Feiern und schmausen wie Röde Orm

Drehen wir einmal die Uhren zurück. Sagen wir mal ins Jahr 900. Obwohl die Sonne scheint, bläst ein frischer Westwind von der nahen Nordsee. Ein Boot nach dem anderen kämpft sich durch die Enge bei dem heutigen Løgstør. Seitdem die kleine Flotte vom Kattegat kommend in den Limfjord eingelaufen ist, müssen die Männer beinahe ununterbrochen rudern. Jetzt warten die unbehaglichen harten und kurzen Wellen der Løgstør Bredning auf die mit Kriegern voll ausgerüsteten Boote. Mühsam kämpfen sie sich frei von den Untiefen, die schon manchem Schiff zum Schicksal geworden sind, bis endlich der Rudergänger das Boot nach Steuerbord abfallen lässt. Mit geblähtem Segel nimmt er Kurs auf die Aggersborg, die nur wenige Seemeilen entfernt am nördlichen Ufer des Limfjords liegt.

In langer Reihe liegen bereits früher angekommene Boote hochgezogen am Strand. In der Aggersborg wimmelt es von Menschen. In den zwölf Langhäusern sind normal um die 5000 Mann stationiert, dazu gesellen sich jetzt Krieger aus Dänemark, Norwegen und Schweden, die sich auf den gemeinsamen Beutezug nach England freuen, und natürlich versuchen angereiste Händler und Gunstgewerblerinnen die lockere Stimmung für ihre Geschäfte auszunützen. Wer kann, genießt das süßliche Bier zu den vielen Fisch,- Muschel- und Austerngerichten. Nur die Soldaten der Stammbesatzung halten Wacht auf den hohen Palisaden zum Schutz der Gäste und des wichtigen nord-süd-gehenden Handelsweges, dem Ochsenweg, der über Flensburg bis Altona geht.

Gesitteter und auf jeden Fall friedlicher können Gäste heutzutage die Schlemmerfeste am Limfjord erleben. Dass der Limfjord bei Feinschmeckern wieder hoch im Kurs steht, liegt daran, dass er wie zu Zeiten der Wikinger in Wirklichkeit ein Sund – also ein durchgehender Wasserarm wie zum Beispiel der Öresund – ist. Salzhaltiges Wasser von der Nordsee mischt sich mit Süßwasser und schafft die idealen Lebensbedingungen für Muscheln, Austern und bestimmte Fischarten. Doch nicht für Heringe. Die dominierten das Erwerbsleben am Limfjord, als der zum Ende der Wikingerzeit durch Sturmfluten für mehrere Jahrhunderte hermetisch zur Nordsee abgeriegelt wurde. Zur Laichzeit strömten im Mittelalter Abermillionen Heringe in den Fjord. Und mit ihnen kamen Wohlstand und Ansehen in diese ansonsten ärmliche Region. Als wiederum mehrere Sturmfluten im 19. Jahrhundert den Riegel zur Nordsee zerstörten, kam das Salzwasser zurück, die Heringe suchten sich andere Laichgründe und mit ihnen verschwanden sichere Einnahmen. Die Armut zog wieder ein.

Zunächst unbemerkt, dann von visionären Fischern als Chance begriffen, siedelten sich zunächst Muscheln und später, als das Wasser wieder richtig sauber war, Austern im Limfjord an. Feinschmecker und Genießer aus der ganzen Welt pilgern nun in den Norden der dänischen Halbinsel. Die Europäische Auster, berühmt für ihr festes Fleisch und intensiveren Geschmack als ihre größeren Verwandten, gedeiht nur noch im Limfjord. Die wildwachsenden Limfjord-Muscheln werden von den Starköchen der Gourmet-Tempel in Kopenhagen, Paris und Madrid den in riesigen Zuchtanlagen heranwachsenden Muscheln vorgezogen.

Rustikaler und volksnah, doch nicht weniger schmackhaft geht es bei den Muschel- und Austernfesten am Limfjord zu. Das beginnt bereits im April mit dem Muschelerntefest in Løgstør, der selbsternannten Muschelhauptstadt der Region. Kann es zu diesem Fest draußen noch kühl und unwirtlich sein, warten in der kleinen gemütlichen Stadt im Juli das Muschelfestival und Ende August die martialische „DM i Østersåbning og Champagnesabling” – was nichts anderes heißt als: Dänische Meisterschaft im Austernöffnen und Champagnerflaschenköpfen“ – auf den geneigten Besucher. Mit dänischer Munterkeit wird hier zwar der Landesmeister im Austernöffnen gefunden, der Ende September im irischen Galway um die Weltmeisterschaft kämpfen darf, doch vor allem geht es darum, Muschel- und Austerngerichte in einer unvorstellbaren Vielfalt zu kosten. Wer dann so richtig auf den Geschmack gekommen ist, kann mit Kind und Kegel an einem Muschelkochkurs des Limfjordmuseums teilnehmen, das malerisch am Frederik VII.-Kanal liegt. Nicht weniger festlich und kinderfreundlich geht es Anfang Juni auf dem „Skaldyrsfestival“, dem Schalentierenfestival, in Nykøbing auf Mors zu.

Es sind jedoch nicht nur Schlemmerfeste, Wasser und Strand, die den Aufenthalt am Limfjord abwechslungsreich gestalten. In Spøttrup kämpfen auf der alten Burg Ende Juli Ritter um die Europameisterschaft im Reiterduell. Hoch zu Ross werden sie sich gegenseitig mit Lanzen vom Pferd stoßen und andere Geschicklichkeitsaufgaben lösen, um zum Abschluss Europas tüchtigsten Ritter zu küren. Begleitet wird dieser ritterliche Kampf von einem Mittelaltermarkt, der nicht nur vom Aroma dampfender Pferdeäpfel sondern vieler Leckereien aus geschwundenen Zeiten überlagert wird.

Viel stiller doch nicht weniger spannend, ist ein Besuch auf der kleinen Insel Fur. In ihren Formationen aus Moler kann die Geschichte der Erde und ihrer Lebewesen 55 Millionen Jahre zurück verfolgt werden. Insekten, Fische und Pflanzen sind in dem weichen Gestein gefunden worden und haben teilweise zu sensationellen Erkenntnissen über die Entwicklung unseres Planeten geführt.

So spannt sich der Bogen von grauer Vorzeit über abenteuerlustige und wagemutige Wikinger zu den freundlichen Bewohnern des Limfjords, die mit stillem Stolz und ruhigem Selbstbewusstsein ihre Besucher als willkommene Gäste empfangen und alles so „hyggelig“ wie möglich für sie gestalten.

Informationen im Internet:
www.visitlimfjorden.com
www.muslingebyen.dk
www.skaldyrsfestival.dk
www.spottrupborg.dk
www.furmuseum.dk

15.05.2012: | | | |