch!

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