Ist das Europaparlament ein Parlament und ist es ausreichend legitimiert?

Ein Beitrag von Dominik Konrad für Peira – Gesellschaft für politisches Wagnis e.V.

Berlin, 03.03. 2014: Wenn zwischen dem 22. und dem 25. Mai 2014 die achte Direktwahl des Europäischen Parlaments stattfindet, sind nach der jüngsten Erweiterung um Kroatien die Wahlberechtigten der mittlerweile 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgerufen, eine neue demokratische Vertretung auf europäischer Ebene für 505 Millionen Menschen zu wählen.

Seit 1979 wird das Europaparlament direkt von den Bürgern der Mitgliedstaaten gewählt und vertritt heute nach dem indischen Parlament die zweitgrößte Bevölkerung der Welt. Leider haben die Wahlen zum Europaparlament bis heute in der öffentlichen Wahrnehmung nicht den gleichen Stellenwert wie die Wahlen der jeweiligen nationalen Volksvertretungen. Das Interesse an den Europawahlen, und damit auch die Wahlbeteiligung, fällt stets niedriger aus als bei den Wahlen der nationalen Volksvertretungen. Es gibt viele Gründe, warum die Europawahlen als „Nationale Nebenwahlen“ angesehen werden. Die Ebene der europäischen Politik wird als weniger einflussreich und weniger wichtig wahrgenommen. Geringes Interesse und geringe Wahlbeteiligung veranlassen beispielsweise die Parteien in Deutschland, wenig Geld und politische Initiative in den Europawahlkampf zu investieren, da es dort ohnehin nicht viel zu holen gibt. Häufig werden die Europawahlen von den Wählern dazu genutzt, die derzeitige Regierung durch Protestwahl abzustrafen. Geringes Interesse, niedrige Wahlbeteiligung und Protestwahl begünstigen kleinere Parteien und lassen die Volksparteien bei Europawahlen vergleichsweise schlechter abschneiden.

Das geringe öffentliche Interesse liegt auch an der Distanz zwischen europäischer Politik und der Lebensrealität des europäischen Bürgers in seinem Land. Während die Politik der nationalen Parlamente und Regierungen in den Medien präsent ist und oftmals noch zusätzlich verständlich aufbereitet und erklärt wird, scheint die europäische Ebene der Politik sphärisch und von nationaler Politik entkoppelt. Sie ist für den Bürger häufig nicht nachvollziehbar und eine „europäische Öffentlichkeit“, die sich über nationale Fragen erhebt und Belange transnationaler Bedeutung diskutiert und verständlich aufbereitet, ist so gut wie nicht vorhanden. Wenn es Diskussionen über politische Entscheidungen auf europäischer Ebene gibt, werden sie meist mit einer Konnotation geführt, welche die dortigen Entscheider als weltfremde Bürokraten entlarven soll. Die Bürger wenden sich ab, weil sie ihre Interessen nicht vertreten sehen und keinerlei Kausalitäten zwischen ihrem eigenen Leben und der europäischen Politik erkennen können.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die generelle Frage, ob das Europäische Parlament durch sein Wahlsystem ausreichend legitimiert ist, im Namen der Europäer zu entscheiden?

Ein jetzt von Dominik Konrad an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg vorgelegtes Arbeitspapier geht dieser Frage nach. Es untersucht das Wahlsystem zum Europaparlament darauf, ob es geeignet ist, ein die gesamte europäische Bevölkerung angemessen repräsentierendes Wahlergebnis hervorzubringen. Zweifel sind angebracht. Ein besonderes Problem stellt unter anderem die Überrepräsentation der kleinen und somit die Benachteiligung der großen Mitgliedstaaten bei der Sitzverteilung im Europaparlament dar. Diese „degressive Proportionalität“ führt dazu, dass einer der wichtigsten Grundsätze demokratischer Wahlen nicht berücksichtigt wird: Die Wahlen zum Europaparlament sind nicht gleich. Aus dieser Perspektive wird deutlich, warum das Bundesverfassungsgericht die Sperrklauseln vorläufig für verfassungswidrig erklären musste, um zumindest im Rahmen seiner nationalen Kompetenzen für den deutschen Teil der Europawahlen eine Stimmwertgleichheit herzustellen.
Das von Dominik Konrad an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Institut für Politische Wissenschaft vorgelegte Arbeitspapiers "Ist-das-Europaparlament-ausreichend-legitimiert_Arbeitspapier_dominik-konrad" steht auf der Peira-Website zum Downloaden bereit.

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Tags: Bundesverfassungsgericht, Drei-Prozent Hürde, Europaparlament, Europawahl, Grundgesetz, Sperrklausel, Wahlsystem