Bundesregierung feiert Akzeptanz des Opferfonds für ehemalige Heimkinder

Statistik belegt: Kein Grund zum Feiern – Opferfonds gescheitert

Den Opfern von physischer, psychischer und sexueller Gewalt in den zwei Nachkriegsjahrzehnten in meist kirchlichen Heimen wollte der „Runde Tisch Heimerziehung“ (RTH) unter Antje Vollmer wirklich helfen. So stellte es der RTH immer wieder öffentlich dar. Von 2008 bis 2010 hatte der Tisch getagt und eine abschließende Lösung vorgeschlagen, die vom Deutschen Bundestag übernommen wurde: „Der Runde Tisch hält eine Summe von 120 Millionen Euro für die Ausstattung des Fonds / der Stiftung für erforderlich, die sich aufteilt in 20 Millionen Euro für den ‚Rentenersatzfonds’ und 100 Millionen Euro für den ‚Fonds für Folgeschäden der Heimerziehung’“. So geschrieben im Abschlussbericht des RTH. (1)
Die Bundesregierung feiert sich nun zum zweiten Mal selbst in einer Pressemitteilung vom 22.05.2013: „Die Unterstützung für ehemalige Heimkinder, denen Leid und Unrecht zugefügt wurde, kommt bei den Betroffenen an.“ Und weiter: „Die Betroffenen nehmen die Hilfsangebote sehr gut an. Seit dem Start des Fonds ‚Heimerziehung West’ am 1. Januar 2012 wurden mit rund 3.150 Personen Vereinbarungen zur Gewährleistung konkreter Hilfen geschlossen. Ausgezahlt wurden circa 25 Millionen Euro. Beim Fonds ‚Heimerziehung Ost’ wurden seit dem 1. Juli 2012 fünf Millionen Euro für Leistungen an circa 1.250 Betroffene ausgezahlt.“ (2)
Da der Fonds für die Opfer der ehemaligen DDR erst seit diesem Jahr wirksam ist, sind die bisherigen Zahlungen für diese Gruppen nicht Thema des Verfassers dieses Beitrages.

Bereits im Oktober 2012 zog die Bundesregierung eine „erste positive Bilanz aus dem Fonds ‚Heimerziehung West’“. In der entsprechenden Pressemitteilung heißt es weiter: „Bis heute seien 2.086 Vereinbarungen mit Opfern über Rentenersatzleistungen und materielle Hilfen getroffen worden.“ (3) Auf eine entsprechende Rückfrage des Verfassers wird das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend im Schreiben vom 14.11.2012 etwas konkreter: „Von den 2086 Vereinbarungen, die bis Mitte Oktober 2012 geschlossen wurden, sind 928 für materiellen Bedarf und 1158 für Rentenersatzleistungen. Für beides werden jeweils separate Vereinbarungen geschlossen - es gibt keine Mischform (Ihre Frage c)).“ (4)
Es ist also deutlich, dass mit einer Anzahl von Antragstellern zwei Vereinbarungen geschlossen wurden und damit die tatsächliche Zahl der Antragsteller sich nicht mit den 2.086 Vereinbarungen deckt. Im Klartext: Die Zahl der Opfer, die Anträge gestellt haben, ist niedriger. Gleiches gilt für die Zahl der Vereinbarungen zum derzeitigen Stand.
In der Pressemeldung vom Oktober 2012 weiter: „Insgesamt seien bislang 12,1 Millionen Euro an finanziellen und materiellen Leistungen gewährt worden.“ Laut heutigem Stand seien bereits 25.000.000 Euro abgerufen.
Zusammengefasst:
Stand Oktober 2012 = 2.086 Vereinbarungen / 12,1 Mio. Ausgaben
Stand Mai 2013 = 3.150 Vereinbarungen / 25 Mio. Ausgaben für Opfer West
Stand Opfer Ost = 1.250 Vereinbarungen / 5 Mio. Ausgaben für Opfer Ost

In den bisherigen Ausführungen des Verfassers an anderen Stellen, wurde davon ausgegangen, dass von den im Raum stehenden 800.000 Opfern wenigstens noch 400.000 leben. Um errechnen zu können, wie viele Opfer tatsächlich bis heute noch leben, wurde dem Verfasser vom Bundesamt für Statistik die Zahl der Geburten 1950 und die Zahl der davon noch Lebenden 2011 telefonisch mitgeteilt. Demnach wurden 1950 1.116.701 Menschen geboren; davon lebten 2011 noch 1.050.350. Die meisten Opfer wurden zwischen 1940 und 1955 geboren. Das ist den Schilderungen im Internet zu entnehmen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Annahme von 400.000 noch lebenden Opfern mehr als abgesichert ist, ja, die Zahl wahrscheinlich viel höher liegt.
Verbleibt man aber bei den 400.000 westdeutschen Opfern und stellt ihnen 3.150 Vereinbarungen gegenüber, ergibt sich ein Wert von 0,78 % von 400.000. Im Klartext: Weniger als 1 % der Heimopfer West hat Vereinbarungen mit dem Opferfonds abgeschlossen.
Hier von Erfolg und Akzeptanz des Opferfonds zu schreiben, ist irrwitzig.

Gescheitert ist der Opferfonds aber auch, weil die Umsetzung der empfohlenen Zielsetzung nicht mehr entspricht. Zum „Umfang der Leistungen“ empfahl der RTH:
„Finanzielle Maßnahmen sollen immer individuell, anknüpfend an heute noch
vorhandenen Folgeschäden, gewährt werden. Als Ausgangspunkte von Leistungen
kommen in Betracht:
(1) Minderung von Rentenansprüchen aufgrund nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge (‚Rentenersatzfonds’). Daraus resultierende Leistungen sind nach den Regeln der Sozialversicherung zu klären und ggf. – eventuell durch Einmalzahlungen – zu erbringen. Maßgebend dabei ist, ob die damalige Arbeit nach heutigem Verständnis sozialversicherungspflichtig gewesen wäre.
(2) Folgeschäden und besonderer Hilfebedarf aufgrund von Erfahrungen und Schädigungen durch Heimerziehung (‚Fonds für Folgeschäden aus Heimerziehung’)“
Für die Rentenersatzansprüche waren (siehe oben) 20 Mio. Euro, und für die Sachleistungen zum Ausgleich von Folgeschäden 100 Mio. Euro vorgesehen. (1)
Nach dem Stand Mai 2013 wurden 25 Mio. Euro an Leistungen ausgeschüttet. Die Bundesregierung gibt keine Auskünfte über die Beträge für einzelne Leistungen.
Hier können nur Eindrücke herangezogen werden, die auf Berichte im Internet beruhen: Es hat sich herumgesprochen, dass sogenannte Rentenersatzleistungen problemlos erhältlich sind. Es genügt der Nachweis des Heimes, der Heimzeit und – dauer und das Geburtsdatum - - weil es Rentenersatzleistungen nicht für die Kinderzwangsarbeit, sondern erst ab dem 14. Lebensjahr gibt – und auf Nachfrage Zeitzeugen. Sind diese Unterlagen beigebracht, werden pro Arbeitsmonat 300 Euro ausgezahlt. Da kommt ein absehbarer Betrag zusammen. Von diesem Verfahren machen die meisten Opfer, die sich in den Foren erklären, Gebrauch. Über die Inanspruchnahme von Sachleistungen zur Kompensation von Folgeschäden ist sehr wenig bekannt. Man liest hier und da von einer Renovierung, Beihilfe zur Beschaffung eines Autos, wenig von Beihilfen zum Ausgleich medizinischer Schäden.
Es kann also davon ausgegangen werden, dass der überwiegende Betrag aus den bisherigen Leistungen von 25 Mio. Euro für sogenannte Rentenersatzleistungen aufgebracht wird.
Damit wird klar: Der kleine Fondsanteil für Rentenersatzleistungen ist bereits ausgeschöpft; der große Anteil für die Kompensation von Folgeschäden ist kaum angerührt. Es ist zu vermuten, dass die noch eingehenden Anträge auf Rentenausgleichszahlungen aus dem großen Fondsanteil für die Beseitigung von Folgeschäden bedient wird.
Das ist nicht Sinn der Empfehlungen und auch nicht Sinn des Bundestages. Darum ist dieser Opferfonds mit der bisherigen Beabsichtigung gescheitert.

Warum der Anteil für die Beseitigung von Folgeschäden kaum in Anspruch genommen wird, erklärt Heidi Dettinger, 2. Vorsitzende des „Vereins ehemaliger Heimkinder“ (VeH):
„’... zweckgebundenen Leistungen’ heißt, dass eine Sache beantragt werden muss, sodann eine ‚Schlüssigkeitsprüfung’ vorgenommen wird, der dann als schlüssig erkannte Betrag – je nach Anlauf- und Beratungsstelle mitnichten überwiesen wird, sondern erst einmal ein Beweis vorgelegt werden muss, dass die Sache auch ernsthaft angeschafft werden soll – z.B. eine Bestellung mit Anzahlung – erst dann wird überwiesen. Wenn man Glück hat. Wenn nicht, wird der Lieferant/Hersteller/Betrieb auch direkt bezahlt. Charming! Auf jeden Fall muss nach vollendeter Anschaffung – egal ob Zähne, Urlaub, Fahrrad, Renovierung – die Rechnung vorgelegt werden. Als Beweis, dass man das Geld nicht sinnlos versoffen hat, nehme ich mal an.“ (5)

(1) http://www.gewalt-im-jhh.de/hp2/Abstimmung_uber_den_Runden_Tis/RTH-Absch...
(2) http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2013/05/2013-05-22-kabi...
(3) http://www.bundestag.de/presse/hib/2012_10/2012_469/01.html
(4) http://gewalt-im-jhh.de/hp2/Textbeitrage_-_Textdokumente/Bundesregierung...
(5) http://dierkschaefer.wordpress.com/2013/05/22/ist-doch-alles-in-butter/#...