Zum Tag des Mauerbaus erscheint der Roman »Abgeschlossenes Sammelgebiet«

Die Literatur hat wieder einen starken, glaubhaften, mitreißenden, suggestiven Erzähler, der gegen den Aberwitz der Verwertungslogik anschreibt. A.J. Weigoni schafft es in seinem Roman »Abgeschlossenes Sammelgebiet« eine Wirklichkeit konsequent vom ersten bis zum letzten Bild zu durchdringen und ihre Widersprüche zu durchleuchten. Dieser Romancier zeigt auf, wie sich einzelne Menschen inmitten geschichtlicher Umbrüche verhalten. Was Weigoni den Lesern an Zumutungen abverlangt, ist exakt das, was die Welt und das Dasein darin den Menschen abverlangen. Ein Roman, der zu Kopf steigt und zu Herzen geht.

"Hegel bemerkte, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen sich zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce."

Sollte der Protagonist der Arbeiterbewegung, Karl Marx, mit seinem lumpigen Dialektik am Ende doch noch Recht haben, so stellt A. J. Weigoni in seinem ersten Roman Abgeschlossenes Sammelgebiet die Welt auf die Vergänglichkeitsprobe. Zur Rezeption dieses Romanciers gehört es seit seinen Zombies, daß man seinen Humor meist nur in der Form der Ironie erkennt, die meist etwas Distanzierendes, etwas Überlegenes hat. Sieht man genauer hin, so hat Weigoni zu seinen Figuren kaum Distanz. Und er macht sich nie über sie lustig. Wenn es dennoch bei ihm immer wieder hochkomische Situationen gibt, so ist das, wie bei seinen Novellen Cyberspasz, als Groteske angelegt. Die Absurdität ergibt sich nicht daraus, wie Weigoni erzählt, vielmehr rührt aus den Situationen selbst, in die die Menschen meist unfreiwillig geraten oder sich schlimmstenfalls sogar freiwillig begeben. Wir lesen in seinem ersten Roman Poesie als Kreuzungspunkt von Politik und Literatur. Dies garstig Lied setzt sich dem Zwiespalt aus, ob Dichtung ein angemessenes Medium für Politik ist, und Politik ein angemessener Inhalt für die Dichtung. Die Antithese deutet auf das Problem der Literatur hin, das sich engagierte Literatur notwendigerweise von der Realität abgesetzt, die Differenz von dieser jedoch durchstreicht. - Quod erat demonstrandum: Zwischen November 1989 und März 1990 wird die deutsche Geschichte vom Druck der Ereignisse komprimiert. Als meisterlicher Seismograf existenzieller Erschütterungen erzählt Weigoni diese Liebes- und Untergangsgeschichte mit leichter Hand, sprachspielerisch, ironisch und doch kunstvoll. Und nicht einmal das, was an der deutschen Geschichte so bleischwer ist, kommt an keiner Stelle in diesem Roman so daher.

Poesie und Politik, das sind die Pole, zwischen denen dieser Roman oszilliert. Dieser Romancier verdichtet Realitätsfragmente zu Poesie. Seine Methode ist nicht die des Schocks, das Heraufbeschwören eines proletarisch-revolutionären Ideals oder der Provokation; er sucht nach der Evidenz poetischer Bilder, wenn er den Finger auf die Wunden seiner Figuren legt. Dieser Roman demonstriert, wie Weigonis Erzählen funktioniert. Wenn er einerseits eine ganze individuelle Erfahrung und Empfindung wiedergibt, steht er doch zugleich für das Übergreifende. Weigoni artikuliert nichtpropagandistisches Sprechen, eine Erinnerungs- und Beschreibungssprache, die sich angenehm abhebt von dem, was man über die sogenannte Wiedervereinigung lesen mußte. In Abgeschlossenes Sammelgebiet durchdringt er die Realität vom ersten bis zum letzten Kapitel, zeigt Widersprüche auf, und weist poetisch aus, wie sich Individuen im geschichtlichen Umbruch verhalten. Freiheit und Toleranz liegen nicht allein in klassisch westlichen Vorstellungen, sie können sich gerade untergründig in einem bewußten Umgang mit Traditionen offenbaren. Der sogenannte Antifaschistische Schutzwall erscheint als Metapher für den Kollektivwahn, der am 9. November 1989 zum Ausbruch kommt.

»Abgeschlossenes Sammelgebiet«, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2014 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover

Erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

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13.08.2014: | | |

Über Matthias Hagedorn