Das Fieber bekämpfen - nicht das Fieberthermometer!

Immer wieder einmal wird mehr oder weniger aufgeregt über Radikalisierungstendenzen in der Gesellschaft geklagt, übrigens keineswegs nur in Deutschland. Nur ist die Öffentlichkeit hierzulande durch Erinnerungen an zurückliegende Ereignisse besonders sensibilisiert. Die Reaktionen auf die gerade veröffentlichte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Rechtsextremismus in Deutschland haben dies wiederum gezeigt.

Wie ein Kranker, der nicht an seiner Krankheit, sondern an deren Symptomen leidet, leiden auch die Öffentliche Diskussion und alle Bestrebungen, des Radikalisierungsphänomens Herr zu werden, unter der Verengung der Wahrnehmung auf die Symptome. Aber was gewinnt ein Fiebernder, wenn er das Thermometer abschafft?

Die genannte Studie mit dem Titel: „Die Mitte im Umbruch“ weist zu Recht darauf hin, daß die Gefahr der Radikalisierung nicht etwas an den „Rändern“, sondern in der „Mitte“ der Gesellschaft lauert: „Wenn ganze Bevölkerungsgruppen von der gleichberechtigten Teilhabe am sozialen (und dabei langfristig oft auch politischen) Leben ausgeschlossen werden, ist ein zentrales Versprechen der modernen Demokratie
gebrochen.“

Die durch Gesetze geförderte Ausbeutung von abhängig Beschäftigten in Praktika, mit Leih- und Zeitarbeit sowie in Scheinselbständigkeit mit Werkverträgen, macht Deutschland zwar international wettbewerbsfähiger, ruiniert die Legitimation des Staates. Die Tatsache, daß die unteren Einkommensgruppen seit vielen Jahren Einkommenssenkungen hinnehmen müssen, daß die mittleren Einkommen seit Jahren kaum steigen und die hohen und höchsten Einkommen im gleichen Zeitraum zweistellige Zuwachsraten aufweisen, beweist die gewaltige materielle Schieflage unserer Gesellschaft. Hinzu kommt, daß die hohen Einkommen steuerlich auch noch begünstigt werden. Beispiele sind die Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte und die von CDU/CSU und FDP geplante großzügige Behandlung der auf Schweizer Bankkonten lagernden Schwarzgelder.

Die voraussehbare Altersarmut von Millionen Bürgerinnen und Bürgern und die Tatsache, daß ihre Renten unter oder in der Nähe der Sozialhilfesätze liegen werden, wirft die Frage auf, wofür diese Menschen überhaupt noch Beiträge zur Rentenversicherung zahlen. Die im Zusammenhang mit der Rentenmisere ins Gespräch gebrachte sogenannte Lebensleistungs-Rente – eine Rente knapp oberhalb der Sozialhilfe für 40jährige ununterbrochene rentenversicherungspflichtige Arbeit – wirft die Frage auf, ob hier ein(e) Angehörige(r) der herrschenden Klasse ein makabrer Scherz mißlungen ist, oder ob es sich um eine ernst zu nehmende Entgleisung auf der Basis einer verrutschten Moral handelt.

Die Auswirkungen der Banken- und Staatsschuldenkrise auf die Realwirtschaft verunsichern immer größere Teile der Bevölkerung. Nachdem die Politiker zuerst durch eine undurchdachte Deregulierung und Privatisierung von Öffentlichen Dienstleistungen die Profitgier entfesselt haben, werden sie ihr nun nicht mehr Herr. Die Preise steigen, die Kosten für die Rettung von Banken und ganzen Staaten vor der Pleite kostet viele hundert Milliarden. Die Verursacher und Profiteure dieser Verhältnisse haben abkassiert und kassieren dank der erfolgreichen Arbeit ihrer Lobbyvereine innerhalb und außerhalb der Parlamente weiter ab, während dem sprichwörtliche „kleine Mann“ die Taschen immer weiter geleert werden.

Eine wehrhafte Demokratie muß alle Bürgerinnen und Bürger mitnehmen und ihnen eine angemessene, als gerecht empfundene Teilhabe am sozial-kulturellen Leben der Gesellschaft ermöglichen. Davon entfernen sich die europäischen Gesellschaften zunehmend. Die zu beutekapitalistischen Lobbydemokraturen entarteten Demokratien sind nur noch Karikaturen einer Demokratie, wenn die Mehrheit der Menschen zu Mitteln für die Zwecke einer Minderheit von politiknahen Superreichen und ihrer Corona nützlicher Idioten erniedrigt wird. Solche Demokratien sind faktisch Plutokratien und – weil sich die Völker mit ihnen nicht identifizieren können – dem Übel der Radikalisierung der Bevölkerung schutzlos ausgeliefert.

Das Versagen der herrschenden Klasse hinsichtlich ihrer Aufgabe, das Allgemeinwohl der Gesellschaft zu fördern und für eine sichere Zukunft zu sorgen, ist nicht zu übersehen. Lösungen für seit langem bekannte Probleme der Gesellschaft werden nur immer weiter in die Zukunft verschoben: Alters-, Kranken- und Pflegeversorgung, Verhinderung von Armut durch Ausbeutung, gerechtere Besteuerung mit transparenteren Gesetzen, vom Sozialstatus der Eltern unabhängige Bildungschancen … um nur einige Dauerbaustellen zu nennen. Leider ist nicht einmal im Ansatz der ernsthafte Wille zu erkennen, daß die politische Klasse durch die Lösung dieser und zahlreicher anderer Probleme den Ursachen der unübersehbaren sozialen Destabilisierung unserer Gesellschaft wirksam entgegen treten will. Vertrauen wird so nicht geschaffen.

Wir wissen nicht, wie sich die Banken- und Staatsschuldenkrise weiter entwickelt und wie sie sich im weiteren Verlauf noch auf die Weltwirtschaft auswirken wird. Größere soziale und politische Verwerfungen werden im Falle einer Weltwirtschaftskrise wohl unvermeidlich eintreten. Unabhängig davon sollte aber klar sein: Den unleugbaren Radikalisierungstendenzen in den europäischen Gesellschaften muß an den Ursachen begegnet werden und nicht an den Symptomen. Das bedeutet, die politische Klasse muß endlich aufhören, nur für sich selbst und ihre Klientele zu sorgen, und mit Hochdruck die lange anstehenden Probleme unserer Gesellschaft lösen. Ziel muß die integrierte Gesellschaft sein, in der niemand „abgehängt“ oder ausgegrenzt wird und alle in angemessenem und gerechtem Umfang am sozial-kulturellen Leben teilnehmen können.

Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung zu einer wieder integrierten und deshalb auch weniger für radikale „Lösungen“ anfälligen Gesellschaft wäre eine umfassende Reform des gesamten Sozial- und Finanzsystems mit dem Kernprojekt eines unbedingten individuellen Grundeinkommens in Gestalt einer negativen Einkommensteuer. Die Machbarkeit untersucht eine Abhandlung mit dem Titel „Unbedingtes individuelles Grundeinkommen in Gestalt einer negativen Einkommensteuer - Kernstück einer unvermeidlichen Radikalreform unserer Gesellschaft (ISBN 978-3-943788-18-1, eBook, 79 S., 9,95 Euro). Die Studie basiert zwar auf statistischen Zahlen aus den Jahren 2005-07, ist aber in ihren wesentlichen Aussagen nach wie vor hochaktuell. Sie ist in guten (Internet-)Buchhandlungen oder direkt beim Verlag READ – Rüdenauer Edition Autor Digital (www.read.ruedenauer.de) erhältlich.

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